VwGH vom 21.09.2016, 2013/13/0096
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wimberger, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 1/23 in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/2308-W/11, betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2008 (mitbeteiligte Partei: W AG in W, vertreten durch die KPMG Alpen-Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1090 Wien, Porzellangasse 51), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Partei, ein Börseunternehmen, schloss im Jahr 1999 mit einer deutschen (Börse )Gesellschaft einen Geschäftsbesorgungsvertrag über den Betrieb des elektronischen Handelssystems Xetra (Exchange Electronic Trading) für die mitbeteiligte Partei ab.
2 Im Jahr 2001 erteilte das Finanzamt der mitbeteiligten Partei die Auskunft, es teile deren Rechtsauffassung, wonach die Leistungen der deutschen Gesellschaft, für die ein Entgelt per Wertpapiertrade zu entrichten sei, unter die Befreiungsbestimmung des § 6 Abs. 1 Z 8 lit. f UStG 1994 subsumierbar seien.
3 Im Jahr 2007 widerrief das Finanzamt diese Auskunft. Es vertrat nun den Standpunkt, bei den Leistungen der deutschen Gesellschaft handle es sich um "keine Umsätze im Geschäft mit Wertpapieren", sondern um Dienstleistungen an die mitbeteiligte Partei, für die der Vorsteuerabzug allerdings nach § 12 Abs. 3 UStG 1994 ausgeschlossen sei. Die über ein elektronisches Handelssystem bewirkten Börsengeschäfte der mitbeteiligten Partei stellten nämlich Umsätze im Geschäft mit Wertpapieren dar, die gemäß § 6 Abs. 1 Z 8 lit. f UStG 1994 befreit seien. Da die sich aus dem mit den einzelnen Börsemitgliedern abgeschlossenen Xetra-Software-Nutzungs- und Anschlussvertrag ergebenden Leistungen der mitbeteiligten Partei (Überlassung der Software und des Handbuches für die Dauer der Börsenmitgliedschaft) die Bewirkung steuerfreier Börsengeschäfte erst ermöglichten, könnten diese Leistungen als unselbständige Nebenleistungen angesehen werden, die umsatzsteuerlich das Schicksal der steuerfreien Hauptleistung teilten und daher ebenfalls befreit seien. "Ausgenommen" von der Steuerbefreiung sei jedoch "die allgemeine, transaktionsbzw. systemunabhängige Zurverfügungstellung finanzwirtschaftlicher Informationen (=Datenverkäufe) an Mitglieder oder an Dritte".
4 Im Anschluss an eine Außenprüfung verpflichtete das Finanzamt die mitbeteiligte Partei (als inländischer Leistungsempfänger im Sinne des Übergangs der Steuerschuld nach § 19 Abs. 1 zweiter Satz UStG 1994) im Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2008 zur Entrichtung von Umsatzsteuer für die Leistungen der deutschen Gesellschaft aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag. Zur Begründung wurde auf die Niederschrift über die Schlussbesprechung der Außenprüfung verwiesen. Darin hieß es in Abweichung vom Wortlaut des Schreibens über den Widerruf der im Jahr 2001 erteilten Auskunft, in diesem Schreiben sei "festgehalten" worden, "dass die gegenständlichen Leistungen, bei denen es sich im wesentlichen um Datenverarbeitungs- bzw. EDV-Leistungen, sowie eine Duldungsleistung (Überlassung der erforderlichen Software und Duldung des Handelssystems) handelt, unter die Bestimmungen des § 3a Abs. 10 Z 5 und 6 UStG 1994 zu subsumieren seien".
5 In ihrer Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid stellte die mitbeteiligte Partei u.a. die Aufteilung der Funktionen zwischen ihr und der deutschen Gesellschaft dar. Die Zulassung von Börsemitgliedern und Marktteilnehmern sowie Wertpapieren zum Handel sowie die Festlegung und Überwachung der Handelsregeln obliege der mitbeteiligten Partei. Die deutsche Gesellschaft (deren Xetra-System) übernehme die Festlegung von Preisen, die Bekanntgabe der Preise sowie die Entgegennahme und das "Matchen" von Aufträgen. Die Auflösung von Aufträgen "im Fall von Auffälligkeiten" erfolge durch die mitbeteiligte Partei. Die von der deutschen Gesellschaft erbrachte Leistung sei nicht nur notwendig für den steuerbefreiten Wertpapierumsatz, sondern stelle auch eine wesentliche Funktion der steuerbefreiten Dienstleistung dar, weil das System die Aufgabe habe, "wie ein Börsensensal Preise festzulegen und bekanntzugeben und Aufträge anzunehmen sowie Angebote zu matchen".
6 Die Prüferin erstattete eine Stellungnahme zur Berufung, der die mitbeteiligte Partei in einer Replik entgegentrat. Darin legte sie unter Berufung auf Kalss/Puck in Aicher/Kalss/Oppitz, Grundfragen des neuen Börserechts, 1998, 330, 335, 340-342, u.a. dar, das elektronische Handelssystem sorge "für einen direkten, automatisierten und verbindlichen Vertragsabschluss, welcher die rechtliche und finanzielle Lage zwischen den Parteien ändert". Der Betreiber des Systems nehme die Stellung eines Börsensensals ein.
7 Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge. Sie pflichtete der Rechtsansicht der mitbeteiligten Partei bei und verwies dazu auf die SDC , C-2/95, EU:C:1997:278, und vom , CSC Financial Services , C-235/00, EU:C:2001:696.
8 Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Finanzamtes, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Partei erwogen hat:
9 Gemäß § 6 Abs. 1 Z 8 lit. f UStG 1994 sind "die Umsätze im Geschäft mit Wertpapieren und die Vermittlung dieser Umsätze, ausgenommen die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren," steuerfrei. Die Bestimmung entsprach Art. 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie, 77/388/EWG, und entspricht nunmehr Art. 135 Abs. 1 Buchstabe f der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, 2006/112/EG. Sie ist im Sinne der Rechtsprechung des EuGH auszulegen (vgl. schon das Erkenntnis vom , 2007/15/0099, VwSlg 8436/F). Umsätze im Geschäft mit Wertpapieren sind nach der Rechtsprechung des EuGH solche, die geeignet sind, Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf Wertpapiere zu begründen, zu ändern oder zum Erlöschen zu bringen (vgl. das schon erwähnte Urteil vom , Rn. 33).
10 Das von der deutschen Gesellschaft für die mitbeteiligte Partei betriebene Handelssystem, das den Handelsteilnehmern den standortunabhängigen Zugang zur Börse ermöglicht, dient nicht nur der "technischen Ausführung" von Kundenaufträgen. In ihm kommen, wie schon im Erkenntnis vom , 2013/17/0485-0489, dargelegt, vielmehr Kaufverträge über Wertpapiere zustande. "Im Xetra-Handelssystem" findet ein Handel mit Wertpapieren statt (vgl. dazu näher auch Kalss/Puck , a.a.O.). Dementsprechend heißt es auch in § 1 des Vertrages zwischen der mitbeteiligten Partei und der deutschen Gesellschaft, deren elektronisches Handelssystem ermögliche den zum Handel an der Börse berechtigten Marktteilnehmern die Eingabe von Kauf- und Verkaufsaufträgen, führe diese automatisch zu "Geschäftsabschlüssen" zusammen und stelle "die getätigten Geschäfte für die Bearbeitung den jeweiligen Systemen der Börsengeschäftsabwicklung bereit". Dass die Abwicklung selbst nicht mehr im Handelssystem der deutschen Gesellschaft erfolgt, lässt entgegen der in der Beschwerde an einer Stelle vertretenen Auffassung nicht den Schluss zu, dass die Geschäfte im System noch gar nicht zustande kämen.
11 Das System sorgt damit, wie von der mitbeteiligten Partei vorgebracht, für Vertragsabschlüsse, die die rechtliche und finanzielle Lage zwischen den Parteien ändern und im Sinne der Rechtsprechung des EuGH Umsätze sind, die sich auf Wertpapiere beziehen (vgl. dazu die zitierten Rn. 73, und vom , Rn. 16 ff). Ausgelagerte Leistungen dieser Art fallen unter die Befreiung, wenn sie "einen eigenständigen Charakter haben und für die von der Steuer befreiten Umsätze spezifisch und wesentlich sind" (vgl. grundlegend das Rn. 75). Dass dies bei der Vermittlung von Umsätzen im Geschäft mit Wertpapieren auf das Zusammenführen von Aufträgen mit der Wirkung des Zustandekommens von Vertragsabschlüssen zutrifft, scheint nicht zweifelhaft.
12 Wenn das Finanzamt dem in der Beschwerde entgegenhält, "diese Aktivitäten" und auch die Preisbildung im System erfolgten "ohne weiteres menschliches Zutun vollkommen automatisiert", so ist daran zu erinnern, dass die verfahrensgegenständlichen Leistungen in der Entwicklung und dem Betrieb eines Systems liegen, das dazu in der Lage ist, und sich auch die zuletzt zitierte Stelle im auf "die von einem Rechenzentrum bewirkten Umsätze" bezog (vgl. dazu auch Rn. 37 des Urteils: "Die konkrete Art, in der die Leistung erbracht wird, ob im Wege der elektronischen Datenverarbeitung, automatisch oder manuell, ist für die Anwendung der Steuerbefreiung ohne Bedeutung"). Dass es sich, wie das Finanzamt auch meint, um Aktivitäten handle, die "typisch" für die Verarbeitung von Daten "jedweder Art" seien, ist angesichts der hochspezifischen Funktionen des Systems nicht nachvollziehbar.
13 Die Beschwerde macht weiters geltend, das System werde den Börsemitgliedern nicht von der deutschen Gesellschaft, sondern von der mitbeteiligten Partei zur Verfügung gestellt und in diesem Sinn von letzterer "betrieben". Gegenüber den Marktteilnehmern trete "die Mitbeteiligte als Betreiberin des Handelssystems auf".
14 Inwieweit dies zutrifft, kann auf sich beruhen, weil der Einwand aus rechtlichen Gründen verfehlt ist. Tritt die mitbeteiligte Partei, wovon auch das Finanzamt ausgeht, gegenüber den Marktteilnehmern als Vermittlerin von Umsätzen im Geschäft mit Wertpapieren auf und bedient sie sich dazu der Leistungen der deutschen Gesellschaft, ohne dass diese den Marktteilnehmern gegenüber in Erscheinung tritt, so steht dies der Subsumtion der Leistungen der deutschen Gesellschaft unter die Befreiungsbestimmung nicht entgegen (vgl. auch dazu schon das Rn. 59; zum Untervermittler mit Hinweis auf weitere Judikatur des EuGH das schon zitierte Erkenntnis VwSlg 8436/F).
15 Nicht zielführend ist auch das Argument, die mitbeteiligte Partei und nicht die deutsche Gesellschaft bestimme die Handelsregeln, nach denen das System zu funktionieren habe. Würden diese Handelsregeln von Dritten festgelegt, so würde dies an der Stellung der mitbeteiligten Partei als Vermittlerin nichts ändern, weshalb es auch an der Stellung der deutschen Gesellschaft als Untervermittlerin nichts ändert, wenn es die mitbeteiligte Partei ist, die sie erlässt (vgl. in diesem Zusammenhang und zur Ausübung von Kontrollfunktionen auch Rn. 37 des in der Beschwerde erwähnten, Umsätze im Überweisungsverkehr betreffenden Urteils des BFH vom , V R 32/06).
16 Ist davon auszugehen, dass das Herbeiführen von Geschäftsabschlüssen im Wertpapierhandel durch das in Rede stehende Handelssystem im Sinne der Rechtsprechung des EuGH ein eigenständiges Ganzes ist, das die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer Vermittlung solcher Geschäfte erfüllt und nicht nur als technische und elektronische Unterstützung einer solchen Vermittlung zu werten ist, so steht die Vielzahl von Regelungen technischer Leistungskomponenten im verfahrensgegenständlichen Geschäftsbesorgungsvertrag der Befreiung nach § 6 Abs. 1 Z 8 lit. f UStG 1994 nicht entgegen. Auch die Zurverfügungstellung spezieller Software für die der mitbeteiligten Partei vorbehaltene Marktsteuerung und Handelsüberwachung ist in diesem Zusammenhang, weil auf das automatisierte Handelssystem bezogen und mit ihm verbunden, als bloße Nebenleistung zu werten.
17 Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
19 Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am