VwGH vom 17.04.2008, 2006/15/0077
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Büsser, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Innsbruck in 6020 Innsbruck, Innrain 32, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom , GZ. RV/0289-I/05, betreffend u.a. die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 1995 und 1996 sowie Einkommensteuer 1995 und 1996 (mitbeteiligte Partei: H in I, vertreten durch die Wirtschaftstreuhand Tirol, Wirtschaftsprüfungs GmbH in 6020 Innsbruck, Rennweg 18), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte wurde mit Bescheid vom zur Einkommensteuer 1995 und mit Bescheid vom zur Einkommensteuer 1996 veranlagt.
Am erging an den Mitbeteiligten ein Vorhalt des Finanzamtes Innsbruck "als Finanzstrafbehörde I. Instanz" zur "Prüfung von Verdachtsgründen gemäß § 82 Abs. 1 Finanzstrafgesetz; Verdacht des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG".
Dieser lautet auszugsweise:
"1. Einkünfte aus Beratertätigkeit für die Firma (X) ... in den Kalenderjahren 1995 bis 1997 ...
Beim Finanzamt Innsbruck als zuständiger Finanzstrafbehörde I. Instanz besteht der begründete Verdacht, dass Sie zumindest in den Kalenderjahren 1995 - 1997 für Dienstleistungen der Firma (X) in Verbindung mit dem liechtensteinischen Sitzunternehmen (Y) Geldbeträge in Höhe von zumindest ATS 909.681,50 erhalten haben.
...
Gegenüber dem Finanzamt Innsbruck haben Sie für die Kalenderjahre 1994 - 1997 neben Ihren nichtselbständigen Einkünften aus dem Bundesdienst keine weiteren Einkünfte erklärt.
Entsprechende Quittungsbelege, Bankbelege (-konten) sind vorzulegen. Weiters sind alle in diesem Zusammenhang von Ihnen abgeschlossenen schriftlichen Vereinbarungen, Vertragswerke und von Ihnen erstellte Aufzeichnungen beizubringen.
Sie werden zudem aufgefordert, alle weiteren in den Kalenderjahren 1994 - 2003 bezogenen Einnahmen aus Beratungs- und sonstigen Dienstleistungen von der (X) und von allen anderen Dritten geleisteten Zahlungen im Rahmen von Jahresaufstellungen offen zu legen.
...
2. Mieteinkünfte aus der Vermietung der Zollwohnung
...
Seit haben Sie das angeführte Objekt von der Republik Österreich gemietet. Auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse des Finanzamtes Innsbruck besteht der begründete
Verdacht, dass sie aus der Weitervermietung ... Einkünfte bezogen
haben.
Sie werden ersucht, diese Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung für die Kalenderjahre 1994 bis 2003 offen zu legen und anhand entsprechender Belege und Aufzeichnungen zu belegen:
..."
Mit Bescheiden vom wurden die Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer 1995 und 1996 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wiederaufgenommen und neue Einkommensteuerbescheide für die Jahr 1995 und 1996 sowie ein erstmaliger Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1997 erlassen. Darin kamen erstmals im Schreiben vom angesprochene bisher nicht erklärte Einkünfte des Mitbeteiligten zum Ansatz. Die eingehende Bescheidbegründung enthielt u.a. auch den Hinweis, dass vom Vorliegen einer vorsätzlichen Abgabenhinterziehung im Sinne des § 33 FinStrG auszugehen sei.
In seiner sowohl gegen die Wiederaufnahme der Verfahren als auch gegen die neuen Sachbescheide gerichteten Berufung wendete der Mitbeteiligte ein, dass die am ausgefertigten Bescheide am gemäß § 17 Abs. 1 ZustellG hinterlegt worden seien. Der Mitbeteiligte habe die Bescheide erst nach seiner Rückkehr von dem am angetretenen Weihnachtsurlaub am behoben. Da gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG Sendungen mit dem Tag der Rückkehr an die Abgabestelle als zugestellt gelten würden und seit neue Verjährungsbestimmungen im Bereich der Bundesabgabenordnung in Kraft getreten seien, stünde die 2005 eingetretene Verjährung der Festsetzung der gegenständlichen Abgaben entgegen.
Die Mitteilung der Finanzstrafbehörde erster Instanz vom , wonach sie Verdachtsgründe gemäß § 82 Abs. 1 FinStrG prüfe, stelle keine nach außen erkennbare und damit verjährungshemmende Außenhandlung dar, weil der vom Finanzamt Innsbruck als Finanzstrafbehörde I. Instanz ausgestellte Vorhalt nicht von der sachlich zuständigen Abgabenbehörde stamme.
Die belangte Behörde schloss sich dieser Argumentation des Mitbeteiligten an und gab der Berufung mit der Begründung Folge, dass das Finanzamt Innsbruck mit dem am zugestellten Schreiben vom ausschließlich in seiner funktionellen Zuständigkeit als Finanzstrafbehörde erster Instanz in Erscheinung getreten sei. Dies ginge sowohl aus dem Kopf des Vorhaltes als auch aus der Bezugnahme auf Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes mit aller Deutlichkeit hervor. Solcherart liege keine Unterbrechungshandlung im Sinne des § 209 Abs. 1 BAO vor. Der gegenteiligen Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom , 98/15/0081, könne sich die belangte Behörde nicht anschließen. Zudem sei das besagte Schreiben auch seinem Inhalt nach nicht auf eine Geltendmachung des Abgabenanspruches, sondern auf die Ermittlung des für die Erledigung der Strafsache maßgeblichen Sachverhaltes gerichtet.
Da bis Ende 2004 nach "altem Recht" eine Verjährung noch nicht eingetreten sei, wären die Abgabenansprüche betreffend Einkommensteuer 1995 und 1996 nach dem "Übergangsrecht (§ 323 Abs. 18 dritter Satz BAO)" nur dann als noch nicht verjährt anzusehen, wenn im Jahr 2004 eine Amtshandlung im Sinne des § 209 Abs. 1 BAO alter Fassung gesetzt worden wäre, was nach den vorstehenden Ausführungen aber nicht der Fall gewesen sei. Der Berufung betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer 1995 und 1996 sei daher stattzugeben und die genannten Bescheide aufzuheben.
Dagegen wendet sich die vom Finanzamt gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde, während der das Jahr 1997 betreffende Abspruch nach den gesamten Beschwerdeausführungen nicht beschwerdegegenständlich ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 209 Abs. 1 BAO idF vor BGBl. I Nr. 57/2004 wurde die Verjährung durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77 BAO) von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, begann die Verjährungsfrist neu zu laufen.
Gemäß § 207 Abs. 2 BAO idF vor BGBl. I Nr. 57/2004 betrug die Verjährungsfrist bei hinterzogenen Abgaben zehn Jahre.
Mit dem Steuerreformgesetz 2005, BGBl. I Nr. 57/2004, wurde § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO wie folgt neu gefasst:
"Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist sieben Jahre."
Gemäß § 323 Abs. 16 BAO ist die neue Fassung des § 207 Abs. 2 BAO mit in Kraft getreten.
Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2004, BGBl. I Nr. 180/2004, wurde der Abs. 18 des § 323 BAO geschaffen, welcher im dritten Satz normiert:
"§ 209 Abs. 1 zweiter Satz in der Fassung BGBl. I Nr. 180/2004 gilt sinngemäß für im Jahr 2004 unternommene Amtshandlungen im Sinn des § 209 Abs. 1 in der Fassung vor BGBl. I Nr. 57/2004."
Der angesprochene § 209 Abs. 1 zweiter Satz BAO idF BGBl. I Nr. 180/2004 lautet:
"Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist."
Da die wiederaufzunehmenden Einkommensteuerbescheide in den Jahren 1996 (für das Jahr 1995) und 1997 (für das Jahr 1996) ergangen waren, war nach alter Rechtslage im Jahr 2004 die zehnjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen.
Im Beschwerdefall ist daher entscheidend, ob der im Jahr 2004 ergangene Vorhalt des Finanzamtes Innsbruck "als Finanzstrafbehörde erster Instanz" als Amtshandlung im Sinne des § 209 Abs. 1 BAO idF vor BGBl. I Nr. 57/2004 mit der Folge anzusehen ist, dass sich die Verjährungsfrist um ein weiteres Jahr - bis zum Ablauf des Jahres 2005 - verlängert.
Das beschwerdeführende Finanzamt bringt vor, der Vorhalt vom benenne als Ausfertigungsbehörde an erster Stelle das Finanzamt Innsbruck. In welcher Funktion (Tätigwerden als) das Finanzamt, die als solche außenwirksam gewordene Amtshandlung gesetzt habe, berühre nicht die Frage seiner Zuständigkeit zur Abgabenerhebung. Vergleichsweise könne das Finanzamt funktionell auch als Rechtsmittelbehörde erster Instanz oder als Vollstreckungsbehörde auftreten, ohne dass es deshalb seine sachliche und örtliche Zuständigkeit zur Abgabenerhebung nach § 49 BAO verliere. Der gegenständliche Vorhalt sei durch das für die Abgabenerhebung zuständige Finanzamt Innsbruck als Finanzstrafbehörde erster Instanz (innerbehördliche funktionelle Zuständigkeit) mit der Unterbezeichnung Prüfungsabteilung Strafsachen (innerbehördliche Organisationseinheit) ausgefertigt und zugestellt worden. Das Schreiben stelle damit eine Unterbrechungshandlung dar.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind nur solche Amtshandlungen geeignet, die Verjährung zu unterbrechen, die von der sachlich zuständigen Abgabenbehörde zur Geltendmachung eines bestimmten Abgabenanspruches unternommen werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 85/15/0131, vom , 85/15/0377, vom , 92/16/0198, und vom , 2002/16/0027).
Im hg. Erkenntnis vom , 98/15/0081, hat der Verwaltungsgerichtshof einen Bescheid, mit dem ein Finanzstrafverfahren eingeleitet wurde, als taugliche Unterbrechungshandlung iSd § 209 Abs. 1 BAO beurteilt, weil damit implizit auch auf die Geltendmachung der dort genannten Abgabenansprüche abgezielt worden sei. Demgegenüber vertritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Ansicht, dass Amtshandlungen des Finanzamtes als Finanzstrafbehörde nicht als Unterbrechungshandlungen in Betracht kommen könnten, denn in § 209 Abs. 1 BAO sei ausdrücklich von der "Abgabenbehörde" die Rede. Diese Sichtweise lässt allerdings außer Acht, dass das für die Erhebung der Einkommensteuer zuständige Finanzamt seine Eigenschaft als Abgabenbehörde iSd § 49 Abs. 1 BAO nicht dadurch verliert, dass es zugleich seine Zuständigkeit nach § 58 FinStrG wahrnimmt. Dass das örtlich und sachlich für die Erhebung der Einkommensteuer des Mitbeteiligten zuständige Finanzamt mit seinem Vorhalt vom auch eine Verfolgungshandlung iSd § 14 Abs. 3 FinStrG gesetzt hat, stand dessen Eignung als taugliche Unterbrechungshandlung iSd § 209 Abs. 1 BAO daher nicht entgegen.
Die belangte Behörde hat dem Vorhalt vom weiters deshalb keine Unterbrechungs-(Verlängerungs-)Wirkung beigemessen, weil er seinem Inhalt nach nicht auf die Geltendmachung des Abgabenanspruches gerichtet gewesen sei.
Eine Unterbrechungshandlung iSd § 209 Abs. 1 BAO setzt voraus, dass die Abgabenbehörde in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise etwas zur Feststellung des Steueranspruches unternimmt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 85/16/0111). An den Abgabepflichtigen gerichtete Vorhalte, Anfragen oder Aufforderungen zur Vorlage von Unterlagen unterbrechen (verlängern) die Verjährungsfrist, wobei derartige Schreiben der Abgabenbehörde nur hinsichtlich jener Abgaben Unterbrechungswirkung (nunmehr Verlängerungswirkung) zukommt, auf die das Schreiben Bezug nimmt (vgl. die bei Ritz, BAO3, § 209 Tz. 22 und 23 angeführten hg. Erkenntnisse).
Der gegenständliche Vorhalt nimmt Bezug auf die Einkommensteuer 1994 bis 2003, spricht bestimmte, bisher vom Mitbeteiligten nicht erklärte Einkünfte an und fordert den Mitbeteiligten auf, entsprechende Belege vorzulegen sowie allfällige im Zusammenhang mit der Einnahmenerzielung stehende Aufwendungen bekannt zu geben. Für den Fall, dass der Mitbeteiligte seiner Offenlegungspflicht weiterhin nicht nachkommen sollte, wird abschließend auch auf die Möglichkeit der Schätzung der Bemessungsgrundlagen gemäß § 184 BAO hingewiesen. Anders als in dem dem hg. Erkenntnis vom zu Grunde liegenden Sachverhalt, wird im Beschwerdefall somit nicht nur implizit, sondern ausdrücklich auf die Geltendmachung bestimmter Abgabenansprüche (u.a. Einkommensteuer 1995 und 1996) abgezielt. Im Beschwerdefall kann daher keine Rede davon sein, dass der gegenständliche Vorhalt lediglich der Strafverfolgung gedient habe.
Indem die belangte Behörde den an den Mitbeteiligten gerichteten Vorhalt vom nicht als fristverlängernde Amtshandlung iSd § 323 Abs. 18 dritter Satz BAO beurteilt, hat sie demnach die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am