VwGH vom 27.01.2010, 2008/21/0657
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der T, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-08-1044, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit die zugrundeliegende Administrativbeschwerde auch hinsichtlich der Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft nach dem zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine aus Tschetschenien stammende russische Staatsangehörige, hatte ihr Heimatland im Jahr 2002 verlassen und kam nach einem längeren Zwischenaufenthalt in Moskau letztlich Ende Dezember 2002 in die Schweiz, wo über ihr dort gestelltes Asylbegehren negativ entschieden wurde.
Um einer Abschiebung nach Russland zu entgehen, reiste die Beschwerdeführerin im Dezember 2007 nach Österreich, wo sie am in der Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz einbrachte. Ihr wurde mit Schreiben des Bundesasylamtes vom gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 die beabsichtigte Zurückweisung dieses Antrages - wegen in der Schweiz gegebener "Drittstaatsicherheit" - mitgeteilt, was gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als Einleitung des Ausweisungsverfahrens gilt.
Mit dem (am selben Tag in Vollzug gesetzten) Bescheid vom ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 (gemeint: Z 2) des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG die Schubhaft zur Verfahrenssicherung an.
Eine - gegen die Festnahme, die Schubhaftverhängung und die Anhaltung - am erhobene Schubhaftbeschwerde wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich mit Bescheid vom als unbegründet ab; unter einem wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft vorlägen. Dieser Bescheid wurde der Bezirkshauptmannschaft Baden am zugestellt.
Mit (durchsetzbarem) Bescheid des Bundesasylamtes vom war der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 4 AsylG 2005 wegen "Drittstaatsicherheit" in der Schweiz zurückgewiesen und die Beschwerdeführerin dorthin ausgewiesen worden. Eine dagegen eingebrachte Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit einem am erlassenen Bescheid ab. Hierauf wurde die Beschwerdeführerin am (um 14.00 Uhr) in die Schweiz abgeschoben.
Bereits davor, nämlich am , hatte die Beschwerdeführerin beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (der belangten Behörde) per Telefax neuerlich eine Schubhaftbeschwerde eingebracht, mit der sie beantragte, die Anordnung der Schubhaft durch die Bezirkshauptmannschaft Baden und ihre Anhaltung in Schubhaft seit dem für rechtswidrig zu erklären.
Diese Schubhaftbeschwerde wies die belangte Behörde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, in der verfahrensgegenständlichen Schubhaftsache liege mit dem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom bereits eine rechtskräftige Entscheidung "über den Antrag auf Aufhebung des Schubhaftbescheides und zur Beschwerde über die Festnahme und die Anhaltung in Schubhaft" vor, die bei unverändertem Sachverhalt das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache bewirke. Das Parteibegehren in der Beschwerde vom decke sich mit jenem in der vorliegenden, (nur) ausführlicher begründeten Schubhaftbeschwerde vom . Seit der Entscheidung vom habe sich keine wesentliche Änderung im Sachverhalt ergeben bzw. seien in den für die Entscheidung maßgeblichen Umständen keine Änderungen eingetreten, wobei diese Auffassung im angefochtenen Bescheid näher begründet wurde.
Die belangte Behörde dürfe aufgrund einer mehrmaliger Erhebung der Beschwerde eines Schubhäftlings während seiner Anhaltung jedenfalls dann eine "entschiedene Sache" annehmen, wenn sich die Beschwerde auf einen Zeitraum beziehe, über den er bereits durch einen Bescheid abgesprochen habe (Hinweis auf Zl. 2005/21/0260, zu den §§ 72, 73 FrG 1997). Der Unabhängige Verwaltungssenat habe jedoch dann, wenn die Anhaltung noch andauere, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen noch vorlägen. Änderten sich diese Voraussetzungen seit dem letzten Abspruch nicht, so sei jedenfalls - wie dies § 68 Abs. 1 AVG vorsehe - vom Vorliegen einer "entschiedenen Sache" auszugehen und eine neuerliche Schubhaftbeschwerde zurückzuweisen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
1. Zur mehrmaligen Erhebung von Schubhaftbeschwerden nach § 83 FPG hat der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom ,
B 515/00 u.a., VfSlg. 16.079, ausgesprochen, dass nur dann von entschiedener Sache ausgegangen werden kann, wenn sich die spätere Beschwerde auf einen Zeitraum bezieht, über den bereits durch einen Bescheid abgesprochen wurde (siehe aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0192, mwN; vgl. auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0319).
2. Das trifft hier nur insoweit zu, als mit der (zweiten) Schubhaftbeschwerde auch die Anordnung der Schubhaft und die Anhaltung im Zeitraum vom bis bekämpft wurde. In diesem Umfang ist die belangte Behörde somit zutreffend von entschiedener Sache ausgegangen. Diesbezüglich erfolgte die Zurückweisung der (zweiten) Schubhaftbeschwerde daher zu Recht, sodass die vorliegende Beschwerde insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
3. Hinsichtlich der Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft in der Zeit nach der Erlassung des über die erste Schubhaftbeschwerde absprechenden Bescheides am bis zu deren Beendigung mit der Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Schweiz am liegt jedoch keine entschiedene Sache vor, weil dieser Zeitraum von dem genannten Bescheid der belangten Behörde vom noch nicht erfasst wurde. Dazu ist klarzustellen, dass der - (nur) einen neuen Titelbescheid darstellende - Ausspruch des unabhängigen Verwaltungssenates nach § 83 Abs. 4 FPG, dass "zum Zeitpunkt seiner Entscheidung" die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, im Verhältnis zu einer sich auf den danach liegenden Zeitraum beziehenden Schubhaftbeschwerde nicht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache begründet (siehe zu derartigen Konstellationen das genannte, der dargestellten Judikatur zugrundeliegende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 16.079 sowie das auch von der belangten Behörde zitierte zum FRG 1997 ergangene Erkenntnis vom , Zlen. 2005/21/0260 u.a.; vgl. beispielsweise auch die bereits erwähnten hg. Erkenntnisse Zl. 2009/21/0192 und Zl. 2009/21/0319).
Da die belangte Behörde ungeachtet dessen eine inhaltliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Schubhaft für den erwähnten Zeitraum verweigerte, belastete sie den angefochtenen Bescheid insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
SAAAE-83686