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VwGH vom 23.08.2012, 2011/05/0196

VwGH vom 23.08.2012, 2011/05/0196

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Waldstätten, Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde der S-AG in St. Pölten, vertreten durch Onz Onz Kraemmer Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-AB-2/164-2011, betreffend Nichtigerklärung einer Baubewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Spruchpunkt II. des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft W vom war der Beschwerdeführerin auf Grund ihres Ansuchens vom die Baubewilligung für die Errichtung eines Verkaufsmarktes am Standort H.-Straße 81 auf einer als Bauland-Kerngebiet gewidmeten Grundfläche erteilt worden.

Die dagegen erhobenen Berufungen von Nachbarn wurden mit Bescheiden der belangten Behörde vom und vom als unbegründet abgewiesen. Mit Schreiben vom teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, bei der Bearbeitung der Berufungen sei festgestellt worden, dass die Bestimmungen des § 17 Abs. 4 des Niederösterreichischen Raumordnungsgesetzes 1976 (ROG) nicht beachtet worden seien. Der geplante Verkaufsmarkt solle in unmittelbarer Nähe zu einem bestehenden A. Verkaufsmarkt und einem weiteren, mit Bescheid der belangten Behörde vom rechtskräftig bewilligten A. Verkaufsmarkt errichtet werden. Die Bruttogeschoßfläche des Verkaufsmarktes der Beschwerdeführerin betrage 919,03 m2. Die Verkaufsfläche des neuen A. Verkaufsmarktes betrage 555 m2. Bei Berücksichtigung der hinzuzurechnenden Flächen (Leerguträume, Fleischverarbeitung, Kühlzellen, Anlieferung, Manipulation, Büro, Aufenthaltsräume, Sanitäranlagen etc.) sei von einer Bruttogeschoßfläche des A. Verkaufsmarktes von ca. 850 m2 auszugehen. Die Gesamtbruttogeschoßfläche der beiden im Jahr 2011 rechtskräftig bewilligten Verkaufsmärkte betrage daher mindestens

1.750 m2. Das eingereichte Projekt bilde mit den bereits bestehenden Handelsbetrieben eine funktionelle Einheit und hätte daher nach § 17 Abs. 4 ROG nicht bewilligt werden dürfen. Die projektierte Bruttogeschoßfläche des Verkaufsmarktes der Beschwerdeführerin könne keinesfalls innerhalb der gesetzlich festgelegten Bruttogeschoßflächenobergrenze von 1.000 m2 untergebracht werden. Da von einer funktionellen Einheit des geplanten Handelsbetriebes und der bereits bestehenden bzw. bewilligten A. Verkaufsmärkte auszugehen sei, hätte die Betriebsanlage der Beschwerdeführerin daher nicht baubehördlich bewilligt werden dürfen. Der Bescheid der belangten Behörde vom sei der Bezirkshauptmannschaft W als Baubehörde erster Instanz am zugestellt worden. Ab diesem Zeitpunkt habe daher hinsichtlich des neuen A. Verkaufsmarktes nicht mehr von einem projektierten Markt gesprochen werden können, der bei der Bruttogeschoßflächenberechnung nicht zu berücksichtigen sei. Trotzdem sei mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft W vom der gegenständliche Verkaufsmarkt der Beschwerdeführerin bewilligt worden. Es sei beabsichtigt, den Baubewilligungsbescheid für nichtig zu erklären.

Mit Schreiben vom , in dem sie auch auf eine (nicht im Akt befindliche) Eingabe vom verwies, legte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen dar, dass im umgebenden Bereich des Baugrundstückes die Gebäude weder ausschließlich noch dominierend von Handelseinrichtungen genützt würden. Diesbezüglich werde auch eine gutachtliche Stellungnahme von Dr. P. (Raumplanung, Raumordnung und Landschaftsplanung ZT GmbH) vorgelegt. Der umgebende Bereich umfasse nicht nur die unmittelbar angrenzenden Grundstücke. Entsprechend § 54 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) sei von einem Umkreis von 100 m auszugehen. Dr. P. habe auch die Bebauungsstruktur untersucht. Dies zeige, dass auch dann, wenn man den umgebenden Bereich denkbar eng verstehe, keinesfalls von einem Dominieren von Handelseinrichtungen gesprochen werden könne. Die Beschwerdeführerin habe in ihrem Schreiben vom auch auf die massiven wirtschaftlichen Nachteile hingewiesen, die ihr bei einer Nichtigerklärung drohten. Ergänzend dazu werde der Mietvertrag mit dem Eigentümer des Baugrundstückes vorgelegt. Nach diesem Vertrag habe die Beschwerdeführerin für 30 Jahre auf das Kündigungsrecht verzichtet. Der Bestandzins betrage ohne Berücksichtigung der Indexanpassung EUR 4.726,--/Monat, somit EUR 1.701.360,-- für die Mindestlaufzeit des Vertrages.

Mit Spruchpunkt I. des in Beschwerde gezogenen Bescheides wurde Spruchpunkt II. des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft W vom gemäß § 68 Abs. 4 Z. 4 AVG iVm § 23 Abs. 8 BO für nichtig erklärt. Mit Spruchpunkt II. des in Beschwerde gezogenen Bescheides wurde gemäß § 68 Abs. 2 AVG die Vorschreibung der Kosten im Spruchpunkt III. des Bescheides vom , soweit diese das Bauverfahren betroffen haben, behoben.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft W vom eingebrachten Berufungen seien mit Bescheiden der belangten Behörde vom und vom als unbegründet abgewiesen worden. Der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft W vom sei daher mit Zustellung dieser Berufungsbescheide in Rechtskraft erwachsen. Der geplante Verkaufsmarkt solle in unmittelbarer Nähe zu einem bestehenden A. Verkaufsmarkt und einem rechtskräftig bewilligten A. Verkaufsmarkt errichtet werden. Die Gesamtbruttogeschoßfläche der beiden im Jahr 2011 rechtskräftig bewilligten Verkaufsmärkte betrage mindestens 1.750 m2. Die Verkaufsflächen seien bereits durch die bestehende funktionelle Einheit weitgehend ausgeschöpft. Die projektierte Bruttogeschoßfläche des Verkaufsmarktes der Beschwerdeführerin könne keinesfalls innerhalb der gesetzlich festgelegten Begrenzung von 1.000 m2 untergebracht werden. Da von einer funktionellen Einheit des geplanten Handelsbetriebes und der bereits bestehenden bzw. bewilligten A. Verkaufsmärkte auszugehen sei, hätte die Betriebsanlage der Beschwerdeführerin auf Grund des § 17 Abs. 4 ROG nicht baubehördlich bewilligt werden dürfen. Der Bescheid der belangten Behörde vom sei der Bezirkshauptmannschaft W als Baubehörde erster Instanz am zugestellt worden. Ab diesem Zeitpunkt habe daher hinsichtlich des neuen A. Marktes nicht mehr von einem projektierten Markt gesprochen werden können, der bei der Bruttogeschoßflächenberechnung nicht zu berücksichtigen sei. Dennoch sei mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft W vom der gegenständliche Verkaufsmarkt der Beschwerdeführerin bewilligt worden. Dies sei entgegen § 17 Abs. 4 ROG erfolgt, weshalb die Baubewilligung an einem gemäß § 23 Abs. 8 BO mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leide. Zu der von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Festlegung eines Umkreises von 200 m als maßgeblichen Umgebungsbereich, sodass dann auch Wohnhäuser und Dienstleistungsbetriebe sowie Gastronomiebetriebe in diesem vorhanden wären und von keiner ausschließlichen oder dominierenden Nutzung für Handelseinrichtungen gesprochen werden könne, sei festzuhalten, dass eine Interpretation der einzelnen im § 17 Abs. 4 zweiter Satz ROG verwendeten Begriffe nur im Zusammenhang mit der Gesamtregelung, insbesondere mit dem ersten Satz dieses Absatzes, erfolgen könne. Dem Sinn dieser Regelung entsprechend sollten jene Handelsbetriebe untersucht werden, die auf Grund ihrer Nähe zueinander eine Einheit (in baulicher, organisatorischer oder funktioneller Weise) bilden könnten. Daraus ergebe sich, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff des umgebenden Bereiches nur die unmittelbare Umgebung und nicht einen Umkreis von 200 m, wie in der gutachterlichen Stellungnahme des Dr. P. angenommen, gemeint haben könne. Weiters sei auch die gesetzliche Wendung, wonach die Gebäude ausschließlich oder dominierend für Handelseinrichtungen genutzt werden, nur im Kontext mit dem ersten Satz des § 17 Abs. 4 ROG zu verstehen. Es gehe also nicht um sämtliche Gebäude im umgebenden Bereich schlechthin (eine derartige Untersuchung wäre maßgeblich im Hinblick auf die Durchmischung der vorhandenen Nutzungen für die Festlegung einer Zentrumszone im örtlichen Raumordnungsprogramm), sondern es sei auch hier die Intention des Gesetzgebers darauf gerichtet, nur jene Gebäude für diese Beurteilung als wesentlich heranzuziehen, in denen Handelseinrichtungen untergebracht seien. Der Sinn der Gesamtregelung erschließe sich letztlich auch aus dem Motivenbericht zur 17. Novelle des ROG, in dem der gesetzliche Begriff "Gebäude" so interpretiert werde, dass nur die Gebäude gemeint seien, in denen Geschäfte untergebracht seien, die ausschließlich oder dominierend der Handelsnutzung dienten und die mehrheitlich über private (eigene oder gemeinsame) Abstelleinrichtungen für die Kraftfahrzeuge der Kunden verfügten.

Im umgebenden Bereich seien daher nur der alte A. Markt (der dominierend der Handelsnutzung diene) und der neue A. Markt sowie der gegenständliche Markt der Beschwerdeführerin (beide dienten ausschließlich der Handelsnutzung) zur Beurteilung heranzuziehen. Weiters verfügten die letztgenannten Märkte ausschließlich über private, eigene Abstelleinrichtungen für die Kraftfahrzeuge. Die im umgebenden Bereich vorhandenen Wohnhäuser und Dienstleistungsbetriebe seien bei der Beurteilung nicht zu berücksichtigen. Dies ergebe sich schon allein daraus, dass § 17 Abs. 4 ROG innerhalb des geschlossenen, bebauten Ortsgebietes anzuwenden sei. Innerhalb eines solchen sei naturgemäß zwangsläufig mit dem Vorhandensein von Wohnhäusern und anderen Betriebsgebäuden zu rechnen. Wenn diese Gebäude auch zur Beurteilung, ob eine ausschließliche oder dominierende Nutzung für Handelseinrichtungen vorliege, herangezogen werden sollten, würde sich nie eine Mehrheit für die Gebäude mit Handelseinrichtungen ergeben. Der Gesetzgeber habe aber nur erreichen wollen, dass im geschlossenen, bebauten Ortsgebiet im umgebenden Bereich des Baugrundstückes Gebäude, die ausschließlich oder dominierend der Handelsnutzung dienten und die mehrheitlich über private (eigene oder gemeinsame) Abstelleinrichtungen für die Kraftfahrzeuge der Kunden verfügten, in der Summe nicht mehr als eine Bruttogeschoßfläche von 1.000 m2 erreichen dürften. Dies sei auch aus den dem Motivenbericht zur 17. Novelle des ROG angeschlossenen Skizzen zu ersehen, wo nur die Gebäude mit Handelsnutzung zur Beurteilung herangezogen würden. Im gegenständlichen Fall betrage daher die Gesamtbruttogeschoßfläche der beiden im Jahr 2011 rechtskräftig bewilligten Verkaufsmärkte mindestens 1.750 m2. Bei Anwendung der Summationsverpflichtung würden die Gesamtbruttogeschoßflächen somit über der gesetzlichen Maximalgröße von 1.000 m2 liegen. Die Baubehörde habe sich mit der Summationsverpflichtung nur unzureichend auseinandergesetzt. Im Rahmen der Bauverhandlung sei darauf verwiesen worden, dass projektierte Gebäude mit Handelsnutzung nicht zu berücksichtigen seien. Der Bescheid der belangten Behörde vom , mit dem die Berufungen gegen die Baubewilligung für den neuen A. Markt abgewiesen worden seien, sei der Bezirkshauptmannschaft W als Baubehörde erster Instanz am zugestellt worden. Ab diesem Zeitpunkt habe hinsichtlich des neuen A. Marktes daher nicht mehr von einem projektierten Markt gesprochen werden können, der bei der Bruttogeschoßflächenberechnung nicht zu berücksichtigen sei. Bei dieser Beurteilung sei die Einholung eines neuerlichen raumordnungsfachlichen Gutachtens entbehrlich, zumal sogar dem Motivenbericht zur 17. Novelle des ROG eine zeichnerische Darstellung des vom Gesetzgeber beabsichtigten Regelungsinhaltes über die funktionelle Einheit angeschlossen sei, die neben anderen genau diesen konkreten Fall wiedergäbe.

Der Bauwerber habe den Baubeginn mit mitgeteilt. Die Frist für die Nichtigerklärung gemäß § 23 Abs. 8 BO habe daher am geendet. Eine Nichtigerklärung zum jetzigen Zeitpunkt sei daher rechtzeitig.

Auch wenn der Standort sämtliche Voraussetzungen für die Ausweisung einer Zentrumszone gemäß § 14 Abs. 2 Z. 16 ROG sowie für die Festlegung des Zusatzes "Handelseinrichtungen" zu der ohnedies festgelegten Widmung Bauland-Kerngebiet erfüllte, sei bei der Beurteilung zur Zeit der Bescheiderlassung von der rechtsgültigen Widmung Bauland-Kerngebiet auszugehen. Der Gemeinderat der Marktgemeinde P. habe im gegenständlichen Bauland-Kerngebiet bisher eben keine Zentrumszone gemäß § 14 Abs. 2 Z. 16 ROG mit dem Zusatz "Handelseinrichtungen" festlegen wollen.

Durch die Nichtigerklärung des Baubewilligungsbescheides falle im Übrigen die Geschäftsgrundlage für den Mietvertrag weg. Das Bestandsobjekt könne ohne Verschulden des Bestandnehmers nicht mehr zu dem vereinbarten Gebrauch benützt werden. Diesbezüglich gebe es nach der Rechtsordnung Möglichkeiten, aus dem Vertrag auszusteigen. Der Ansicht, dass nunmehr unwiderruflich 20 Jahre Miete zu zahlen sei, könne nicht gefolgt werden. Die Schulung für bereits aufgenommen Mitarbeiter könne nicht als frustrierte Aufwendung bezeichnet werden, da ein Unternehmen mit ca. 36.000 Mitarbeitern in Österreich über genügend Standorte und andere Einsatzmöglichkeiten verfüge, um diese zu beschäftigen. Auch seien längere Anfahrtswege in die Ballungszentren Wiener Neustadt, Baden, Mödling oder Wien nicht unzumutbar. Auch bereits in Auftrag gegebene Bauleistungen könnten jederzeit storniert werden. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Beschwerdeführerin den Baubeginn zu einem Zeitpunkt gesetzt habe, in dem sie von der Einleitung des Nichtigerklärungsverfahrens bereits informiert gewesen sei (die Zustellung des Schreibens der belangten Behörde vom sei am erfolgt). Alle nach dem gesetzten wirtschaftlichen Dispositionen seien daher von der Beschwerdeführerin selbst zu verantworten. Auch hätten bei einer sorgfältigeren Prüfung, ob der Standort für die Errichtung eines Lebensmittelmarktes nach dem ROG geeignet sei, wirtschaftliche Verluste und Logistikschwierigkeiten vermieden werden können. Demgegenüber sei das öffentliche Interesse an der Einhaltung und Durchsetzung der Regelungen des ROG über die Beschränkung von Handelsbetrieben in peripheren Lagen besonders hoch und damit jedenfalls höher als die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Nachteile einzustufen. Dies umso mehr, als der Gesetzgeber auf Grund bekannt gewordener Vollzugsdefizite durch die Einführung der Vorlagepflicht derartiger Baubewilligungsbescheide an die Aufsichtsbehörden und die damit geschaffene bessere Überprüfbarkeit (einschließlich der Nichtigerklärung) das besonders hohe öffentliche Interesse an der Einhaltung genau dieser Bestimmungen zum Ausdruck gebracht habe.

Gegen diesen Bescheid (inhaltlich nur gegen Spruchpunkt I.) richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, der "umgebende Bereich" im Sinne des § 17 Abs. 4 ROG sei so wie in § 54 BO abzugrenzen, sodass die Umgebung das Baugrundstück und alle Grundstücke im Bauland, die vom Baugrundstück aus zur Gänze innerhalb einer Entfernung von 100 m lägen, umfasst seien. Innerhalb des solcherart definierten Vergleichsbereiches würden die Gebäude keineswegs ausschließlich oder dominierend für Handelseinrichtungen benützt. Zum selben Ergebnis gelange man, wenn man den "umgebenden Bereich" anhand nachvollziehbarer raumplanerischer Kriterien abgrenze, wie dies Dr. P. im von der Beschwerdeführerin vorgelegten Gutachten getan habe. Die belangte Behörde blende Gebäude, die keine Handelsnutzung aufwiesen, aus ihrer Betrachtung gänzlich aus. Derartiges sei dem Wortlaut des § 17 Abs. 4 ROG nicht zu entnehmen. Es liefe darauf hinaus, dass in der Umgebung eines Handelsbetriebes kein zweiter Handelsbetrieb entstehen dürfe. Nicht nachvollziehbar sei auch die Berufung der belangten Behörde auf die Materialien zur 17. Novelle zum ROG. Darin werde das Ziel des Gesetzgebers verdeutlicht, die Weiterentwicklung von Einkaufsstraßen udgl. zu unterstützen und die Entstehung weiterer Fachmarktzeilen an der Peripherie zu unterbinden. Auf die Frage, wie der "umgebende Bereich" abzugrenzen sei, werde mit keinem Wort eingegangen. Ein vom Gesetzgeber gemeinter Fall liege nicht vor, wenn innerörtlich zwei oder drei Supermärkte auf benachbarten Grundstücken angesiedelt würden. Die Materialien sprächen somit gegen und nicht für die Auslegung der belangten Behörde.

Der angefochtene Bescheid widerspreche im Übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Auffassung der belangten Behörde liefe darauf hinaus, dass einem Verstoß gegen eine bestimmte raumordnungsrechtliche Norm per se, also völlig unabhängig von den Auswirkungen, die er auf durch das Gesetz geschützte Interessen habe, besondere Bedeutung beigemessen werde, sodass dies gleichsam zwingend zur Nichtigerklärung der Baubewilligung führe. Eine derartige Wertung beinhalte § 23 Abs. 8 BO nicht. Im Übrigen stehe die Auslegung im Widerspruch zur Judikatur, die eine auf den konkreten Fall bezogene Interessenabwägung verlange.

Die belangte Behörde habe jegliche Ermittlungen bezüglich des Baubestandes im umgebenden Bereich des Baugrundstückes und der vorhandenen Nutzungen unterlassen. Auf den bestehenden A. Markt sei sie auch mit keinem Wort eingegangen. Es seien keine Feststellungen darüber getroffen worden, wie dieses Gebäude derzeit genutzt werde und wie es nach Inbetriebnahme des neuen A. Marktes genutzt werden solle. In dem bestehenden Objekt dominiere die Handelsnutzung nicht, und außerdem solle diese künftig offenbar aufgegeben werden. In der Begründung sei die belangte Behörde auch nicht auf konkrete Inhalte des vorgelegten Mietvertrages eingegangen, und die belangte Behörde habe auch nicht dargelegt, wie die Möglichkeit, aus dem Vertrag auszusteigen, aussehen solle. Eine Erfahrungstatsache, dass Unternehmen einer bestimmten Größe für Mitarbeiter, deren Aufgabenbereich weggefallen sei, in jedem Fall eine andere Verwendung fänden, bestehe auch nicht. Die Annahme der belangten Behörde, dass bereits in Auftrag gegebene Bauleistungen jederzeit storniert werden könnten, werde nicht näher begründet, und die belangte Behörde habe sich in keiner Form mit dem Inhalt vorliegender Verträge auseinandergesetzt. Der Baubeginn sei tatsächlich am erfolgt. Die Annahme, dass ein solcher Schritt bloß einen Vorlauf von zwei Tagen gehabt hätte, sei realitätsfremd. Tatsächlich seien die Verträge über Bauleistungen bereits vor dem vorgelegen. Es sei nicht schlüssig, allein aus dem Datum des Baubeginns abzuleiten, dass sich aus den bereits vorliegenden Werkverträgen für die Beschwerdeführerin kein wirtschaftlicher Nachteil ergebe. Die belangte Behörde sei schließlich auf die Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom nicht eingegangen.

§ 23 Abs. 1 BO lautet auszugsweise:

"§ 23

Baubewilligung

(1) Die Baubehörde hat über einen Antrag auf Baubewilligung einen schriftlichen Bescheid zu erlassen.

Eine Baubewilligung ist zu erteilen, wenn kein Widerspruch zu den in § 20 Abs. 1 Z. 1 bis 7 angeführten Bestimmungen besteht.

Bei gewerblichen Betriebsanlagen gilt § 20 Abs. 1, letzter Satz, sinngemäß. Liegt ein Widerspruch vor, ist die Baubewilligung zu versagen. ..."

§ 20 Abs. 1 BO lautet:

"§ 20

Vorprüfung

(1) Die Baubehörde hat bei Anträgen nach § 14 vorerst zu prüfen, ob dem Bauvorhaben

1. die im Flächenwidmungsplan festgelegte Widmungsart des Baugrundstücks, seine Erklärung zur Vorbehaltsfläche oder Aufschließungszone,


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2.
der Bebauungsplan,
3.
eine Bausperre,
4.
die Unzulässigkeit der Erklärung des betroffenen Grundstücks im Bauland zum Bauplatz,
5.
ein Bauverbot nach § 11 Abs. 5 dieses Gesetzes oder § 30 Abs. 6 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000,
6.
bei Hochhäusern, sofern deren Raumverträglichkeit nicht bereits im Widmungsverfahren geprüft wurde, das Unterbleiben der Raumverträglichkeitsprüfung oder deren negatives Ergebnis, oder
7.
eine Bestimmung dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, des NÖ Kleingartengesetzes, LGBl. 8210, oder einer Durchführungsverordnung zu einem dieser Gesetze
entgegensteht.
Die Baubehörde kann von der Überprüfung des Energieausweises absehen, wenn nicht im Verfahren Zweifel an der Richtigkeit des Energieausweises auftreten.
Bei gewerblichen Betriebsanlagen, die einer Genehmigung durch die Gewerbebehörde bedürfen, ist die Prüfung nach Z. 7 auf jene Bestimmungen eingeschränkt, deren Regelungsinhalt durch diese Genehmigung nicht erfasst ist."
"§ 17
Gebiete für Handelseinrichtungen

(1) In Zentrumszonen kann die Widmung Bauland-Kerngebiet mit dem Zusatz 'Handelseinrichtungen' bezeichnet werden. In dieser Widmung bestehen für die Errichtung von Handelsbetrieben keine Beschränkungen hinsichtlich der Verkaufsfläche oder Bruttogeschossfläche. Die übrigen Nutzungsmöglichkeiten gemäß § 16 Abs. 1 Z. 2 bleiben zulässig.

(2) Innerhalb des geschlossenen, bebauten Ortsgebietes - ausgenommen in der Widmung Bauland-Kerngebiet-Handelseinrichtungen - darf die Bruttogeschoßfläche von Handelsbetrieben nicht mehr als 1.000 m2 betragen.

(3) Außerhalb der in Abs. 2 bezeichneten Bereiche darf die Verkaufsfläche für zentrumsrelevante Waren 80 m2 nicht übersteigen.

(4) Bilden mehrere Handelsbetriebe eine bauliche, funktionelle oder organisatorische Einheit, darf die Summe der Bruttogeschoßflächen in den Fällen gemäß Abs. 2 nicht mehr als 1.000 m2 und die Summe der Verkaufsflächen an Standorten gemäß Abs. 3 nicht mehr als 80 m2 betragen. Eine funktionelle Einheit ist dann gegeben, wenn im umgebenden Bereich die Gebäude ausschließlich oder dominierend für Handelseinrichtungen genutzt werden und mehrheitlich über private (eigene oder gemeinsame) Abstelleinrichtungen für die Kraftfahrzeuge der Kunden verfügen."

Gemäß § 68 Abs. 4 Z. 4 AVG können Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leidet.

Bescheide, die entgegen den Bestimmungen des § 23 Abs. 1 zweiter Satz BO erlassen werden, leiden gemäß § 23 Abs. 8 BO an einem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler. Eine Aufhebung des Baubewilligungsbescheides darf bei der Bewilligung für den Neu- oder Zubau eines Gebäudes bis spätestens vier Wochen nach Baubeginn erfolgen.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwar die eingesetzten Mittel im Hinblick auf den verfolgten Zweck betrifft, nicht aber einen Vorrang der wirtschaftlichen Interessen privater vor den öffentlichen Interessen, insbesondere jenen an der Einhaltung von Raumordnungsvorschriften, begründet (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 91/06/0130, und vom , Zl. 2000/06/0098). Die Nichtigerklärung kann sich auch grundsätzlich als einziges, zum Ziel führendes Mittel zur Hintanhaltung nachteiliger Auswirkungen auf Grund von Verletzungen des Raumplanungsrechtes darstellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/06/0126). Vor diesem Hintergrund ist es der belangten Behörde nicht vorzuwerfen, wenn sie die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten wirtschaftlichen Interessen nicht als solche angesehen hat, die einer Nichtigerklärung im Wege stünden.

Es ist zwar zutreffend, dass dann, wenn mit der Bauführung noch nicht begonnen wurde, auch keine frustrierten Interessen des Bauwerbers in baurechtlicher Hinsicht anzunehmen sind (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/06/0098, und jenes vom , Zl. 2001/05/0047). Aber auch ein Baubeginn bedeutet noch nicht, dass das Schonungsprinzip eine Nichtigerklärung verböte. Das Gesetz sieht vielmehr in § 23 Abs. 8 BO selbst vor, dass bei einem Neu- oder Zubau eines Gebäudes die Nichtigerklärung bis spätestens vier Wochen nach Baubeginn erfolgen kann. Der wirtschaftliche Nachteil aus dem Baubeginn und den damit verbundenen rechtlichen Bindungen der Beschwerdeführerin steht der Nichtigerklärung daher nicht entgegen. Außerdem werden typischerweise im Hinblick auf die Baubewilligung Dispositionen getroffen, und zwar bereits vor Abschluss des Baubewilligungsverfahrens, was bedeutet, dass das Schonungsgebot auch unter Beachtung solcher typischer Dispositionen und ihrer Folgen nicht bewirken kann, dass die Nichtigerklärung unzulässig wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/06/0112).

Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, dass die belangte Behörde auf ihre Stellungnahme vom nicht eingegangen sei, zeigt sie in der Beschwerde die Relevanz dieses Verfahrensmangels nicht auf.

Die belangte Behörde hat sich darauf gestützt, dass der Handelsbetrieb der Beschwerdeführerin mit dem neuen A. Markt eine funktionelle Einheit im Sinne des § 17 Abs. 4 ROG bilde. Diese Bestimmung werde durch die somit gegebene Überschreitung des Ausmaßes von 1.000 m2 verletzt.

Die Definition der "funktionellen Einheit" im § 17 Abs. 4 letzter Satz ROG erfolgte mit der Novelle LGBl. Nr. 8000-23. Die Erläuterungen im Motivenbericht zu dieser Novelle (LTG.-918/R-3/1- 2007) vom lauten:

"Zu Z. 12:

Um zu verhindern, dass die in den Absätzen 2 und 3 enthaltenen Limits für Bruttogeschoßflächen bzw. Verkaufsflächen unterlaufen werden, indem das Projekt auf mehrere Betriebe aufgesplittert oder durch Zuzug weiterer Betriebe der gleiche Effekt erreicht wird, enthielt Absatz 4 schon die Vorschrift, die Verkaufsflächen zu summieren, wenn eine 'bauliche, organisatorische oder funktionelle Einheit' vorliegt. Die Umsetzung dieser Bestimmung hat in der Praxis zu erheblichen Vollzugsproblemen geführt, weil der Begriff 'funktionelle Einheit' recht vage ist. Es war daher notwendig, eine entsprechende Klarstellung anzufügen. Sie wurde so gewählt, dass nun auch zweifelsfrei die bestehenden innerörtlichen Geschäftsstraßen und die traditionellen Geschäftszeilen an zentralen Plätzen nicht von der Summationspflicht der Verkaufsflächen betroffen sind, an Standorten also, an denen das Gesetz keine Schwächung sondern vielmehr eine Stärkung der Handelsfunktion angestrebt hat und die sich - vor allem in kleineren Ortschaften - nicht immer in Zentrumszonen integrieren lassen.

Eine funktionelle Einheit von Handelseinrichtungen wird durch zwei Kriterien charakterisiert:

o die betreffenden Gebäude dienen fast ausschließlich einer einzigen Funktion, nämlich dem Warenverkauf, und unterscheiden sich darin ganz deutlich von den multifunktionalen Gebäuden zentraler Geschäftszeilen, in denen üblicherweise in den Obergeschoßen Wohnungen, Büros u.dgl. anzutreffen sind;

o die Handelseinrichtungen verfügen überwiegend über private Kfz-Abstelleinrichtungen (weil sie sonst an peripheren Standorten nicht funktionieren würden), während bei zentralen Geschäftszeilen die Kunden ihre Kraftfahrzeuge überwiegend auf öffentlichen Abstellanlagen parken. Unter öffentlichen Abstellanlagen sind solche zu verstehen, welche im Flächenwidmungsplan als öffentliche Verkehrsfläche gewidmet sind.

Zum besseren Verständnis sind nachstehende Skizzen Teil der Erläuterungen!"

Ausschlaggebend ist auf Grund der Entscheidung der belangten Behörde im vorliegenden Fall, ob eine funktionelle Einheit des Marktes der Beschwerdeführerin mit dem neuen A. Markt im Sinne des § 17 Abs. 4 ROG vorliegt. Dabei ist es zutreffend, dass tatsächlich noch nicht ausgeführte Bauvorhaben, deren Baubewilligung aber noch aufrecht ist, in die Betrachtung einbezogen werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 99/05/0248, und vom , Zl. 2007/06/0163). Unzutreffend ist aber die Auffassung der belangten Behörde, dass es dabei nicht auch auf im umgebenden Bereich vorhandene Wohnhäuser und Dienstleistungsbetriebe ankomme. Eine derartige Einschränkung ist dem Text des Gesetzes (Gebäude im umgebenden Bereich) nicht zu entnehmen. Auch in den den Materialien beiliegenden Skizzen (Beispiele "Einkaufsstraße" und Beispiele "Stadtplatz") sind Objekte in die Berechnung einbezogen, die ausschließlich eine andere Nutzung als eine Handelsnutzung aufweisen. Abgesehen von den Beispielen "Einkaufsstraße" und "Stadtplatz" werden darüber hinaus auch im Beispiel "Fachmarktzeile" Gebäude einbezogen, die neben der Handelsnutzung auch noch sonstige Nutzungen (teilweise nach den Skizzen sogar überwiegend) aufweisen.

Die belangte Behörde hat ferner nicht dargelegt und begründet, was sie als "umgebenden Bereich" ansieht. Dieser Bereich wäre aber von der belangten Behörde nach sachlichen Kriterien abzugrenzen und nachvollziehbar darzustellen gewesen. Der Verweis in der Bescheidbegründung auf § 17 Abs. 4 erster Satz ROG hilft schon deshalb nicht weiter, weil diese Bestimmung hinsichtlich der funktionellen oder organisatorischen Einheit kein räumliches Kriterium enthält. Auch die belangte Behörde selbst führt nur aus, dass der Gesetzgeber die "unmittelbare Umgebung" gemeint habe. Ferner geht die belangte Behörde von der "Nähe" der Handelsbetriebe zueinander aus. Die Behörde hätte aber diese "unmittelbare Umgebung" bzw. die von ihr angesprochene "Nähe" abzugrenzen gehabt und alle Liegenschaften und darauf befindlichen Gebäude und deren jeweilige Nutzungen auflisten müssen, die somit im "umgebenden Bereich" liegen, um entscheiden zu können, ob gemäß § 17 Abs. 4 letzter Satz ROG "im umgebenden Bereich die Gebäude ausschließlich oder dominierend für Handelseinrichtungen genutzt werden".

Aus diesen genannten Gründen war Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am