VwGH vom 29.09.2011, 2008/16/0026

VwGH vom 29.09.2011, 2008/16/0026

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde der G GmbH in S, vertreten durch Dr. Peter Schmautzer, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Lerchenfelderstraße 39, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Zollsenat 3 (K), vom , Zl. ZRV/0199- Z 3K/04, betreffend Anspruchszinsen, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom schrieb das (damalige) Hauptzollamt Graz (im Folgenden: Zollamt) der Beschwerdeführerin eine gemäß Art. 204 Abs. 1 lit. a Zollkodex ZK entstandene Eingangsabgabenschuld von ATS 3,514.327,-- vor.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Berufungsvorentscheidung des Zollamtes vom als unbegründet abgewiesen.

Die belangte Behörde gab mit Bescheid vom der dagegen erhobenen Beschwerde teilweise Folge und setzte die Eingangsabgaben in der Höhe von insgesamt ATS 1,485.991,-- (EUR 107.991,17) neu fest. Begründend führte die belangte Behörde u. a. aus, die Beschwerdeführerin habe 1996 diverse importierte Früchte in das Zolllagerverfahren überführt und kurze Zeit später be- oder verarbeitet. Vor der Wiederausfuhr seien die Waren in das Verfahren der aktiven Veredelung überführt worden. Die Beschwerdeführerin habe somit eingelagerte Nichtgemeinschaftswaren jeweils über die zulässigen Lagerbehandlungen hinausgehenden Veredelungshandlungen unterzogen und damit Pflichtverletzungen begangen, welche zum Entstehen der Abgabenschuld geführt hätten. Allerdings seien alle aus diesen Pflichtverletzungen allfällig entstandenen Zollschuldigkeiten vor dem als verjährt anzusehen.

Mit (in den vorgelegten Akten nicht enthaltenem) Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin die Zahlung von Anspruchszinsen in Höhe von EUR 13.393,89, weil ihr nach dem Bescheid vom der Differenzbetrag von EUR 102.385,20 zu Unrecht vorgeschrieben worden sei.

Mit Bescheid vom wies das Zollamt diesen Antrag der Beschwerdeführerin ab. Gemäß Art. 241 ZK seien Zinsen nur zu zahlen, wenn eine Entscheidung, mit der einem Erstattungsantrag stattgegeben werde, nicht innerhalb von drei Monaten nach ihrem Ergehen vollzogen werde oder wenn dies aufgrund der einzelstaatlichen Bestimmungen vorgesehen sei. Aufgrund der Berufungsentscheidung vom und der am veranlassten, am vollzogenen kassenmäßigen Buchung sei die in Art. 241 zweiter Satz erster Anstrich ZK vorgesehene Frist von drei Monaten eingehalten worden. Eine Verzinsung des Erstattungsbeitrages gem. § 205 BAO sei nicht möglich, weil sich diese Bestimmung ausschließlich auf die nationalen Abgaben Einkommen- und Körperschaftsteuer beziehe.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, dass § 205 BAO keinesfalls zu entnehmen sei, es seien nur die Differenzbeträge der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu verzinsen. § 205 BAO gelte auch für Differenzbeträge aus der Aufhebung von Abgabenbescheiden und daher auch für andere Abgaben. Zu berücksichtigen sei weiters, dass die belangte Behörde erst nach Einbringung einer Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof entschieden habe.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Zollamt die Berufung ab, wogegen die Beschwerdeführerin Beschwerde an die belangte Behörde erhob.

Mit hg. Erkenntnis vom , 2004/16/0134, hob der Verwaltungsgerichtshof die (im Verfahren über die Abgabenvorschreibung ergangene) Berufungsentscheidung vom wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf.

Die Beschwerdeführerin gibt hinsichtlich dieses Verfahrens in ihrer Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof an, die belangte Behörde habe mit ihrem im fortgesetzten Verfahren ergangenen Bescheid vom festgestellt, dass keine Zollschuld entstanden sei. Unmittelbar danach sei die Rückzahlung der (restlichen) bezahlten Beträge erfolgt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerde gegen die Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet ab. In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, Art. 241 ZK finde keine Anwendung, weil weder Erstattung noch Erlass der Abgaben iSd Titels VII Kapitel 5 ZK vorläge. Die Berufungsentscheidung sei zudem innerhalb von drei Monaten nach ihrem Ergehen vollzogen worden. Die nationalen Vorschriften sähen keine Verzinsung der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben vor. Auch § 78 ZollR-DG, auf den § 85 leg. cit. bei der Berechnung der Zinsen in Anwendung des Art. 241 ZK verweise, könne nicht entnommen werden, dass Zinsen auch aufgrund eines erfolgreichen Rechtsmittels zustünden.

§ 323 Abs. 7 BAO sehe eine Anwendung des § 205 BAO erstmals für nach dem entstandene Abgabenansprüche vor. Dass für Abgaben, für die der Abgabenanspruch zwischen und entstanden sei, der maßgebliche Zeitpunkt für den Beginn der Verzinsung mit anstelle des festgesetzt worden sei, habe im gegenständlichen Fall keine Auswirkungen, weil nach dem Wortlaut des § 205 BAO Zinsen nur für Einkommen- und Körperschaftsteuern, nicht aber für Eingangsabgaben vorgesehen seien.

Da für die Gewährung von Anspruchszinsen jede gesetzliche Grundlage fehle, sei es auch unbeachtlich, dass eine Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben worden sei.

Der Beschwerdeführer erhob zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , B 1610/07-3, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese zur Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof ab.

In ihrer vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem "Recht insoferne verletzt, als die belangte Behörde entgegen den Bestimmungen des § 205 BAO, Artikel 241 ZK in Verbindung mit § 78 Zollrechtsdurchführungsgesetz sowie Artikel 52 EGV … für … rechtswidrig eingehobener und von uns bezahlter Abgaben keine Zinsen erstattet hat".

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Erstatten Zollbehörden Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge

sowie bei deren Entrichtung gegebenenfalls erhobene Kredit- oder

Säumniszinsen, sind nach Art. 241 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92

des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der

Gemeinschaften (Zollkodex, ZK) dafür von diesen Behörden keine

Zinsen zu zahlen. Dagegen sind Zinsen zu zahlen,

- wenn eine Entscheidung, mit der einem

Erstattungsantrag stattgegeben wird, nicht innerhalb von drei

Monaten nach ihrem Ergehen vollzogen wird;

- wenn dies aufgrund der einzelstaatlichen

Bestimmungen vorgesehen ist.

Der Zinsbetrag ist so zu berechnen, dass er dem Betrag entspricht, der hierfür auf dem einzelstaatlichen Geld- und Kapitalmarkt gefordert würde.

Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden nach Art. 236 Abs. 1 erster Unterabsatz ZK insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war.

Die Erstattung der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erfolgt nach Art. 236 Abs. 2 ZK auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen. Die Zollbehörden nehmen die Erstattung von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass u.a. einer der in Absatz 1 Unterabsatz 1 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.

Nach § 85 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) gilt für die Berechnung der Zinsen nach Art. 241 ZK § 78 ZollR-DG sinngemäß.

§ 78 ZollR-DG sieht in seinem Abs. 1 die Erhebung von Kreditzinsen im Falle der Gewährung bestimmter Zahlungserleichterungen vor. Abs. 2 leg. cit. enthält Regelungen zur Bestimmung des dabei anzuwendenden Jahreszinssatzes.

Differenzbeträge an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer,

die sich aus Abgabenbescheiden unter Außerachtlassung von

Anzahlungen (Abs. 3), nach Gegenüberstellung mit Vorauszahlungen

oder mit der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben, sind

nach § 205 Abs. 1 BAO idF BGBl. I Nr. 84/2002 für den Zeitraum ab

1. Oktober des dem Jahr des Entstehens des Abgabenanspruchs

folgenden Jahres bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser

Bescheide zu verzinsen (Anspruchszinsen). Dies gilt sinngemäß für

Differenzbeträge aus

a) Aufhebungen von Abgabenbescheiden,

b) Bescheiden, die aussprechen, dass eine Veranlagung

unterbleibt,

c) auf Grund völkerrechtlicher Verträge oder gemäß

§ 240 Abs. 3 erlassenen Rückzahlungsbescheiden.

Strittig ist, ob der Beschwerdeführerin Zinsen für jenen Teil der Abgaben zustehen, von dem die belangte Behörde mit (dem in der Folge aufgehobenen) Bescheid vom ausgesprochen hat, dass sie zu Unrecht vorgeschrieben wurden.

Die Beschwerdeführerin macht vor dem Verwaltungsgerichtshof als Rechtsverletzung geltend, dass ihr entgegen Art. 241 ZK Anspruchszinsen vorenthalten worden seien, und beruft sich darauf, dass nach dieser Bestimmung eine Verzinsung des "Erstattungsbetrages" vorzunehmen wäre, wenn dies aufgrund der einzelstaatlichen Bestimmungen vorgesehen sei. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sei dies bei den Bestimmungen des § 205 BAO sowie des § 78 ZollR-DG der Fall.

Art. 241 ZK kommt u.a. dann zur Anwendung, wenn eine Verzinsung des Erstattungsbetrages aufgrund der einzelstaatlichen Vorschriften vorgesehen ist.

Es kann dahingestellt bleiben, ob sich nach dem Wortlaut die Vorschrift des § 205 Abs. 1 BAO auf die Verzinsung von Differenzbeträgen an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer beschränkt (vgl. Ritz , BAO3, Tz 5 zu § 205, sowie die Materialien zur Regierungsvorlage 311 BlgNR 21. GP 196). Gem. § 323 Abs. 7 BAO ist die Bestimmung des § 205 leg. cit. idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 142/2000 erstmals auf Abgaben anzuwenden, für die der Abgabenanspruch nach dem entstanden ist. Im Beschwerdefall sind Anspruchszinsen strittig, die für Eingangsabgaben anfallen sollen, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind).

Auch aus § 85 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) lässt sich für den Standpunkt der Beschwerdeführerin nichts gewinnen. Dieser regelt nämlich (iVm § 78 ZollR-DG) die Art der Zinsenberechnung ausschließlich in dem Fall, dass der Art. 241 ZK zur Anwendung gelangt. Ist dies aber nicht der Fall, so gibt es auch keinen Anwendungsbereich für diese Bestimmung.

Die Beschwerdeführerin macht als Rechtsverletzung überdies geltend, dass die Erstattung von Zinsen entgegen Art. 52 EGV nicht erfolgt sei.

Nach dem für den Beschwerdefall noch maßgebenden Art. 43 EG, früher Artikel 52 EGV, umfasst die Niederlassungsfreiheit der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Sitzstaats für seine eigenen Angehörigen. Die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit erstreckt sich auch auf Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind (vgl. Rz 41 des in der Beschwerde genannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom , Rs. C-397/98 und C-410/98).

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, welche ihren Sitz in Österreich hat. Weder aus dem Beschwerdevorbringen noch aus dem Akteninhalt ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Versagung der begehrten Zinsen eine dem Art. 52 EGV oder Art. 43 EG widersprechende Beschränkung für die Beschwerdeführerin darstellen könnte.

Auch aus dem von der Beschwerdeführerin genannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom , Rs. C-397/98 und C- 410/98, lässt sich im Zusammenhang mit der behaupteten Rechtsverletzung nichts für die Beschwerde gewinnen. In diesem Urteil ging es nämlich um die Diskriminierung von im Vereinigten Königreich ansässigen Tochtergesellschaften mit Muttergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten im Vergleich zu jenen Tochtergesellschaften mit inländischen Muttergesellschaften durch unterschiedliche (körperschaft)steuerliche Regelungen, welcher die Niederlassungsfreiheit des Art. 52 EGV (Art. 43 EG) entgegensteht. Warum im Beschwerdefall ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegen sollte, erschließt sich aber aus dem Beschwerdevorbringen nicht.

Aus diesem Grunde sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht veranlasst, der Anregung der Beschwerdeführerin, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, nachzukommen.

Die Beschwerdeführerin hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Im vorliegenden Fall ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen jedenfalls nicht erforderlich:

Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK dem entgegensteht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom , SPEIL v. Austria, no. 42057/98, unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom , 2005/05/0080). Dieser Umstand liegt aber auch im gegenständlichen Fall vor, weil hier von der Lösung einer komplexen Rechtsfrage keine Rede sein kann. In der Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, sodass sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am