VwGH vom 17.09.2019, Ra 2019/22/0059

VwGH vom 17.09.2019, Ra 2019/22/0059

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht) gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-151/020/14978/2018-5, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: M Z in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde, Revisionswerber) den Antrag der Mitbeteiligten, einer serbischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nach § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gestützt auf § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG ab.

Die belangte Behörde verwies auf das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens, wonach der über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügende und für ein minderjähriges Kind sorgepflichtige Ehegatte der Mitbeteiligten (S Z) monatlich EUR 1.356,50 verdiene, wovon nach Abzug der Miete unter Berücksichtigung der freien Station EUR 1.161,50 verblieben. Für ein Ehepaar plus ein Kind müssten EUR 1.503,84 zur Verfügung stehen. Die Mitbeteiligte sei mit Schreiben vom von der beabsichtigten Abweisung des Antrags in Kenntnis gesetzt worden, es sei ihr Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Sie habe jedoch keine Stellungnahme abgegeben. Da der Aufenthalt der Mitbeteiligten zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne, sei der Antrag abzuweisen gewesen.

2 Auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten hob das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Beschluss vom gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG diesen Bescheid auf und verwies das Verfahren zurück an die belangte Behörde. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht hielt zunächst fest, dass die Mitbeteiligte zur Aufforderung durch die belangte Behörde vom mit Schreiben vom , bei der belangten Behörde eingelangt am , eine Stellungnahme samt Beilagen abgegeben habe. Der bekämpfte Bescheid sei mit zugestellt worden. Das Verwaltungsgericht habe an die belangte Behörde zwei Ersuchen um Stellungnahme bzw. Bekanntgabe (insbesondere betreffend die Mietkosten, das Einkommen des S Z sowie die weiteren Erteilungsvoraussetzungen) gerichtet, denen die belangte Behörde nicht nachgekommen sei.

In seinen rechtlichen Ausführungen verwies das Verwaltungsgericht zunächst auf die zur Zurückverweisungsmöglichkei t des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf , und , Ra 2018/20/0014). Vorliegend habe die belangte Behörde - so das Verwaltungsgericht - ihr Verfahren auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des S Z fokussiert und Erhebungen zu den anderen Erteilungsvoraussetzungen und allfälligen Erteilungshindernissen nicht bzw. nur vollkommen unzureichend durchgeführt. Hinsichtlich der Unterhaltsmittel habe die belangte Behörde einen "logisch nicht nachvollziehbaren und nicht berechenbaren Betrag für die Miete der Wohnung" des S Z herangezogen, der mit den Nachweisen der Mitbeteiligten nicht in Einklang zu bringen sei und in Widerspruch zu den Feststellungen in einem vorangehenden, die Mitbeteiligte betreffenden Bescheid stehe (gemeint war offenbar der Bescheid vom , mit dem ein früherer Antrag der Mitbeteiligten vom wegen unzureichender Unterhaltsmittel abgewiesen worden war). Die Ermittlungen zum einzigen herangezogenen Abweisungsgrund wären "offensichtlich falsch und aktenwidrig". Zudem habe die belangte Behörde die (verspätet eingelangte) Stellungnahme der Mitbeteiligten nicht beachtet.

Die belangte Behörde sei - wie sich der weiteren Korrespondenz zwischen ihr und dem Verwaltungsgericht entnehmen lasse - davon ausgegangen, das Verwaltungsgericht werde sämtliche Erteilungsvoraussetzungen prüfen. Die belangte Behörde habe bloß ansatzweise ermittelt, aus den Ermittlungsergebnissen falsche Schlüsse gezogen und sich der weiteren Erhebungen entledigt, um diese auf das Verwaltungsgericht zu übertragen. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung seien somit gegeben.

Da die belangte Behörde die Auffassung vertrete, dass sie keine Mitwirkungspflicht treffe, sei nicht davon auszugehen, dass die Durchführung sämtlicher Erhebungen durch das Verwaltungsgericht zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen würde. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes treffe die belangte Behörde zumindest eine Mitwirkungspflicht dahingehend, Widersprüche und Aktenwidrigkeiten im Rahmen des angefochtenen Bescheides über Ersuchen des Verwaltungsgerichtes aufzuklären. Bleibe die gesamte Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes dem Verwaltungsgericht, könne nicht davon ausgegangen werden, dass durch eine Übernahme des gesamten Verfahrens eine wesentliche Beschleunigung eintrete.

3 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.

Revisionsbeantwortung wurde keine erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4 In der Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe entgegen (näher zitierter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht in der Sache selbst entschieden. Der Revisionswerber habe gegenständlich ausreichend ermittelt und festgestellt, dass der Aufenthalt der Mitbeteiligten zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne. Soweit das Verwaltungsgericht (im Zusammenhang mit den Mietkosten) Mängel in der Begründung des Bescheides aufgezeigt habe, sei dem die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, für sich allein keine Behebung und Zurückverweisung rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen. Zu den vom Verwaltungsgericht angesprochenen Widersprüchlichkeiten betreffend das Gehalt des S Z verweist der Revisionswerber auf die im Akt befindlichen Lohnzettel, aus denen eine Lohnpfändung des Einkommens des S Z ersichtlich sei. Auch eine abweichende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht (das vorliegend die beweiswürdigenden Erwägungen des Revisionswerbers moniere) berechtige nicht zur Zurückverweisung.

Mit der Rüge hinsichtlich der fehlenden Mitwirkung des Revisionswerbers am verwaltungsgerichtlichen Verfahren bzw. dem Nichtbefolgen der erteilten Aufträge werde ebenfalls keine Ermittlungslücke aufgezeigt. Selbst wenn der Revisionswerber tatsächlich erforderliche Ermittlungsschritte unterlassen hätte, hätte das Verwaltungsgericht darlegen müssen, weshalb es daran gehindert gewesen sei, inhaltlich über den Antrag der Mitbeteiligten zu entscheiden. Vorliegend wäre es dem Verwaltungsgericht vielmehr möglich gewesen, die bestehenden Ermittlungsergebnisse allenfalls zu ergänzen und dann einer Beweiswürdigung zu unterziehen. Die vom Verwaltungsgericht monierte Nichtberücksichtigung der Stellungnahme der Mitbeteiligten sei "völlig verfehlt, zumal die Stellungnahme erst nach Erlassung des Bescheides (expediert am ) einlangte (am ) und somit im Bescheid keine Berücksichtigung finden konnte". Krasse bzw. gravierende Ermittlungslücken lägen somit nicht vor.

Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch berechtigt:

5 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG (vgl. etwa ) normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen. Zudem hat das Verwaltungsgericht - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten hat - nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (siehe zu allem , Rn. 7, mwN).

6 Das Verwaltungsgericht moniert vorliegend zunächst fehlende bzw. völlig unzureichende Ermittlungen zu den weiteren Erteilungsvoraussetzungen (abseits des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG) und zu den Erteilungshindernissen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar dem Grunde nach anerkannt, dass derartige Ermittlungslücken im Zusammenhang mit der Beurteilung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG maßgeblich sein können (vgl. , Rn. 10). Fallbezogen könnte dem Unterbleiben derartiger Ermittlungen aber nur dann Entscheidungsrelevanz zukommen, wenn das Verwaltungsgericht - entgegen der Beurteilung durch den Revisionswerber - das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG bejaht hätte und somit die als fehlend gerügten Ermittlungen für die Entscheidung über den Antrag erforderlich gewesen wären. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG allerdings nicht bejaht.

7 Entscheidend ist daher, ob das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber auch hinsichtlich der für die Abweisung des Antrags der Mitbeteiligten herangezogenen Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG gravierende Ermittlungslücken vorhalten durfte. 8 Dazu hat das Verwaltungsgericht - unter Bezugnahme auf die fehlende Nachvollziehbarkeit der herangezogenen Mietkosten für die Wohnung des S Z - zum einen festgehalten, dass die "Ermittlungen des einzigen herangezogenen Abweisungsgrundes offensichtlich falsch und aktenwidrig" gewesen seien.

9 Dem ist entgegenzuhalten, dass eine - vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführte - Aktenwidrigkeit für sich genommen keine Ermittlungslücke darstellt, die eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen würde (vgl. , Rn. 10). Gleiches gilt für den Umstand, dass das Verwaltungsgericht die rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde als unrichtig erachtet (vgl. , Rn. 19). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch - worauf der Revisionswerber hinweist - festgehalten, dass Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, für sich allein keine Behebung und Zurückverweisung rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind (vgl. , Pkt. 7.2., mwN). Auch trifft die Ansicht des Revisionswerbers zu, dass die (vom Verwaltungsgericht begründend ins Treffen geführte) fehlende Mitwirkung der belangten Behörde am verwaltungsgerichtlichen Verfahren für sich genommen keine Ermittlungslücke im dargestellten Sinn begründet (vgl. erneut VwGH Ra 2018/22/0186, Pkt. 7.3.).

10 Zum anderen hat das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber im Zusammenhang mit dem Abweisungsgrund nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG vorgehalten, er habe die diesbezügliche (wenn auch verspätet eingelangte) Stellungnahme der Mitbeteiligten (zu der von der belangten Behörde bekannt gegebenen Absicht, den Antrag mangels ausreichender finanzieller Mittel abzuweisen) nicht berücksichtigt (und somit dazu keine weiteren Ermittlungen vorgenommen). 11 Der Revisionswerber erachtet diese Rüge in seinem diesbezüglichen Vorbringen deshalb als verfehlt, weil die Stellungnahme erst nach Erlassung des Bescheides eingelangt sei und somit keine Berücksichtigung finden konnte. Soweit der Revisionswerber dafür offenbar (arg.: "expediert am ") auf den Zeitpunkt der Absendung des Bescheides abstellt, ist er zwar nicht im Recht. Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - in Einklang mit den Verwaltungsakten - eine Erlassung des angefochtenen Bescheides gegenüber der Mitbeteiligten durch Zustellung am zugrunde. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass eine - wenn auch nach Ablauf der diesbezüglich eingeräumten Frist, aber - vor Erlassung des Bescheides erstattete Stellungnahme von der Behörde zu berücksichtigen ist (vgl. , mwN; sowie , dem zufolge maßgeblich ist, ob sich ein Schriftsatz zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides in der Sphäre der belangten Behörde befindet); dies selbst dann, wenn der Bescheid schon vorher abgefertigt wurde (vgl. ). 12 Ob eine Berücksichtigung vor diesem Hintergrund fallbezogen geboten gewesen wäre (hinsichtlich des Einlangens der Stellungnahme der Mitbeteiligten bei der belangten Behörde gehen Verwaltungsgericht und Revisionswerber von unterschiedlichen Zeitpunkten aus - einmal , einmal ), kann aber aus folgenden Erwägungen dahinstehen:

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar bereits anerkannt, dass ein unzureichendes Eingehen auf das Vorbringen einer Partei, das substanzielle Einwendungen enthielt und eine eingehende Überprüfung im Tatsachenbereich auch durch Einvernahme von Beweispersonen erfordert hätte, für eine Beurteilung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG maßgeblich sein kann (vgl. ).

14 Vorliegend lässt sich dem angefochtenen Beschluss aber in keiner Weise entnehmen, dass eine Befassung mit der Stellungnahme der Mitbeteiligten die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen bzw. Feststellungen nach sich gezogen hätte. Dies wäre aber erforderlich, um insoweit von besonders gravierenden Ermittlungslücken sprechen zu können (kann das Vorliegen der hier maßgeblichen Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG auch unter Berücksichtigung der von der Mitbeteiligten mit ihrer Stellungnahme vorgelegten Unterlagen in Verbindung mit den Ermittlungsergebnissen der belangten Behörde ohne weiteres verneint werden, wäre eine Behebung und Zurückverweisung jedenfalls - unabhängig vom Zeitpunkt des Einlangens der Stellungnahme bei der belangten Behörde - unzulässig). 15 Es fehlt somit hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht gerügten Nichtberücksichtigung der Stellungnahme der Mitbeteiligten an einer nachvollziehbaren Begründung, warum insoweit besonders gravierende Ermittlungslücken vorlägen und eine allfällige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das Verwaltungsgericht selbst auch in diesem Punkt nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. zur Begründungspflicht , Rn. 11, mwN).

16 Aus diesen Gründen war der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220059.L00
Schlagworte:
Allgemein Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Parteiengehör Parteiengehör Allgemein Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen

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