VwGH vom 24.02.2010, 2009/04/0046
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der G G.M.B.H. in Perg, vertreten durch Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH, in 1220 Wien, Wagramer Straße 19 (IZD Tower), gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-AB-08-0246 Senat-AB-08-0247, betreffend Vergabenachprüfung (mitbeteiligte Parteien: 1. Stadtgemeinde S in S 2. A GmbH in Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die erstmitbeteiligte Partei (in der Folge: Auftraggeberin) hat Erd- und Baumeisterarbeiten betreffend das Projekt "Hochwasserschutz Schwechat, BA 5" im offenen Verfahrens im Unterschwellenbereich ausgeschrieben. Die Angebotsfrist endete am . Die Beschwerdeführerin legte fristgerecht ein Angebot. Mit Schreiben vom teilte die Auftraggeberin der Beschwerdeführerin das Ausscheiden ihres Angebotes sowie die Absicht, den Zuschlag der zweitmitbeteiligten Partei erteilen zu wollen, mit.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurden die Anträge der Beschwerdeführerin auf "Durchführung eines Verfahrens zur
Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung ... sowie zur
Nichtigerklärung der Entscheidung (der Zweitmitbeteiligten den Zuschlag erteilen zu wollen)" sowie der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen (Spruchpunkte 1. und 2.) und der Antrag auf Kostenersatz abgewiesen (Spruchpunkt 3.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe am einen Schlichtungsantrag bei der NÖ Schlichtungsstelle gestellt. Bei der am von der NÖ Schlichtungsstelle durchgeführten mündlichen Verhandlung sei keine gütliche Einigung zustande gekommen. Die Schlichtungsverhandlung habe um 16.26 Uhr geendet. Am habe die Beschwerdeführerin die gegenständlichen Anträge gestellt.
Da der Beschwerdeführerin die Ausscheidensentscheidung der Auftraggeberin mit Telefax vom zugestellt worden sei, habe die Frist gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz (in der Folge: NÖVNG) am zu laufen begonnen. Die Beschwerdeführerin habe am letzten Tag der Frist, nämlich am , den Schlichtungsantrag gestellt. Der Lauf der Frist sei daher vom bis zur Beendigung des Schlichtungsverfahrens am gehemmt gewesen. Das Schlichtungsverfahren habe mit der Feststellung, dass keine gütliche Einigung zu Stande gekommen sei, geendet.
Das Frist auslösende Ereignis sei die Zustellung der Ausscheidensentscheidung am gewesen. Das Schlichtungsverfahren habe "mit Einbringung des Antrages" bei der Schlichtungsstelle am "zu laufen" begonnen. Nach der Fristenregelung des § 32 Abs. 1 AVG iVm § 11 Abs. 4 NÖVNG sei der Beschwerdeführerin nach Beendigung des Schlichtungsverfahrens nur noch der Tag der Beendigung des Schlichtungsverfahrens, der , bis 24.00 Uhr zur Verfügung gestanden. Die Beschwerdeführerin habe jedoch erst am Folgetag, dem , Anträge an die belangte Behörde gerichtet. Diese seien daher verspätet. Auch das Gebot der Gleichbehandlung der Bieter verlange dies, da die gegenteilige Sichtweise dazu führen würde, dass einem Bieter, der einen Schlichtungsantrag am letzten Tag stelle, eine in Summe um einen Tag längere Frist zu Verfügung stehe als einem Bieter, der seinen Schlichtungsantrag nicht am letzten Tag einbringe. Das Argument der Beschwerdeführerin, nach Ablauf der Schlichtungsverhandlung solle noch ein Tag Reaktionszeit auf das Ergebnis der Schlichtungsverhandlung bleiben, könne nicht überzeugen. Es sei zu erwarten, dass sich der die Schlichtungsverhandlung durchführende Rechtsanwalt insofern auf die Verhandlung vorbereite, "als er die im Vergabeverfahren formell möglichen Endigungsverfahren eines Schlichtungsverfahrens gedanklich voraus durchdenkt und auch Überlegungen und Vorkehrungen trifft, welche Schritte allenfalls weiter zu veranlassen sind, wenn keine gütliche Einigung im Schlichtungsverfahren zu Stande kommt." Die Anträge seien daher zurückzuweisen gewesen. Ein Ersatz der entrichteten Pauschalgebühr habe nicht erfolgen können, weil gemäß § 19 Abs. 5 NÖVNG dafür zumindest teilweises Obsiegen Voraussetzung sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und dafür Aufwandersatz begehrt. Von der Erstattung einer Gegenschrift hat sie ausdrücklich Abstand genommen.
Die mitbeteiligten Parteien haben sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die maßgebenden Bestimmungen des NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetzes, LGBl. 20/2003 (7200-0) idF LGBl. 122/2006 (7200-1), lauten auszugsweise:
"§ 9
Antrag auf Nichtigerklärung
...
(2) Der Antrag ist in folgenden Fällen unzulässig:
...
2. wenn er nicht innerhalb der in § 11 genannten Fristen gestellt wird;
...
§ 11
Nachprüfungsfristen
(1) Anträge auf Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung sind - sofern in Abs. 2 nicht anderes bestimmt wird -
...
5. im Falle der Durchführung eines Vergabeverfahrens im Unterschwellenbereich binnen sieben Tagen
...
ab dem Zeitpunkt einzubringen, in dem der Antragsteller von der gesondert anfechtbaren Entscheidung Kenntnis
erlangt hat oder hätte können.
...
(4) Die Zeit, in der ein Schlichtungsverfahren anhängig ist, wird in die Fristen gemäß Abs. 1 bis 3 nicht eingerechnet."
Die Beschwerdeführerin erachtet sich ihrem gesamten Vorbringen nach in ihrem Recht auf Sachentscheidung durch die belangte Behörde verletzt.
Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, dass der Schlichtungsantrag am bei der Schlichtungsstelle gestellt wurde, die Verhandlung bei der Schlichtungsstelle an geendet hat und die verfahrensgegenständlichen Anträge bei der belangten Behörde am eingebracht wurden.
§ 11 Abs. 4 NÖVNG normiert eine Fortlaufshemmung (vgl. zu diesem Begriff etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0088).
Nach der insoweit mit § 11 Abs. 4 NÖVNG vergleichbaren Regelung des § 31 Abs. 3 letzter Satz VStG sind die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof, vor dem Verwaltungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sowie Zeiten, während deren die Strafvollstreckung unzulässig, ausgesetzt, aufgeschoben oder unterbrochen war, in die Zeiten der Strafbarkeits- und Vollstreckungsverjährung nicht einzurechnen.
Zur Bestimmung des § 31 Abs. 3 VStG hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Zeit, die nicht in die Strafbarkeitsverjährung einzurechnen ist, mit dem Einlangen der Beschwerde beim Gerichtshof beginnt und mit der Zustellung der Entscheidung endet (vgl. aus der stRsp etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/11/0342).
Weder aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 4 NÖVNG noch aus den Materialien zu dieser Bestimmung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass - wie die belangte Behörde annimmt - nicht der gesamte letzte Tag des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle als "Zeit, in der ein Schlichtungsverfahren anhängig ist" zu verstehen ist, sondern - je nach Zeitpunkt des Endes des Schlichtungsverfahrens an diesem Tag - nur einzelne Stunden oder Minuten dieses Tages für die Fristberechnung entscheidend sein sollten. Für die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung, bietet der durchwegs auf ganze Tage abzielende Wortlaut des § 11 NÖVNG keinen Raum.
Nach dem Gesagten ist somit der gesamte Zeitraum vom bis inklusive - und zwar der gesamte Tag und nicht nur die Zeit bis zum in der Niederschrift angegeben Ende der Schlichtungsverhandlung um 16.26 Uhr - als "Zeit, in der ein Schlichtungsverfahren anhängig ist" anzusehen. Somit war die Antragstellung am rechtzeitig und die belangte Behörde hat rechtsirrig eine inhaltliche Entscheidung verweigert.
Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit dem weiteren Beschwerdevorbringen, insbesondere, dass der Schlichtungsantrag bereits am um 20.19 Uhr per E-Mail an die NÖ Schlichtungsstelle für öffentliche Aufträge gesandt worden und das Schlichtungsverfahren somit schon mit diesem Tag - und demnach noch einen Tag früher als die belangte Behörde angenommen hat - anhängig geworden sei.
Der angefochtene Bescheid war daher - auf Grund des untrennbaren Zusammenhanges der drei Spruchpunkte - zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung war im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abzusehen.
Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-86951