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VwGH vom 26.01.2010, 2009/02/0220

VwGH vom 26.01.2010, 2009/02/0220

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde der BH in P, vertreten durch die Schenz Haider Rechtsanwälte OG in 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom , Zl. Senat-MD-08-1420, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Behörde erster Instanz stellte mit Bescheid vom das Verwaltungsstrafverfahren betreffend folgender Vorwürfe gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG ein:

Die Beschwerdeführerin sei als handelsrechtliche Geschäftsführerin und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der H GmbH mit Sitz in P dafür verantwortlich, dass durch diese Gesellschaft als Arbeitgeber am auf der Baustelle in L Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten worden seien, indem


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1)
der Arbeitnehmer RG und
2)
der Arbeitnehmer PD
auf dem Flachdach (Absturzhöhe ca. 7,0 m, Neigung mit bis zu 20 Grad) mit Dachsanierungsarbeiten am Dachrand auf der Dachfläche beschäftigt gewesen seien, wobei Absturzgefahr von ca. 7,0 m Höhe bestanden habe und keine geeigneten Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen (Dachschutzblenden, Dachfanggerüste) angebracht und zudem die Arbeitnehmer auch nicht mittels eines Sicherheitsgeschirrs einschließlich der dazugehörigen Ausrüstung sicher angeseilt gewesen seien, obwohl bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung bis zu 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m Absturzsicherungen (§ 8 der Bauarbeiterschutzverordnung - BauV) oder Schutzeinrichtungen (§§ 7 bis 10 BauV) vorhanden sein müssten. Sie habe dadurch § 118 Abs. 3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG iVm § 87 Abs. 2 BauV und iVm § 7 bis 10 BauV verletzt.
Gegen diesen Bescheid erhob das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten Berufung.
Die belangte Behörde führte eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der im Wesentlichen mit Zustimmung der anwesenden Parteien das Beweisverfahren der Behörde erster Instanz verlesen und Beweisanträge der Beschwerdeführerin abgewiesen wurden.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom erkannte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin der ihr angelasteten Übertretungen betreffend beide genannten Arbeitnehmer schuldig und verhängte eine Geldstrafe von EUR 1.500,-- pro Arbeitnehmer (Ersatzfreiheitsstrafe von je 7 Tagen).
Sie stellte folgenden Sachverhalt fest (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof, Schreib- und Grammatikfehler im Original):
"Anlässlich der Kontrolle des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten am auf spruchgenannter Baustelle waren die 2 im erstinstanzlichen Verfahren angeführten Arbeitnehmer spruchgenannten Unternehmens mit Arbeiten auf dem Flachdach im Bereich des Flachdachrandes, versehen mit einer Absturzhöhe von rund 7 m, beschäftigt. Trotz dieser bestehenden Absturzgefahr waren keine geeigneten Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß der Bestimmung der §§ 7 - 10 der BauV angebracht und waren beide Arbeitnehmer spruchgenannten Unternehmens auch nicht mittels persönlicher Schutzausrüstung einschließlich der dazugehörigen Ausrüstung sicher angeseilt.
Die Überprüfung gegenständlicher Baustelle am erfolgte im Zuge einer Unfallerhebung, bei der der Arbeitnehmer RG am , gegen 12.40 Uhr, ungesichert von der Mauerkante des Flachdaches abstürzte und verletzt wurde. Beide Arbeitnehmer obangeführter Firma hatten wohl seitens des Dienstgebers Sicherungsgurte zur Verfügung gestellt bekommen, versehen mit dem Auftrag, diese in Verwendung zu nehmen, beide Arbeitnehmer jedoch dieser Aufforderung nicht nachgekommen waren, da es sich beim Dach nach ihrer Auffassung nach um ein sehr flaches gehandelt hätte und sie deshalb der Meinung gewesen seien, die Gurte nicht zu brauchen.
Zu diesen Feststellungen gelangt der erkennende Senat aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, des unstrittigen objektiven Sachverhalts, der aussagekräftigen fotografischen Aufnahmen sowie insbesondere der eigenen Angaben der vom Vorfall betroffenen Arbeitnehmer der Firma H GmbH.
Ausgehend von den glaubwürdigen Angaben der einvernommenen Zeugen TH und auch des JB ergibt sich ein Kontrollsystem zum Tatzeitpunkt, welches aus ein- bis zweimal jährlich stattfindenden Sicherheitsseminaren für die Mitarbeiter bestand, Weisungen, Belehrungen und offenbar auch stichprobenweise Kontrollen im Hinblick auf die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen durchgeführt wurden, und zwar seitens des TH und des JB.
Spruchgenannte Arbeitnehmer hatten eine konkrete Weisung auf Verwendung der zur Verfügung gestellten Schutzausrüstung, ist gegenständliche Baustelle 3 Mal auf die Einhaltungen der Sicherheitsbestimmungen innerbetrieblich kontrolliert worden, der zeitliche Arbeitsaufwand an der Baustelle durch die mit ca. einer Arbeitswoche anzusehen war, bei Feststellung der Missachtung von Sicherheitsbestimmungen arbeitsrechtliche Konsequenzen - insbesondere bei dem verunfallten RG - durchgeführt wurden. Bei Missachtung der Sicherheitsbestimmungen vor Ort anlässlich einer Kontrolle folgte eine sofortige Belehrung der Arbeitnehmer unter Verlassen des erhöhten Arbeitsplatzes, bestand weiters eine innerbetriebliche Melde- bzw. Berichtspflicht."
Rechtlich leitete die belangte Behörde gestützt auf die ständige hg. Rechtsprechung aus diesem Sachverhalt ab, dass das Kontrollsystem der Beschwerdeführerin nicht ausreichend sei, um mangelndes Verschulden im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG annehmen zu können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.


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Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin bestreitet ihr Verschulden mit der Behauptung, sie habe ein effizientes Kontrollsystem eingerichtet.
Wie der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, ist für die Befreiung von der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems entscheidend (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/02/0018).
Die Beschwerdeführerin hat zwar allgemein das Bestehen eines Kontrollsystems behauptet, jedoch nicht erkennbar dargelegt, wie dieses Kontrollsystem im Einzelnen auf der beschwerdegegenständlichen Baustelle funktionieren hätte sollen. Hiezu wäre es - wie der Verwaltungsgerichtshof zu ähnlichen Fällen hierarchisch aufgebauter Kontrollsysteme ausgeführt hat - erforderlich gewesen, aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet sei, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolge und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen habe, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, d.h. sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangten und dort auch tatsächlich befolgt würden. Nach der hg. Rechtsprechung reichen etwa stichprobenartige Überprüfungen der Baustellen und die Erteilung von Weisungen für das geforderte Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems zur Hintanhaltung von Verstößen gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht aus. Gleiches gilt für eine Verwarnung für den ersten festgestellten Verstoß (vgl. z.B. das bereits genannte hg. Erkenntnis vom ).
Die Beschwerdeführerin behauptet entgegen den Sachverhaltsfeststellungen von "tägliche Kontrollen" und rügt in diesem Zusammenhang Feststellungsmängel. Der von ihr zu diesem Beweisthema aufgebotene Zeuge TH, der für die gegenständliche Baustelle nach den Angaben der Beschwerdeführerin und seiner eigenen Aussage innerbetrieblich verantwortlich war, hat am wörtlich ausgesagt:
"Zu den Kontrollen auf der Baustelle befragt gebe ich an:
Bei dieser Baustelle in (L) handelte es sich um eine größere. Damals waren wir auf diese Baustelle bereits seit ca. 1 Woche tätig. Die Baustelle wurde meiner Erinnerung nach von mir einmal und von Hr. (JB) zweimal im Hinblick auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften kontrolliert."
Die weiteren zu diesem Thema befragten Zeugen JB, RG und PD konnten dazu keine konkreten Angaben machen.
Es begegnet demnach die Feststellung und die darauf aufbauende rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, es habe nur drei Kontrollen während der Arbeitswoche gegeben - und nicht wie die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren ohne weitere Beweisanbote behauptet hat, "nahezu täglich" bzw. wie jetzt in der Beschwerde "täglich" -, welche als nicht ausreichend erachtet würden, keinen Bedenken. Es handelte sich auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes um keine ausreichenden Kontrollen, um die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften auch im Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern zu gewährleisten (vgl. auch dazu mwN. das zitierte hg. Erkenntnis vom ). Schon deshalb liegt kein effizientes Kontrollsystem vor.
Insofern die Beschwerdeführerin rügt, es wären noch weitere Ermittlungen zum Kontrollsystem von der belangten Behörde anzustellen gewesen, übersieht sie die Verpflichtung, die Effizienz eines Kontrollsystems bei Ungehorsamsdelikten - um solche handelt es sich im gegenständlichen Fall (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/02/0366) - gemäß § 5 Abs. 1 VStG initiativ und konkret darzulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/09/0053, uva.).
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, es habe bereits die Androhung von Kündigungen von Dienstnehmern wegen Nichtbeachtung der Sicherungsvorschriften gegeben und der Arbeitnehmer RG sei auf Grund des gegenständlichen Vorfalls gekündigt worden, ersetzt einerseits nicht die festgestellten fehlenden Kontrollen und zeigt überdies die Wirkungslosigkeit der behaupteten Androhung von Kündigungen bei Nichtbefolgung von Anordnungen. Andererseits kann sie sich im vorliegenden Fall schon deshalb nicht auswirken, weil die einzige konkret genannte Kündigung (nämlich die des RG) erst im Nachhang des gegenständlichen Vorfalles erfolgte und somit nach dem gegenständlichen Tatzeitpunkt ausgesprochen wurde. Andere Fälle von Kündigungen wurden zwar für das Jahr 2005 in allgemeiner Weise behauptet, hiezu aber keine konkreten Daten genannt, weshalb es kein konkretes Beweisthema gibt, das von den im Schriftsatz genannten Zeugen hätte bestätigt werden können. Entlassungen oder Kündigungen, die wegen Nichtbeachtung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen durch Arbeitnehmer vor dem gegenständlichen Tatzeitpunkt ausgesprochen worden wären, wurden sohin nicht dargetan (vgl. zu einem derartigen Vorbringen neuerlich das zitierte hg. Erkenntnis vom ).
Die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführerin sei es nicht gelungen, mangelndes Verschulden durch Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems glaubhaft zu machen, ist demnach nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die belangte Behörde habe ihrer Pflicht gemäß § 67g AVG, den Bescheid und seine wesentliche Begründung auf Grund der Verhandlung, und zwar wenn möglich, sogleich nach deren Schluss zu beschließen und öffentlich zu verkünden, nicht entsprochen und bezieht sich in diesem Zusammenhang auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/02/0052. Die Beschwerdeführerin übersieht aber, dass sich der gegenständliche Fall von dem dem zitierten Erkenntnis zu Grunde liegenden dadurch unterscheidet, dass nach dem Verhandlungsprotokoll das Beweisverfahren geschlossen und anschließend den Parteienvertretern Gelegenheit zu Schlussausführungen eingeräumt wurde. Die Verhandlung war sohin nicht geschlossen. Die anwesenden Parteienvertreter verzichteten - dies bleibt von der Beschwerdeführerin unerwähnt und unwidersprochen - "ausdrücklich auf die Anberaumung einer Verkündungstagsatzung". Damit wurde unmissverständlich auf die Verkündung des Bescheides verzichtet. Erst daran anschließend teilte der Verhandlungsleiter mit, dass eine schriftliche Bescheidausfertigung erfolgen werde und schloss damit die Verhandlung.
Hat aber die Partei in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf die (Erstreckung einer Verhandlung zur) Verkündung des Bescheides verzichtet, so kann sie durch die Unterlassung der mündlichen Verkündung vor Schluss der Verhandlung in ihren Rechten nicht verletzt sein.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am