VwGH vom 29.06.2011, 2007/02/0358

VwGH vom 29.06.2011, 2007/02/0358

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des P M in W, vertreten durch Dr. Andreas Frank, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Albertgasse 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-07/S/57/1388/2007-18, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit zur Vertretung nach außen Berufener der M. Bau- und Handelsges.m.b.H. mit Sitz und Standort des Gewerbes in W, ….., zu verantworten, dass diese Gesellschaft am um 16.50 Uhr an einem näher bezeichneten Ort bei der Montage von Dämmplatten an der Decke, entgegen § 58 Abs. 3 in Verbindung mit § 8 der Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 340/1994, wonach Gerüstlagen mit Wehren gemäß § 8 BauV zu versehen seien, gehandelt habe, wobei festgestellt worden sei, dass bei dem in Verwendung befindlichen Metallrohrsteckgerüst in der zweiten Gerüstlage (Absturzhöhe ca. 4 m) die erforderlichen Brust-, Mittel und Fußwehren gefehlt hätten.

Der Beschwerdeführer habe dadurch § 130 Abs. 5 Z. 1 iVm § 118 Abs. 3 des Arbeitnehmerlnnenschutzgesetzes (ASchG) iVm § 58 Abs. 3 iVm § 8 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) iVm § 9 VStG 1991 in der geltenden Fassung verletzt; über ihn wurde eine Geldstrafe von EUR 1.400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 1 Woche und 3 Tage) verhängt.

Ferner wurde ausgesprochen, dass die M. Bau- und HandelsgesmbH mit Sitz in Wien für die verhängte Geldstrafe und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand hafte.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei zum Tatzeitpunkt handelsrechtlicher Geschäftsführer der M. Bau- und Handelsges.m.b.H. mit Sitz in Wien gewesen. Die Firma M. habe am an einer näher bezeichneten Baustelle im 1. UG bei der Montage von Dämmplatten ein Metallrohrsteckgerüst verwendet, bei dem in der zweiten Gerüstlage (Absturzhöhe ca. 4 m) die erforderlichen Brust-, Mittel- und Fußwehren gefehlt hätten. Dabei sei ein Arbeiter abgestürzt und habe sich verletzt. Der Zeuge Adam C. habe angegeben, das Gerüst selbst zusammengebaut zu haben. Der Beschwerdeführer habe jedoch bestritten, dass ein Arbeiter, der seiner Firma zuzurechnen sei, das Gerüst verwendet habe. Er habe den Auftrag über das Verlegen von Dämmplatten im Rahmen eines Werkvertrages an die Firma S. weitergegeben, die es daher zu verantworten habe, dass einer ihrer Arbeiter das Gerüst verwendet habe. Sein Unternehmen habe die Bauleitung inne gehabt und der zuständige Bauleiter habe den Arbeitern der Firma S. Anweisungen erteilt. Sein Unternehmen habe auch die Dämmplatten bereitgestellt, das Werkzeug und das Kleinmaterial sei jedoch von der Firma S. beigestellt worden. Der Zeuge V. habe in seiner Einvernahme diese Angaben bestätigt und angegeben, dass er der Bauleiter der Firma M. auf der gegenständlichen Baustelle gewesen sei und als solcher den Arbeitern der Firma S. gesagt habe, wo und wie sie die Dämmplatten zu verlegen hätten. Die Arbeiten hätten ungefähr eine Woche vor dem Unfall angefangen und er sei drei Mal auf der Baustelle gewesen. Am Tag des Unfalls sei er zwar nicht auf der Baustelle gewesen, aber die Arbeiter hätten gewusst, was zu tun gewesen sei, es seien ja lediglich Dämmplatten zu verlegen gewesen. Reklamationen seien von der Firma P. gegenüber der Firma M. bzw. ihm gegenüber als Bauleiter der Firma M. erfolgt.

Für die Abgrenzung zwischen Werkverträgen, deren Erfüllung im Wege einer Arbeitskräfteüberlassung im Sinne des AÜG stattfinde, und solchen, bei denen dies nicht der Fall sei, sei grundsätzlich eine Gesamtbetrachtung der Unterscheidungsmerkmale notwendig. Einzelne für das Vorliegen eines Werkvertrages sprechende Sachverhaltselemente seien in diesem Sinne nicht ausreichend, wenn sich aus den Gesamtumständen unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Interessenlage Gegenteiliges ergebe.

Im gegenständlichen Fall seien zumindest drei der in § 4 Abs. 2 AÜG genannten Abgrenzungsmerkmale eindeutig gegeben, wobei die unter Z. 1 und Z. 4 genannten Merkmale besonderes Gewicht hätten. Unter Berücksichtigung des wahren wirtschaftlichen Gehaltes des Vertragsverhältnisses zwischen den Firmen M. und S. gehe die erkennende Behörde davon aus, dass die Erfüllung eines Werkvertrages im Wege einer Arbeitskräfteüberlassung vorgelegen sei. Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 6 Abs. 1 AÜG ergebe, gelte der Beschäftiger für die Dauer der Beschäftigung in seinem Betrieb als Arbeitgeber im Sinne der Arbeitnehmerschutzvorschriften.

Da der verunfallte Arbeiter das gegenständliche Gerüst benützt habe und dieser Arbeiter der Firma M. zuzurechnen sei, habe sie die Verwaltungsübertretung zu verantworten. Es sei daher der objektive Tatbestand als erwiesen anzusehen.

Der Beschwerdeführer habe ausgeführt, dass die jeweiligen Bauleiter, die für die einzelnen Baustellen zuständig seien, eine umfassende Ausbildung betreffend die Einhaltung von Schutzbestimmungen hätten und dass auf die fachliche Qualifikation der Bauleiter geachtet werde. Welche Maßnahmen die auf den einzelnen Hierarchieebenen Verantwortlichen konkret zu setzen gehabt und tatsächlich gesetzt hätten, um die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften sicherzustellen, habe er aber nicht dargelegt, sodass kein wirksames Kontrollsystem vorgelegen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

§ 4 des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG) lautet:

"§ 4. (1) Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend.

(2) Arbeitskräfteüberlassung liegt insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber

1. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder

2. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder

3. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder

4. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet."

Der Beschwerdeführer bezweifelt zunächst, dass im Beschwerdefall eine Arbeitskräfteüberlassung vorliege, und führt hiezu aus, dass die belangte Behörde nicht begründet habe, wie sie zur Annahme gekommen sei, dass nicht die S. GmbH als "Werkvertragsnehmerin", sondern die von ihm nach außen vertretene Gesellschaft das beanstandete Gerüst verwendet habe, weil der angefochtene Bescheid die notwendige Abwägung vermissen lasse, und es nicht auf die Zahl der Umstände, sondern deren Gewicht im Gesamtzusammenhang ankomme.

Insoweit der Beschwerdeführer sodann auf die fehlende organisatorische Eingliederung des verunfallten Arbeiters in seinem Betrieb hinweist, verkennt er, dass die organisatorische Eingliederung von Arbeitskräften in den Betrieb des Werkbestellers gemäß § 4 Abs. 2 Z. 3 AÜG nur ein mögliches Merkmal der Beschäftigung von überlassenen Arbeitskräften ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/09/0131). Von maßgeblicher Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, ist gemäß § 4 Abs. 1 AÜG "der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes".

Auch wenn also keine organisatorische Eingliederung besteht, kann dennoch die Beschäftigung von überlassenen Arbeitskräften im Sinne des § 4 AÜG vorliegen. Dass dies bei dem Arbeiter, der das mangelhafte Gerüst verwendete, der Fall war, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend begründet. Der genannte Arbeiter hat nämlich im Ergebnis kein Werk hergestellt, das nicht vom Unternehmen des Beschwerdeführers geschuldet oder vom Auftrag (Montage von Dämmplatten) abgewichen, und von diesem unterscheidbar der S. GesmbH zurechenbar gewesen wäre (§ 4 Abs. 2 Z. 1 AÜG), auch hat er die Arbeit jedenfalls zum Großteil mit Material des Unternehmens des Beschwerdeführers geleistet (§ 4 Abs. 2 Z. 2 AÜG). Ebenso unterstanden die ausführenden Arbeiter in fachlicher Hinsicht der Aufsicht des Bauleiters der M. GesmbH (§ 4 Abs. 2 Z. 3 AÜG), auch insoferne sind die Feststellungen in dem angefochtenen Bescheid auf schlüssige Weise zustande gekommen.

Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang, dass sein Antrag auf Vernehmung des Zeugen S. abgewiesen worden sei. Dem in der mündlichen Verhandlung vom gestellten Beweisantrag fehlte jedoch die bestimmte Angabe eines erheblichen Beweisthemas, blieb in diesem Antrag doch unklar und nicht konkretisiert, worüber der Zeuge befragt werden sollte. Die Befragung dieses Zeugen "zur Klärung des Auftragsverhältnisses zwischen der Fa. M und der Firma S." ist vielmehr als Erkundungsbeweis zu verstehen, zu dessen Aufnahme die belangte Behörde nicht verpflichtet war.

Was die Bemängelung des subjektiven Tatbestandes betrifft, ist dem Beschwerdeführer zunächst zu entgegnen, dass die ihm zur Last gelegte Übertretung der BauV (§ 58 Abs. 3 iVm § 8 leg. cit.) in Verbindung mit § 118 Abs. 3 und § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG ein Ungehorsamsdelikt darstellt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/02/0237, sowie vom , Zl. 2005/02/0324), zumal zu dessen Tatbestand der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört.

Es besteht daher gemäß § 5 Abs. 1 VStG von vornherein die Vermutung des Verschuldens des Täters, welche aber von diesem widerlegt werden kann (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren II, 2. Auflage, S. 73, unter E 103 zu § 5 VStG wiedergegebene hg. Judikatur). Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsstrafverfahren keine Behauptungen darüber aufgestellt, welches Maßnahmen- und Kontrollsystem er in dem von ihm geleiteten Betrieb eingerichtet hat, das die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften unter vorhersehbaren Verhältnissen mit gutem Grund erwarten lässt. Um seine Schuldlosigkeit glaubhaft zu machen, hätte er dartun müssen, wie ein von ihm eingerichtetes Kontroll- und Maßnahmensystem konkret funktioniert. Dazu wäre es erforderlich gewesen, anzugeben, welche Personen an der genannten Baustelle zur Tatzeit vom Beschwerdeführer mit der Überwachung der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften betraut waren, welche einschlägigen Anordnungen er diesen Personen gegeben und auf welche Weise er diese auf die ordnungsgemäße Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben bzw. die Befolgung der ihnen erteilten Weisungen überwacht hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/19/0346, mwN). Vor dem dargestellten rechtlichen Hintergrund ist die belangte Behörde im Hinblick auf die Feststellungen im angefochtenen Bescheid zutreffend davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer kein wirksames Kontrollsystem zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen eingerichtet hat. Die belangte Behörde war auch nicht gehalten, von sich aus Umstände, die den Beschwerdeführer allenfalls entlasten hätten können, zu ermitteln (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/02/0324) oder sich mit der Frage eines dem Beschwerdeführer zumutbaren Kontrollsystems auseinander zu setzen und das diesbezüglich "mangelnde Vorbringen" mit ihm zu erörtern.

Auch der "einsame Entschluss" des Arbeiters "das wackelige Gerüst" zu verwenden, schließt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers seine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung nicht aus, weil nach der ständigen hg. Rechtsprechung gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften das entsprechende Kontrollsystem Platz zu greifen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/02/0002).

Die belangte Behörde ist daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer schuldhaft gegen die einschlägige Strafbestimmung des ASchG verstoßen hat.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGHAufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am