VwGH vom 19.12.2012, 2011/08/0079

VwGH vom 19.12.2012, 2011/08/0079

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des K K in W, vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Südtirolerstraße 12a, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom , Zl. LGSOÖ/Abt.4/2011-0566-4-000023-05, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes an den Beschwerdeführer für die Zeit vom 1. Jänner bis zum gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und gemäß § 25 Abs. 1 AlVG EUR 4.153,93 von ihm zurückgefordert.

Der Beschwerdeführer habe am bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice W (in der Folge: AMS) die Zuerkennung von Arbeitslosengeld beantragt und angegeben, selbständig erwerbstätig zu sein. In der Folge habe er monatlich Erklärungen über sein Bruttoeinkommen (sowie seinen Umsatz) abgegeben. Das aus diesen Erklärungen abzuleitende durchschnittliche monatliche Bruttoeinkommen habe ein unter der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze liegendes Einkommen ergeben. Der Beschwerdeführer habe daraufhin vom 1. Jänner bis zum Arbeitslosengeld in Höhe von täglich EUR 40,14 bezogen.

Dem nachträglich vorgelegten Einkommensteuerbescheid vom des Finanzamtes G über das Wirtschaftsjahr 2010 (richtig: 2008) sei ein Einkommen (richtig: Einkünfte) des Beschwerdeführers aus selbständiger Arbeit von EUR 12.969,13 und ein Einkommen (richtig: Einkünfte) aus Gewerbebetrieb von EUR - 17.755,25 zu entnehmen. Daraus ergebe sich (nach Abzug von Sonderausgaben in Höhe von EUR 60,-- und EUR 343,92) ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen von EUR 1.047,10. Dieses liege über der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze für das Jahr 2008 von EUR 349,01 und schließe eine Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers aus. Zwar sei ein Einkommen zunächst nach Ausgleich von Gewinnen und Verlusten zu ermitteln. Bei Vorliegen mehrerer Einkunftsarten sei die Arbeitslosigkeit aber jeweils gesondert zu beurteilen. Falle bei einer Einkunftsart ein Verlust und bei der anderen ein Gewinn an, so sei dieses positive Einkommen gesondert zu betrachten und als "eigenständiges Bruttoeinkommen" festzustellen. Ein Ausgleich (von Gewinnen und Verlusten) zwischen den einzelnen Einkunftsarten sei nicht möglich, weil sonst eine völlige Ungleichbehandlung von selbständig Erwerbstätigen und unselbständig Erwerbstätigen gegeben wäre.

Der Empfänger einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung sei zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich - auch ohne dessen Verschulden - auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt habe. In diesem Fall dürfe der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen. Der Beschwerdeführer sei im Jahr 2008 vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember selbständig erwerbstätig gewesen. Das daraus erzielte "Bruttoeinkommen" habe EUR 12.565,21 abzüglich EUR 0,-- an Einkommensteuer betragen, weil sein steuerliches Einkommen keine Einkommensteuer ergeben habe. Das für die Ermittlung der Rückforderung maßgebliche durchschnittliche Nettoeinkommen betrage daher täglich EUR 34,33 (EUR 12.565,21 : 366). Das Arbeitslosengeld habe täglich EUR 40,14 betragen. Der sich aus dem Widerruf des Arbeitslosengeldes ergebende Betrag von EUR 34,33 x 121 Tage (vom 1. Jänner bis zum ) von EUR 4.153,93 werde zurückgefordert.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Beschwerdeführer hat auf die Gegenschrift repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerde bringt vor, dass der Beschwerdeführer (dem Einkommensteuerbescheid 2008 zu Folge) im Jahr 2008 (ohne Berücksichtigung von Sonderausgaben) insgesamt ein negatives Einkommen (einen Verlust) in Höhe von EUR -4.786,12, sohin iSd § 36a Abs. 7 AlVG ein negatives monatliches Einkommen in Höhe von EUR -398,94 gehabt habe, das unter der maßgeblichen monatlichen Geringfügigkeitsgrenze liege. Die Ansicht der belangten Behörde, bei der Beurteilung mehrerer Einkunftsarten sei Arbeitslosigkeit jeweils gesondert zu beurteilen, sei verfehlt. Hätte der Gesetzgeber bei der Beurteilung von Arbeitslosigkeit darauf abstellen wollen, ob allein die "Einkünfte" aus einer von mehreren Einkunftsarten ein die Geringfügigkeitsgrenze übersteigendes Ausmaß erreichen würden, so hätte er auf die "Einkünfte" aus den einzelnen Einkunftsarten und nicht auf das Einkommen iSd § 2 Abs. 2 Einkommensteuergesetz und die auf dieser Basis ergehenden Einkommensteuerbescheide abgestellt.

Damit ist die Beschwerde im Recht:

Gemäß § 12 Abs. 3 lit. b AlVG gilt als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 leg.cit. insbesondere nicht, wer selbständig erwerbstätig ist. Gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG gilt jedoch als arbeitslos, wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a AlVG erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b AlVG erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt.

Die in § 12 Abs. 6 lit. c AlVG vorgenommene Anknüpfung an § 5 Abs. 2 ASVG enthält ein "vertyptes Verfügbarkeitskriterium", da in der Regel bei einer die Geringfügigkeitsgrenzen weder im Hinblick auf das Einkommen noch auf den Umsatz überschreitenden selbständigen Tätigkeit vom Vorliegen der Verfügbarkeit im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 1 ASVG ausgegangen werden kann (vgl. das zu § 12 Abs. 6 lit. a AlVG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0048).

Gemäß § 36a Abs. 2 AlVG ist Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes das Einkommen gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1988. Gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1988 ist Einkommen der Gesamtbetrag der Einkünfte aus den im Abs. 3 aufgezählten Einkunftsarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, und nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) und außergewöhnlichen Belastungen (§§ 34 und 35) sowie der Freibeträge nach den §§ 104 und 105 leg. cit. In gleicher Weise, wie Gewinne und Verluste innerhalb einzelner Einkunftsarten ausgleichsfähig sind, sind für Zwecke der Ermittlung des genannten Verfügbarkeitskriteriums grundsätzlich auch negative Einkünfte mit positiven Einkünften verschiedener Einkunftsarten ausgleichsfähig.

§ 12 Abs. 6 AlVG sieht Geringfügigkeitsgrenzen für die Bereiche der unselbständigen Beschäftigung (lit. a), der Führung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes (lit. b) und der selbständigen Erwerbstätigkeit (lit. c) vor, womit im Verhältnis dieser Bereiche zueinander kein Verlustausgleich stattfinden kann. Jeder Bereich ist gesondert dahin zu prüfen, ob Arbeitslosigkeit vorliegt.

Innerhalb des Bereichs der selbständigen Erwerbstätigkeiten eines Arbeitslosen hat der Gesetzgeber aber durch den Verweis auf § 2 Abs. 2 EStG 1988 klargestellt, dass nicht auf die einzelnen in den unterschiedlichen Zweigen selbständiger Tätigkeit erzielten Einkünfte, sondern auf ihren Gesamtbetrag abzustellen ist, wobei der Verlustausgleich zwischen den Arten der Einkünfte nicht ausgeschlossen wurde.

Der Gesetzgeber verweist weiters in § 12 Abs. 6 lit. c AlVG alternativ einerseits auf § 36a Abs. 2 und damit auf den Einkommensbegriff des § 2 Abs. 2 EStG 1988 sowie andererseits auf § 36b Abs. 2 AlVG und damit auf den durch die selbständige Tätigkeit erzielten (Jahres)Umsatz. Damit trägt er dem Umstand Rechnung, dass das in der genannten Weise ermittelte Einkommen eines selbständig Erwerbstätigen trotz möglicherweise hohen Arbeitseinsatzes (und damit mangelnder Verfügbarkeit) infolge entsprechender Verluste innerhalb einer Einkunftsart oder nach Verlustausgleich bei mehreren Einkunftsarten insgesamt unter der Geringfügigkeitsgrenze liegen kann und daher als Verfügbarkeitskriterium versagt, während eine die Geringfügigkeitsgrenze übersteigende Höhe des Umsatzes des selbständig Erwerbstätigen dessen mangelnde Verfügbarkeit indizieren kann. Die Ermittlung des nach § 12 Abs. 6 lit. c AlVG maßgeblichen Einkommens in dem Sinn, dass Arbeitslosigkeit schon dann nicht vorliegen würde, wenn die Einkünfte einer Einkunftsart die Geringfügigkeitsgrenze übersteigen, widerspricht dem Gesetz (zur Ausgleichsfähigkeit - mit Ausnahme der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, soweit sie nicht auf einer selbständigen Erwerbstätigkeit beruhen - vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/08/0148; vgl. hingegen die Umsätze aus selbständiger Erwerbstätigkeit außer Betracht lassende und eine indirekte Finanzierung einer unternehmerischen Tätigkeit durch Mittel der Arbeitslosenversicherung vermeidende Art der Ermittlung der Wirtschaftskraft von Notstandshilfebeziehern, die ein Arbeitseinkommen beziehen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0124).

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am