VwGH vom 21.03.2013, 2011/09/0186
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Köhler, über die Beschwerde des M A in S, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Tirol des Arbeitsmarktservice vom , Zl. LGSTi/V/08 115/1548083-709/2010, betreffend Versagung eines Befreiungsscheines nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom beantragte der im Jahr 1993 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 15 Abs. 1 Z. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) die Ausstellung eines Befreiungsscheines. Er sei im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung/Familiengemeinschaft mit Gültigkeit vom bis zum "mit Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit". Der Beschwerdeführer legte eine Schulbesuchsbestätigung über den Besuch einer Polytechnischen Schule seit sowie den Nachweis eines Aufenthaltstitels seines Vaters "Aufenthaltsbewilligung/Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" mit Gültigkeit vom bis zum vor.
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle Schwaz des Arbeitsmarktservice vom wurde der Antrag gemäß § 15 Abs. 1 Z. 2 AuslBG abgewiesen und dies damit begründet, dass der Beschwerdeführer nicht rechtmäßig nach den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) in Österreich niedergelassen sei. Daher lägen die Anspruchsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Z. 2 AuslBG nicht vor.
Der Beschwerdeführer erhob dagegen Berufung. Der Vater des Beschwerdeführers sei Imam und lebe schon seit Jahren in Österreich. Dementsprechend habe auch sein minderjähriger Sohn, der Beschwerdeführer, diesen Aufenthaltszweck erhalten, er lebe schon seit drei Jahren in Österreich. Wenn § 2 Abs. 3 NAG vorsehe, dass der rechtmäßige Aufenthalt eines Fremden auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung nicht als Niederlassung gelte, dann sei dies eine verfassungsrechtlich bedenkliche Verkürzung. Aus § 69 Abs. 2 NAG ergebe sich, dass Familienmitglieder von dauernd Aufenthaltsberechtigten, die sich tatsächlich lange in Österreich aufhielten, wie Forscher, Seelsorger, Studierende oder Künstler bei Erteilung einer gültigen Aufenthaltsberechtigung auch als rechtmäßig niedergelassen anzusehen seien, sonst käme es zu der grotesken Situation, dass jene Personengruppen hinsichtlich des Familiennachzuges diskriminiert seien, die gerade im Hinblick auf die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Wissenschaft und die Freiheit der Religionsausübung von der quotenmäßigen Beschränkung für ein Aufenthaltsrecht ausgenommen seien, was offenbar auch der Grund sei, weshalb diesen Bevölkerungsgruppen eben nicht eine Niederlassungs-, sondern eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werde. Es sei keine adäquate und menschenrechtskonforme Lösung, hochgebildeten Leuten wie Seelsorgern und Forschern zwar das Mitnehmen ihrer Kinder anzubieten, aber diesen jede Beschäftigung zu verbieten. Es sei offensichtlich, dass mit der Definition des § 2 Abs. 3 NAG nur jene Aufenthaltsberechtigten gemeint seien, die in § 69 Abs. 2 NAG angeführt seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge.
Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer verfüge derzeit als türkischer Staatsangehöriger über eine Aufenthaltsbewilligung "Familiengemeinschaft" gemäß § 69 NAG. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers auf Grund dieser Aufenthaltsbewilligung gemäß § 8 Abs. 1 Z. 5 NAG vermöge daher gemäß § 2 Abs. 3 NAG nicht als Niederlassung im Sinne des § 2 Abs. 2 NAG zu gelten. Dies sei zum einen den gesetzlichen Bestimmungen als auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/09/0070) zu entnehmen. Hinweise darauf, wonach sich § 2 Abs. 3 NAG lediglich auf die in § 69 Abs. 2 NAG angeführten Angehörigen beziehe, seien weder den gesetzlichen Bestimmungen noch der Rechtsprechung zu entnehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Ablehnung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 1471/10-3, und nach deren Abtretung mit weiterem Beschluss vom , B 1471/10-5, nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift sowie einer darauf erfolgten Replik des Beschwerdeführers erwogen:
§ 15 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975
idF BGBl. I Nr. 78/2007, lautet auszugsweise:
"Befreiungsschein
Voraussetzungen
§ 15. (1) Einem Ausländer, der noch keinen unbeschränkten
Zugang zum Arbeitsmarkt hat (§ 17), ist auf Antrag ein
Befreiungsschein auszustellen, wenn er
1. während der letzten acht Jahre mindestens fünf
Jahre im Bundesgebiet mit einer dem Geltungsbereich dieses
Bundesgesetzes unterliegenden Tätigkeit erlaubt beschäftigt war
und rechtmäßig niedergelassen ist oder
2. das letzte volle Schuljahr vor Beendigung seiner
Schulpflicht gemäß dem Schulpflichtgesetz 1985, BGBl. Nr. 76, in Österreich absolviert hat, rechtmäßig niedergelassen ist und wenigstens ein niedergelassener Elternteil während der letzten fünf Jahre mindestens drei Jahre im Bundesgebiet erwerbstätig war oder
3. bisher gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m nicht dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes unterlegen und weiterhin rechtmäßig niedergelassen ist oder
4. Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind
(einschließlich Stief- und Adoptivkind) eines Ausländers gemäß Z 1 bis 3 und bereits zwölf Monate rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen ist."
Die interessierenden Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009 (NAG), lauten:
"Begriffsbestimmungen
§ 2. ...
(2) Niederlassung ist der tatsächliche oder zukünftig
beabsichtigte Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck
1. der Begründung eines Wohnsitzes, der länger als
sechs Monate im Jahr tatsächlich besteht;
2. der Begründung eines Mittelpunktes der
Lebensinteressen oder
3. der Aufnahme einer nicht bloß vorübergehenden
Erwerbstätigkeit.
(3) Der rechtmäßige Aufenthalt eines Fremden auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 Abs. 1 Z 5) gilt nicht als Niederlassung im Sinne des Abs. 2.
...
Arten und Form der Aufenthaltstitel
§ 8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:
1. 'Niederlassungsbewilligung' für eine nicht bloß
vorübergehende befristete Niederlassung im Bundesgebiet zu einem
bestimmten Zweck (Abs. 2) mit der Möglichkeit, anschließend einen
Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' (Z 3) zu erlangen;
2. Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' für die
befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger' (Z 4) zu erhalten;
3. Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;
4. Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt -
Familienangehöriger' für die Dokumentation des unbefristeten
Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;
5. 'Aufenthaltsbewilligung' für einen vorübergehenden
befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§ 58 bis 69a).
...
Familiengemeinschaft
§ 69. (1) Familienangehörigen von Zusammenführenden (§ 2 Abs. 1 Z 10), die eine Aufenthaltsbewilligung besitzen, kann eine abgeleitete Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Die Geltungsdauer der Aufenthaltsbewilligung richtet sich nach der Geltungsdauer der Aufenthaltsbewilligung des Drittstaatsangehörigen.
(2) Abs. 1 gilt nicht für Familienangehörige von Drittstaatsangehörigen, denen eine Aufenthaltsbewilligung für Betriebsentsandte (§ 59), für Selbständige (§ 60), für Schüler (§ 63) oder Sozialdienstleistende (§ 66) erteilt wurde."
Artikel II der Änderung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 231/1988, lautet:
"Artikel II
Übergangsbestimmungen
(1) Einem jugendlichen Ausländer bis zur Vollendung des
19. Lebensjahres ist eine Beschäftigungsbewilligung ohne Prüfung
der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1, 2 und 6 zu erteilen, wenn
1. nicht außergewöhnliche Verhältnisse auf lokalen
Arbeitsmärkten entgegenstehen,
2. sich der jugendliche Ausländer zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens dieser Bestimmung seit mindestens drei Jahren
rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und
3. sich wenigstens ein Elternteil seit mindestens fünf
Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
§ 15 Abs. 4 gilt sinngemäß.
(2) Nach Vollendung des 19. Lebensjahres des Ausländers ist Abs. 1 weiterhin anzuwenden, wenn der Ausländer bereits vorher die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt hat und sich mit Ausnahme von jeweils höchstens drei Monaten im Kalenderjahr ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. § 15 Abs. 5 gilt sinngemäß.
(3) Anträge auf Ausstellung eines Befreiungsscheines, die in der Zeit zwischen der Verlautbarung im Bundesgesetzblatt und dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gestellt werden, gelten als im Zeitpunkt des Inkrafttretens eingebracht, es sei denn, es besteht nach der bis dahin geltenden Rechtslage ein Anspruch auf Ausstellung eines Befreiungsscheines."
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er nicht im Besitz einer Niederlassungsbewilligung im Sinne des NAG ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2006/09/0070, darauf hingewiesen, dass der Begriff "rechtmäßig niedergelassen" in § 14a Abs. 1 Z. 2 AuslBG im Sinne der Begriffsbestimmungen des § 2 Abs. 2 und 3 NAG iVm § 8 Abs. 1 Z. 1 bis 4 NAG zu verstehen ist. Auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/09/0070, wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen (vgl. zum Begriff "rechtmäßig niedergelassen" auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/01/0134 zum Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 mit weiteren Nachweisen).
Ob und unter welchen Voraussetzungen der Beschwerdeführer in den Besitz einer Niederlassungsbewilligung kommen kann, und ob es rechtmäßig ist, ihn aufenthaltsrechtlich wie einen Drittstaatsangehörigen zu behandeln, dessen Aufenthalt grundsätzlich nicht auf Dauer ausgerichtet ist, ist eine Frage der Anwendung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), die in einem Verfahren nach diesem Bundesgesetz zu klären ist (vgl. das diesbezüglich vom Beschwerdeführer zur Zl. 2011/22/0289 anhängig gemachte Beschwerdeverfahren). Im hier zu beurteilenden Verfahren ist die Beurteilung der belangten Behörde aber nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass der Beschwerdeführer nicht rechtmäßig "niedergelassen" war und daher nach der anzuwendenden Gesetzesstelle auch keinen Anspruch auf Erteilung des von ihm angestrebten Befreiungsscheines hatte.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich auf dem Boden der angeführten Rechtsprechung und angesichts der Verwerfung der verfassungsrechtlichen Bedenken des Beschwerdeführers gegen die im Gesetz enthaltene Einschränkung durch den Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1471/10-3, auch nicht veranlasst, die verfassungsrechtlichen Bedenken des Beschwerdeführers - auch wenn eine bindende Wirkung durch den Ablehnungsbeschluss nicht gegeben ist - neuerlich dem Verfassungsgerichtshof vorzulegen.
Der Beschwerdeführer erblickt eine weitere Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, dass die belangte Behörde die Bestimmungen des Art. II des Bundesgesetzes vom , BGBl. Nr. 231/1988, außer Acht gelassen habe. Der Beschwerdeführer erfülle die Bedingungen des Abs. 1 dieser Bestimmung. Damit zeigt der Beschwerdeführer aber schon deswegen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil in der angeführten Vorschrift von einer Beschäftigungsbewilligung die Rede ist. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer jedoch die Ausstellung eines Befreiungsscheines versagt. In dieser Hinsicht ist aus dem angeführten Bundesgesetz für den Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nichts zu gewinnen.
Auch mit seinem Hinweis auf Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des nach dem Assoziierungsabkommen EWG-Türkei gebildeten Assoziationsrates zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Zwar sind Seelsorger wie der Vater des Beschwerdeführers, wenn sie als unselbständig Beschäftigte tätig sind, vom regulären Arbeitsmarkt im Sinne dieser Vorschrift nicht grundsätzlich ausgenommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/09/0185). Jedoch ist im vorliegenden Fall nicht zu ersehen, inwiefern der Beschwerdeführer, der im vorliegenden Fall die Versagung eines Befreiungsscheines bekämpft, gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG die Voraussetzungen nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/80 erfüllte. Für einen Anspruch auf Erteilung des vom Beschwerdeführer begehrten Befreiungsscheins ist auch vor dem Hintergrund des hg. Erkenntnisses vom , Zl. 2009/01/0036, nichts zu gewinnen.
Hingewiesen wird aber darauf, dass mit dem angefochtenen Bescheid dem Beschwerdeführer der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht grundsätzlich verwehrt sondern nur die Erteilung eines Befreiungsscheines versagt worden ist (vgl. § 4c Abs. 1 AuslBG).
Nach dem Gesagten war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am