VwGH vom 23.02.2011, 2008/23/0175
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke und die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des Y S, geboren 1978, vertreten durch Dr. Thomas König, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ertlgasse 4/11, gegen den am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 305.908-C1/17E-XIII/66/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Berufung gegen Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers in die Türkei) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei zulässig ist und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei aus.
In den Ausführungen zum Verfahrensgang hielt die belangte Behörde fest, dass gegen den Beschwerdeführer seitens der Bundespolizeidirektion Wien im Jahr 2004 ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei, welches mit außer Kraft trete; eine vormals unbefristete Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck sei vom Magistrat der Stadt Wien am widerrufen worden. Der Beschwerdeführer sei vom Landesgericht für Strafsachen Wien am wegen § 27 Abs. 1 SMG in Verbindung mit § 15 StGB (zwei Monate Freiheitsstrafe), am wegen § 28 Abs. 2 und 3 SMG in Verbindung mit § 15 StGB (zehn Monate Freiheitsstrafe) und am wegen §§ 142 Abs. 1 und 143 StGB (vier Jahre und zehn Monate Freiheitsstrafe) rechtskräftig verurteilt worden. Am habe er standesamtlich eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Ferner verweist die belangte Behörde auf die mit der Berufung vorgelegte Geburtsurkunde des leiblichen Kindes des Beschwerdeführers, welches wie seine Ehefrau die österreichische Staatsbürgerschaft besitze.
Begründend führte die belangte Behörde - soweit für die Ausweisung von Relevanz - aus, dass der Beschwerdeführer bereits seit seinem elften Lebensjahr in Österreich lebe, hier aufgewachsen sei und die Sprache beherrsche. Er habe in Österreich gearbeitet und sei hier zur Schule gegangen; damit habe er eine besondere Bindung an Österreich, die über das für Asylwerber normale Maß hinausgehe. Mit seiner Frau und seinem leiblichen Kind, beide österreichische Staatsbürger, führe er ein hinsichtlich Art. 8 EMRK relevantes Familienleben. Der Beschwerdeführer habe aber in Österreich eine schwere und weitere andere Straftaten begangen und sei deswegen mit Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien rechtskräftig verurteilt worden. Der schwere Raub müsse als besonders schweres Verbrechen qualifiziert werden, da es sich bei diesem um einen bewaffneten Raub als Mitglied einer Bande gehandelt habe. Zu den Suchtgiftdelikten hielt die belangte Behörde fest, dass eine hohe Rückfallswahrscheinlichkeit bestehe, die sich aus der mehrmaligen Delinquenz des Beschwerdeführers und auf Grund der Zugehörigkeit zur Suchtgiftszene ergebe. Die Lebenserfahrung zeige, dass suchtkranke Menschen insbesondere zur strafrechtlich relevanten Rückfälligkeit neigten. Darüber hinaus spreche der Umstand, dass dem Beschwerdeführer kein Tag seiner Strafe bedingt nachgesehen worden sei, gegen eine positive Zukunftsprognose. Die bisherige weitere Unbescholtenheit könne - der Beschwerdeführer habe sich in dieser Zeit bis auf wenige Tage immer in Haft befunden - diese Tatsachen nicht aufwiegen. Das öffentliche Interesse Österreichs an der Außerlandesbringung eines Fremden, der in Österreich schwere Straftaten begangen habe, sei, da dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe und er damit praktisch kein begründetes Interesse am Schutz durch Österreich habe, jedenfalls höher.
Auf Grund der schweren strafrechtlichen Delinquenz des Beschwerdeführers und der negativen Zukunftsprognose sei von einem erheblichen öffentlichen Interesse Österreichs an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers auszugehen. Daher sei davon auszugehen, dass das Interesse Österreichs an der Aufrechterhaltung der Ordnung im Bereich des Fremdenpolizeiwesens und des Zuwanderungswesens schwerer wiege als das Interesse des Fremden in Österreich zu bleiben. Noch schwerer als der Eingriff in das Privatleben stelle sich der Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers dar; doch auch dieses vermöge - auf Grund der Schwere der Straftat und der negativen Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer - nicht schwerer zu wiegen als das Interesse Österreichs an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der zur Ausweisung im Wesentlichen vorgebracht wird, diese verstoße ungeachtet der strafrechtlichen Delikte des Beschwerdeführers gegen Art. 8 EMRK, da enge private und familiäre Beziehungen zu Österreich bestünden. Er lebe seit seinem elften Lebensjahr in Österreich, habe die Hauptschule sowie die Berufsschule in Österreich besucht. Er sei seit dem mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und am sei sein leiblicher Sohn, ebenfalls österreichischer Staatsbürger, geboren worden, für den er auch sorgepflichtig sei. Sowohl sein Vater als auch seine Mutter sowie zwei Brüder lebten in Wien. In der Türkei habe er weder Familienbande noch sei er in diesem Land sozial oder kulturell verwurzelt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zu I.:
Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall für die Frage der Ausweisung des Beschwerdeführers entsprechende Feststellungen getroffen und auf dieser Basis eine Interessenabwägung durchgeführt. Diese individuelle Abwägung erweist sich jedoch aus folgenden Erwägungen als nicht ausreichend, die Ausweisung des Beschwerdeführers tragen zu können:
Der Beschwerdeführer lebt seit seinem elften Lebensjahr (und daher im Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde rund 17 Jahre) in Österreich, ist somit hier aufgewachsen und hat sich über einen Zeitraum von rund 15 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Davon ausgehend hätte es aber im vorliegenden Fall näherer Feststellungen zu den konkreten Tathandlungen der begangenen Delikte und ihrer Schwere sowie den sich daraus für die fallbezogene Abwägung ergebenden Schlussfolgerungen bedurft, die im angefochtenen Bescheid fehlen. Aus den im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/01/0703, dargestellten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid in Hinblick auf die Bestätigung der erstinstanzlichen Ausweisungsverfügung daher mit relevanten Begründungsmängeln belastet.
Darüber hinaus fehlt im angefochtenen Bescheid im Hinblick auf das Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau und seinem Sohn eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob dem Beschwerdeführer eine Fortsetzung dieses Familienlebens in seinem Herkunftsstaat möglich und zumutbar ist (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom ).
Der angefochtene Bescheid war in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Zu II.:
Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Beschwerde wirft - soweit sie sich nicht auf die Ausweisung bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung in diesem Umfang sprechen würden, liegen nicht vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde im Übrigen abzulehnen.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-85749