VwGH vom 17.10.2019, Ra 2019/18/0144

VwGH vom 17.10.2019, Ra 2019/18/0144

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S M, vertreten durch Dr. Christoph Mager, Rechtsanwalt in 1010 Wien, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Katrin Ehrbar, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Dorotheergasse 12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W237 2212713-1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, er habe als früherer Direktor eines tschetschenischen Fernsehsenders Probleme mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB gehabt und sei mehrmals aufgesucht, geschlagen und misshandelt worden.

2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Mit Zustellersuchen vom ersuchte das BFA eine näher genannte Polizeiinspektion um Zustellung des Bescheids im Sinne des § 11 Abs. 6 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), da der Revisionswerber obdachlos gemeldet sei und lediglich über eine Kontaktstelle im Sinne des § 19a Meldegesetz 1991 (MeldeG) verfüge. Es sei kein Zustellversuch notwendig, der Bescheid sei zur persönlichen Abholung im Rahmen der Erfüllung der Meldepflicht bereitzuhalten. Wenn keine persönliche Zustellung erfolge, sei darüber zu berichten, inwieweit der Revisionswerber seiner Meldeverpflichtung nachgekommen sei. Sodann werde eine Hinterlegung zu erfolgen haben.

4 Mit Kurzbrief vom informierte die besagte Polizeiinspektion das BFA, dass sie am bei der Kontaktstelle des Revisionswerbers eine Benachrichtigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments hinterlassen habe. Die Polizeiinspektion sei während des Bereithaltezeitraumes vom Revisionswerber nicht kontaktiert worden. Der übermittelte Akt werde rückübersendet.

5 Am stellte der Revisionswerber den gegenständlichen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. In diesem brachte er zusammengefasst vor, seine bisher geltend gemachten Fluchtgründe seien weiterhin aufrecht. Zudem habe er vor kurzem erfahren, dass ein Freund, der beim tschetschenischen Präsidenten gearbeitet habe, vor mehreren Jahren von Regierungsseite umgebracht worden sei.

6 Mit Bescheid vom wies das BFA diesen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Russland zulässig sei. Es bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise. Zudem wurde dem Revisionswerber aufgetragen, in einem näher genannten Quartier Unterkunft zu nehmen.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

8 Begründend teilte das BVwG die Rechtsansicht des BFA, wonach das Prozesshindernis der entschiedenen Sache vorliege. Der Revisionswerber sei zum Zeitpunkt der Zustellung des Erstbescheides bei einer näher genannten Adresse obdachlos gemeldet gewesen, wobei es sich um eine Kontaktstelle im Sinne des § 19a Abs. 1 Z 2 MeldeG gehandelt habe. Der Revisionswerber sei gemäß § 13 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet gewesen, sich vierzehntägig bei der seiner Kontaktstelle nächstgelegenen Dienststelle der Landespolizeidirektion Wien zu melden. Die Polizei habe am an der Kontaktstelle des Revisionswerbers eine Verständigung über die Hinterlegung des Bescheids hinterlassen. Angesichts dessen sei die Zustellung durch die Polizei im Wege der Hinterlegung gemäß § 11 Abs. 6 BFA-VG rechtswirksam erfolgt, und der Bescheid gelte mit dem ersten Tag der Hinterlegung am als zugestellt. Der Bescheid sei unbekämpft in Rechtskraft erwachsen und werde daher als Vergleichsbescheid nach § 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) herangezogen.

9 In der Sache erwog das BVwG, dass in der maßgeblichen Sachlage und in den anzuwendenden Rechtsnormen keine Änderung eingetreten sei, die eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens ergebe, weshalb die Zurückweisung des neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zu Recht erfolgt sei.

10 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend macht, es fehle Rechtsprechung zur Zustellung im Wege des § 11 Abs. 6 BFA-VG. Im vorliegenden Fall sei aus näher genannten Gründen die Zustellung des Bescheides vom nicht wirksam erfolgt, weshalb dieser nicht rechtskräftig geworden sei. Das BVwG sei daher unzutreffend vom Prozesshindernis der entschiedenen Sache ausgegangen. Zudem moniert der Revisionswerber eine Verletzung der Verhandlungspflicht.

11 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

14 Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen lauten

auszugsweise wie folgt:

15 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. I Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2013 (AVG):

"Abänderung und Behebung von Amts wegen

§ 68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der § 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

(2) bis (7) (...)"

16 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 idF BGBl. I Nr. 5/2008 (ZustG):

"Hinterlegung

§ 17. (1) und (2) (...)

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. (...)

(4) (...)"

17 Meldegesetz 1991, BGBl. Nr. 9/1992 idF BGBl. I Nr. 28/2001 (MeldeG):

"Hauptwohnsitzbestätigung

§ 19a. (1) Die Meldebehörde hat einem Obdachlosen auf Antrag (...) zu bestätigen, dass er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in dieser Gemeinde hat (Hauptwohnsitzbestätigung), wenn er

1. glaubhaft macht, dass er seit mindestens einem Monat den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen ausschließlich im Gebiet dieser Gemeinde hat, und

2. im Gebiet dieser Gemeinde eine Stelle bezeichnen kann, die er regelmäßig aufsucht (Kontaktstelle).

(2) Die Kontaktstelle gilt als Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, sofern der Obdachlose hiezu die Zustimmung des für diese Stelle Verfügungsberechtigten nachweist.

(3) bis (5) (...)"

18 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (BFA-VG):

"Zustellungen

§ 11. (1) (...) Eine Kontaktstelle gemäß § 19a Abs. 2 Meldegesetz 1991, (MeldeG), BGBl. Nr. 9/1992, ist in Verfahren vor dem Bundesamt keine Abgabestelle im Sinne des ZustG.

(2) bis (5) (...)

(6) Zustellungen an Fremde können durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch im Zuge der Erfüllung einer Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005,§ 56 Abs. 2 Z 2, 71 Abs. 2 Z 2 oder 77 Abs. 3 Z 2 FPG oder § 13 Abs. 2 erfolgen. Kommt der Empfänger seiner Meldeverpflichtung nach Veranlassung der Zustellung nicht nach, ist das Dokument bei der Dienststelle der Landespolizeidirektion zu hinterlegen. § 17 Abs. 3 Satz 1 bis 3 ZustG gilt sinngemäß mit der Maßgabe, dass das hinterlegte Dokument von der Dienststelle der Landespolizeidirektion zur Abholung bereitzuhalten ist. Wurde eine Verletzung der Meldeverpflichtung dem Bundesamt vor Veranlassung der Zustellung mitgeteilt, ist die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorangehenden Zustellversuch vorzunehmen, solange der Fremde seiner Meldeverpflichtung nicht nachgekommen ist. § 23 ZustG gilt sinngemäß mit der Maßgabe, dass an die Stelle der zuständigen Geschäftsstelle des Zustelldienstes die Dienststelle der Landespolizeidirektion tritt und eine Hinterlegung beim Gemeindeamt nicht in Betracht kommt.

(7) bis (9) (...)

Mitwirkung eines Fremden

§ 13. (1) (...)

(2) Verfügt ein Fremder lediglich über eine Hauptwohnsitzbestätigung gemäß § 19a MeldeG, so hat er sich beginnend mit dem ersten Werktag nach Ausstellung der Hauptwohnsitzbestätigung vierzehntägig bei der, der Kontaktstelle gemäß § 19a Abs. 1 Z 2 MeldeG nächstgelegenen Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden; dies gilt nicht im Falle einer Verfahrensanordnung gemäß § 15a Abs. 2 AsylG 2005. Eine Verletzung dieser Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(3) bis (6) (...)"

19 Zur Stammfassung des § 11 Abs. 6 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, hielten die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (ErläutRV 1803 BlgNR 24. GP 13) Folgendes fest:

"(...) Zustellungen in Verfahren vor dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht sind grundsätzlich - soweit nicht ausdrücklich eine Abweichung normiert wird - nach dem Zustellgesetz durchzuführen. (...) Eine Kontaktstelle gemäß § 19a Abs. 2 MeldeG ist in asylrechtlichen Verfahren keine Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes - ZustellG, BGBl. Nr. 200/1982. Die Praxis hat gezeigt, dass Asylwerber, die über eine Hauptwohnsitzbestätigung gemäß § 19a MeldeG verfügen und die somit nur das Erfordernis haben, die Kontaktstelle bzw. Abgabestelle regelmäßig aufzusuchen, oftmals für das asylrechtliche Verfahren nicht greifbar sind bzw. die Zustellung von Schriftstücken äußerst problematisch bzw. überhaupt nicht möglich ist. Diesen Problemen soll weiterhin entgegengewirkt werden. (...) Siehe dazu auch die Bestimmung des § 13 Abs. 2 BFA-VG iVm § 11 Abs. 6 BFA-VG, wonach sich Asylwerber, die nur über eine Hauptwohnsitzbestätigung verfügen, in vierzehntägigen Abständen bei der der Kontaktstelle nächstgelegenen Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden haben und Zustellungen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch anlässlich der Erfüllung dieser Meldeverpflichtung erfolgen können. (...)"

20 Mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl. I Nr. 70/2015, wurde § 11 Abs. 6 BFA-VG präzisiert und erhielt seine geltende Fassung, wobei die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (ErläutRV 582 BlgNR 25. GP 5) dazu festhielten:

"(...) Da eine gesicherte, rechtswirksame Zustellung, etwa von Ladungen, Verfahrensanordnungen und Bescheiden, regelmäßig notwendig ist, soll in Abs. 6 klargestellt werden, dass eine Verletzung der Meldeverpflichtung zu einer Zustellung durch Hinterlegung nach dem Zustellgesetz führen kann: Sofern eine Verletzung der Meldeverpflichtung nach Veranlassung der Zustellung durch das Bundesamt erfolgt (Zustellverfügung), ist das Dokument bei der Dienststelle der Landespolizeidirektion zu hinterlegen und gilt mit dem Termin, an dem der Fremde sich melden hätte sollen, als zugestellt. Dieser Termin entspricht dem ersten Tag der Abholfrist nach § 17 Abs. 3 Satz 3 ZustG. Eine Benachrichtigung im Sinne des § 17 Abs. 2 3. Satz ZustG ist nicht notwendig. Wird die Meldeverpflichtung bereits vor Veranlassung der Zustellung verletzt, so kann sinngemäß nach § 23 ZustG und im Sinne der Verfahrensökonomie ohne vorherigen Zustellversuch wirksam zugestellt werden. D.h., das zuzustellende Dokument kann ohne vorhergehenden Zustellversuch hinterlegt werden, wodurch dieses sofort bei dem Bundesamt selbst zur Abholung bereitgehalten wird. Der letzte Nebensatz stellt klar, dass dies solange gilt, bis der Fremde seiner Meldeverpflichtung erneut nachkommt. Selbstverständlich sind die Voraussetzungen gem. § 15a Abs. 2 letzter Satz AsylG und § 13 Abs. 2 letzter Satz BFA-VG nicht gegeben, wenn dem Fremden die Erfüllung der Meldeverpflichtung nicht möglich ist (sich dieser etwa in stationärer ärztlicher Behandlung befindet). (...)"

21 Vor diesem rechtlichen Hintergrund ergibt sich für den Revisionsfall Folgendes:

22 Die Zurückweisung eines (Folge-)Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache setzt voraus, dass das Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig beendet worden ist. Ist ein das Erstverfahren beendender Bescheid jedoch nicht rechtswirksam zugestellt worden, dann ist dieses Asylverfahren noch nicht rechtskräftig beendet, sondern weiterhin in erster Instanz anhängig. Die Zurückweisung eines Folgeantrages wegen entschiedener Sache kommt diesfalls von vornherein nicht in Betracht (vgl. , mwN).

23 Der im Revisionsfall zur Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Zustellung des Erstbescheids maßgebliche § 11 Abs. 6 BFA-VG betrifft u.a. die Zustellung im Zuge der Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß § 13 Abs. 2 BFA-VG. Nach dieser Bestimmung, die der Sicherstellung einer Zustellmöglichkeit während eines laufenden Verfahrens nach dem BFA-VG dient, haben sich Fremde, die als Obdachlose lediglich über eine Hauptwohnsitzbestätigung gemäß § 19a MeldeG verfügen, beginnend mit dem ersten Werktag nach Ausstellung der Hauptwohnsitzbestätigung bei der der von ihnen gemeldeten Kontaktstelle nächstgelegenen Dienststelle der Landespolizeidirektion vierzehntägig zu melden.

24 Aus dieser Meldeverpflichtung ergibt sich allerdings kein starres Meldeintervall, weil es einem Fremden auch unbenommen ist, sich vereinzelt früher (also vor Ablauf der vierzehntägigen Meldefrist) bei der zuständigen Dienststelle erneut zu melden. Die vierzehntägige Meldeverpflichtung läuft daher jeweils ab dem Datum der letzten Meldung des Obdachlosen.

25 Für die Zustellung im Zuge der Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß § 13 Abs. 2 BFA-VG unterscheidet § 11 Abs. 6 BFA-VG zwei Fälle, nämlich den Fall einer vorliegenden Verletzung der Meldeverpflichtung nach Veranlassung der Zustellung und den Fall der bereits vorliegenden Verletzung der Meldeverpflichtung vor Veranlassung der Zustellung, und normiert für diese beiden Fälle unterschiedliche Zustellvoraussetzungen. 26 Wurde eine Verletzung der Meldeverpflichtung dem BFA bereits vor Veranlassung der Zustellung mitgeteilt, ist die Zustellung nach § 11 Abs. 6 Satz 4 BFA-VG (vereinfacht) durch sofortige Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch vorzunehmen. Dies gilt, bis der Fremde seiner Meldeverpflichtung erneut nachgekommen ist. Kommt ein obdachlos gemeldeter Empfänger seiner Meldeverpflichtung dagegen erst nach Veranlassung der Zustellung durch das BFA nicht nach, ist das Dokument gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 BFA-VG bei der Dienststelle der Landespolizeidirektion zu hinterlegen.

27 Der Gesetzgeber hat somit für Zustellungen des BFA an obdachlos gemeldete Personen iSd § 19a MeldeG folgenden Ablauf vor Augen: Wurde dem BFA vor Veranlassung der Zustellung eine Verletzung der Meldeverpflichtung nicht mitgeteilt, hat es an die der Kontaktstelle nächstgelegene Polizeiinspektion ein Zustellersuchen (samt Bescheid) zur persönlichen Ausfolgung zu übermitteln. Liegt dem BFA hingegen eine Mitteilung über die Verletzung der Meldeverpflichtung vor, kann das BFA die Zustellung gemäß § 11 Abs. 6 BFA-VG iVm § 23 ZustG gleich durch sofortiger Hinterlegung ohne Zustellversuch entweder durch Bereithaltung der Entscheidung zur Abholung beim Bundesamt selbst oder bei der Dienststelle der Landespolizeidirektion vornehmen.

28 Vom zweiten Fall, also einer Verletzung der Meldeverpflichtung des Revisionswerbers bereits vor Veranlassung der Zustellung, ist das BFA im Revisionsfall offenbar nicht ausgegangen, weil dem Akt keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen sind, dass eine Hinterlegung ohne Zustellversuch erfolgt wäre. Auch das Zustellersuchen des BFA beinhaltete ausdrücklich die Aufforderung an die Polizeiinspektion, erst für den Fall, dass keine persönliche Zustellung erfolge, darüber zu berichten, inwieweit der Revisionswerber seiner Meldeverpflichtung nachgekommen sei. Ausgehend von diesem Schreiben stand somit vor Veranlassung der Zustellung noch nicht fest, ob der Revisionswerber seine Meldeverpflichtung zuletzt erfüllt hatte. Im Übrigen sind auch dem Erkenntnis des BVwG keinerlei Feststellungen zu entnehmen, dass der Revisionswerber seine Meldeverpflichtung bereits vor Veranlassung der Zustellung verletzt hätte. 29 Im ersten Fall, also bei dem BFA im Zeitpunkt der Veranlassung der Zustellung nicht bekannter Verletzung der Meldeverpflichtung, hängt das weitere Vorgehen der ersuchten Polizeiinspektion davon ab, ob bereits zum Zeitpunkt des Einlangens der Sendung bei ihr eine Verletzung der Meldeverpflichtung der obdachlos gemeldeten Person iSd § 19a MeldeG vorlag: Verneinendenfalls ist das übermittelte Dokument zunächst von der Dienststelle der Landespolizeidirektion bei ihr zur persönlichen Übergabe im Rahmen der nächsten ordnungsgemäßen Meldung bereit zu halten. Bejahendenfalls kann ein Zuwarten auf eine ordnungsgemäße Abholung entfallen, weil eine Verletzung der Meldeverpflichtung bereits im Zeitpunkt des Einlangens der Sendung vorliegt.

30 Stellt die Dienststelle der Landespolizeidirektion eine Verletzung der Meldeverpflichtung des § 13 Abs. 2 BFA-VG fest, ist das Dokument bei ihr zu hinterlegen. Für diesen Fall verweist § 11 Abs. 6 BFA-VG auf die sinngemäße Geltung von § 17 Abs. 3 Satz 1 bis 3 ZustG mit der Maßgabe, dass das hinterlegte Dokument von der Dienststelle der Landespolizeidirektion zur Abholung bereitzuhalten ist.

31 Nach § 17 Abs. 3 ZustG ist das hinterlegte Dokument mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt.

32 Aus § 11 Abs. 6 BFA-VG ergibt sich allerdings, dass die Rechtsfolgen einer "Hinterlegung" erst eintreten sollen, wenn der Empfänger seiner Meldeverpflichtung nach Veranlassung der Zustellung nicht nachkommt (arg: "Kommt der Empfänger seiner Meldeverpflichtung nach Veranlassung der Zustellung nicht nach, ist das Dokument bei der Dienststelle der Landespolizeidirektion zu hinterlegen."). Dazu muss der Ablauf des letzten Tages der Meldeverpflichtung abgewartet werden. Die Zustellwirkung kann daher frühestens am Tag nach Verletzung der Meldepflicht eintreten und nicht - wie die Erläuterungen zur Regierungsvorlage fälschlich angenommen haben - bereits am "Termin, an dem der Fremde sich melden hätte sollen".

33 Aus den Feststellungen des BVwG ergibt sich für den Revisionsfall lediglich, dass das BFA der Polizeiinspektion am ein Zustellersuchen übermittelt hat, den Bescheid im Zuge der Meldeverpflichtung nach § 13 Abs. 2 BFA-VG zuzustellen. Mit Kurzbrief vom teilte die Polizeiinspektion schließlich mit, dass am eine Benachrichtigung von der Hinterlegung des Bescheides an der Kontaktstelle hinterlassen worden sei, dem Zustellersuchen jedoch nicht entsprochen habe werden können, woraufhin der Akt an das BFA rückübermittelt werde. Wann der Revisionswerber seiner Meldeverpflichtung nach § 13 Abs. 2 BFA-VG bei der Polizeiinspektion zuletzt nachgekommen ist, ist hingegen weder aus den Feststellungen des BVwG noch aus der Aktenlage ersichtlich.

34 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 17 Abs. 3 ZustG bereits ausgesprochen, dass eine rechtswirksame Zustellung durch Hinterlegung unter anderem voraussetzt, dass die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen nach Hinterlegung zur Abholung bereitgehalten wird (vgl. ). Diese Rechtsprechung ist - schon angesichts des expliziten Verweises in § 11 Abs. 6 BFA-VG auf § 17 Abs. 3 Satz 1 bis 3 ZustG - auf die Zustellung nach § 11 Abs. 6 BFA-VG zu übertragen.

35 Notwendige Feststellungen zum Meldeverhalten des Revisionswerbers fehlen im angefochtenen Erkenntnis. Ungeachtet dessen erscheint eine rechtswirksame Zustellung - durch Bereithalten der hinterlegten Sendung für mindestens zwei Wochen - im Revisionsfall aufgrund der Rücksendung am aber ausgeschlossen, und zwar unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt der Revisionswerber seiner Meldeverpflichtung nach § 13 Abs. 2 BFA-VG zuletzt nachgekommen ist. Der volle zweiwöchige Bereithaltungszeitraum iSd § 17 Abs. 3 ZustG wäre von der Polizeiinspektion damit nämlich nicht einmal dann gewahrt worden, wenn sich der Revisionswerber exakt vierzehn Tage vor Veranlassung der Zustellung das letzte Mal bei ihr gemeldet hätte und daher am wieder hätte melden müssen, womit die zweiwöchige Abholfrist gemäß § 17 Abs. 3 ZustG vom bis zum gedauert hätte (vgl. § 32 Abs. 2 AVG). Selbst wenn im Zeitpunkt des Einlangens des Zustellersuchens am bereits eine Verletzung der Meldeverpflichtung vorlag und die Dienststelle der Landespolizeidirektion sofort hinterlegen hätte dürfen, hätte es bei Einhaltung der zweiwöchigen Abholfrist für eine Rücksendung den Ablauf des abwarten müssen, was offenbar nicht erfolgt ist.

36 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion an der Kontaktstelle des Revisionswerbers eine Hinterlegungsanzeige hinterließen, keine Rechtswirkungen entfaltet. Eine solche Benachrichtigung ist rechtlich nicht vorgesehen, verweist § 11 Abs. 6 BFA-VG doch auf § 17 Abs. 3 Satz 1 bis 3 ZustG, nicht jedoch auf § 17 Abs. 2 ZustG. Auch die Materialien zu § 11 Abs. 6 BFA-VG halten diesbezüglich fest, dass eine Benachrichtigung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 3 ZustG nicht notwendig ist. Ist eine Benachrichtigung rechtlich gar nicht vorgesehen, kann sie auch für sich keine Rechtswirkungen entfalten.

37 Dass eine rechtswirksame Zustellung durch tatsächliches Zukommen im Sinne des § 7 ZustG (Heilung von Zustellmängeln) erfolgt wäre, lässt sich den Feststellungen des Erkenntnisses sowie dem Akt ebenfalls nicht entnehmen.

38 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich somit als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

39 Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180144.L00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

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