VwGH vom 21.04.2011, 2011/01/0124
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2011/01/0125
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie Hofrat Dr. Blaschek und Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerden des SAHN in W, geboren 1972, vertreten durch MMag. Thomas Passeyrer, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Gutenberggasse 1/10, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates 1.) vom , Zl. 256.984/0/1E-XIV/08/05 (protokolliert zur hg. Zl. 2011/01/0124), betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Asylangelegenheit und
2.) vom , Zl. 256.984/0/1E-XIV/08/05-v71 (protokolliert zur hg. Zl. 2011/01/0125), betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und eines Zustellantrages in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Der erstangefochtene Bescheid wird zur Gänze und der zweitangefochtene Bescheid insoweit, als damit Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides (Abweisung des Zustellantrages) bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, beantragte am Asyl. Nachdem das Bundesasylamt den Beschwerdeführer am 8. Mai und am zu seinen Fluchtgründen einvernommen hatte, wies es seinen Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, und stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Dieser Bescheid wurde nach zwei erfolglosen Zustellversuchen an der Adresse in R. am beim zuständigen Postamt hinterlegt.
Mit Schreiben vom gab der Beschwerdeführer bekannt, er habe durch Zustellung einer "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" erfahren, dass er sich illegal im Bundesgebiet aufhalte, habe allerdings nie einen erstinstanzlichen Bescheid des Bundesasylamtes erhalten. Gleichzeitig stellte er einen Antrag auf neuerliche Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an seine Adresse in der O. Straße, und begehrte in eventu die Zusendung einer Kopie dieses Bescheides samt Zustellnachweis.
Am beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und erhob gleichzeitig Berufung gegen den oben genannten Bescheid des Bundesasylamtes vom . Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages führte der Beschwerdeführer aus, er habe dem Bundesasylamt ungefähr Anfang November 2003 die Meldeadresse in der O. Straße bekannt gegeben, indem er den Meldezettel persönlich in der Außenstelle Wien vorbeigebracht habe. Er habe dort bei Freunden Unterschlupf finden können, die ihm den Meldezettel ausgestellt hätten. Dort hätten auch noch andere Personen gelebt, sodass jede Menge Post an diese Adresse gekommen sei. Der Beschwerdeführer selbst habe keinen Zugang zum Postkasten gehabt und es seien oft Schriftstücke verloren gegangen. Das Bundesasylamt habe auf sein Schreiben vom nicht geantwortet. Am sei ihm das Aufenthaltsverbot zugestellt worden. Daraufhin habe der Beschwerdeführer am beim Bundesasylamt Akteneinsicht genommen, im Zuge derer ihm der Bescheid des Bundesasylamtes vom ausgefolgt worden sei. Ein Zustellnachweis sei ihm nicht ausgefolgt worden, weshalb er nicht wisse, an welche Adresse dieser Bescheid zugestellt worden sei. Er sei ununterbrochen gemeldet gewesen und habe Änderungen seiner Zustelladresse bekannt gegeben. Es hätten ihn bisher auch alle anderen behördlichen Schreiben erreicht.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG (Spruchpunkt I.) und den Antrag auf neuerliche Zustellung des Asylbescheides vom gemäß § 17 ZustG (Spruchpunkt II.) ab. Das Bundesasylamt stellte fest, dass die Zustellung des Bescheides vom rechtmäßig erfolgt sei. Der Beschwerdeführer sei, wie er selbst angebe, zum Zustellzeitpunkt an der Zustelladresse gemeldet "und wohnhaft" gewesen. Der Wiedereinsetzungsantrag beziehe sich allein auf einen Zustellmangel, welcher nicht habe festgestellt werden können. Das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes habe nicht glaubhaft gemacht werden können; von einem Fehlverhalten eines Postbediensteten bzw. einem von ihm begangenen Delikt sei nicht auszugehen. Der Beschwerdeführer sei "an dieser Adresse" auch hauptgemeldet "und wohnhaft" gewesen. Das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag sei zudem "völlig zusammenhanglos und irrelevant, da dieser Sachverhalt eine alte Hauptmelde- und Wohnadresse betrifft".
In seiner dagegen erhobenen Berufung gab der Beschwerdeführer an, das besagte Schriftstück sei an seine damalige Adresse in der O. Straße gesendet worden, wo er in Untermiete mit anderen Landsleuten gewohnt habe. Für alle dort wohnhaften Personen habe es nur einen Postkasten gegeben, zu welchem nur der Hauptmieter Zugang gehabt habe. Dieser habe alle Postsendungen an die dort wohnhaften Personen verteilt. Im Großen und Ganzen hätten den Beschwerdeführer alle Zusendungen erreicht und habe die Zustellung auf diese Art funktioniert. Die Benachrichtigung des besagten Bescheides habe ihn aber nicht erreicht; sie sei verloren gegangen bzw. sei ihm vom Hauptmieter nicht ausgehändigt worden. Im Wissen um die bevorstehende Zustellung eines für ihn wichtigen Bescheides habe der Beschwerdeführer alle ihm möglichen Vorkehrungen getroffen, indem er durchgehend ordentlich gemeldet gewesen sei, jede Änderung der Meldung dem Bundesasylamt ausdrücklich bekannt gegeben und eine Zustelladresse gehabt habe, an der er im Großen und Ganzen verlässlich Briefe habe empfangen können.
Mit dem erstangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, dass der Bescheid des Bundesasylamtes vom dem Beschwerdeführer laut dem unbedenklichen Akteninhalt nachweislich durch Hinterlegung am an seine Hauptwohnsitzadresse in R. zugestellt worden sei. Die zweiwöchige Rechtsmittelfrist habe daher am geendet, weshalb sich die erst am eingebrachte Berufung als verspätet erweise.
Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG und § 17 ZustG ab. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer gehe seinem Vorbringen zufolge davon aus, dass der Bescheid des Bundesasylamtes vom an seine Nebenwohnsitzadresse in der O. Straße zugestellt und ihm die Verständigung von der Hinterlegung vom Hauptmieter nicht ausgefolgt worden sei. Dies entspreche allerdings nicht den Tatsachen, weil der betreffende Bescheid nicht an die genannte Nebenwohnsitzadresse, sondern an die Hauptwohnsitzadresse des Beschwerdeführers in R. zugestellt worden sei. Unter Hinweis auf die im Verwaltungsakt aufliegende Auskunft aus dem Zentralen Melderegister führte die belangte Behörde weiters aus, der Beschwerdeführer habe zum Zustellzeitpunkt zwei Abgabestellen iSd § 4 ZustG gehabt. Für die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung, er habe dem Bundesasylamt Anfang November 2003 seine Adresse in der O. Straße als seine Zustelladresse bekannt gegeben, finde sich kein Hinweis im Akt, weshalb die belangte Behörde davon ausgehe, dass es sich dabei um eine Schutzbehauptung handle. Das Bundesasylamt habe den Bescheid vom zulässigerweise an eine der beiden ihm bekannten Abgabestellen zugestellt. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Wiedereinsetzungsantrag, er habe den Bescheid nie erhalten bzw. dieser sei ihm nie zugestellt worden, sei entgegen zu halten, dass ein behaupteter Zustellmangel schon grundsätzlich nicht als Wiedereinsetzungsgrund taugen könne. Auch die Argumentation des Beschwerdeführers, vom Hauptmieter die Verständigung über die Hinterlegung nicht erhalten zu haben, gehe ins Leere, da an dieser Abgabestelle nicht zugestellt worden sei. Der Beschwerdeführer sei demnach nicht durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, an dem ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens treffe, gehindert gewesen, die Frist einzuhalten, weshalb der Wiedereinsetzungsantrag abzuweisen gewesen sei. Da eine ordnungsgemäße und zulässige Zustellung des Bescheides vom erfolgt sei, sei auch der Antrag auf neuerliche Zustellung dieses Bescheides abzuweisen gewesen.
Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Zu I.:
Die Beschwerde bringt unter anderem vor, aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers und dem Akteninhalt gehe eindeutig hervor, dass sich dieser im fraglichen Zeitraum nicht mehr an seiner Hauptwohnsitzadresse, an welche die Zustellung erfolgt sei, aufgehalten habe, sondern an seiner Nebenwohnsitzadresse in der O. Straße. Der Beschwerdeführer sei im fraglichen Zeitraum an der Abgabestelle nicht anwesend gewesen und sei nach dem Akteninhalt auch nicht innerhalb der Abholfrist an die Abgabestelle zurückgekehrt, sodass die Zustellung im Ergebnis unwirksam gewesen sei. Trotz vorliegender Anhaltspunkte und der eindeutigen Hinweise des Beschwerdeführers auf seinen tatsächlichen Aufenthaltsort an seinem Nebenwohnsitz in der O. Straße habe die belangte Behörde jede Ermittlungstätigkeit in diese Richtung unterlassen. Zudem sei allein der Umstand, dass sich im Verwaltungsakt kein Aktenvermerk und keine Kopie des Meldezettels befinde, nicht ausreichend, um die Argumentation der belangten Behörde, bei dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Vorlage eines Meldezettels im November 2003 handle es sich um eine Schutzbehauptung, zu begründen.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide auf.
Die belangte Behörde ist von der Rechtmäßigkeit der Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom durch Hinterlegung bei dem für die Adresse in R. zuständigen Postamt ausgegangen. Dies setzt zunächst voraus, dass der Bescheid dem Beschwerdeführer zum Zustellzeitpunkt an der Adresse in R. zugestellt werden durfte.
Gemäß § 4 ZustG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 10/2004 ist eine Abgabestelle im Sinne dieses Bundesgesetzes der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort.
Bei den hier in Rede stehenden Adressen in R. und in der O. Straße handelt es sich nach der Aktenlage um Wohnungen. Unter einer Wohnung ist jene Räumlichkeit zu verstehen, in der jemand seine ständige Unterkunft hat, wo sich also der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse befindet. Es kommt darauf an, ob die Wohnung im Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich bewohnt wird, nicht aber darauf, wo der Empfänger polizeilich gemeldet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/11/0081). Entscheidend sind somit nicht die Angaben gegenüber der Meldebehörde, sondern, ob der Empfänger an der Abgabestelle tatsächlich wohnt.
Die belangte Behörde ist hingegen - wie sich aus der Begründung des zweitangefochtenen Bescheides ergibt - davon ausgegangen, dass schon die behördliche Meldung des Beschwerdeführers ausreicht, um an der betreffenden Adresse eine Abgabestelle iSd § 4 ZustG zu begründen und hat demgemäß allein aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer zwei behördliche Meldeadressen (Hauptwohnsitz in R. und Nebenwohnsitz in der O. Straße) aufwies, geschlossen, dass dieser auch über zwei Abgabestellen verfüge, und die Zustellung an der Adresse in R. als eine der beiden Abgabestellen als zulässig angesehen.
Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsansicht hat es die belangte Behörde unterlassen, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach dieser seit Anfang November 2003 nicht mehr an der Adresse in R., sondern in der O. Straße gewohnt habe, auseinander zu setzen und hat keine Ermittlungen dazu angestellt, ob der Beschwerdeführer an der Adresse in R. noch tatsächlich und regelmäßig gewohnt hat. Angemerkt wird, dass dem Beschwerdeführer bereits die Ladung zur Einvernahme am erfolgreich an der Adresse in der O. Straße zugestellt wurde und somit schon vor Zustellung des besagten Bescheides Hinweise darauf vorgelegen haben, dass er an der Adresse in R. nicht mehr wohnhaft sein könnte. Sollte das Vorbringen des Beschwerdeführers zutreffen, wäre davon auszugehen, dass die Adresse in R. zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom keine Abgabestelle iSd § 4 ZustG (mehr) darstellte und ihm dort daher nicht wirksam zugestellt werden konnte.
Es kann somit noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers zu Recht als verspätet zurückgewiesen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/19/0527, mwN) und ob der Zustellantrag des Beschwerdeführers berechtigt war.
Die angefochtenen Bescheide waren daher in dem im Spruch genannten Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Zu II.:
Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Beschwerde wirft - soweit sie sich gegen die mit dem zweitangefochtenen Bescheid erfolgte Bestätigung des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides (Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages) richtet - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde im Übrigen abzulehnen.
Wien, am