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VwGH 22.02.2012, 2011/06/0180

VwGH 22.02.2012, 2011/06/0180

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §8;
BauG Bgld 1997 §5 Abs3;
BauRallg;
B-VG Art18 Abs1;
RS 1
Bei der Festlegung der Baulinien im Sinne des § 5 Abs. 3 Bgld BauG 1997 ist auf die darin genannten Kriterien Bedacht zu nehmen (durch diese Kriterien ist diese Bestimmung ausreichend determiniert - Hinweis E vom , 2000/05/0009). Voraussetzung für eine solche Festlegung ist allerdings, dass ein "Ausnahmefall" vorliegt.
Normen
BauG Bgld 1997 §21 Abs2;
BauG Bgld 1997 §21 Abs4;
BauG Bgld 1997 §5 Abs3;
BauG Bgld 1997 §5;
BauRallg;
RS 2
Da es sich bei den Abstandsvorschriften um wesentliche Vorschriften handelt, die eine ausreichende Belichtung und Belüftung sicherstellen sollen, daher wesentliche Schutzvorschriften darstellen, sind Ausnahmebestimmungen hievon einschränkend auszulegen (Hinweis E vom , 2010/06/0251, zur Tiroler Bauordnung 2001).
Normen
BauG Bgld 1997 §5 Abs1;
BauG Bgld 1997 §5 Abs2;
BauG Bgld 1997 §5 Abs3;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
RS 3
Das Abstellen auf die Situierung des Altbestandes wie auch weiterer Gebäude in der Umgebung vermag für sich allein keinen Ausnahmegrund iSd § 5 Abs. 3 Bgld BauG 1997 darzustellen. Auch der Umstand, dass das Vorhaben das Ortsbild nicht negativ beeinflussen würde, reicht weder für sich allein noch in Verbindung mit den anderen herangezogenen Argumenten aus, einen "Ausnahmegrund" darzustellen.
Normen
BauG Bgld 1997 §21;
BauG Bgld 1997 §5 Abs3;
BauRallg;
RS 4
Zum Argument der Behörde, die Abstandsunterschreitung sei "maßvoll", ist darauf hinzuweisen, dass sich die Frage, welches Maß an Unterschreitung im Einzelfall sachgerecht sein mag, erst dann stellt, wenn überhaupt ein "Ausnahmefall" gegeben ist (also die "Eingangsvoraussetzungen" für eine Festlegung im Sinne des § 5 Abs. 3 Bgld. BauG 1997 gegeben sind). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem E vom , 2000/05/0009, die Unterschreitung bei gegebenen Abständen zwischen 2,91 m und 2,79 m (statt 3,0 m) als geringfügig qualifiziert; davon kann aber im vorliegenden Fall schon deshalb nicht die Rede sein, weil der Verlauf der Baulinie nicht entsprechend der Situierung des bereits errichteten Zubaues festgelegt wurde, sondern in Verlängerung des Altbestandes, dessen Grenzabstand mit 1,89 m angenommen wurde. Dadurch wäre angesichts der gegebenen Verbauung in der Abstandsfläche (Altbestand) die weitere Ausdehnung um die Länge des Zubaues keinesfalls "maßvoll".

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und den Hofrat Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der E W in W, vertreten durch Mag. Claus Schützenhöfer, Rechtsanwalt in 8230 Hartberg, Baumschulgasse 5, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom , Zl. OW-02-04-54-25, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (weitere Partei:

Burgenländische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien:

1. Gemeinde W, 2. A P und 3. B L, beide Letztere in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Burgenland hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Beschwerdefall geht es um ein Bauvorhaben der zweit- und der drittmitbeteiligten Parteien (in der Folge kurz: Bauwerber) auf einem Grundstück in der mitbeteiligten Gemeinde. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin eines seitlich angrenzenden Grundstückes (zu einem Nebengebäude auf dem Baurundstück siehe das zwischenzeitig ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0158).

Mit dem (unbestritten unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen) Bescheid vom hatte der Bürgermeister den Bauwerbern die baubehördliche Bewilligung für einen Zubau zu Wohnzwecken zu einem auf dem Baugrundstück bereits bestehenden Gebäude erteilt, wobei auch weiters Umbauten im Erd- und Obergeschoß (Dachgeschoß) des bestehenden Gebäudes bewilligt wurden. Planmäßig sollte der Zubau (bestehend aus einem Erdgeschoß und einem Dachgeschoß) einen Abstand von 3,0 m zur gemeinsamen Grundgrenze aufweisen; in den Vorschreibungen des Baubewilligungsbescheides wird auch aufgetragen, dass die im Plan "eingezeichnete Baulinie" einzuhalten sei. Das bestehende Gebäude hält einen geringeren Abstand zur gemeinsamen Grundgrenze ein als 3,0 m.

Tatsächlich wurde der Zubau näher als 3,0 m zur gemeinsamen Grundgrenze und auch sonst abweichend von der erteilten Baubewilligung errichtet (mit Bescheid vom erteilte der Bürgermeister den Bauwerbern einen Beseitigungsauftrag des Inhaltes, das Bauwerk sei soweit abzutragen, dass der Abstand vom Grundstück der Beschwerdeführerin mindestens 3 m betrage).

Das nun beschwerdegegenständliche Verwaltungsverfahren wurde durch den am bei der Gemeinde eingebrachten Antrag der Bauwerber vom eingeleitet, mit dem sie um die Erteilung einer (nachträglichen) Baubewilligung für das bereits errichtete Objekt samt Bewilligung des Dachgeschoßausbaues im bereits bestehenden Gebäude sowie um die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 5 Abs. 3 des Burgenländischen Baugesetzes 1997 (Bgld. BauG) ersuchten.

Hiezu beraumte der Bürgermeister mit Kundmachung vom eine Bauverhandlung für den unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG 1950 an. Die Beschwerdeführerin erhob mit Schriftsatz vom Einwendungen gegen das Vorhaben und brachte vor, sowohl das bestehende Gebäude als auch der Zubau hielten die erforderlichen Mindestabstände nicht ein. Wesentliche Bauteile seien in der Baubeschreibung und in den Einreichplänen nicht ausgewiesen. Überhaupt seien die Unterlagen unzureichend, weil sie nicht die relevanten Angaben hinsichtlich der verbauten Fläche, des umbauten Raumes und der Wohnnutzflächen auswiesen, ebensowenig relevante höhenmäßige Geländeangaben und Gebäudehöhen. Die Gebäudehöhe des Zubaues überrage die Gebäudehöhe des Bestandes, welcher ebenfalls zu nah an der Grundgrenze errichtet sei. Die Bauverhandlung vom wurde zur Vorlage neuer Pläne vertagt. Nach diesen ergänzten Plänen weist der bereits errichtete Zubau zur gemeinsamen Grenze Abstände zwischen 2,67 m und 2,94 m auf, die Ecke des Altbestandes einen Abstand von 1,89 m (die Darstellung des Verlaufes der gemeinsamen Grenze weicht in diesen Plänen von jener in den Plänen ab, die der Baubewilligung vom zugrunde lagen).

Mit Erledigung des Bürgermeisters vom wurde eine neuerliche Bauverhandlung für den anberaumt (abermals unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG 1950). Die Beschwerdeführerin erhob mit Schriftsatz vom abermals Einwendungen und verwies auf ihr bisheriges Vorbringen; dieses wiederholte sie auch in der Bauverhandlung.

Der beigezogene Bausachverständige erstattete in der Bauverhandlung ein Gutachten, in welchem er unter anderem ausführte, das Bauwerk sei in einem näher bezeichneten Bereich situiert, der als Bauland-Dorfgebiet gewidmet sei. Das gesamte Siedlungsgebiet sei mit ein- bis zweigeschossigen Ein- und Zweifamilienhäusern sowie landwirtschaftlichen Betriebsbauten bebaut, die in offener bzw. halboffener Bebauungsweise errichtet worden seien. Die Seitenabstände zu den jeweiligen Grundstücksgrenzen der Nachbargrundstücke der "umliegenden Bebauung" betrügen zwischen 0 m und 3 m. Das zu genehmigende Objekt sei eingeschossig mit ausgebautem Dachgeschoß und in offener Bauweise errichtet. Der Abstand der Außenmauern des Altbestandes zur Grundgrenze der Beschwerdeführerin betrage 1,89 m, jener des Zubaues 2,67 m bzw. 2,91 m. Es gebe weder Bebauungs- noch Teilbebauungspläne für dieses Gebiet.

Die Voraussetzungen für eine Ausnahme seien gegeben, weil es sich hier um eine ortsübliche Bebauung mit Erdgeschoß und ausgebautem Dachgeschoß handle und das Ortsbild durch den Zubau nicht negativ beeinträchtigt werde.

Der Bürgermeister erteilte mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom die angestrebte Baubewilligung, in welcher die seitliche Baulinie zum Grundstück der Beschwerdeführerin "in geradliniger Verlängerung der bestehenden Baufluchtlinie des Altbestandes" festlegt wurde.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in welcher sie unter anderem darauf verwies, dass es keinen Konsens für einen Seitenabstand des Altbestandes mit 1,89 m gebe. Die erforderliche Belichtung werde beeinträchtigt, das Gutachten des bautechnischen Sachverständigen, auf das sich der Bürgermeister gestützt habe, sei unzureichend.

Der Gemeinderat wies mit Bescheid vom die Berufung als unbegründet ab. Die Festlegung der seitlichen Baulinie sei sachgerecht. Es liege ein Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 3 Bgld. BauG im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheiten, nämlich insbesondere aufgrund der Abmessungen des Altbestandes vor. Dies stehe durchaus im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , VwSlg. 8298/A). Der Grenzabstand des Altbestandes betrage 1,89 m. Der Altbestand bestehe aus einem Bauernhaus, das auf Grundlage des rechtskräftigen Baubescheides des Bürgermeisters vom durch einen Dachgeschoßausbau und den Zubau eines Vorraumes geändert worden sei. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gelte für das vor dem Jahr 1900 errichtete Bauernhaus die Vermutung der Konsensmäßigkeit. Auf Grund dieser Rechtsvermutung und des genannten rechtskräftigen Abänderungsbescheides gelte somit der gesamte Altbestand als konsensgemäß errichtet und es seien demnach die diesbezüglichen Einwendungen der Beschwerdeführerin unbegründet. Der Grenzabstand des Zubaues betrage zwischen 2,67 m und 2,94 m (richtig: 2,91 m) und sei somit größer als der Abstand des Altbestandes. Zu den weiteren Einwänden, es gebe vorspringende Bauteile, sei auf § 5 Abs. 4 Bgld. BauG zu verweisen, wonach die Baubehörde das Vorspringen untergeordneter Bauteile über die Baulinie bei Zutreffen der dort genannten Voraussetzungen genehmigen könne. Diese träfen im Beschwerdefall zu (Hinweis auf das Gutachten des Sachverständigen). Davon abgesehen werde mit dem erstinstanzlichen Bescheid für den Dachvorsprung ein Mindestabstand von 2 m zur Grundgrenze vorgeschrieben.

Auch die Einwendungen hinsichtlich einer Beeinträchtigung der Belichtung träfen nicht zu (wurde näher ausgeführt).

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung, in der sie unter anderem auf ihr gesamtes bisheriges Vorbringen verwies.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Vorstellung keine Folge gegeben und den bekämpften Berufungsbescheid "bestätigt".

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und Ausführungen zur Rechtsstellung des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren führte die belangte Behörde weiter aus, ein Verlust der Parteistellung im Sinne des § 42 AVG sei im Beschwerdefall nicht eingetreten, weil in der Ladung zur Bauverhandlung nicht auf diese Rechtsfolgen verwiesen worden sei (sondern auf die in § 42 AVG in einer früheren Fassung).

Der Beschwerdeführerin als Nachbarin komme zur Abstandsfrage ein Mitspracherecht zu. Da es weder Bebauungspläne, Teilbebauungspläne noch Bebauungsrichtlinien gebe, seien die Baubehörden verhalten gewesen, zu prüfen, ob ein Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 3 Bgld. BauG vorliege.

Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles könne im Beschwerdefall darin erblickt werden, dass sich der Abstand nach dem bestehenden Baubestand auf dem Baugrundstück richte, die Unterschreitung der Abstandsfläche maßvoll (rund ein Drittel) sei und der Abstand im Beurteilungsraum (0 m bis 3 m) seine Deckung finde. Auf Grund des Gutachtens des Amtssachverständigen hätten die Baubehörden in unbedenklicher Weise davon ausgehen können, dass die Anrainer, insbesondere hinsichtlich des Lichteinfalles und des Brandschutzes, keinen Beeinträchtigungen ausgesetzt würden.

Durch die bewilligte Höhe sei der erforderliche Lichteinfall nicht beeinträchtigt (wurde näher ausgeführt).

Zur Bebauungsdichte komme der Beschwerdeführerin im Beschwerdefall kein Mitspracherecht zu, weil nicht ersichtlich sei, dass die Festlegung der Bebauungsdichte im Beschwerdefall über ihr Mitspracherecht zur Einhaltung des Seitenabstandes und der Gebäudehöhe (zur Sicherstellung der nötigen Belichtung und Belüftung ihrer Liegenschaft) hinaus ihren Interessen diente. Es seien Rückwirkungen der Bebauungsdichte auf ihre Rechtsposition als Nachbarin erkennbar.

Die vorgelegten Planunterlagen hätten ausgereicht, ihr jene Informationen zu vermitteln, die sie zur Verfolgung ihrer Rechte benötige.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die mitbeteiligte Gemeinde hat über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes den Baubewilligungsbescheid vom  mit den zugrundeliegenden Planunterlagen vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Burgenländische Baugesetz 1997, LGBl. Nr. 10/1998 (Bgld. BauG), in der Fassung LGBl. Nr. 7/2010 anzuwenden.

§ 5 Bgld. BauG (in der hier maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 18/2005) lautet:

"Bebauungsweisen und Abstände

§ 5

(1) Sofern Bebauungspläne/Teilbebauungspläne oder Bebauungsrichtlinien nicht vorliegen, hat die Baubehörde unter Berücksichtigung des Baubestandes und des Ortsbildes für ein Baugrundstück eine der folgenden Bebauungsweisen zuzulassen:

1. geschlossene Bebauung, wenn die Hauptgebäude in geschlossener Straßenfront beidseitig an die seitlichen Grundstücksgrenzen anzubauen sind,

2. halboffene Bebauung, wenn die Hauptgebäude an einer seitlichen Grundstücksgrenze anzubauen sind und gegen die andere seitliche Grundstücksgrenze ein Abstand von mindestens 3 m einzuhalten ist,

3. offene Bebauung, wenn gegen beide seitlichen Grundstücksgrenzen ein Abstand von mindestens 3 m einzuhalten ist. Für die offene Bebauungsweise ist eine Grundstücksbreite von mindestens 15 m erforderlich.

(2) Bei allen Bebauungsweisen ist vom Hauptgebäude gegen die hintere Grundstücksgrenze ein Mindestabstand von 3 m einzuhalten. In der seitlichen und hinteren Abstandsfläche sind Nebengebäude und andere untergeordnete Bauten bis zu einer Außenwandhöhe von 3 m, bezogen auf das verglichene Gelände, und mit einer Dachneigung von höchstens 45 Grad zulässig, sofern die maßgeblichen baupolizeilichen Interessen nicht verletzt werden.

(3) Die Baubehörde kann in Ausnahmefällen unter besonderer Berücksichtigung des Anrainerschutzes, der Baugestaltung und der örtlichen Gegebenheiten abweichend von den Bestimmungen der Abs. 1 und 2 die Abstände von Bauten zu den Grundstücksgrenzen durch die Festlegung von vorderen, seitlichen und hinteren Baulinien bestimmen, die auch als zwingende Baulinien festgelegt werden können. Baulinien sind die Grenzlinien, innerhalb derer Bauten errichtet werden dürfen; zwingende Baulinien sind jene Grenzlinien, an die anzubauen ist.

(4) Wenn das Ortsbild und die Sicherheit von Personen und Sachen nicht beeinträchtigt werden, kann die Baubehörde das Vorspringen untergeordneter Bauteile, wie zB Erker, Balkone, Dachvorsprünge, Schutzdächer, Freitreppen, Terrassen und dergleichen über die Baulinie genehmigen.

(…)".

Die Beschwerdeführerin bekämpft u.a. die Festlegung der

seitlichen Baulinie zu ihrem Grundstück.

Zur Rechtsstellung des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren nach dem Bgld. BauG kann auf die Ausführungen im eingangs genannten hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0158, verwiesen werden; zutreffend wurde im Beschwerdefall erkannt, dass der Beschwerdeführerin als Nachbarin ein Mitspracherecht zur Abstandsfrage zukommt und damit auch zu den Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 leg. cit. Bei einer Festlegung im Sinne dieser Bestimmung ist auf die darin genannten Kriterien Bedacht zu nehmen (durch diese Kriterien ist diese Bestimmung ausreichend determiniert - siehe dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/05/0009). Voraussetzung für eine solche Festlegung ist allerdings, dass ein "Ausnahmefall" vorliegt. Da es sich aber bei den Abstandsvorschriften um wesentliche Vorschriften handelt, die eine ausreichende Belichtung und Belüftung sicherstellen sollen, daher wesentliche Schutzvorschriften darstellen, sind Ausnahmebestimmungen hievon einschränkend auszulegen (siehe dazu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/06/0251, zur Tiroler Bauordnung 2001).

Zutreffend wurde von den Behörden des Verwaltungsverfahrens erkannt, dass der gegenständliche Zubau nach der grundsätzlichen Anordnung des Gesetzes einen (seitlichen) Grenzabstand von 3,0 m einzuhalten hat, unabhängig davon, welchen Grenzabstand der Altbestand einhält (weil das Gesetz diesbezüglich nicht unterscheidet), wodurch sich wiederum für die Bauwerber sichtlich die Notwendigkeit ergab, eine Ausnahme im Sinne des § 5 Abs. 3 Bgld. BauG zu erwirken (eine eigene Begründung hiefür haben sie nicht vorgetragen). Die Auffassung der Gemeindebehörden, dabei, wie es im Berufungsbescheid heißt, "in erster Linie" auf die Situierung des Altbestandes abzustellen, ist verfehlt. Aus dem bezogenen hg. Erkenntnis vom , VwSlg. 8298/A, das zur ehemaligen Tiroler Landesbauordnung ergangen ist, lässt sich angesichts der abweichenden Rechtslage für den Beschwerdefall nichts gewinnen. Im Gegenteil, bei einer solchen Vorgangsweise wäre die Absicht des Gesetzes, dass grundsätzlich die erforderlichen Abstandsflächen freizuhalten sind, unterlaufen. Das gilt gleichermaßen für das Argument, in der Umgebung befänden sich weitere Gebäude, die geringere Grenzabstände als 3 m einhielten. Das Vorliegen eines "Ausnahmefalles" (einer Ausnahmesituation) wird damit nicht aufgezeigt. Das Abstellen auf die Situierung des Altbestandes wie auch weiterer Gebäude in der Umgebung vermag für sich allein keinen Ausnahmegrund darzustellen. Auch der Umstand, dass das Vorhaben das Ortsbild nicht negativ beeinflussen würde, reicht weder für sich allein noch in Verbindung mit den anderen herangezogenen Argumenten aus, einen "Ausnahmegrund" darzustellen. Dass Gründe des Ortsbildes die vorgenommene Festlegung geradezu geboten erschienen ließen, wurde nicht behauptet und hat sich auch nicht ergeben.

Zum Argument der belangten Behörde, die Abstandsunterschreitung sei "maßvoll", ist darauf hinzuweisen, dass sich die Frage, welches Maß an Unterschreitung im Einzelfall sachgerecht sein mag, erst dann stellt, wenn überhaupt ein "Ausnahmefall" gegeben ist (also die "Eingangsvoraussetzungen" für eine Festlegung im Sinne des § 5 Abs. 3 Bgld. BauG gegeben sind). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2000/05/0009, die Unterschreitung bei gegebenen Abständen zwischen 2,91 m und 2,79 m (statt 3,0 m) als geringfügig qualifiziert; davon kann aber im Beschwerdefall schon deshalb nicht die Rede sein, weil der Verlauf der Baulinie nicht entsprechend der Situierung des bereits errichteten Zubaues festgelegt wurde, sondern in Verlängerung des Altbestandes, dessen Grenzabstand mit 1,89 m angenommen wurde. Dadurch wäre angesichts der gegebenen Verbauung in der Abstandsfläche (Altbestand) die weitere Ausdehnung um die Länge des Zubaues keinesfalls "maßvoll".

Zusammenfassend kann die im Beschwerdefall vorgenommene Festlegung der seitlichen Baulinie bei der gegebenen Verfahrenslage nicht als rechtmäßig angesehen werden.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er (da von einer Unteilbarkeit des Vorhabens auszugehen ist) zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben war. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Es ist allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Baulinie im Bereich des Zubaues rechtmäßig entsprechend dem tatsächlich errichteten Bestand festgelegt werden könnte; dazu bedarf es aber einer Verfahrensergänzung, wobei die Bauwerber die Gründe für die angestrebte Ausnahme darzulegen hätten und allenfalls zu klären wäre, wie es dazu kam, dass der mit Bescheid vom bewilligte Abstand von 3,0 m nicht eingehalten wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

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Normen
AVG §8;
BauG Bgld 1997 §21 Abs2;
BauG Bgld 1997 §21 Abs4;
BauG Bgld 1997 §21;
BauG Bgld 1997 §5 Abs1;
BauG Bgld 1997 §5 Abs2;
BauG Bgld 1997 §5 Abs3;
BauG Bgld 1997 §5;
BauRallg;
B-VG Art18 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Schlagworte
Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche
Rechte, Belichtung Belüftung BauRallg5/1/3
Besondere Rechtsgebiete
Baubewilligung BauRallg6
Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche
Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1
Baurecht Nachbar
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2012:2011060180.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
ZAAAE-85217