VwGH vom 16.07.2020, Ra 2020/02/0095
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , 1. VGW-042/013/3597/2019 und 2. VGW-042/V/013/3670/2019, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Parteien: 1. Ing. S in S und 2. P GmbH in W, beide vertreten durch Mag. Dr. Dirk Just, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Florianigasse 54/23), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht vom wurde dem Erstmitbeteiligten als gemäß § 9 Abs. 2 VStG verantwortlicher Beauftragter der Zweitmitbeteiligten als Arbeitgeberin angelastet, er habe es zu verantworten, dass auf einer auswärtigen Baustelle der Zweitmitbeteiligten in Baden zwei Arbeitnehmer eine Künette mit einer Tiefe von ca. 2,6 Metern zur Durchführung von Arbeiten betreten hätten, obwohl die Wände dieser Künette durch keine entsprechenden Maßnahmen gesichert gewesen seien. Der Erstmitbeteiligte habe dadurch § 48 Abs. 7 iVm Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung übertreten, wofür über ihn gemäß § 130 Abs. 5 Z 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 1.120,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag und 4 Stunden) verhängt wurden.
2In der dagegen erhobenen Beschwerde wendeten die Mitbeteiligten ein, die belangte Behörde sei örtlich unzuständig gewesen. Aus der vorgelegten Bestellungsurkunde gehe hervor, dass der Erstmitbeteiligte für die fallgegenständliche Baustelle zum verantwortlichen Beauftragten bestellt und diese Bestellungsurkunde von einer Niederlassung der Zweitmitbeteiligten im Burgenland übermittelt worden sei. Der Erstmitbeteiligte sei daher als verantwortlicher Beauftragter dieser Niederlassung zuzuordnen. Tatort sei somit die Niederlassung der Zweitmitbeteiligten im Burgenland gewesen.
3Das Verwaltungsgericht gab dieser Beschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis Folge, behob das bei ihm angefochtene Straferkenntnis und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.
4In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass das gegenständliche Baulos von der Niederlassung Burgenland der Zweitmitbeteiligten durchgeführt worden sei und dass der Erstmitbeteiligte von dieser Niederlassung zum verantwortlichen Beauftragten bestellt worden sei.
5Rechtlich führte das Verwaltungsgericht unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, dass der Tatort einer von einem verantwortlichen Beauftragten zu verantwortenden Verwaltungsübertretung an jenem Ort liege, wo die Dispositionen und Anweisungen zur Vermeidung dieser Verstöße gegen die Verwaltungsvorschriften hätten gesetzt werden müssen. In einem Fall, in dem ein verantwortlicher Beauftragter für einen Filialbetrieb bestellt werde, liege dieser Ort nicht am Sitz der Unternehmensleitung, sondern am Standort dieser Filiale. Dieser Ort liege hier am Ort der Niederlassung Burgenland der Zweitmitbeteiligten. Der Magistrat der Stadt Wien sei daher zur Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens örtlich unzuständig gewesen, weshalb das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben gewesen sei.
6Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende auf § 13 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 gestützte Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
7Die mitbeteiligten Parteien erstatteten Revisionsbeantwortungen, in der sie die Zurück- oder Abweisung der Revision sowie den Zuspruch von Kostenersatz beantragten.
8Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9Die Revisionswerberin erachtet die Revision für zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Behördenzuständigkeit für verantwortliche Beauftragte im Falle eines Filialbetriebs abgewichen sei (Verweis unter anderem auf , und ). Der Erstmitbeteiligte sei als verantwortlicher Beauftragter von der Zweigniederlassung für eine Baustelle und nicht für die Zweigniederlassung (als Filiale) bestellt worden. Da die Baustelle in diesem Fall nicht als Filiale in Betracht komme, sei der Tatort am Sitz der Zweitmitbeteiligten in Wien gelegen.
10Die Revision ist im Ergebnis zulässig und auch berechtigt.
11Gemäß § 9 Abs. 1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.
12Nach Abs. 2 leg. cit. sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.
13Gemäß § 27 Abs. 1 VStG ist die Behörde örtlich zuständig, in deren Sprengel die Verwaltungsübertretung begangen worden ist (Tatort), auch wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg in einem anderen Sprengel eingetreten ist.
14Zur Auslegung des Begriffes des Ortes der Begehung iSd § 27 Abs. 1 VStG muss § 2 Abs. 2 VStG herangezogen werden. Eine Verwaltungsübertretung ist regelmäßig als dort begangen anzusehen, wo der Täter gehandelt hat oder (bei Unterlassungsdelikten) hätte handeln sollen, wobei es nach § 27 Abs. 1 VStG gleichgültig ist, wo der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist. Bei Delikten von juristischen Personen kommt es dabei vielfach auf den Sitz der Unternehmensleitung an, wobei jedoch stets auf das betreffende Tatbild Bedacht zu nehmen ist (, mwN).
15Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Übertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften als Ort, an dem die Übertretung begangen wurde, jener Ort anzusehen, an dem die gesetzlich gebotene Vorsorgehandlung unterlassen wurde; dies ist der Sitz der Unternehmensführung (, mwN).
Das Verwaltungsgericht geht zunächst davon aus, dass der Erstmitbeteiligte von der „Niederlassung Burgenland“ der Zweitmitbeteiligten zum verantwortlichen Beauftragten bestellt worden sei, weshalb dort hätte gehandelt werden müssen.
16Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes () ist der Begriff der Zweigniederlassung im österreichischen Unternehmens- bzw. Gesellschaftsrecht nicht definiert. Nach der heute gefestigten Auffassung ist eine Zweigniederlassung im Sinn des Unternehmensrechts ein von der Hauptniederlassung räumlich getrennter Teil des Unternehmens, in dem dauerhaft und selbständig Geschäfte geschlossen werden und der die hiefür erforderliche Organisation in sachlicher und personeller Hinsicht (unter anderem auch eine eigene Leitung) aufweist. Die Zweigniederlassung ist durch rechtliche Unselbständigkeit sowie Leitungsabhängigkeit von der Hauptniederlassung bei gleichzeitiger (beschränkter) organisatorischer Selbständigkeit gekennzeichnet. Da die Zweigniederlassung Unternehmensteil ist, ist sie nicht selbständig rechtsfähig, Rechtsträger ist vielmehr immer der Träger des Gesamtunternehmens. Da die Zweigniederlassung keine Rechtspersönlichkeit hat, kann sie nicht Partei eines Rechtsstreits sein, wohl aber der Träger des Unternehmens unter der Firma ihrer Zweigniederlassung verklagt werden. Schließt eine Zweigniederlassung Geschäfte ab, wird ausschließlich der Inhaber des Unternehmens berechtigt und verpflichtet, mangels rechtlicher Eigenständigkeit der Zweigniederlassung ist der Inhaber des Unternehmens allein Prozesspartei (siehe dazu auch , wo die Rechtspersönlichkeit einer registrierten Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens verneint wurde).
17Soweit das Verwaltungsgericht in seiner Begründung von einer wirksamen Bestellung des Erstmitbeteiligten zum verantwortlichen Beauftragten durch die (Zweig)Niederlassung Burgenland der Zweitmitbeteiligten ausgeht, erweist sich das Erkenntnis bereits aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig, weil die „Niederlassung Burgenland“ als Zweigniederlassung mangels rechtlicher Eigenständigkeit keinen verantwortlichen Beauftragten in ihrem Namen bestellen kann.
18Ferner vertritt das Verwaltungsgericht die Auffassung, der Erstmitbeteiligte sei von einem Filialbetrieb (Niederlassung Burgenland) bestellt worden, was wiederum die Zuständigkeit der für den Unternehmenssitz der Zweitmitbeteiligten zuständigen Behörde (Magistrat der Stadt Wien) ausschließe.
19Nach der einschlägigen Judikatur ist allerdings nicht der von einer Filiale, sondern der für eine Filiale Bestellte als verantwortlicher Beauftragter dort handlungspflichtig. Nur dann, wenn für einen Filialbetrieb eines Unternehmens ein verantwortlicher Beauftragter iSd § 9 Abs. 2 zweiter Satz VStG bestellt ist, liegt der Tatort einer von diesem zu verantwortenden Verwaltungsübertretung nicht am Sitz der (zentralen) Unternehmensleitung, sondern dort, wo die Dispositionen und Anweisungen zur Vermeidung der Verstöße gegen die Verwaltungsvorschriften hätten gesetzt werden müssen. Dies ist bei einem verantwortlichen beauftragten Filialleiter der Standort dieser Filiale (, mwN).
20Im Übrigen ergibt sich aus der im Akt einliegenden Bestellungsurkunde vom , dass der Erstmitbeteiligte von der Unternehmenszentrale der Zweitmitbeteiligten in Wien für die gegenständliche Baustelle in Baden zum verantwortlichen Beauftragten bestellt wurde und die (Zweig)Niederlassung im Burgenland lediglich als Überbringerin der Mitteilung darüber fungierte (arg: „[D]ie Geschäftsführer unserer Gesellschaft haben uns [Anm: die Niederlassung Burgenland] beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass sie [den Erstmitbeteiligten] für das Bauvorhaben in Baden zum verantwortlichen Beauftragten bestellt haben.“).
21Da die vom Verwaltungsgericht angenommene Unzuständigkeit der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht nicht gegeben ist, war das angefochtene Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020095.L00 |
Schlagworte: | Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Besondere Rechtsgebiete Rechtsfähigkeit Parteifähigkeit |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.