VwGH vom 04.09.2008, 2008/17/0143
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des Ing. I, vertreten durch Kosch & Partner, Rechtsanwälte in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 32, gegen den Bescheid des Stadtsenats der Statutarstadt Wiener Neustadt vom , Zl. 8A/873/08, betreffend Kanalbenützungsgebühren, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1. Aus der Beschwerde und dem mit ihr in Kopie vorgelegten angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:
1.1. Mit Bescheiden vom wurde die jährliche Kanalbenützungsgebühr für ein im Eigentum des Beschwerdeführers stehendes Grundstück für das Jahr 2003 mit EUR 125,42, für die Jahre 2004 bis 2005 mit je EUR 131,21, für das Jahr 2006 mit EUR 142,79, für das Jahr 2007 mit EUR 157,26 und ab dem Jahr 2008 mit EUR 164,98 festgesetzt.
1.2. Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er im Wesentlichen vorbrachte, dass es keinen Kanalanschluss gäbe und dieser "gemäß NÖ Bauordnung technisch nicht durchführbar" gewesen sei und (noch) sei. Es gäbe auch keinen Schmutzwasseranfall, da das Haus unbewohnt sei.
1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Begründend wird ausgeführt, dass für die gegenständliche Liegenschaft ein rechtskräftiger Anschlussverpflichtungsbescheid vom vorliege. Gemäß § 5 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 sei für die Möglichkeit der Benützung der öffentlichen Kanalanlage eine jährliche Kanalbenützungsgebühr zu entrichten. Maßgeblich sei nicht die effektive Benützung, sondern die Möglichkeit der Benützung der öffentlichen Kanalanlage.
1.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Nach § 1 Abs. 1 Niederösterreichisches Kanalgesetz, LGBl. Nr. 8230-0 in der Fassung LGBl. Nr. 8230-6 (im Folgenden: NÖ KanalG 1977), werden die Gemeinden gemäß § 8 Abs. 5 Finanzverfassungsgesetz 1948, BGBl. Nr. 45, ermächtigt, unter anderem Kanalbenützungsgebühren nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu erheben.
§ 5 Abs. 1 bis 3 und § 9 NÖ KanalG 1977 (letzterer mit der Abschnittsüberschrift) lauten:
"§ 5
Kanalbenützungsgebühr
(1) Für die Möglichkeit der Benützung der öffentlichen Kanalanlage ist eine jährliche Kanalbenützungsgebühr zu entrichten, wenn der Gemeinderat die Einhebung einer solchen Gebühr beschlossen hat.
(2) Die Kanalbenützungsgebühr errechnet sich aus dem Produkt der Berechnungsfläche und dem Einheitssatz zuzüglich eines schmutzfrachtbezogenen Gebührenanteiles. Dieser wird nur dann berücksichtigt, wenn die eingebrachte Schmutzfracht den Grenzwert von 100 Berechnungs-EGW überschreitet. Werden von einer Liegenschaft in das Kanalsystem Schmutzwässer und Niederschlagswässer eingeleitet, so gelangt in diesem Fall ein um 10 % erhöhter Einheitssatz zur Anwendung.
(3) Die Berechnungsfläche ergibt sich aus der Summe aller an die Kanalanlage angeschlossenen Geschoßflächen. Die Geschoßfläche angeschlossener Kellergeschoße und nicht angeschlossener Gebäudeteile wird nicht berücksichtigt. Angeschlossene Kellergeschoße werden jedoch dann berücksichtigt, wenn eine gewerbliche Nutzung vorliegt, ausgenommen Lagerräume, die mit einem Unternehmen im selben Gebäude in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Wird die Liegenschaft trotz bestehender Anschlussverpflichtung nicht an die Kanalanlage angeschlossen, so ist die Berechnungsfläche so zu ermitteln, als ob die Liegenschaft an die Kanalanlage angeschlossen wäre. III. Abschnitt
Gemeinsame Bestimmungen zu den Abschnitten I u. II
§ 9
Abgabepflichtiger
Die Kanalerrichtungsabgabe und Kanalbenützungsgebühr sind unabhängig von der tatsächlichen Benützung der öffentlichen Kanalanlage von jedem Liegenschaftseigentümer zu entrichten, für dessen Liegenschaft die Verpflichtung zum Anschluss besteht oder der Anschluss bewilligt wurde. Die Fäkalienabfuhrgebühren sind von jedem Liegenschaftseigentümer zu entrichten, dessen Liegenschaft gemäß § 7 Abs. 2 in den Abfuhrbereich einbezogen wird. Sind Liegenschaftseigentümer und Eigentümer des Bauwerkes oder Bauwerber verschiedene Personen, so sind die Kanalerrichtungsabgabe und Kanalbenützungsgebühr oder Fäkalienabfuhrgebühren vom Eigentümer des Bauwerkes oder Bauwerber zu entrichten. "
2.2. Der Beschwerdeführer wendet sich insbesondere gegen die Berufung der belangten Behörde auf den rechtskräftigen Anschlussverpflichtungsbescheid vom . Dieser Bescheid habe im Hinblick auf die technische Unmöglichkeit des Anschlusses Unmögliches angeordnet. Überdies sei mit Inkrafttreten der NÖ BauO 1996 eine wesentliche Änderung der Anschlussverpflichtung eingetreten. Dem in Rechtskraft erwachsenen Anschlussverpflichtungsbescheid könne keine "Reflexwirkung auf einen rechtlich unmöglichen Sachverhalt zukommen." Auch § 5 Abs. 3 Kanalgesetz 1977 vermöge die Möglichkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Kanalgesetz 1977 nicht zu begründen.
Dieses Vorbringen zeigt keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Wie sich aus dem (in der Beschwerde nicht genannten) § 9 NÖ Kanalgesetz 1977 ergibt, ist die Kanalbenützungsgebühr unabhängig von der tatsächlichen Benützung der öffentlichen Kanalanlage zu entrichten, wenn die Anschlusspflicht besteht (oder der Anschluss bewilligt wurde). Die Abgabepflicht gemäß § 5 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 setzt daher nicht voraus, dass das anschlusspflichtige Grundstück tatsächlich an die öffentliche Kanalanlage angeschlossen ist.
Wenn auch das NÖ Kanalgesetz 1977 hinsichtlich des Bestehens der Anschlusspflicht nicht zwingend auf das Vorliegen eines Anschlusspflichtbescheides abstellt und insoweit nicht jener Fall vorliegt, in dem die Lehre von der sogenannten Tatbestandswirkung eines Bescheides spricht (vgl. Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8, Rz 474), sondern das Bestehen der Anschlusspflicht eine Vorfrage für die Verwirklichung des Abgabentatbestandes ist, so entfaltet dennoch der rechtskräftige Anschlusspflichtbescheid (sofern es einen solchen wie im Beschwerdefall gibt) Bindungswirkung für das Abgabenverfahren (vgl. zur Bindungswirkung und ihrer Ableitung aus § 38 AVG Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht4, 232; für das Abgabenverfahren ergibt sich die Bindungswirkung aus den analogen Regelungen über die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens im Falle von Vorfragen, wie § 94 Abs. 1 NÖ Abgabenordnung). Dies auch ungeachtet des zwischenzeitigen Inkrafttretens der NÖ Bauordnung 1996, da gemäß § 77 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 "sämtliche baubehördliche Bescheide" "bestehen" blieben.
Eine allfällige technische Unmöglichkeit des Anschlusses wäre im Verfahren betreffend die Anschlussverpflichtung geltend zu machen (gewesen). Wie auch in der Beschwerde nicht bestritten wird, besteht jedoch ein rechtskräftiger Bescheid betreffend die Anschlussverpflichtung. An diesen konnte die belangte Behörde, gleichbleibende Sach- und Rechtslage vorausgesetzt (vgl. zu den sogenannten Grenzen der Rechtskraft Walter/Mayer, a.a.O., Rz 481, oder Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht4, 234), grundsätzlich anknüpfen. Da in der Beschwerde nicht behauptet wird, dass sich die Unmöglichkeit des Anschlusses erst nach der Erlassung des Bescheides vom ergeben hätte, und auch nicht etwa hervorgekommen ist, dass die öffentliche Kanalanlage, an welche der Anschluss durchzuführen ist, nicht mehr bestünde, liegt keine Änderung des Sachverhalts vor, die zu einer Durchbrechung der Rechtskraft des genannten Bescheides führen würde.
2.3. Die Beschwerde zeigt aber auch nicht auf, inwiefern sich die Rechtslage hinsichtlich der Anschlussverpflichtung durch das Inkrafttreten der NÖ Bauordnung 1996 in relevanter Weise geändert hätte.
Abgesehen davon, dass nicht geltend gemacht wird, im Hinblick auf die behauptete geänderte Rechtslage sei für das hier gegenständliche Grundstück eine Ausnahmebewilligung vom Anschlusszwang nach § 62 NÖ Bauordnung 1996 erwirkt worden, ist zu der allfälligen Möglichkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft im vorliegenden Zusammenhang Folgendes auszuführen:
Gemäß § 56 Abs. 3 NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200, bestand der Anschlusszwang an die öffentliche Kanalanlage dann, wenn die Anschlussleitung nicht länger als 50 m und die Ableitung in den öffentlichen Kanal ohne besondere technische Vorrichtungen möglich war. Im Falle der technischen Unmöglichkeit, die von der Beschwerde ins Treffen geführt wird, bestand somit keine Anschlussverpflichtung. Die technische Unmöglichkeit ist daher kein Umstand, der erst mit dem Inkrafttreten der NÖ Bauordnung 1996 (vgl. § 62 Abs. 2 NÖ Bauordnung 1996, dem zu Folge nunmehr der Anschlusszwang besteht, wenn "eine Anschlussmöglichkeit besteht") eine Ausnahme vom Anschlusszwang bewirkt hätte. Es ist somit auch keine Rechtslagenänderung derart eingetreten, dass Umstände, die im Jahre 1995 noch nicht zur Bewilligung einer Ausnahme vom Anschlusszwang geführt hätten, nunmehr im Gesetz berücksichtigt wären.
Es kann daher dahingestellt bleiben, ob in einem Fall wie dem vorliegenden der ursprüngliche Anschlussverpflichtungsbescheid schon durch die Erlassung einer neuen Rechtslage, die eine andere Entscheidung ermöglichen könnte, oder erst mit der Erlassung eines Ausnahmebescheids auf Grund der neuen Rechtslage seine Wirkungen verlöre (vgl. in diesem Zusammenhang den Hinweis auf die Dispositionsmöglichkeit des einfachen Gesetzgebers bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, 1394, und den oben genannten § 77 NÖ Bauordnung 1996, dem zu Folge früher erlassene Baubescheide ihre Wirkung behielten, sodass im vorliegenden Zusammenhang eher von einem Weiterbestehen auch solcher Bescheide auszugehen zu sein scheint, die nach den Kriterien für die sogenannten Grenzen der Rechtskraft allenfalls aufhebbar wären; inwieweit § 77 NÖ Bauordnung 1996 insofern eine Sperrwirkung zukommen könnte, ist hier ebenfalls nicht zu erörtern).
2.4. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt auch, dass die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht vorliegen, weil die gerügte Unterlassung weiterer erforderlicher Feststellungen nicht vorliegt. Wie bereits ausgeführt, wäre die Frage der technischen Unmöglichkeit des Anschlusses im Verfahren betreffend den Anschlusszwang aufzuwerfen gewesen. Im hier vorliegenden Abgabenverfahren war die Behörde nicht gehalten, auf das diesbezügliche Vorbringen näher einzugehen.
2.5. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am