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VwGH vom 30.04.2009, 2006/05/0264

VwGH vom 30.04.2009, 2006/05/0264

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Pallitsch, Dr. Handstanger, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde der KgesmbH in Wien, vertreten durch Dr. Georg Braunegg, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Elisabethstraße 15, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. BOB-319/06, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom wurde gegenüber der Beschwerdeführerin ein Bescheid mit folgendem Spruch erlassen:

"Der Magistrat erteilt gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für

Wien (BO) der Eigentümerin der Baulichkeit ... nachstehenden Auftrag:

Innerhalb von 1 Monat nach Rechtskraft dieses Bescheides ist das ohne baubehördliche Bewilligung in Wien 1, Rotenturmstraße 24, vor dem Haus Franz-Josefs-Kai 23 auf öffentlichem Gut und in einem Ausmaß von ca. 14,00 m Länge und 14,00 m Breite, sowie einer Höhe von ca. 4,00 m errichtete Flugdach samt elektrischer Beleuchtungen und deren Fundamente entfernen zu lassen."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die dagegen gerichtete Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen Folgendes festgehalten: Die Beschwerdeführerin habe nicht bestritten, Eigentümerin der gegenständlichen Baulichkeit zu sein. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin handle es sich bei dieser Konstruktion nicht um eine bewilligungsfreie Baumaßnahme iSd § 62a Abs. 1 Z. 33 BO. Nach den Gesetzesmaterialien zu § 62a Abs. 1 leg. cit. würden von dieser Regelung als bewilligungsfreie Bauvorhaben typischerweise solche angesehen, bei denen die von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen (wenn überhaupt) nur in äußerst geringfügigem und daher vernachlässigbarem Ausmaß berührt werden könnten. Auf Grund der Ausgestaltung der vorliegenden Baulichkeit und der Art ihrer Nutzung sowie des Erfordernisses einer zur Vermeidung von Personengefährdung geeigneten Stand- und Sturmsicherheit könne von geringfügigen Berührungen der öffentlich wahrzunehmenden Interessen nicht gesprochen werden.

Nach der von der beschwerdeführenden Partei ins Treffen geführten Bestimmung des § 62a Abs. 1 Z. 33 BO sei für Außenjalousien, Markisen und dergleichen außerhalb von Schutzzonen und Gebieten mit Bausperre weder eine Baubewilligung noch eine Bauanzeige erforderlich. Unter Markise sei (unter Berufung auf Hans Koepf, Bildwörterbuch der Architektur) ein aufrollbares Sonnendach aus Stoff zu verstehen, das über Fenstern, Balkonen und dergleichen angebracht sei. Aus dieser Definition von "Markise" im Zusammenhang mit der systematischen Einordnung neben dem Wort "Außenjalousien" im § 62a Abs. 1 Z. 33 BO ergebe sich deutlich, dass der Gesetzgeber darunter nur solche Beschattungsvorrichtungen habe subsumieren wollen, die mechanisch verstellbar bzw. aufrollbar an der Fassade eines Gebäudes angebracht seien. Dies sei (wie die im Akt befindlichen Lichtbilder zeigten) vorliegend nicht gegeben.

Für eine Bewilligungsfreiheit der vorliegenden Baulichkeit käme allenfalls § 62a Abs. 1 Z. 13 BO in Betracht, wonach Flugdächer mit einer bebauten Fläche von höchstens 20 m2 und einer lotrecht zur bebauten Fläche gemessenen Höhe von höchstens 2,50 m auf unmittelbar bebaubaren Flächen, ausgenommen in Schutzzonen und Gebieten mit Bausperren, weder einer Baubewilligung noch einer Bauanzeige bedürften. Nach der unbestrittenen Aktenlage weise das vorliegende Flugdach aber eine Höhe von ca. 4 m auf, ferner errechne sich aus den Angaben zu seiner Länge bzw. Breite eine bebaute Fläche von 196 m2. Angesichts des Außenmaßes des Flugdaches sei somit nach § 60 Abs. 1 lit. a BO eine Bewilligungspflicht gegeben und die Anwendung des § 62a leg. cit. ausgeschlossen.

Gemäß § 60 Abs. 1 lit. a leg. cit. sei bei Neu-, Zu- und Umbauten (soweit nicht §§ 62, 62a oder 70a zur Anwendung kämen) vor Beginn die Bewilligung der Behörde zu erwirken. Unter Neubau sei die Errichtung neuer Gebäude zu verstehen; ein solcher liege auch vor, wenn nach Abtragung bestehender Baulichkeiten die Fundamente oder Kellermauern ganz oder teilweise wieder benützt würden. Ein einzelnes Gebäude sei eine raumbildende bauliche Anlage, die in ihrer Bausubstanz eine körperliche Einheit bilde und nicht durch Grenzen eines Bauplatzes oder Bauloses oder durch Eigentumsgrenzen geteilt sei, ausgenommen die zulässige Bebauung von Teilen des öffentlichen Gutes. Der Bezeichnung als ein einzelnes Gebäude stehe nicht entgegen, dass in ihm Brandmauern enthalten seien oder es auf Grundflächen von verschiedener Widmung, verschiedener Bauklasse oder verschiedener Bauweise errichtet sei. Ein Raum liege vor, wenn eine Fläche zumindest zur Hälfte ihres Umfanges von Wänden umschlossen und von einer Deckfläche abgeschlossen sei; ein Aufenthaltsraum müsse allseits umschlossen sein. Flugdächer mit einer bebauten Fläche von mehr als 25 m2 oder einer lotrecht zur bebauten Fläche gemessenen Höhe von mehr als 2,50 m würden als Gebäude gelten. Das vorliegende Flugdach weise, wie erwähnt, eine Höhe von ca. 4 m sowie eine bebaute Fläche von 196 m2 auf und gelte somit gemäß § 60 Abs. 1 lit. a BO als Gebäude. Die Bewilligungspflicht dieses Flugdaches, zu dessen Herstellung überdies ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnis erforderlich sei, das mit dem Boden in eine gewisse kraftschlüssige Verbindung gebracht sei (eine Verbindung mit dem Boden sei selbst dann anzunehmen, wenn eine Anlage zwar keine Verbindung mit dem Boden habe, eine solche aber bei ordnungsgemäßer Ausführung nach den Regeln der technischen Wissenschaft hätte haben müssen) und das ferner wegen seiner Beschaffenheit und Anforderung an die Sturm- und Kippsicherheit und der damit einhergehenden Vermeidung der Gefährdung von Personen die öffentlichen Interessen zu berühren geeignet sei, gründe sich somit auf § 60 Abs. 1 lit. a BO.

Eine behauptetermaßen vorhandene Bewilligung nach dem Wiener Gebrauchsabgabegesetz vermöge eine Bewilligung nach der BO nicht zu ersetzen, zumal diese lediglich die Inanspruchnahme öffentlichen Grundes der Gemeinde, nicht aber die in der BO normierten Interessen (insbesondere betreffend die Einhaltung der vorgegebenen Bebauungspläne, der Vorschriften über die bauliche Ausnutzbarkeit der Bauplätze und der die sicherheitstechnische Ausführung der Konstruktion betreffenden Vorschriften) betreffe.

Da für das gegenständliche Flugdach eine baubehördliche Bewilligung erforderlich und diese bislang nicht erwirkt worden sei, sei der vorliegende Auftrag zu erteilen gewesen, wobei eine Unkenntnis der Rechtslage seitens der Beschwerdeführerin an der Rechtmäßigkeit dieses Bauauftrages nichts zu ändern vermöge. Sollte die Beschwerdeführerin eine nachträgliche Baubewilligung für die angeführte bauliche Anlage erwirken, sei der Abtragungsauftrag gegenstandslos, dieser könnte während der Anhängigkeit eines Verfahrens auf Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung auch nicht vollstreckt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 129 Abs. 10 BO, LGBl. Nr. 11/1930 (in der vorliegend maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 41/2005) ist jede Abweichung von den Bauvorschriften einschließlich der Bebauungsvorschriften zu beheben. Ein vorschriftswidriger Bau, für den eine nachträgliche Baubewilligung nicht erwirkt worden ist oder eine Bauanzeige nicht rechtswirksam erstattet wurde, ist zu beseitigen. Gegebenenfalls kann die Behörde Aufträge erteilen; solche Aufträge müssen erteilt werden, wenn augenscheinlich eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen besteht. Vorschriftswidrig ist somit jeder Bau, für den im Zeitpunkt seiner Errichtung eine baubehördliche Bewilligung erforderlich war (und weiterhin - also auch im Zeitpunkt der Erlassung des Beseitigungsauftrags - erforderlich ist), für den aber eine Baubewilligung nicht vorliegt, wobei auch für bauanzeigepflichtige Bauführungen ein Beseitigungsauftrag zu Recht erteilt werden kann.

Entgegen der Beschwerde erweist sich die von der belangten Behörde vertretene - oben wiedergegebene - Auffassung, dass die vorliegende Konstruktion (eine - seitlich offen und freistehend - auf mehreren Stützen ruhende Dachvorrichtung) aus grammatikalischer, aus normsystematischer und (nach den Gesetzesmaterialien) aus historischer Sicht nicht als "Markise" iSd § 62a Abs. 1 Z. 33 BO eingestuft werden kann, als rechtskonform. Daran vermag der geltend gemachte Umstand nichts zu ändern, dass das Dach im vorliegenden Fall aus einer (ausrollbaren) Markise besteht, zumal sich jedenfalls im ausgerollten Zustand (offensichtlich bestimmungsgemäß zum Schutz der Gäste im "Schanigarten") eine im Kontext der angesprochenen Regelungen der BO als Flugdach einordenbare Baulichkeit ergibt, die angesichts ihrer unbestrittenen Ausmaße nicht unter § 62a Abs. 1 Z. 13 BO, sondern unter die besagte Bewilligungspflicht nach § 60 Abs. 1 lit. a leg. cit. fällt. Diese Einordnung entfernt sich im Übrigen nicht von dem nach dem allgemeinen Sprachgebrauch üblichen Verständnis des Wortes Flugdach, wie es in im Österreichischen Wörterbuch, 40. Auflage, 2006, angegeben wird:

"Flugdach: seitlich offene Überdachung (von Bahnsteigen)". Die BO enthält auch keine Vorschriften über die Beschaffenheit, die die als Dach fungierende Abdeckung eines Flugdaches aufweisen muss.

Dass die Erstbehörde (wie die Beschwerde meint) in der Begründung ihres Bescheides eine davon abweichende Auffassung vertrat, vermag eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides schon deshalb nicht aufzuzeigen, weil die belangte Behörde, wie in § 66 Abs. 4 AVG angeordnet, in der Sache selbst zu entscheiden hatte und berechtigt war, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an Stelle jener der Unterbehörde zu setzen. Gleiches gilt für den Hinweis, die vorliegende Konstruktion sei in einem "genehmigten Schanigarten" errichtet worden, wobei auch sicherheitstechnische Voraussetzungen geprüft worden seien. Die damit offenbar angesprochene Bewilligung nach dem Wiener Gebrauchsabgabegesetz vermag eine nach der BO erforderliche Bewilligung nicht zu substituieren, zumal dafür (wie im angefochtenen Bescheid zutreffend festgehalten) die in der BO getroffenen Rechtsvorschriften maßgeblich sind.

Anders als die Beschwerdeführerin offenbar meint, handelt es sich schließlich bei der Frage der anwendbaren Norm um eine Rechtsfrage, zu deren Lösung die belangte Behörde ohne diesbezügliche Einräumung von Parteiengehör berechtigt war. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin war die belangte Behörde damit nicht gehalten, der Beschwerdeführerin die Möglichkeit zur Stellungnahme dazu einzuräumen, warum § 62a Abs. 1 Z. 33 BO im Beschwerdefall nicht zum Tragen kommt.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am