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VwGH vom 22.03.2021, Ra 2020/05/0137

VwGH vom 22.03.2021, Ra 2020/05/0137

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision des H M in H, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in 1220 Wien, Donau-City-Straße 11, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, LVwG-S-1579/001-2019, betreffend Übertretung des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom wurde der Revisionswerber als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft der Übertretung des § 79 Abs. 1 Z 9 iVm § 37 Abs. 1 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) schuldig erkannt, weil die Gesellschaft zumindest am (Zeitpunkt der Kontrolle) eine geänderte Behandlungsanlage betrieben habe, ohne im Besitz einer gemäß § 37 AWG 2002 erforderlichen Genehmigung zu sein. Für das Jahr 2016 habe die Gesellschaft einen Input von ca. 230.000 t aufgewiesen, wodurch eine Überschreitung des Übernahmekonsenses im Ausmaß von ca. 40.000 t vorgelegen sei. Diese Überschreitung stelle eine wesentliche Änderung einer ortsfesten Behandlungsanlage gemäß § 2 Abs. 8 Z 3 AWG 2002 dar, weil die Abänderung erheblich nachteilige Auswirkungen auf den Menschen oder die Umwelt haben könne, wie zum Beispiel durch eine erhöhte Frequenz der LKW-Anlieferungen und/oder eine erhöhte Frequenz der Manipulation mittels Radlader und anderer Arbeitsgeräte. Dadurch lägen auch erhöhte Lärm- und Staubemissionen und Gefahren für Menschen und die Umwelt vor. Durch die Überlagerung der Lagerflächen lägen erhöhte Mengen an Sickerwässern, die abzuleiten seien, vor. Weiters bestehe aufgrund des erhöhten Platzbedarfes eine Gefahr für den Boden- und Gewässerschutz hinsichtlich Lagerungen außerhalb der vorgesehenen Dichtflächen. Für eine so wesentliche Änderung einer Behandlungsanlage bedürfe es einer Genehmigung der Behörde gemäß § 37 Abs. 1 AWG 2002; eine solche sei jedoch bis zumindest nicht vorgelegen. Über den Revisionswerber wurde eine Geldstrafe in der Höhe von € 7.000,-- (samt Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Stunden) verhängt und ihm ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben.

2Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und mündlicher Verkündung der Entscheidung - als unbegründet ab, verpflichtete den Revisionswerber zur Leistung eines Beitrags zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

3Begründend ging das Verwaltungsgericht im Wesentlichen davon aus, dass im Zuge einer Überprüfung am festgestellt worden sei, dass im Jahr 2016 ein Input von 230.000 t erfolgt sei. Der Übernahmekonsens sei um etwa 40.000 t überschritten worden. Im Jahr 2017 sei der Anlagenkonsens ausgeschöpft worden. Die Konsensüberschreitung führe zu einer erhöhten Verkehrsbelastung (etwa 2.300 Mehrfuhren) und damit zu einer höheren Lärm- und Staubbelastung. Die Sickerwassermenge erhöhe sich nicht, die Fracht (Konzentration einzelner Parameter) im Sickerwasser jedoch schon. Eine Beeinträchtigung von Mensch und Umwelt über den Konsens hinaus trete nur auf, wenn ein Schadensfall bei der Sickerwasserspeicherung bzw. bei den Lagerflächen bestehe. Aufgrund der Mengenüberschreitung würden sich wesentliche Veränderungen in der Betriebsführung ergeben, insbesondere staub- und lärmmindernde Maßnahmen oder geänderte Sickerwasserbewirtschaftung. Eine Genehmigung für die Behandlung der weiteren im Jahr 2016 angelieferten 40.000 t liege nicht vor.

4Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5Die Revision erweist sich bereits aufgrund der geltend gemachten Verfahrensmängel als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

6Der Revisionswerber bestreitet das Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Behandlungsanlage mit der Begründung, nicht jede Änderung einer Behandlungsanlage sei als wesentliche Änderung zu qualifizieren. Die Änderung müsse vielmehr nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 8 Z 3 AWG 2002 so beschaffen sein, dass sie erhebliche nachteilige Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt haben könne. Dies könne unter Heranziehung der in dieser Bestimmung auch angeführten Regelungen zu IPPC-Behandlungsanlagen sowie der fast gleichlautenden Regelung des § 3a UVP-G bei einer Überschreitung der genehmigten Kapazität im Jahr 2016 von nur 21% nicht bejaht werden. Aber selbst wenn eine wesentliche Änderung nicht schon von vornherein auszuschließen wäre, reichten die konkreten Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses nicht für die Beurteilung, dass die Kapazitätsüberschreitung erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den Menschen oder auf die Umwelt haben könne.

7Darüber hinaus handle es sich beim Betreiben einer Anlage ohne die erforderliche Genehmigung um ein fortgesetztes Begehungsdelikt (Hinweis auf , zu § 45 Z 1 UVP-G 2000). Bei einem solchen werde das Tatbild der Übertretung nur erfüllt, wenn und solange (fortgesetzte) Begehungshandlungen erfolgten. Bei Unterbleiben weiterer Begehungsakte beginne die Verjährungsfrist des § 31 VStG mit dem Ende des letzten Begehungsaktes zu laufen. Laut den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes sei der Anlagenkonsens im Jahr 2017 nur ausgeschöpft und nicht mehr überschritten worden; Überschreitungen seien auch in späteren Jahren nicht festgestellt worden. Dies bedeute, dass im Jahr 2017 die im Jahr 2016 erfolgte Kapazitätsüberschreitung wieder rückgängig gemacht worden sei. Damit sei aber das pönalisierte Verhalten im Zeitpunkt der letzten Anlieferung im Jahr 2016 bzw. allenfalls erst am abgeschlossen gewesen, sodass die Bestätigung der im Spruch des Straferkenntnisses der belangten Behörde angenommenen Tatzeit durch das Verwaltungsgericht denkunmöglich sei. Vor diesem Hintergrund hätte sich das Verwaltungsgericht auch mit dem Verjährungseinwand des Revisionswerbers befassen müssen.

8Die relevanten Bestimmungen des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002), BGBl. I Nr. 102 in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 163/2015, lauten auszugsweise:

Begriffsbestimmungen

§ 2. [...]

(8) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist oder sind

3.‚wesentliche Änderung‘ eine Änderung einer Behandlungsanlage, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den Menschen oder auf die Umwelt haben kann; als wesentliche Änderung gilt auch eine Änderung einer Verbrennungs- oder Mitverbrennungsanlage für nicht gefährliche Abfälle, welche die Verbrennung gefährlicher Abfälle mit sich bringt; als wesentliche Änderung einer IPPC-Behandlungsanlage gilt auch eine Änderung mit einer Kapazitätsausweitung von mindestens 100 Prozent des im Anhang 5 festgelegten Schwellenwertes; als wesentliche Änderung einer Behandlungsanlage gilt auch eine Änderung oder Erweiterung, durch die die Kapazitätsschwellenwerte in Anhang 5 erreicht werden;

[...]

Genehmigungs- und Anzeigepflicht für ortsfeste Behandlungsanlagen

§ 37. (1) Die Errichtung, der Betrieb und die wesentliche Änderung von ortsfesten Behandlungsanlagen bedarf der Genehmigung der Behörde. Die Genehmigungspflicht gilt auch für ein Sanierungskonzept gemäß § 57 Abs. 4. [...]

(4) Folgende Maßnahmen sind - sofern nicht eine Genehmigungspflicht gemäß Abs. 1 oder 3 vorliegt - der Behörde anzuzeigen:

[...]

4.sonstige Änderungen, die nachteilige Auswirkungen auf den Menschen oder die Umwelt haben können;

[...]

Strafhöhe

§ 79. (1) Wer

[...]

9.eine Behandlungsanlage errichtet, betreibt oder ändert, ohne im Besitz der nach § 37 erforderlichen Genehmigung zu sein,

[...]

begeht - sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist - eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 850 € bis 41 200 € zu bestrafen ist; wer jedoch gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätig ist, ist mit einer Mindeststrafe von 4 200 € bedroht.

[...]“

9Dem Revisionswerber wurde vorgeworfen, er habe zu verantworten, dass die Gesellschaft eine geänderte Behandlungsanlage zumindest am ohne Genehmigung nach § 37 AWG 2002 betrieben habe. § 37 Abs. 1 AWG 2002 normiert u.a. für die wesentliche Änderung von ortsfesten Behandlungsanlagen eine Genehmigungspflicht.

10Wann eine wesentliche Änderung im Sinn des AWG 2002 vorliegt, wird in § 2 Abs. 8 Z 3 AWG 2002 definiert. Demnach ist eine wesentliche Änderung eine Änderung einer Behandlungsanlage, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den Menschen oder auf die Umwelt haben kann. Darüber hinaus werden in dieser Bestimmung näher genannte Änderungen bestimmter Anlagen, so auch von IPPC-Behandlungsanlagen, angeführt, die auch als wesentliche Änderung gelten. Nach der in § 2 Abs. 8 Z 3 AWG 2002 enthaltenen Begriffsdefinition gilt etwa die Änderung einer IPPC-Behandlungsanlage mit einer Kapazitätsausweitung von mindestens 100 Prozent des im Anhang 5 festgelegten Schwellenwertes als wesentliche Änderung im Sinn des AWG 2002. Daraus ergibt sich, dass Änderungen von Anlagen, die nicht einem der explizit in § 2 Abs. 8 Z 3 AWG 2002 genannten Fälle unterfallen, als wesentliche Änderung im Sinn des AWG 2002 anzusehen sind, wenn die Voraussetzungen des ersten Teilsatzes, nämlich das Vorliegen erheblicher nachteiliger Auswirkungen auf den Menschen oder auf die Umwelt, erfüllt sind. Die vom Revisionswerber vertretene Ansicht, wonach erhebliche nachteilige Auswirkungen per se nicht anzunehmen seien, wenn die im UVP-G 2000 normierte Kapazitätssteigerung von mehr als 50%, ab welcher eine Einzelfallbeurteilung stattzufinden habe, nicht erreicht werde, findet - abgesehen davon, dass sich dieses Prozentausmaß nicht auf die in Anhang 5 des AWG 2002 genannten Schwellenwerte bezieht - im Wortlaut des § 2 Abs. 8 AWG 2002 keine Deckung.

11Das Verwaltungsgericht hatte daher zu beurteilen, ob die festgestellte Anlagenänderung erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den Menschen oder auf die Umwelt haben kann, sodass der Betrieb der Behandlungsanlage ohne entsprechende Genehmigung rechtswidrig erfolgt wäre. Den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes ist nicht zu entnehmen, dass bzw. ob es durch die Konsensüberschreitung von ca. 40.000 t zu erheblich nachteiligen Auswirkungen auf den Menschen oder auf die Umwelt kommen kann. Die pauschale Feststellung alleine, es komme zu einer erhöhten Verkehrsbelastung und damit zu einer erhöhten Lärm- und Staubbelastung ist dafür nicht ausreichend, führt doch nicht jede Beeinträchtigung durch eine erhöhte Verkehrsbelastung zu erheblich nachteiligen Auswirkungen im Sinn des § 2 Abs. 8 Z 3 AWG 2002. Bei der Beurteilung als „wesentliche Änderung“ einer Behandlungsanlage ist nämlich zwischen erheblich nachteiligen Auswirkungen und bloß nachteiligen Auswirkungen zu differenzieren (vgl. § 37 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 8 Z 3 AWG 2002 einerseits und § 37 Abs. 4 Z 4 leg. cit. andererseits). Diese Differenzierung hat auf Grundlage von sachverständigen Erhebungen zu erfolgen (vgl. Scheichl/Zauner/Berl, Abfallwirtschaftsgesetz 2002 [2015] Rz 209; Berl/Forster, Abfallwirtschaftsrecht² [2020] Rz 289). Diesen Erhebungen muss jedenfalls entnommen werden können, wer oder was in welcher Intensität und Wahrscheinlichkeit von den Auswirkungen einer Anlagenänderung betroffen sein kann. Derlei Feststellungen finden sich im angefochtenen Erkenntnis - trotz Beiziehung eines Sachverständigen - nicht. Die vorliegenden Feststellungen reichen nicht aus, um die Beurteilung, es könne zu erheblichen nachteiligen Auswirkungen durch die Kapazitätsüberschreitung kommen, zu tragen.

12Vorgeworfen wurde laut Tatumschreibung der Betrieb einer geänderten Anlage ohne entsprechende Genehmigung. Im Spruch wird dem Revisionswerber ein Betreiben zumindest am vorgeworfen. Das Verwaltungsgericht führte in der Begründung aus, im Zuge einer Überprüfung am sei festgestellt worden, dass im Jahr 2016 der Übernahmekonsens um etwa 40.000 t überschritten worden und der Anlagekonsens 2017 ausgeschöpft worden sei. In Anbetracht dessen wäre näher festzustellen und zu begründen gewesen, warum die Änderung der Behandlungsanlage durch Überschreitung der Konsensmenge im Jahr 2016 auch noch am vorgelegen ist, zumal für 2017 zwar von einer Ausschöpfung, nicht aber von einer Überschreitung des Konsenses die Rede ist.

13Zutreffend ist, dass es sich beim Betreiben einer geänderten Anlage ohne die erforderliche Genehmigung um ein fortgesetztes Begehungsdelikt handelt. Hierbei wird das Tatbild der Übertretung nur erfüllt, wenn und solange (fortgesetzte) Begehungshandlungen erfolgen. Unterbleiben weitere Begehungsakte, so beginnt die Verjährungsfrist des § 31 VStG mit dem Ende des letzten Begehungsaktes zu laufen (vgl. , zu § 45 Z 1 UVP-G).

14Ausgehend davon hätte das Verwaltungsgericht nachvollziehbar und widerspruchsfrei darlegen müssen, aufgrund welcher Tathandlungen der Revisionswerber zum Tatzeitpunkt den ihm zur Last gelegten Straftatbestand erfüllt hat. Dadurch, dass dies fallbezogen unterblieb, kann auch nicht beurteilt werden, ob bereits Verjährung eingetreten ist.

15Aufgrund der aufgezeigten relevanten Feststellungs- und Begründungsmängel war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020050137.L00

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