VwGH vom 25.05.2016, 2013/15/0174
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Beschwerde der F GesmbH in H, vertreten durch die Plan Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 4020 Linz, Kudlichstraße 41-43, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , Zlen. RV/0484- L/10, RV/0485-L/10, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren und Umsatzsteuer 2001 und 2002, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Beschwerdeführerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die einen Flughafen betreibt, erstattete am (Eingang beim Finanzamt am ) eine Selbstanzeige gemäß § 30 Abs. 2 FinStrG und führte aus, dass der Dienstgeber gemäß § 28 Abs. 3 FinStrG für Geldstrafen und Wertersätze hafte, die einem seiner Dienstnehmer auferlegt würden, wenn der Dienstnehmer das Vergehen im Rahmen seiner dienstlichen Obliegenheiten begangen habe und den Dienstgeber hieran ein Verschulden nach § 28 Abs. 4 FinStrG treffe. Letzteres liege weder in Bezug auf die Beschwerdeführerin als Dienstgeberin noch in Bezug auf eines ihrer Organe vor, weshalb die Anzeige als Vorsichtsmaßnahme zu verstehen sei. Sodann gab sie bekannt, dass aufgrund einer internen Erhebung festgestellt worden sei, dass ihre Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung teilweise nicht verbucht worden seien und auch die Belege sowie die entsprechenden Geldbeträge nicht auffindbar seien. Sie habe einen Wirtschaftsprüfer beauftragt, diese Vorgänge zu untersuchen, wobei sich folgender Sachverhalt ergeben habe:
2 Am Flughafen X bestehe die Möglichkeit, an Kassaautomaten und an zwei Infoschaltern Parktickets in bar bzw. mit Kredit- oder Bankomatkarte zu bezahlen. Am Ende eines Tages werde ein Tagesbericht aus dem EDV-System erstellt und die gesamte Tageslosung samt Tagesbericht werde am folgenden Werktag von der für die Hauptkassa verantwortlichen Mitarbeiterin, Brigitte G, an den Infoschaltern abgeholt. Anhand der Tagesberichte habe sie die Umsätze bis Oktober 2008 in einem händisch geführten Kassabuch erfasst. Das Kassabuch sei seit November 2008 elektronisch geführt worden. Brigitte G habe aber weiterhin die Belegsortierung, Belegnummerierung und Belegablage besorgt.
3 Brigitte G sei seit Mai 1996 für die Führung der Hauptkassa und die damit verbundenen Tätigkeiten verantwortlich gewesen. Es habe sich nunmehr herausgestellt, dass sie an einzelnen Tagen die gesamte Tageslosung samt Tagesbericht unberechtigterweise entnommen habe. Sie habe abgeholte Tageslosungen nicht im Kassabuch erfasst und Tagesberichte nicht an die Buchhaltung weitergeleitet. Ein teilweises Geständnis liege vor. Hinsichtlich der weiteren fehlenden Tageslosungen werde an einer Aufklärung gearbeitet. Nach derzeitigen Erhebungen fehlten im Zeitraum Mai 2002 bis Oktober 2009 die Tageslosungen von durchschnittlich ein bis drei Tagen pro Monat. Der Schaden der Beschwerdeführerin belaufe sich nach vorläufigen Berechnungen auf rund 580.000;-- EUR
Für die vor Mai 2002 liegenden Zeiträume seien die genauen Daten - mangels Datensicherungen - nicht mehr rekonstruierbar.
4 Da Brigitte G die Belege und Tagesberichte der betroffenen Zeiträume nicht an die Buchhaltung weitergeleitet habe, sei die auf die Parkgebühren entfallende Umsatzsteuer (20%) weder erklärt noch abgeführt worden. Für das Jahr 2000 lägen keine Belege mehr vor. Für das Jahr 2001 und für einen Teil des Jahres 2002 lägen die Belege nur in Papierform vor. Es sei daher für diese Periode eine exakte Ermittlung der fehlenden Parkeinnahmen nicht möglich. Für diese Zeiträume werde daher der Durchschnittswert der ab Mai 2002 erhobenen Beträge angesetzt. Die fehlenden Parkumsätze der Jahre 2001 bis 2009 beliefen sich vorläufig auf insgesamt 580.648,92 EUR; die darauf entfallende Umsatzsteuer auf insgesamt 121.960,70 EUR.
5 Die Beschwerdeführerin zahlte den für die Jahre 2001 bis 2009 ermittelten Umsatzsteuerbetrag von 121.960,70 EUR am Tag der Selbstanzeige auf ihr Abgabenkonto ein. Sie vertrat jedoch die Auffassung, dass im Streitfall nicht die siebenjährige Verjährungsfrist für hinterzogene Abgaben, sondern die fünfjährige Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 erster Satz BAO zum Tragen komme, weil keine Abgabenhinterziehung iSd § 33 Abs. 1 FinStrG vorliege. Die von der Selbstanzeige erfassten Personen hätten keinen wie immer gearteten Vorsatz gehabt, eine Abgabenverkürzung zu bewirken. Auch eine fahrlässige Abgabenverkürzung liege nicht vor, weil die von der Selbstanzeige erfassten Personen kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden treffe, zumal entsprechende interne Kontrollen und Funktionstrennungen vorhanden gewesen seien.
6 Aufgrund der Selbstanzeige und einer Ergänzung zur Selbstanzeige, mit der dem Finanzamt die endgültigen geringfügig geänderten Schadensbeträge für die Jahre 2001 bis 2009 mitgeteilt wurden, verfügte das Finanzamt u.a. die Wiederaufnahme der Umsatzsteuerverfahren 2001 und 2002 und erließ für die angeführten Jahre entsprechende Umsatzsteuerbescheide.
7 In der gegen die Wiederaufnahme- und Umsatzsteuerbescheide 2001 und 2002 gerichteten Berufung brachte die Beschwerdeführerin u.a. vor, dass die siebenjährige Verjährungsfrist nur herangezogen werden dürfe, wenn eine Abgabenhinterziehung iSd § 33 FinStrG vorliege. Bei einer Person, die unberechtigterweise Geld entnehme, liege regelmäßig ein Bereicherungsvorsatz iSd allgemeinen Strafrechtes im Hinblick auf die Vermehrung des eigenen Vermögens vor. Dass eine Dienstnehmerin im Zeitpunkt der unrechtmäßigen Entnahme zugleich auch an die Verwirklichung einer Abgabenhinterziehung denke und damit mit einem auf die Abgabenverkürzung gerichteten Vorsatz handle, sei nicht nachvollziehbar. Aus der unrichtigen Führung des Kassabuches an sich könne keine bedingt vorsätzliche Handlungsweise iSd § 33 FinStrG abgeleitet werden. Da keine vorsätzliche Abgabenhinterziehung vorliege, seien die Abgaben betreffend 2001 und 2002 verjährt. Zum Nachweis dafür, dass Brigitte G keinen Vorsatz zur Hinterziehung von Abgaben gehabt habe, wurde deren Einvernahme als Zeugin beantragt.
8 Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung - nach der Einvernahme von Brigitte G als Zeugin und Durchführung einer von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Berufungsverhandlung - keine Folge. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, für eine Hinterziehung komme nicht nur der unmittelbare Täter (Abgabepflichtiger, Abfuhrpflichtiger oder Beauftragter in Betracht) in Betracht, sondern auch ein Beitrags- oder Bestimmungstäter (§ 11 FinStrG). Dazu gehörten auch nicht abgabepflichtige Personen. Bestimmungstäter sei jeder, der einen Anstoß zur Tat gebe, auch wenn dadurch ein vorsatzlos Handelnder zum Täter werde. Schließe man sich der Rechtsansicht der herrschenden Meinung an, wonach der Ausführungstäter keinen Vorsatz aufweisen müsse, so liege entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, nach der es im Streitfall gar keinen Täter gebe, sehr wohl ein Täter vor, "nämlich (Brigitte G) als Bestimmungstäter, die den Ausführungstäter zur objektiven Pflichtverletzung verleitet hat".
9 Für die belangte Behörde sei nicht glaubwürdig, dass Brigitte G zumindest in den Jahren ab 2001 nicht dauerhaft die Tatsache vor Augen gehabt habe, dass fehlende Einnahmen zu fehlenden Umsätzen des Unternehmens und zu einer Verkürzung der Umsatzsteuer führten. Klare Vorstellungen über die Einnahmen des Betriebes und die Konsequenzen aus fehlenden Einnahmen müssten sich schon aus den ständigen Kontakten zwischen Brigitte G und der Leiterin der Buchhaltungsabteilung ergeben haben, der sie direkt unterstanden sei. Wer in der täglichen Arbeit in derart engem Kontakt stehe, kommuniziere zwangsläufig alle Facetten der Arbeitswelt und damit nicht nur die positiven (wie den Verlauf der Umsätze), sondern auch die negativen (wie die Auswirkung fehlender Umsätze). Seien Brigitte G aber die Abläufe (bis zur Umsatzverkürzung) ständig präsent gewesen und habe sie durch ihre Ausbildung und Tätigkeit den Zusammenhang zwischen Erlösen und Umsatzsteuer erst einmal verinnerlicht, so lasse sich auch eine Wegnahme von betrieblichen Geldern nur in der Form denken, dass Brigitte G die Umsatzsteuerhinterziehungen in Kauf genommen und diese damit letztlich auch gewollt habe. Die Behauptung, Brigitte G habe bei ihren Entnahmen nicht an die Umsatzsteuer denken müssen, sei ebenso unglaubwürdig, wie die Vorstellung, ein Dieb denke beim Diebstahl nur an seine Vermögenszueignung und nicht an die Vermögensentwendung beim Bestohlenen. In Kauf nehme er die Vermögensentwendung ebenso, wie Brigitte G die Nichtabfuhr der Umsatzsteuer in Kauf genommen habe.
10 Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Verjährungsfrist beträgt bei bestimmten Abgaben (zu denen auch die Umsatzsteuer zu zählen ist) nach § 207 Abs. 2 BAO (in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung des StReformG 2005, BGBl. I Nr. 57/2004) fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist sieben Jahre.
13 Der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinstrG macht sich schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt.
14 Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde nachzuweisen. Dabei ist vor allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer (objektiven) Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststeht (vgl. z.B. , VwSlg 7895/F, mwN).
15 Gemäß § 8 Abs. 1 FinStrG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.
16 Nach § 11 FinStrG begeht nicht nur der unmittelbare Täter das Finanzvergehen, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, es auszuführen, oder der sonst zu seiner Ausführung beiträgt.
17 Strittig ist, ob der Beschwerdeführerin in Bezug auf die streitgegenständlichen Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung die Hinterziehung von Abgaben zum Vorwurf gemacht werden kann.
18 Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid vom Vorliegen einer Abgabenhinterziehung aus, und begründete dies im Wesentlichen damit, dass für eine Hinterziehung nicht nur der unmittelbare Täter (Abgabepflichtiger, Abfuhrpflichtiger oder Beauftragter) in Betracht komme, sondern auch ein Beitrags- oder Bestimmungstäter (§ 11 FinStrG). Bestimmungstäter sei jeder, der einen Anstoß zur Tat gebe, auch wenn dadurch ein vorsatzlos Handelnder zum Täter werde. Da der Ausführungstäter keinen Vorsatz aufweisen müsse, liege entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, nach der es im Streitfall gar keinen Täter gebe, sehr wohl ein Täter vor, "nämlich (Brigitte G) als Bestimmungstäter, die den Ausführungstäter zur objektiven Pflichtverletzung verleitet hat".
19 Bestimmungstäter ist, wer vorsätzlich einen anderen zur Ausführung einer strafbaren Handlung veranlasst, den Tatentschluss im anderen weckt. Eine Bestimmung kann im Besonderen durch Bitten, Befehlen, Anheimstellen, Raten, Überreden, Auffordern, Bedrängen, Loben, Versprechen, Bedrohen, Täuschen etc. erfolgen (vgl. Winkler in Tannert/Kotschnigg , Finanzstrafgesetz § 11 Rz 45 ff; ebenso Reger/Nordmayer/Hacker/Kuroki , FinStrG, Band 14 , § 11 Rz 9, sowie Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3, Rz 277 f; jeweils mit weiteren Nachweisen).
20 Brigitte G hat in den Jahren 2001 bis 2009 Gelder der Beschwerdeführerin entwendet und wurde dafür - laut einem in den Verwaltungsakten einliegenden Strafurteil - des Deliktes der Veruntreuung nach § 133 StGB schuldig erkannt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die für die steuerlichen Belange der Beschwerdeführerin zuständigen Organe Kenntnis von der Veruntreuung bzw. von der Manipulation der Aufzeichnungen durch Brigitte G hatten, liegen nicht vor. Feststellungen dahingehend, dass sich die Beschwerdeführerin bei der Beaufsichtigung von Brigitte G einer auffallenden Sorglosigkeit schuldig gemacht habe und sich solcherart mit einer von ihr für möglich gehaltenen Manipulation der Aufzeichnungen, die ihren Abgabenerklärungen zugrunde liegen, abgefunden habe, traf die belangte Behörde ebenfalls nicht. Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid vielmehr davon aus, Brigitte G habe die für die steuerlichen Belange der Beschwerdeführerin zuständigen Organe (unmittelbare Täter) dazu "verleitet", ihre abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten zu verletzen, und nimmt auf Basis dieser Sachverhaltsfeststellung eine Abgabenhinterziehung an. Mit welchen (Bestimmungs )Handlungen Brigitte G bei der Beschwerdeführerin einen Tatentschluss geweckt haben soll, legt der angefochtene Bescheid indessen nicht dar. Wenn die belangte Behörde auf der Basis ihrer Sachverhaltsfeststellungen angenommen hat, Brigitte G habe "einen anderen dazu bestimmt", eine Abgabenhinterziehung auszuführen, hat sie damit die Rechtslage verkannt.
21 Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
22 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
23 Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am