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VwGH vom 22.11.2007, 2006/21/0333

VwGH vom 22.11.2007, 2006/21/0333

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des F, vertreten durch Solicitor Edward W. Daigneault in 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4 (Einvernehmensanwalt Dr. Herbert Kaspar, Rechtsanwalt in 1120 Wien, Wilhelmstraße 54), gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-06-0032, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der (infolge eigener Aussage vom und eines am ausgestellten Heimreisezertifikates nunmehr unstrittig) am geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste im Mai 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte hier am die Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab und erklärte die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria für zulässig.

Der genannte Bescheid wurde am beim Bundesasylamt hinterlegt, weil aufrechte Meldungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nur bis zum ersichtlich waren; eine Zustellung an einen Jugendwohlfahrtsträger ist nicht erfolgt. Am wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Akteneinsicht eine Kopie des genannten Bescheides ausgefolgt. Dabei wurde ihm - unter Mithilfe eines Dolmetschers - mitgeteilt, dass das Asylverfahren mit rechtskräftig negativ abgeschlossen worden sei. Der Beschwerdeführer brachte damals vor, beginnend mit Juli 2003 bei diversen Freunden in Wien gewohnt zu haben.

Am erhob der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer gegen den genannten Bescheid des Bundesasylamtes vom Berufung.

(Mit Bescheid vom wies der unabhängige Bundesasylsenat diese Berufung gemäß § 63 Abs. 5 AVG als unzulässig zurück. Die Hinterlegung des Bescheides beim Bundesasylamt sei unzulässig gewesen und habe keine wirksame Zustellung begründet, weil dem unbegleiteten Minderjährigen gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 1997 idF vor der AsylG-Novelle 2003 wirksam durch Übermittlung einer Bescheidausfertigung an den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger zugestellt hätte werden müssen. Auch die Kenntnisnahme eines Bescheides durch Akteneinsicht und Anfertigung einer Kopie - hier am - führe nicht zu einer Heilung des ursprünglichen Zustellmangels im Sinn des § 7 Zustellgesetz. Da der Bescheid vom somit noch nicht wirksam zugestellt worden sei, sei das Asylverfahren weiterhin in erster Instanz anhängig. Die Berufung, die sich gegen einen tatsächlich noch nicht wirksam erlassenen Bescheid richte, sei als unzulässig zurückzuweisen.

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom hatte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Beschwerdeführer wegen der Begehung verschiedener Suchtmitteldelikte gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z. 1 des (bis zum geltenden) Fremdengesetzes 1997 (FrG) ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt.

Mit - am selben Tag (nach Entlassung aus gerichtlich angeordneter Strafhaft) in Vollzug gesetztem - Bescheid vom verhängte der Magistrat der Stadt Krems an der Donau über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz - FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung. Begründend wurde vor allem auf das genannte Aufenthaltsverbot, die fortdauernde Gefährlichkeit und das Fehlen einer Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet verwiesen. Auf Grund des genannten Bescheides wurde der Beschwerdeführer bis zum in Schubhaft angehalten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde (unabhängiger Verwaltungssenat im Land Niederösterreich) eine vom Beschwerdeführer erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab.

Begründend wurde ausgeführt, der am geborene Beschwerdeführer sei zwar im Zeitpunkt der Hinterlegung "des negativen Asylbescheides" (am ) noch nicht volljährig gewesen, "allerdings schon bei dessen persönlicher Ausfolgung am ". Da gegen diesen Bescheid erst am , also nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, berufen worden sei, sei davon auszugehen, dass zum kein Asylverfahren mehr anhängig und der Beschwerdeführer daher am nicht mehr Asylwerber gewesen sei, sodass er nicht "unter die Übergangsbestimmungen im Fremdenrechtspaket 2005" falle. Daher bestehe ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot, auch seien die Bestimmungen über die Schubhaft anzuwenden.

Insbesondere wegen der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sei die Überwachung seiner Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig, es liege jedenfalls der Abschiebungsgrund des § 46 Abs. 1 FPG vor. Die Anwendung eines gelinderen Mittels nach § 77 Abs. 1 FPG scheide aus, weil der Beschwerdeführer, der fallweise gar nicht oder nur als "obdachlos" gemeldet gewesen und überdies mittellos sei, im Bundesgebiet weder beruflich noch sozial integriert sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - auch die oben wiedergegebenen Vorgänge anlässlich der Akteneinsicht des (mittlerweile volljährigen) Beschwerdeführers am keine Heilung der ursprünglich (mangels Zustellung an den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger) unwirksamen Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom bewirkt haben: Es entspricht nämlich ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine bloße Kenntnisnahme vom Inhalt eines Bescheides - etwa durch Akteneinsicht oder auch durch Ausfertigung einer Fotokopie - einem tatsächlichen Zukommen nach § 7 des Zustellgesetzes bei Mängeln der Zustellung nicht gleichzusetzen ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 96/20/0187, vom , Zl. 99/02/0102, vom , Zl. 99/11/0193, und vom , Zl. 98/18/0198, jeweils mwN). Demgemäß war - wie vom unabhängigen Bundesasylsenat richtig erkannt - das Asylverfahren des Beschwerdeführers am noch anhängig.

Dieses anhängige Asylverfahren des Beschwerdeführers musste gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 und § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF vor der letztgenannten Novelle zu Ende geführt werden (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/21/0360, und vom , Zl. 2006/21/0069, mwN).

§ 21 Abs. 1 AsylG 1997 in der Stammfassung ordnet dazu

Folgendes an:

"Schutz vor Aufenthaltsbeendigung

§ 21. (1) Auf Asylwerber findet - soweit im Folgenden nicht anderes festgelegt wird - das Fremdengesetz insgesamt Anwendung, die §§ 33 Abs. 2, 36 Abs. 2 Z 7, 55 und 61 bis 63 FrG jedoch nicht auf Asylwerber mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung, sofern sie

1. den Antrag außerhalb einer Vorführung persönlich beim Bundesasylamt eingebracht haben;

2. den Antrag anlässlich der Grenzkontrolle oder anlässlich eines von ihnen sonst mit einer Sicherheitsbehörde oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgenommenen Kontaktes gestellt haben."

Die in dieser Gesetzesstelle normierten Voraussetzungen für die grundsätzliche Anwendbarkeit der die Schubhaft ermöglichenden Bestimmung des an die Stelle des § 61 Abs. 1 FrG getretenen § 76 Abs. 1 FPG (vgl. § 124 Abs. 2 FPG) sind jedoch bislang ungeprüft geblieben.

Weiters ist darauf hinzuweisen, dass die Argumentation der belangten Behörde, bereits wegen der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sei die Überwachung seiner Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig, es liege jedenfalls der "Abschiebungsgrund des § 46 Abs. 1 FPG" vor, auch deshalb verfehlt ist, weil damit nur Grundlagen für die Notwendigkeit der Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers, nicht aber das Erfordernis deren Absicherung durch seine Anhaltung in Haft angesprochen werden (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0107, mwN).

Nach dem Gesagten ist der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am