VwGH vom 25.04.2019, Ra 2019/22/0043
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck in 6010 Innsbruck, Gilmstraße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , LVwG- 2018/30/2193-8, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei:
A R, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte, eine syrische Staatsangehörige, stellte am bei der österreichischen Botschaft in Damaskus einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" und berief sich dabei auf ihre Ehe mit einem in Österreich asylberechtigten syrischen Staatsangehörigen. 2 Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (Behörde und nunmehrige Revisionswerberin) wies diesen Antrag mit Bescheid vom gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) und § 6 des Bundesgesetzes vom über das internationale Privatrecht (IPRG) ab. Begründend führte die Behörde aus, es liege eine Bestätigung der Eheschließung vom durch das Scharia-Gericht in A vor. Bei dieser Registrierung sei der Ehemann der Mitbeteiligten nicht anwesend, sondern durch seinen Rechtsanwalt vertreten gewesen. Es liege der Behörde ein Dokument der "arabischen Republik Syrien" über die Erteilung einer umfassenden Vollmacht im Zusammenhang mit der Eheschließung durch den Ehemann an seinen Rechtsanwalt vor. Die Stellvertretung bei der Registrierung einer Ehe widerspreche der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG. 3 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis statt, behob den angefochtenen Bescheid und erteilte der Mitbeteiligten den beantragten Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" mit einer Gültigkeit vom bis . Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
4 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der zusammenführende Ehemann der Mitbeteiligten einer regelmäßigen Beschäftigung in Österreich nachgehe und über ein ausreichendes monatliches Einkommen verfüge. Weiters lägen auch die sonstigen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 NAG vor. Die Eheschließung der Mitbeteiligten mit dem Zusammenführenden sei laut vorgelegtem Dokument über die Heiratsbestätigung durch das Scharia-Gericht in A vom mit dem am abgeschlossenen Ehevertrag erfolgt, wobei der Ehemann der Mitbeteiligten bei Abschluss des Ehevertrages nicht selbst anwesend, sondern durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten gewesen sei. Im vorliegenden Fall liege eine nach syrischem Recht durchgeführte und vom Scharia-Gericht bestätigte Eheschließung vor.
5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass keine der für eine Anwendung der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG erforderlichen Voraussetzungen, wie eine Mehrfachehe, eine Kinder- oder Zwangsehe, vorliege, die jedenfalls den österreichischen Grundwerten widersprächen. Die Mitbeteiligte und deren Ehemann hätten sich bereits seit dem Jahr 2006 gekannt und es sei der Eheschließung eine gemeinsame Beziehung über Jahre hinweg vorausgegangen. Die Mitbeteiligte sei zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits 29 Jahre alt gewesen. Es gebe keinerlei Hinweise, dass das Eheversprechen nicht freiwillig abgegeben worden sei. Die Ausführungen des in der mündlichen Verhandlung als Zeugen einvernommenen Ehemannes, dass die Eheschließung aufgrund des im Jahr 2011 begonnenen Bürgerkrieges in Syrien und seiner nachfolgenden Flucht nicht mehr zeitgerecht habe durchgeführt werden können, seien glaubhaft und nachvollziehbar. Es liege im vorliegenden Fall kein Sachverhalt vor, der die Anwendung der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG rechtfertigen würde. Die Anwendung des heranzuziehenden fremden Rechts führe im gegenständlichen Fall zu keinem Ergebnis, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar sei. Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG lägen vor, sodass der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen gewesen sei. 6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Die Revision bringt in der Zulassungsbegründung vor, die Zulässigkeit der Eheschließung in Stellvertretung sei ein exemplarisches Beispiel für den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung widersprechendes fremdes Recht. Das Zulassen der Stellvertreterehe würde dazu führen, dass "von außen beeinflusste, nicht dem Willen der Ehepartner entsprechende Eheschließungen in den österreichischen Rechtsbereich hereingetragen werden". 11 Mit diesen Ausführungen wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht dargetan:
12 Gemäß § 3 IPRG ist maßgebliches fremdes Recht von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden, wobei es in erster Linie auf die dort von der Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis ankommt. Gemäß § 4 Abs. 1 IPRG ist das fremde Recht von Amts wegen zu ermitteln. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt in Bezug auf ausländisches Recht der Grundsatz "iura novit curia" nicht, sodass dieses in einem grundsätzlich amtswegigen Ermittlungsverfahren festzustellen ist (vgl. , Rn. 15, mwN).
13 Gemäß § 6 IPRG ist eine Bestimmung des fremden Rechts nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. Von dieser Ausnahme ist sparsamer Gebrauch zu machen, keinesfalls ist ein Abweichen von zwingenden österreichischen Vorschriften bereits ein ordre public-Verstoß. Schutzobjekt sind primär die "Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung" und nicht subjektive Rechtspositionen von Inländern. Auch der OGH hat in seiner Entscheidung vom , 9 Ob 34/10f, unter Hinweis auf Judikatur und Lehre ausgesprochen, dass Gegenstand der Verletzung vielmehr Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein müssten und die Frage, ob das anzuwendende Recht gegen österreichischen ordre public verstößt, jeweils nach der konkreten Situation zu beurteilen ist.
14 Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , E 1805/2018 ua., festgehalten, dass Bestimmungen fremden Rechts, die die Mehrehe, die Kinderehe oder eine einseitige Verstoßung der Frau durch den Mann vorsehen, österreichischen Grundwertungen im Sinn der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG widersprechen. Dabei kommt es für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG darauf an, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig ist. Der bloße Widerspruch mit Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung allein führt nicht zur ordre public-Widrigkeit, sondern es muss die "Unerträglichkeit des konkreten Ergebnisses im Einzelfall" vorliegen. Daher ist auch immer nur die konkrete Bestimmung, aber nicht das gesamte (restliche) fremde Recht im Falle einer ordre public-Widrigkeit nicht anzuwenden. 15 Das Verwaltungsgericht kam im vorliegenden Fall zum Ergebnis, dass die Anwendung des fremden Sachrechts betreffend "Stellvertreterehe" nicht den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung im Sinn des § 6 IPRG entgegensteht. Ausgehend von dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt - wonach sich die Eheleute bereits seit dem Jahr 2006 gekannt und eine gemeinsame jahrelange Beziehung geführt hätten, die Mitbeteiligte zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits 29 Jahre alt gewesen sei, die Eheschließung in Anwesenheit des Zusammenführenden aufgrund dessen Flucht aus Syrien nicht mehr erfolgt sei und es keinerlei Hinweise gebe, dass das Eheversprechen nicht freiwillig abgegeben worden sei -, vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die einzelfallbezogene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre oder zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte.
16 Soweit die Revisionswerberin darauf verweist, dass das Landesverwaltungsgericht von der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichtes abgewichen sei, ist ihr entgegenzuhalten, dass eine uneinheitliche Rechtsprechung eines oder mehrerer Verwaltungsgerichte für sich genommen nicht den Tatbestand des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt (vgl. , Rn. 13, mwN).
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220043.L00 |
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