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VwGH vom 24.04.2012, 2008/22/0852

VwGH vom 24.04.2012, 2008/22/0852

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der J, vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Esteplatz 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 318.245/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den am bei der Österreichischen Botschaft in Belgrad gestellten Antrag der Beschwerdeführerin, einer damals minderjährigen serbischen Staatsangehörigen, auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrer Großmutter, einer österreichischen Staatsbürgerin, der am die Vormundschaft für die Beschwerdeführerin übertragen wurde, gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, dass sich die Beschwerdeführerin seit Ablauf ihres Visums C, gültig von 17. April bis unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte sie nämlich die Entscheidung über ihren Erstantrag im Ausland abwarten müssen. § 21 Abs. 1 NAG stehe daher einer Bewilligung des Antrags entgegen und mache ein weiteres Eingehen auf ihre persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich.

In einer amtswegigen Überprüfung im Sinne des § 72 NAG, wonach aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt bzw. im Hinblick auf § 74 NAG auch das Abwarten der Entscheidung über den Antrag im Inland zugelassen werden könnte, kam die belangte Behörde zu dem - nicht näher begründeten - Ergebnis, dass der bloße Umstand eines Schulbesuchs in Österreich (die Beschwerdeführerin hatte bereits mehrere Jahre erfolgreich eine Handelsakademie und Handelsschule in Wien besucht) keinen besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Aspekt darstelle. Schließlich stellte die belangte Behörde noch fest, dass ein "sogenannter 'Freizügigkeitssachverhalt' im Sinne des §§ 51 ff NAG" nicht vorliege.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde stellte ohne nähere Ausführung bzw. Begründung fest, dass von Amts wegen eine Überprüfung im Sinne des § 72 NAG durchgeführt worden sei und "der bloße Umstand eines Schulbesuchs in Österreich" "keinen besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Aspekt" darstelle.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner ständigen Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass § 72 NAG auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Umstände eines Fremden abstellt, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen einen Aufenthaltstitel zukommen zu lassen. Besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung liegen auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Einräumung eines Aufenthaltsrechts besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0140, mwN). Indem die belangte Behörde das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Hinblick auf deren für sie die Obsorge innehabende Großmutter, in deren Haushalt sie lebt, in Verkennung der Rechtslage für nicht weiter relevant erachtete, infolge dessen dazu keine näheren Feststellungen traf und die Durchführung der gebotenen Interessenabwägung unterließ, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit.

Darüber hinaus gleicht der vorliegende Beschwerdefall vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom , C-256/11, darin, dass die belangte Behörde in Verkennung der durch den EuGH nunmehr klargestellten Rechtslage nicht anhand des unionsrechtlichen Maßstabes geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solchen Ausnahmefall, wonach es das Unionsrecht gebietet, dem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt zu gewähren, darstellt, jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0312, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil im vorgesehenen Pauschalbetrag von EUR 1.106,40 die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

Wien, am

Fundstelle(n):
WAAAE-85526