VwGH vom 28.06.2007, 2006/21/0051
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-400764/3/SR/Ri, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: H, vertreten durch Dr. Joachim Rathbauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Weißenwolffstraße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als er über die Zulässigkeit der Anhaltung des Mitbeteiligten ab abspricht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Libanon, ist am von der Schweiz kommend, wo er bereits die Gewährung von Asyl beantragt hatte, in das Bundesgebiet eingereist und hat hier am Tag darauf einen Asylantrag gestellt. Er wurde in die Bundesbetreuung aufgenommen.
Mit Bescheid vom ordnete die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck über ihn gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 iVm § 80 Abs. 5 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, sowie gemäß § 57 AVG die (am selben Tag in Vollzug gesetzte) Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung an.
In ihrer Begründung verwies sie auf folgende Angaben des Mitbeteiligten: Er sei am mit Schlepperhilfe unter Verwendung eines gefälschten Reisepasses am Luftweg von Jordanien nach Frankreich und noch im April 2002 illegal in die Schweiz eingereist. Dort habe er einen Asylantrag eingebracht und zuletzt im Zeitraum zwischen April 2002 und Dezember 2005 in einem Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt Zürich gelebt, ehe er am gegen ein Schlepperentgelt von EUR 150,-- per Pkw nach Österreich eingereist sei. Mit Schreiben vom sei ihm gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005 mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag vom gemäß § 4 AsylG 2005 zurückzuweisen. Weiters sei ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 eingeleitet worden.
Der Mitbeteiligte verfüge, von der Bundesbetreuung abgesehen, über keinen polizeilich gemeldeten Wohnsitz im Bundesgebiet. Er sei weder im Besitz eines "Nationalreisedokumentes" noch eines "anderweitigen Identitätsdokumentes", sodass seine Identität als nicht gesichert gelte. Weiters sei er völlig mittellos und könne keinen sämtliche Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz nachweisen.
Auf Grund des geschilderten Sachverhaltes und seines bisher gezeigten Verhaltens im Bundesgebiet sei zu befürchten, dass sich der Mitbeteiligte - auf freiem Fuß belassen - dem weiteren Zugriff der Behörde entziehen werde. Seine Anhaltung in Schubhaft sei deshalb zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie zur Sicherung seiner Abschiebung unbedingt erforderlich. Ein gelinderes Mittel würde die Gefahr bedeuten, dass er nach einem Abtauchen in die Illegalität dem österreichischen Staat finanziell weiter zur Last fallen könnte. Da er seinen Unterhalt im Bundesgebiet bestreiten müsse, sei die Gefahr sehr groß, dass er dies auf illegale Art und Weise bewerkstelligen würde. Es sei daher Schubhaft an Stelle gelinderer Mittel zu verhängen.
Am (bei der Erstbehörde am Tag darauf eingelangt) erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an die belangte Behörde. Darin führte er - u.a. - aus, er könne seine Identität durch seinen Führerschein nachweisen. Sein Freund O. habe sich mit Erklärung vom verpflichtet, ihm Wohnung und Unterhalt zu gewähren. Eine Aufrechterhaltung der Schubhaft sei daher nicht (mehr) notwendig. Auch habe er eine bundesbetreute Unterkunft gehabt, aus der er in Haft genommen worden sei. Er werde in die Schweiz zurückkehren, "wenn im Asylverfahren eine derartige Entscheidung ergehen sollte". Bis dahin biete er an, sich jeden zweiten Tag oder in einem anderen periodischen Abstand bei der nächstgelegenen Sicherheitsdienststelle unaufgefordert zu melden. Dies gelobe er ebenso wie am (näher bezeichneten) Wohnsitz des O. aufhältig zu bleiben.
Mit Schreiben vom (bei der belangten Behörde - zugleich mit der Schubhaftbeschwerde - am eingelangt) teilte die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck der belangten Behörde "abseits dem im ha. Schubhaftbescheid vom sehr ausführlich geschilderten Sachverhalt" mit, dass der Mitbeteiligte am Tag seiner illegalen Einreise in die Schweiz () in der Schweiz unter dem Namen "AH, geb. ", einen Asylantrag eingebracht habe. Er sei der Schweizer Asylbehörde bereits am nicht mehr zur Verfügung gestanden, "da er unmittelbar nach seiner Asylantragstellung die Empfangsstelle verlassen und in die Illegaltität in die Schweiz abgetaucht ist".
Mit dem (ausschließlich) angefochtenen Punkt I. im Bescheid vom gab die belangte Behörde der Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß den §§ 82 Abs. 1 und 83 Abs. 2 und 4 FPG insoweit Folge, als der gegen ihn am erlassene Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft ab diesem Tag für rechtswidrig erklärt wurden.
Begründend führte die belangte Behörde aus, über den Mitbeteiligten als Asylwerber dürfte gemäß § 76 Abs. 2 (hier: Z. 2) FPG Schubhaft nur dann verhängt werden, wenn nicht gelindere Mittel im Sinn des § 77 Abs. 1 FPG zur Anwendung kommen könnten. Dabei sei stets eine Prüfung erforderlich, ob - etwa mangels beruflicher oder sozialer Verankerung des Fremden im Inland - ein konkreter Sicherungsbedarf bestehe. Ein solcher, den die Erstbehörde aus der Wahrscheinlichkeit eines Untertauchens des Mitbeteiligten in die Anonymität gefolgert habe, sei im Beschwerdefall nicht zu erkennen: Der Mitbeteiligte sei als Asylwerber im Zulassungsverfahren bereits in einer Betreuungseinrichtung versorgt worden. Auf eine solche Versorgung bestehe grundsätzlich ein Rechtsanspruch. Ihre Einschränkung oder Entziehung komme nur aus bestimmten im Gesetz genannten Gründen in Betracht. Auch sei eine solche bislang nicht erfolgt.
Den Überlegungen der Erstbehörde, dass sich der Mitbeteiligte auf illegale Weise seinen Unterhalt sichern müsste, könne im Hinblick auf diesen Versorgungsanspruch nicht gefolgt werden. Des Weiteren lasse auch sein aktenkundiges Verhalten in Österreich nicht den Schluss zu, dass er sich dem Ausweisungsverfahren entziehen werde. Hieraus sei vielmehr das Gegenteil abzuleiten, sodass die Erstbehörde an Stelle der Schubhaft gelindere Mittel anzuwenden gehabt hätte.
Über die dagegen erhobene Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten erwogen:
Die Gründe, aus denen über einen Asylwerber gemäß § 76 Abs. 2 FPG Schubhaft angeordnet werden kann, sind im Licht des Gebotes der Verhältnismäßigkeit auszulegen, wobei eine verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen ist. Hieraus folgt eine Verpflichtung der die Schubhaft anordnenden Behörde nachvollziehbar darzulegen, inwiefern die Anordnung der Schubhaft notwendig ist, um den Sicherungszweck zu erreichen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 362/06, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0311). In diesem Sinne sind auch Überlegungen darüber anzustellen, ob der Sicherungszweck bereits durch die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG erreicht werden kann.
Die Erstbehörde hat im Sinne der Überlegungen der belangten Behörde nicht ausreichend dargelegt, weshalb es auf Grundlage des ihr damals bekannten "Sachverhaltes" (Aufenthalt des Mitbeteiligten in einem Flüchtlingslager nahe Zürich vom April 2002 bis zu seiner Einreise in Österreich) erforderlich gewesen sein soll, den Mitbeteiligten aus der Betreuungseinrichtung in der EAST-West in die Schubhaft zu "überstellen". Die von der Beschwerdeführerin vertretene Ansicht, die Erstbehörde hätte die ihr unstrittig obliegende Prüfung des Sicherungsbedarfs (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/21/0301) "in ausgezeichneter Weise getan" (Seite 13 der Beschwerdeschrift), wird vom Verwaltungsgerichtshof somit nicht geteilt.
Wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, es sei eine Erfahrungstatsache gewesen, dass "der überwiegende Teil von Asylwerbern, deren Verfahren in Österreich noch nicht zugelassen (seien), vor Zustellung des (drohenden) Zurückweisungsbescheides" und speziell nach einer Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005 untertauchten, um so einer Zurückschiebung in den zuständigen "Dublin-Staat" zu entgehen, so übersieht sie, dass jede Verhängung von Schubhaft nach § 76 Abs. 2 FPG eine Einzelfallprüfung erfordert, also nicht schlüssig mit allgemeinen (zudem nicht belegten) Erfahrungen aus anderen Fällen begründet werden kann (vgl. zur früheren, insoweit ähnlichen Rechtslage etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 292/04 = VfSlg. 17.288; weiters Khakzadeh,
Die Schubhaft - Rechtsfragen des Vollzugs und des Rechtsschutzes, migralex 2003, 43 mwN aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes; zum Ganzen auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/21/0091).
Soweit der angefochtene Bescheid über den Schubhaftbescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck und die auf Basis dieses Bescheides erfolgte Anhaltung des Mitbeteiligten abspricht, haftet ihm somit die geltend gemachte Rechtswidrigkeit nicht an, sodass die Beschwerde insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Im Umfang des weiteren - die Fortsetzung der Schubhaft betreffenden - Abspruches des angefochtenen Bescheides ist hingegen zu berücksichtigen, dass die Erstbehörde (zugleich mit der Schubhaftbeschwerde) der belangten Behörde auch die dargestellte Ergänzung ihres Ermittlungsstandes (in einer Äußerung zur Schubhaftbeschwerde) vorgelegt hat. Danach habe der Mitbeteiligte am Tag seiner illegalen Einreise in die Schweiz (der nunmehr mit angenommen werde) in der Schweiz unter anderem Namen einen Asylantrag eingebracht. Er sei der Schweizer Asylbehörde jedoch bereits am nicht mehr zur Verfügung gestanden, weil er in die Illegalität "abgetaucht" sei.
Dieses Vorbringen in der Äußerung der Erstbehörde zur Schubhaftbeschwerde des Mitbeteiligten hat - mangels Einschränkungen im Gesetz - entsprechende Erhebungspflichten der belangten Behörde ausgelöst. Diesen ist sie mit der Begründung nicht nachgekommen, maßgebend wäre allein das nach der Einreise in Österreich gesetzte Verhalten des Mitbeteiligten.
Diese Ansicht wird vom Verwaltungsgerichtshof jedoch für die vorliegende Konstellation nicht geteilt: Die Notwendigkeit der Schubhaft könnte sich daraus ergeben, dass sich der Mitbeteiligte vor der Einreise in das Bundesgebiet in einem anderen Staat dem behördlichen Zugriff entzogen und hierüber nach seiner Einreise zusätzlich falsche Angaben gemacht hätte. Da die belangte Behörde die dargestellten Umstände des Aufenthaltes des Mitbeteiligten in der Schweiz und die Gründe für seine Weiterreise nach Österreich infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Maßgeblichkeit dieser Sachverhaltselemente für die Fortsetzung der Schubhaft ungeprüft gelassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid insoweit mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet.
Dieser war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Durchführung der vom Mitbeteiligten beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff (insbesondere auf § 47 Abs. 3 und 4 sowie auf § 50) VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am