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VwGH vom 06.10.2010, 2008/19/0407

VwGH vom 06.10.2010, 2008/19/0407

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Rehak und die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des X in Y, geboren am , vertreten durch Haslinger/Nagele Partner Rechtsanwälte GmbH, in 1010 Wien, Am Hof 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 316.326-1/2E-V/14/07, betreffend §§ 4, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte internationalen Schutz. Dazu führte er aus, im Jahr 2005 aus seiner Heimat nach Polen geflohen zu sein. Am habe er dort gemeinsam mit seiner Familie um Asyl angesucht und er sei im Juni 2006 als Flüchtling anerkannt worden. Obwohl er nichts Schlechtes über Polen sagen könne, habe er sich entschlossen, Polen zu verlassen und in Österreich neuerlich um internationalen Schutz zu ersuchen, weil er in Polen nicht mehr sicher gewesen sei. Er sei der Sicherheitschef des früheren tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow gewesen, der im März 2005 ermordet worden sei. Überdies sei der Beschwerdeführer Repräsentant der tschetschenischen Exilregierung in Polen. Ihm seien vor der Flucht aus Tschetschenien Unterlagen anvertraut worden, in denen sich Namen von Personen fänden, welche direkt oder indirekt in die Ermordung des Präsidenten Maschadow involviert gewesen seien. In Polen sei er von "tschetschenischen Asylwerbern", die sich als Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB herausgestellt hätten, angesprochen worden. Sie hätten ihm viel Geld dafür versprochen, wenn er ihnen die erwähnten Unterlagen aushändigen würde. Dazu sei er aber nicht bereit gewesen. Ab diesem Zeitpunkt sei er mehrfach mit dem Tode bedroht worden. Nach der Ermordung eines anderen tschetschenischen Exilpolitikers in Polen sei ihm angedroht worden, er würde der Nächste sein. Einmal sei er auch angegriffen worden; seine Leibwächter hätten ihn jedoch verteidigen können. An die polnische Polizei habe er sich nicht gewandt, weil auch hochrangige polnische Persönlichkeiten in die Ermordung des tschetschenischen Präsidenten verwickelt gewesen seien. Hätte er Anzeige erstattet, so hätte das für ihn bedeutet, sein Todesurteil selbst zu unterschreiben.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen aus; demzufolge sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig.

In der Begründung dieses Bescheides traf die erste Instanz Feststellungen zum polnischen Asylverfahren und zur Versorgung von Asylwerbern in Polen. Zum individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers führte das Bundesasylamt aus, es schenke zwar seinen Angaben Glauben, er wäre in Polen ein Vertreter der Tschetschenen gewesen. Es werde ihm aber - aus näher dargestellten Gründen - nicht geglaubt, dass er in Polen von FSB-Agenten bedroht worden sei. In rechtlicher Hinsicht vertrat die erstinstanzliche Behörde die Auffassung, im gegenständlichen Fall sei § 4 Abs. 1 AsylG 2005 teleologisch anzuwenden, weil die Dublin-Verordnung - wegen der bereits erfolgten Asylgewährung - in Bezug auf den Beschwerdeführer nicht mehr anwendbar sei. Polen sei gemäß § 39 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 als sicherer Herkunftsstaat (Drittstaat) zu bezeichnen; die gesetzlichen Voraussetzungen des § 4 AsylG 2005 seien erfüllt. Der Beschwerdeführer sei nach Polen auszuweisen, weil die Überstellung dorthin - aus näher dargestellten Gründen - keine Verletzung des Art. 8 EMRK begründe.

Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung. In dieser trat er den beweiswürdigenden Überlegungen der erstinstanzlichen Behörde betreffend sein individuelles Fluchtvorbringen substantiiert entgegen. Zusätzlich brachte er vor, die Erstbehörde setze sich zu Unrecht über seine Familienbindungen in Österreich hinweg, welche gerade in seinem besonderen Fall von Bedeutung seien, weil er mit der Unterstützung seiner Familie gegenüber allfälligen Nachstellungen der "Kadyrovci" rechnen könne.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 4 und 10 AsylG 2005 ab.

Nach Wiedergabe des erstinstanzlichen Verfahrensganges führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe in der Berufung vollinhaltlich auf die bereits vor der Erstbehörde ins Treffen geführten Argumente verwiesen. Anschließend zitierte die belangte Behörde die Bezug habenden Gesetzesbestimmungen und führte rechtlich lediglich Folgendes aus (Schreibfehler im Original):

"Anlässlich seiner beiden niederschriftlichen Einvernahmen bestätigte der (Beschwerdeführer) selbst dezidiert, sich unmittelbar vor seiner Asylantragstellung in Österreich bereits zwei Jahre in Polen aufgehalten und dort den Status eines Asylberechtigten zuerkannt bekommen zu haben. Diese Angaben stimmen inhaltlich sowohl mit dem EURODAC-Suchergebnis als auch mit den als Beweismittel vorgelegten und für unbedenklich erachteten Dokumenten überein.

Im Ergebnis sind zudem im vorliegenden Fall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung i.S.d. § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ersichtlich, zumal weder ein - nicht auf das AsylG 2005 gestütztes - Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch die Ausweisung des (Beschwerdeführers) eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellt. Darüber hinaus liegen auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gem. § 10 Abs. 3 AsylG 2005 vor. Bezüglich des in den Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruches über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des (Beschwerdeführers) nach Polen wird bemerkt, dass die getroffene Ausweisung gem. § 10 Abs. 4 erster Satz AsylG 2005 schon von Gesetzes wegen stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt, weil diese mit einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verbunden ist."

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer ist in seiner Berufung an die belangte Behörde den Erwägungen der erstinstanzlichen Asylbehörde, die in seinem Fall von einer Drittstaatsicherheit im Sinn des § 4 AsylG 2005 in Polen ausgegangen ist, mit einem ausführlichen (bestreitenden) Vorbringen entgegen getreten.

Die belangte Behörde beschränkte sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides zu diesem Themenkomplex auf die Wiedergabe des - unbestrittenen - Umstandes, dass der Beschwerdeführer in Polen bereits Asyl erhalten hat.

Ohne die im Zusammenhang mit der Asylgewährung in einem anderen (EU -)Staat auftauchenden Rechtsfragen im Einzelnen zu untersuchen, ist darauf zu verweisen, dass auch nach § 4 AsylG 2005 die Asylgewährung in einem anderen Staat einen (neuerlichen) Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet nicht in jedem Fall und unwiderlegbar unzulässig macht. Schon deshalb reicht die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht aus, um die Berufung des Beschwerdeführers nachvollziehbar abzuweisen.

Indem die belangte Behörde es unterließ, auf den Inhalt der Berufung näher einzugehen und sich fallbezogen damit auseinander zu setzen, hat sie gleichsam ein ihr nicht zustehendes Ablehnungsrecht in Anspruch genommen (vgl. zur ständigen hg. Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/19/1254, mwN) und ihre Entscheidung dadurch mit einem wesentlichen Begründungsmangel belastet.

Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auszuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG Abstand genommen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am