VwGH vom 15.12.2011, 2010/21/0207
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des M in G, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. E1/20159/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am illegal nach Österreich ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen; zugleich wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei. Eine dagegen erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom ab. Dagegen erhob der Beschwerdeführer im Juni 2005 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Beschluss vom die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Die Behandlung dieser Beschwerde wurde mit Beschluss vom , Zl. 2006/19/0199, abgelehnt.
Der Beschwerdeführer hat einen in Indien verbliebenen Sohn, mit dem er regelmäßig telefonischen Kontakt pflegt. In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers.
Mit dem vorliegend angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß den §§ 31, 53 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer halte sich - zumindest seit dem erwähnten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom - insofern rechtswidrig im Bundesgebiet auf, als ihm weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei. Ein Aufenthaltsrecht auf Grund einer anderen Bestimmung sei weder behauptet worden noch aus der Aktenlage ersichtlich.
Bereits die Erstbehörde habe ausgeführt, eine am durchgeführte Befragung des Beschwerdeführers, der keine gerichtlichen Verurteilungen aufweise, habe ergeben, dass die Integration nur mangelhaft fortgeschritten sei. Er habe nur eingeschränkte Kenntnisse der deutschen Sprache aufgewiesen. Weiters lägen keine Tätigkeiten in Vereinen vor, es bestünden kaum Bekanntschaften bzw. Freundschaften mit ortsansässigen Österreichern.
Auf Grund des langen Aufenthalts in Österreich seit dem - so argumentierte die belangte Behörde weiter - und der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (als Kolporteur) sei dem Beschwerdeführer eine "entsprechende Integration" zuzubilligen. Deren Gewicht sei jedoch maßgebend dadurch gemindert, dass sein Aufenthalt während des Asylverfahrens nur auf Grund des Asylantrages, der sich letztlich als unbegründet erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass er sein Privat- "und Familienleben" während dieses Zeitraumes geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Dies gelte umso mehr für die Zeit nach der erstinstanzlichen Abweisung des Asylbegehrens am . Aus diesem Grund relativiere sich auch die berufliche Integration, habe der Beschwerdeführer doch bereits bei Aufnahme seiner Erwerbstätigkeit gewusst, dass sein Aufenthalt in Österreich nur an das Abwarten der Entscheidung über den Asylantrag geknüpft gewesen sei.
Nach Abwägung der dargestellten Gesichtspunkte kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers zur Wahrung der öffentlichen Ordnung gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung nämlich in hohem Maße. Die öffentliche Ordnung würde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begäben und versuchten, damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund seien auch keine tauglichen Gesichtspunkte erkennbar, um das der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers zu üben.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass sein eingangs dargestelltes Asylverfahren rechtskräftig beendet ist. Auch ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorläge. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG (in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;
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2. | das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; |
3. | die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; |
4. | der Grad der Integration; |
5. | die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; |
6. | die strafgerichtliche Unbescholtenheit; |
7. | Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; |
8. | die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren." |
Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde eine erforderliche Interessenabwägung am Maßstab der Kriterien des zitierten § 66 Abs. 2 FPG vorgenommen und dabei auch die in der Beschwerde angeführten, für einen Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechenden Umstände - erkennbar jedenfalls im Wesentlichen - in diese Beurteilung einbezogen. | |
Dem Vorbringen zur Integration des Beschwerdeführers während seines langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet hielt die belangte Behörde dabei aber zutreffend entgegen, dass dieser durch eine illegale Einreise begonnene und nur vorläufig rechtmäßige Aufenthalt lediglich auf einen unbegründeten Asylantrag zurückzuführen war und seit Beendigung des Asylverfahrens unrechtmäßig ist. Die während des Aufenthalts erlangten Gesichtspunkte der Integration, die zudem nur das Privat- und nicht das Familienleben des Beschwerdeführers betreffen sowie in Teilbereichen (Sprachkenntnisse und Wohnen im Pfarrhof) nicht allzu ausgeprägt sind, wurden im Wesentlichen in einem Zeitraum erworben, als sich der Beschwerdeführer (spätestens) auf Grund der Abweisung seines Asylantrages mit erstinstanzlichem Bescheid vom der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er also - für den Fall eines negativen Ausgangs seines Asylverfahrens - nicht mit einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durfte. Im Übrigen war sein Aufenthalt nach der Behandlung der gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhobenen Beschwerde mit hg. Beschluss vom , somit - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - fast vier Jahre lang unrechtmäßig. | |
Zwar hat § 66 Abs. 2 Z. 8 FPG schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0223, mwN). Jedoch sind nach dem Gesagten die im vorliegenden Fall zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände in ihrer Gesamtheit betrachtet nicht von solchem Gewicht, dass sie eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung begründen könnten. | |
Es ist nicht zu sehen, dass dem Beschwerdeführer eine Ausreise in seinen Heimatstaat nicht zuzumuten wäre. Ob eine Kontaktmöglichkeit zu dem in Indien verbliebenen Sohn hergestellt werden kann, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Mit einem dort erforderlichen sozialen und wirtschaftlichen Neubeginn verbundene Schwierigkeiten sind auf Grund des öffentlichen Interesses an der Erlassung einer Ausweisung in Kauf zu nehmen. | |
Die belangte Behörde ist nämlich im Recht, wenn sie im Verhalten des Beschwerdeführers eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat. Es trifft zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentliche Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein sehr hoher Stellenwert zukommt (vgl. zum Ganzen neuerlich das zitierte hg. Erkenntnis vom mwN). | |
Weiters macht der Beschwerdeführer geltend, an Asthma bronchiale, einer Fettstoffwechselstörung, einer Bandscheibenverschmälerung und beginnenden Gefäßerkrankungen auf Grund von Stoffwechselstörungen zu leiden. Die Behandlung dieser Erkrankungen in Indien könne er sich nicht leisten. | |
Dem ist zu entgegnen, dass es nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für die Interessenabwägung nach § 66 FPG nicht entscheidend ins Gewicht fällt, dass die Behandlung im Zielstaat schwerer zugänglich oder (für den Patienten) kostenintensiver ist, solange es grundsätzlich - was auch die Beschwerde ausdrücklich einräumt - Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat gibt (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0003, mwN auch aus der Judikatur des EGMR). | |
Die vorliegende Ausweisung greift nicht in ein Familienleben des Beschwerdeführers ein. Unter Berücksichtigung seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich liegen - trotz der sehr langen Aufenthaltsdauer und der mittlerweile erlangten (vor allem beruflichen) Integration - noch keine derart außergewöhnlichen Umstände vor, dass dem Beschwerdeführer ein direkt aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zugestanden werden müsste. | |
Schließlich werden in der Beschwerde auch keine ausreichenden Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung der belangten Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre. | |
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. | |
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. | |
Wien, am |
Fundstelle(n):
ZAAAE-81196