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VwGH vom 26.11.2019, Ra 2019/02/0174

VwGH vom 26.11.2019, Ra 2019/02/0174

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision 1. des S K in W und 2. der G AG in G, beide vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 46/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zlen. 1. VGW- 002/082/9599/2018-11 und 2. VGW-002/V/082/9600/2018, betreffend Übertretung des § 17 Abs. 2 Wiener Wettengesetz (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom legte die belangte Behörde dem Erstrevisionswerber zur Last, er habe es als verantwortlicher Beauftragter der G AG (Zweitrevisionswerberin) gemäß § 9 Abs. 2 VStG zu verantworten, dass diese Gesellschaft an der näher genannten Betriebsstätte in W, in der diese Gesellschaft die Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich Vermittlerin, ausübe, am die Verpflichtung des § 17 Abs. 2 Wiener Wettengesetz nicht eingehalten habe, weil die äußere Bezeichnung der Betriebsstätte einen unmissverständlichen Hinweis auf den Gegenstand der Bewilligung nicht beinhaltet habe. Der Erstrevisionswerber habe dadurch § 17 Abs. 2 Wiener Wettengesetz in der Fassung LGBl. für Wien Nr. 26/2016 verletzt, weshalb über ihn gemäß § 24 Abs. 1 Z 10 Wiener Wettengesetz iVm § 9 Abs. 1 VStG eine Geldstrafe in Höhe von EUR 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 23 Stunden) verhängt wurde.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass in der Tatumschreibung die erste Verwendung der Abkürzung "leg. cit."

durch "Wr. WettenG" ersetzt werde und § 17 Abs. 2 sowie § 24 Abs. 1 Z 10 Wr. WettenG jeweils "in deren Stammfassung" anzuführen seien. Mit Spruchpunkt II. wurde dem Erstrevisionswerber ein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt und die Haftung der Zweitrevisionswerberin hiefür ausgesprochen. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht mit Spruchpunkt III. für nicht zulässig.

3 Im Verhandlungsprotokoll vom findet sich anlässlich der Einvernahme des Zeugen S unter Punkt 11. "über Befragen des BfV" (Anm: Beschwerdeführervertreter) wörtlich folgende Passage:

"Keine weiteren Fragen werden zugelassen. BfV möchte fragen, ob der Zeuge gefragt hat, wo das Zutrittskontrollpickerl ist. BfV hat weitere Fragen, diese werden auch nicht mehr protokolliert.

Zeuge wird um 11:37 Uhr entlassen.

Der BfV beantragt zu protokollieren, dass die Vorgehensweise durch die Beschneidung des Fragerechts des BF keinem fairen Verfahren im Sinne der EMRK entspricht."

4 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass das Lokal an der genannten Adresse äußerlich gut erkennbar als Filiale der CS im üblichen, näher beschriebenen unternehmerischen Design in Erscheinung getreten sei, wenn auch im Tatzeitpunkt ein insoweit nicht zutreffender Zusatz "self service" angebracht gewesen sei. Neben diesen Angaben in der beschriebenen Aufmachung (CS Sportwetten) sei an diesem Standort kein Hinweis angebracht gewesen, der auf die konkret genehmigte Tätigkeit entsprechend der Bewilligung hingedeutet habe, weder an der Eingangstür noch im Eingangsbereich noch an einer anderen Stelle entlang der Außenfassade oder an den schaufensterartigen Glaselementen. Das Lokal sei eine behördlich genehmigte Betriebsstätte der G AG; diese verfüge über eine "Bewilligung zum gewerbsmäßigen Abschluss und zur gewerbsmäßigen Vermittlung von Wetten aus Anlass von sportlichen Veranstaltungen in der Betriebsstätte ..." nach dem Wr. Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens - GTWB-G. Bei einer behördlichen "Mängelnachkontrolle" am sei u.a. die äußere Bezeichnung der Betriebsstätte durch einen neuen Aufkleber mit folgendem Schriftzug ergänzt worden "G AG Gegenstand der Bewilligung: gewerbsmäßiger Abschluss von Wetten und gewerbsmäßige Vermittlung". Zusätzlich sei ein weiterer Hinweisaufkleber angebracht gewesen, der ergänzend sehr augenfällig durch entsprechende graphische Gestaltung noch deutlicher auf ein Zutrittsverbot für Kinder und Jugendliche (neuerlich) hinwies. Der genaue Zeitpunkt der Anbringung dieser beiden Aufkleber nach der Kontrolle am habe nicht festgestellt werden können. Der Erstrevisionswerber sei für diese Filiale hauptverantwortlich gewesen, habe jedoch nicht angeben können, welche wettunternehmerische Tätigkeit dort durch die G AG im Tatzeitpunkt konkret ausgeübt worden sei; über den dementsprechend anzubringenden Hinweis sei er sich nicht im Klaren gewesen. Entsprechende Aufkleber seien auch in einer am Standort vorhandenen Mappe mit Standortunterlagen als Ersatzmaterial nicht enthalten gewesen und hätten während der Kontrolle am nicht angebracht werden können.

5 Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht für die Feststellung, dass kein Hinweis angebracht gewesen sei, der auf die bewilligte wettunternehmerische Tätigkeit der G AG entsprechend der Bewilligung Bezug genommen habe, auf die Aussage des Zeugen S in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Dieser habe glaubwürdig sein sorgfältiges Vorgehen beim Kontrollvorgang anhand des Überprüfungsbogens und der Fotoaufnahmen dargelegt. Der Erstrevisionswerber sei sich demgegenüber über seine Verpflichtungen nicht im Klaren gewesen. In der Folge erläuterte das Verwaltungsgericht seine rechtlichen Überlegungen sowie die Strafbemessung.

6 Die Revisionswerber erhobenen gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom , E 1787/2019-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abtrat.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurück- in eventu die Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision erweist sich im Hinblick auf ihr Vorbringen, die angefochtene Entscheidung verletze tragende Grundsätze des Verfahrensrechts, nämlich das kontradiktorische Fragerecht an den einzigen Belastungszeugen durch den Beschuldigten, was aus näher dargestellten Gründen für das Ergebnis des Verfahrens relevant sei, als zulässig. Sie ist auch berechtigt:

9 Nach Art. 6 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht. Nach Abs. 3 lit. d dieser Bestimmung hat jeder Angeklagte mindestens das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken.

10 § 46 VwGVG lautet auszugsweise:

"Beweisaufnahme

§ 46. (1) Das Verwaltungsgericht hat die zur Entscheidung der Rechtssache erforderlichen Beweise aufzunehmen.

(2) Außer dem Verhandlungsleiter sind die Parteien und ihre Vertreter, insbesondere der Beschuldigte, im Verfahren vor dem Senat auch die sonstigen Mitglieder berechtigt, an jede Person, die vernommen wird, Fragen zu stellen. Der Verhandlungsleiter erteilt ihnen hiezu das Wort. Er kann Fragen, die nicht der Aufklärung des Sachverhaltes dienen, zurückweisen.

(3) ..."

11 Der zum Tatzeitpunkt in Kraft stehende § 17 Wiener Wettengesetz in der Stammfassung LGBl. Nr. 26/2016, unverändert geblieben durch die Novelle LGBl. Nr. 48/2016, lautete:

"Äußere Bezeichnung der Betriebsstätte

§ 17.(1) Jede Wettunternehmerin und jeder Wettunternehmer ist verpflichtet, die Betriebsstätte durch eine äußere Bezeichnung deutlich und dauerhaft kenntlich zu machen.

(2) Die äußere Bezeichnung hat in gut sichtbarer Schrift einen unmissverständlichen Hinweis auf den Gegenstand der Bewilligung zu enthalten."

12 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Ra 2019/02/0080, zur Auslegung des § 17 Abs. 2 Wr. WettenG ausgesprochen hat, ist "Gegenstand der Bewilligung" im Sinne dieser Bestimmung in der Fassung LGBl. Nr. 26/2016 - ausgehend vom Inhalt des Bewilligungsbescheids - nur die konkret bewilligte Tätigkeitsart, nämlich die Tätigkeit als Buchmacher, Totalisateur und/oder Vermittler, nicht hingegen die "Tätigkeit als Wettunternehmer". Nach dem Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 2 Wiener Wettengesetz hat der Hinweis auf den Gegenstand der Bewilligung "unmissverständlich" zu sein.

13 Im vorliegenden Fall ist strittig, ob ein solcher "unmissverständlicher" Hinweis vorgelegen ist. Die Revisionswerber haben bereits in ihrer Beschwerde vom gegen das Straferkenntnis vorgebracht, dass ein solcher Hinweis vorhanden gewesen, jedoch vom einschreitenden Behördenorgan "offenbar übersehen" worden sei. Das Verwaltungsgericht stützt seine Feststellung, es habe kein solcher Hinweis vorgelegen auf die Aussage des in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen. 14 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, verlangen die nach Art. 6 Abs. 1 oder Abs. 3 lit. d EMRK gewährten Rechte, dass der Angeklagte eine angemessene und geeignete Gelegenheit erhält, die Glaubwürdigkeit eines gegen ihn aussagenden Zeugen grundsätzlich in Frage zu stellen, sei es in dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge die Aussage ablegt, sei es zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens (vgl. , mit Hinweisen auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes).

15 Die Anforderungen an ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK gebieten es, alle Beweise grundsätzlich in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung aufzunehmen (vgl. , mwN). 16 Das Verwaltungsgericht hat die gemäß § 44 VwGVG gebotene mündliche Verhandlung durchgeführt (vgl. ) und den (einzigen) Belastungszeugen vernommen. Es hat in der Folge jedoch nach dem unbestrittenen Inhalt des Verhandlungsprotokolls nach einer ersten Frage des Vertreters der Revisionswerber hinsichtlich der aufgenommenen Fotos und einer zweiten Frage, ob ein Hinweis erfolgt sei, dass ein Zutrittsverbotsschild anzubringen gewesen sei, keine weiteren Fragen an den Belastungszeugen mehr zugelassen, obwohl der Vertreter der Revisionswerber zumindest eine nach dem Verhandlungsprotokoll konkret ausformulierte Frage gestellt hatte und auch noch weitere - nicht näher angeführte - Fragen in Aussicht gestellt hatte. Es ist dem Verhandlungsprotokoll nicht zu entnehmen bzw. hinsichtlich der ausformulierten Frage auch nicht zu erkennen, dass diese beabsichtigten Fragen mit dem Verfahren in keinem Zusammenhang gestanden wären bzw. dass diese nicht der Aufklärung des Sachverhaltes gedient hätten (vgl. § 46 Abs. 2 VwGVG).

17 Angesichts dessen, dass es sich bei dem vernommenen Zeugen um den einzigen Belastungszeugen gehandelt hat, kam dem Fragerecht der Revisionswerber anlässlich dessen Einvernahme besondere Bedeutung zu (vgl. EGMR , Nr. 9120/80, Unterpertinger; , Nr. 12398/86, Asch).

18 Das Verwaltungsgericht hat daher durch die Beschneidung des Fragerechts an den Belastungszeugen tragende Grundsätze des Verfahrensrechts verletzt.

19 Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

20 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die § 47 ff VwGG, insbesondere § 53 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 i. d.F. BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019020174.L00
Schlagworte:
Parteiengehör

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