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VwGH vom 21.09.2006, 2006/15/0042

VwGH vom 21.09.2006, 2006/15/0042

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des S in N, vertreten durch Dr. Ernst Fiedler und Dr. Bernd Illichmann, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Dr.-Franz-Rehrl-Platz 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom , GZ. RV/0309-I/03, betreffend Zurücknahme der Berufung gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 2000, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Anschluss an eine abgabenbehördliche Prüfung erließ das Finanzamt nach Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO am neue Sachbescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1997 bis 2000.

Mit Schreiben vom ersuchte der Beschwerdeführer um Verlängerung der Rechtsmittelfrist "hinsichtlich der im Betreff befindlichen Bescheide". Diese Bescheide wurden mit "Umsatzsteuer 1997 - 2000, Einkommensteuer 1997 - 2000" bezeichnet. Mit Bescheid vom wurde dem Ansuchen um Verlängerung der Frist zur Einbringung einer "Berufung gegen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 1997 bis 2000" stattgegeben und die Frist bis zum verlängert.

Mit Schreiben vom erhob der Beschwerdeführer "Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide 1997 - 2000 sowie gegen die Einkommensteuerbescheide 1997 - 2000". In den Berufungsgründen wird sodann auszugsweise ausgeführt:

"...

In der TZ 35 und 36 des gegenständlichen Berichtes findet sich eine Begründung für die Wiederaufnahme des Verfahrens. Dabei wird ein Zusammenhang mit der laufenden Voruntersuchung des Landesgerichtes Innsbruck gegen diverse Personen hergestellt und dadurch die Berechtigung zur Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 und Abs. 1 lit. a BAO abgeleitet. Dagegen richtet sich die Berufung.

...

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich hinsichtlich der Wiederaufnahme bzw. der Wiederaufnahmetatbestände folgender Sachverhalt:

Nach § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens ein im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

...

Es kommt also objektiv kein wie immer gearteter Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens in Frage.

In seiner Rechtsprechung hat der VwGH zur Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO Folgendes entschieden:

...

Da somit ein 'Erschleichen' durch die Behörde nicht möglich ist, Missbrauch und Geschenkannahme ausscheiden, kann es unseres Erachtens nach zu keiner Wiederaufnahme des Verfahrens kommen, weshalb der Antrag gestellt wird, die Wiederaufnahme außer Kraft und die ursprünglichen Bescheide wieder in Rechtskraft erwachsen zu lassen.

Hinsichtlich des Jahres 1997 fehlt der Wiederaufnahme überhaupt jegliche Rechtsgrundlage. Die Wiederaufnahme dieses Jahres ist weder nach § 303 Abs. 4 BAO noch durch § 99 Finanzstrafgesetz gerechtfertigt.

Eine nähere Begründung für die Ausdehnung des Prüfungszeitraumes und eine rechtliche Begründung für dieses Verfahren fehlt gänzlich.

Zusammenfassend stelle ich nochmals den Antrag, alle ursprünglichen Bescheide wieder in Rechtskraft erwachsen zu lassen und die rechtswidrige Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Jahre 1997 - 2000 somit wieder zu sanieren."

Mit Bescheid vom wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, den der Berufung vom anhaftenden Mangel - es fehle die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sich die Berufung richte - bis zu beheben. Begründend wurde hinzugefügt, dass die Bescheidbezeichnung und der Inhalt der Berufung differieren würden.

Der Beschwerdeführer entsprach dem Mängelbehebungsauftrag fristgerecht, indem er dem Finanzamt Folgendes mitteilte:

"Unsere Berufung vom richtet sich gegen folgende Bescheide:

U 2000 vom

U 1999 vom

U 1998 vom

U 1997 vom

E 2000 vom

E 1999 vom

E 1998 vom

E 1997 vom

Sämtliche Bescheide wurden am zugestellt. Mit wurde ein Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist bis gestellt.

Sollte es noch weitere Unklarheiten geben, so darf ich Sie bitten, sich mit mir telefonisch oder schriftlich in Verbindung zu setzen und verbleibe ..."

Mit Bescheid vom trug das Finanzamt dem Beschwerdeführer daraufhin auf, die Mängel seiner gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 1997 bis 2000 vom gerichteten Berufung bis zum zu beheben. Der Berufung fehle "die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird, die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden, eine Begründung". Bei Versäumnis der genannten Frist gelte die Berufung als zurückgenommen.

Im Antwortschreiben vom führte der Beschwerdeführer aus:

"Wie bereits telefonisch besprochen und aus dem Inhalt der Berufung vom ersichtlich, richtet sich meine Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid 1997 bis 2000 sowie den Einkommensteuerbescheid 1997 bis 2000 - jeweils vom -

wobei dabei die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 betroffen ist. Dies geht auch schon aus der Berufung vom hervor.

Der weitere Einkommensteuer- bzw. Umsatzsteuerbescheid betreffend die wiederaufgenommenen Jahre betrifft nur mehr die Vorschreibung der Steuern.

Eine von Ihnen geforderte Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird bzw. eine Frage nach den Änderungen oder eine Begründung dürfte sich somit erübrigen, da diese - nach meinem Dafürhalten - aus der Berufung unmissverständlich hervorgehen. Sollte dies nicht der Fall sein, so darf ich Sie ersuchen, nochmals telefonisch mit mir Kontakt aufzunehmen, ich würde dann eine entsprechende Ergänzung nachreichen.

Ich hoffe, dass damit sämtliche Missverständnisse aufgeklärt sind und verbleibe ..."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Bescheide des Finanzamtes Innsbruck vom betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1997 bis 2000 gemäß § 275 BAO als zurückgenommen gelte. Das Berufungsverfahren werde eingestellt.

Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens wird im angefochtenen Bescheid sodann ausgeführt, der Beschwerdeführer habe den ihm erteilten Mängelbehebungsauftrag vom nicht entsprochen. Dem Schreiben vom seien keine Erklärungen zu entnehmen, in welchen Punkten die Sachbescheide angefochten werden und welche Änderungen beantragt werden. Ebenso fehle eine Begründung der Berufung. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers gingen diese inhaltlichen Erfordernisse einer Berufung auch nicht aus der Berufung selbst hervor, da darin eine Auseinandersetzung mit den Sachbescheiden unterblieben sei. Werde einem Mängelbehebungsauftrag nicht ausreichend entsprochen, so sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein neuerlicher diesbezüglicher Mängelbehebungsauftrag nicht zulässig, sodass es sich erübrige, mit dem Beschwerdeführer "nochmals telefonisch Kontakt aufzunehmen".

Ergänzend bemerkte die belangte Behörde, selbst für den Fall, dass die Berufung vom unzulässigerweise (entgegen der Mängelbehebung vom ) als gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren gerichtet betrachtet würde, hätte eine derartige Berufung gemäß § 273 Abs. 1 lit. b BAO als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen werden müssen. Das Ansuchen vom um Verlängerung der Rechtsmittelfrist habe sich eindeutig nur auf die Sachbescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1997 bis 2000 bezogen. Auch die stattgebende Fristverlängerung vom habe - wie beantragt - ausschließlich die Sachbescheide betroffen.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor, sämtliche Bescheide - nicht nur die Sachbescheide, sondern auch die Bescheide zur Wiederaufnahme des Verfahrens - wiesen in fetten Lettern die Überschrift nach dem Muster "Steuerart, Jahr" auf. Der Beschwerdeführer habe davon ausgehen können, dass es sich bei den fettgedruckten Buchstaben jeweils um die Bezeichnung des Bescheides handle. "Hinsichtlich des Erscheinungsbildes" trete "der Satz 'Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 (4) BAO zu Bescheid vom ' sowohl hinsichtlich der Überschrift, als auch des Spruches in den Hintergrund". Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal, das zur Abgrenzung zwischen den Sachbescheiden und den Bescheiden zur Wiederaufnahme herangezogen werden könne, so z.B. Geschäftszahl oder Zahl, sei nicht angeführt. Dem Beschwerdeführer sei es solcherart nicht zuzumuten, die Bescheide genauer zu bezeichnen als "die belangte Behörde". Für die Bezeichnung des Bescheides müsse es genügen, wenn aus dem gesamten Inhalt des Rechtsmittels hervorgehe, wogegen es sich richte. Darüber hinaus sei im Zweifel dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nehme. Gleiches müsse auch für einen Antrag auf Fristerstreckung gelten, wobei ebenfalls ein überspitzter Formalismus nicht dazu führen dürfe, dass der Weg zum Rechtsmittel abgeschnitten werde, insbesondere dann, wenn dem Bescheid ein aussagekräftiges Unterscheidungsmerkmal in seiner Bezeichnung fehle. Der nunmehrige Zurücknahmebescheid der belangten Behörde sei auch insofern gesetzwidrig, als kein Mangel im Sinne des § 250 BAO vorgelegen sei. Aus der Berufung sei eindeutig hervorgegangen, gegen welche Bescheide sich diese gerichtet habe. Es liege sohin weder eine verspätete Berufung gegen die Bescheide zur Wiederaufnahme des Verfahrens vor, noch könne die Berufung als zurückgenommen betrachtet werden, zumal kein Mangel vorliege, "jedenfalls aber eine Mängelbehebung durch idente Bezeichnung, wie sie durch die den Bescheid erlassende Behörde verwendet wurde, erfolgte".

Gemäß § 307 Abs. 1 BAO ist mit dem die Wiederaufnahme verfügenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheids die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden.

Nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung haben die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Sachentscheidung für sich Bescheidqualität und ist jeder dieser Bescheide für sich einer Berufung zugänglich und für sich rechtskraftfähig (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 93/15/0119).

Ermöglicht die Gestaltung der Bescheide eine klare Trennung zwischen Wiederaufnahmeverfügung und Sachentscheidung und werden in der Berufung als Anfechtungsgegenstand nur einzelne Teile der selbständigen Bescheide klar und deutlich bezeichnet, so erwachsen die anderen mit selbständiger Bescheidqualität ausgestatteten Teile der gemeinsam ausgefertigten Bescheide in Rechtskraft (vgl. mit zahlreichen weiteren Nachweisen das hg. Erkenntnis vom , 2000/14/0142).

Die belangte Behörde weist im Einklang mit der Aktenlage darauf hin, dass gegenständlich - anders als in jenen Fällen, die der angeführten Rechtsprechung zu Grunde lagen - Wiederaufnahmeverfügung und Sachentscheidung nicht in Form eines sogenannten "Sammelbescheides" erlassen wurden, sondern hinsichtlich der Wiederaufnahmeverfügung einerseits und der Abgabenfestsetzung andererseits jeweils gesondert Bescheide ausgefertigt wurden. Nach Ausweis der Aktenlage ergingen für jedes Streitjahr separate (auf einem eigenen Blatt) verfahrensrechtliche Bescheide, die allerdings nicht als solche bezeichnet waren, sondern nach der bescheidausstellenden Behörde und dem Bescheidadressaten das Wort "UMSATZSTEUERBESCHEID (JAHR)" bzw. "EINKOMMENSTEUERBESCHEID (JAHR)" aufweisen und darunter die Beifügung "Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 (4) BAO zu Bescheid vom ".

Die dagegen eingebrachte Berufung vom hat diese Bezeichnung der Bescheide übernommen und in der Begründung ausgeführt, "in der TZ 35 und 36 des gegenständlichen Berichtes findet sich die Begründung für die Wiederaufnahme des Verfahrens. ... Dagegen richtet sich diese Berufung."

Nach § 275 BAO hat die Abgabenbehörde, wenn eine Berufung nicht den in § 250 Abs. 1 oder Abs. 2 erster Satz umschriebenen Erfordernissen entspricht, dem Berufungswerber die Behebung dieser inhaltlichen Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Berufung nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt.

Nach § 250 Abs. 1 lit. a BAO muss die Berufung die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet, enthalten.

Ziel der Bestimmung des § 250 Abs. 1 lit. a BAO, ist es, die Behörde in die Lage zu versetzen, über die Berufung eine Entscheidung zu treffen, sodass es für die Bezeichnung des Bescheides genügt, dass aus dem gesamten Inhalt des Rechtsmittels hervorgeht, wogegen es sich richtet, und die Behörde auf Grund des Berufungsvorbringens nicht zweifeln kann, welcher Bescheid angefochten ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2001/13/0241, vom , 96/13/0081, und vom , 97/15/0130).

Wenn die Behörde auf Grund des Berufungsvorbringens nicht zweifeln kann, welcher Bescheid angefochten ist, ist der Formalvorschrift des § 250 Abs. 1 lit. a BAO Genüge getan. Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass gegenständlich aus dem gesamten Inhalt des Rechtsmittels nicht zweifelhaft sein konnte, gegen welche Bescheide sich die Berufung richtete. Der von den Abgabenbehörden beider Instanzen aufgezeigte Widerspruch in der Bezeichnung der angefochtenen Bescheide und dem gesamten Inhalt des Berufungsvorbringens, findet seine Auflösung in der Bescheidgestaltung des Finanzamtes, bei der auch jene (gesonderten) Bescheide, mit denen die Wiederaufnahme der jeweiligen Verfahren verfügt wurde, ausdrücklich mit "Umsatzsteuerbescheid" bzw. "Einkommensteuerbescheid" betitelt wurden. Ebenso wie aus der weiteren Bescheidformulierung klar hervorgeht, dass diese Bescheide ungeachtet ihrer (wenig geglückten) Bezeichnung tatsächlich eine verfahrensrechtliche Verfügung und keine Abgabenfestsetzung zum Gegenstand haben, ging aus der weiteren Fassung der Berufung klar hervor, dass mit ihr die jeweiligen verfahrensrechtlichen Verfügungen und nicht die Abgabenfestsetzungen als solche bekämpft werden sollte.

Damit lag der Abgabenbehörde aber insgesamt ein tauglicher Entscheidungsgegenstand vor. Die dennoch erteilten Mängelbehebungsaufträge entsprachen nicht dem Gesetz. Daraus folgt, dass auch der angefochtene Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit behaftet ist; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Aus verfahrensökonomischen Gründen ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass auf Grund der unklaren Bescheidbezeichnung der die Wiederaufnahme verfügenden Bescheide auch das Fristverlängerungsansuchen vom nicht ohne Weiteres als ausschließlich die Sachbescheide betreffend gewertet werden durfte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am