VwGH vom 31.05.2011, 2008/15/0126

VwGH vom 31.05.2011, 2008/15/0126

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des R S in S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , Zl. RV/1277- L/06, betreffend Umsatzsteuer 2003, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist als Primar in einem Krankenhaus nichtselbständig und in einer Gemeinschaftsordination selbständig tätig. Daneben betätigt er sich in seinem Fach als wissenschaftlich Vortragender und publiziert in Fachzeitschriften.

Im Ergebnis einer abgabenbehördlichen Prüfung versagte das Finanzamt dem Beschwerdeführer den Vorsteuerabzug für ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer schon vor der Fertigstellung des Arbeitszimmers publiziert habe und die möglicherweise angenehmere Arbeitsatmosphäre zu Hause nicht für die Annahme der Notwendigkeit des Arbeitszimmers ausreiche.

In der gegen den Umsatzsteuerbescheid 2003 eingebrachten Berufung sprach sich der Beschwerdeführer für eine analoge Anwendung der zum Arbeitszimmer von Musikern ergangenen Rechtsprechung auch auf wissenschaftlich Vortragende aus. Um die wissenschaftlichen Fertigkeiten zu erhalten und zu steigern, müsse wie bei diesen eine kontinuierliche und ununterbrochene Tätigkeit vorliegen. Bei der herrschenden Informationsflut und Schnelligkeit der wissenschaftlichen Entwicklung führe auch eine nur teilweise Unterbrechung der wissenschaftlichen Tätigkeit dazu, dass ein Wissenschaftler nicht mehr wahrgenommen und auch nicht mehr zu Vorträgen und Kongressen eingeladen würde.

Da die Erarbeitung von Publikationen und Vorträgen oft über Wochen an den Abenden, Wochenenden und Feiertagen erfolge, müsse der Beschwerdeführer Bücher und Fundstellen aufgeschlagen liegen lassen können. Auch könnte diese Tätigkeit nicht im Krankenhausbüro oder in der angemieteten Gemeinschaftsordination ausgeübt werden. Seit der Schaffung des Arbeitszimmers könne der Beschwerdeführer effektiver und effizienter arbeiten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie stützte sich hierbei auf folgende Erwägungen:

"(Der Verwaltungsgerichtshof habe ausgeführt, die) '… Möglichkeit zur Erzielung von Einkünften eines Berufsmusikers kann nur durch die tägliche intensive und dauernde Arbeit am Instrument erhalten werden.'

Genau in diesem Bereich gestaltet sich jedoch der Unterschied zur Tätigkeit des (Beschwerdeführers). - Er benutzt sein Arbeitszimmer ja nicht dazu um Körper und Geist fit zu halten, zu memorieren, zu entspannen u.ä. um in der Folge dadurch erst fähig zu werden, seine wissenschaftliche Arbeit zu verrichten, sondern gestaltet sich seine im Arbeitszimmer ausgeübte Tätigkeit folgendermaßen: Die in seiner Tätigkeit als Primar und Abteilungsleiter im Krankenhaus bzw. als selbstständig tätiger Arzt in seiner Ordination gesammelten Erfahrungen verwertet er - zusammen mit ständig gewonnenem Wissen aus 'Vorzeiten' (wie Studium, Lesen von Fachliteratur und ähnlichem) wie aus der Gegenwart (ebenso durch Lesen von wissenschaftlicher Literatur u. ä.) - in Vorträgen. D.h., dass seine wissenschaftliche Tätigkeit nicht zur Bedingung der Möglichkeit ärztlicher Tätigkeit wird, sondern umgekehrt sie aus dem 'Substrat' seiner ärztlichen Tätigkeit hervorgeht, ebenso wie sie auch aus der Beschäftigung mit wissenschaftlicher Literatur u.ä. stammt.


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Wesentlich ist jedoch, dass das tägliche Üben des Musikers gleichsam als Training zur Aufrechterhaltung und Steigerung der Fähigkeit der Beherrschung des Instruments zu sehen ist, ohne die in der Folge das Instrument nicht zu beruflichen Zwecken verwendet werden könnte, während im Fall des (Beschwerdeführers) im Arbeitszimmer nicht die Fertigkeit zur Ausübung wissenschaftlicher Arbeiten geübt, erprobt und gar erst erworben wird, sondern dort - w. o.a. - ständig auf den Wissenschaftler einströmende Erfahrungen (sei es aus seiner Tätigkeit als Arzt oder aus seinem wissenschaftlichem Interesse) zu Vorträgen verarbeitet werden.
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Wie diese 'Verarbeitung' nun geschieht ist nach der Lebenserfahrung von Fall zu Fall verschieden: Es mag einige Wissenschaftler geben, die ihre gewonnenen Informationen EDV-mäßig verarbeiten, von dort bei Bedarf abrufen und weiter bearbeiten; andere wieder werden dies auf 'konservative' Weise durch Lesen und Schreiben (wie der (Beschwerdeführer)) bearbeiten, aber - entgegen der Arbeitsweise des (Beschwerdeführers) - ihr Material nicht offen liegen lassen sondern nach jeder Tätigkeit schließen und wegräumen.
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Was den zeitlichen Zugang betrifft werden auch hier große Unterschiede zu finden sein: Je nach unterschiedlichen zeitlichen Verbindlichkeiten und auch persönlichen Vorlieben werden manche täglich wissenschaftlich arbeiten, andere wieder werden sich über einen geschlossenen Zeitraum (etwa über ein Wochenende) damit beschäftigen, um so ein Thema ohne Unterbrechung zu Ende zu führen, andere werden fallweise nach zeitlichem Vermögen und persönlicher Verfügbarkeit wissenschaftlich arbeiten.
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Es zeigt sich jedoch auf jeden Fall an den aus der Lebenserfahrung gezogenen Mustern, dass - auch wenn man grundsätzlich dem (Beschwerdeführer) darin zustimmt, dass schon eine teilweise Unterbrechung der wissenschaftlichen Tätigkeit dazu führen mag, dass man als Wissenschaftler quasi nicht mehr wahrgenommen wird - ein ausschließlich (oder nahezu ausschließlich) den wissenschaftlichen Zwecken dienendes Arbeitszimmer nicht nötig ist: Es mag natürlich der Arbeitsweise des (Beschwerdeführers) durchaus entgegen kommen, ein solches Arbeitszimmer zu benutzen, doch ist in diesem Bereich eine typisierende Betrachtungsweise geboten, weshalb - wie die o.a. Fallbeispiele zeigen - ein ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienendes Arbeitszimmer in diesem Bereich nicht nötig ist, zumal - wie sich ja auch im Fall des (Beschwerdeführers) vor Errichtung seines Arbeitszimmers zeigte - dies auch in einem anderen Raum der Wohnung (wenn auch - auf seine Arbeitsweise bezogen - nicht so ideal wie im Arbeitszimmer) möglich ist, bzw. - egal ob auf 'konservative' Arbeitsweise oder mittels PC gearbeitet wird - die (teilweise) Unterbrechung einer wissenschaftlichen Tätigkeit durch Fehlen eines ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienenden Arbeitszimmers nicht gegeben ist: Es mag durchaus bei der Arbeitsweise des (Beschwerdeführers) eine erhöhte Flexibilität erforderlich sein, doch ist offenkundig, dass die wissenschaftliche Tätigkeit des (Beschwerdeführers) auch bei Fehlen eines ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienenden Arbeitszimmers möglich ist."
Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 12 Abs. 2 Z. 2 lit. a UStG 1994 gelten Lieferungen oder sonstige Leistungen nicht als für das Unternehmen ausgeführt, deren Entgelte überwiegend keine abzugsfähigen Ausgaben (Aufwendungen) im Sinne des § 20 Abs. 1 Z 1 bis 5 EStG 1988 sind.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, wird die mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201/1996, vorgenommene Einschränkung der Vorsteuerabzugsmöglichkeit auf Arbeitszimmer (und deren Einrichtung), welche den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen bilden, durch Art. 17 Abs. 1 der 6. Mehrwertsteuer-Richtlinie verdrängt (siehe die hg. Erkenntnisse vom , 2001/13/0272, vom , 2002/15/0071, vom , 99/15/0177, vom , 2001/15/0093, und vom , 98/14/0198).
Daraus ergibt sich auch im vorliegenden Fall die Maßgeblichkeit des § 20 Abs. 1 Z 2 EStG 1988 in der Fassung vor dem StruktAnpG 1996. Demnach kam die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen für ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer dann in Betracht, wenn das Arbeitszimmer tatsächlich ausschließlich oder nahezu ausschließlich betrieblich bzw. beruflich genutzt wurde und die ausgeübte Tätigkeit ein ausschließlich beruflichen Zwecken dienendes Arbeitszimmer notwendig machte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 97/15/0070, und vom , 97/15/0142, mit weiteren Nachweisen).
Die Beschwerde wendet sich gegen die Feststellung der belangten Behörde, dass für die wissenschaftliche Tätigkeit des Beschwerdeführers ein ausschließlich betrieblich genutztes Arbeitszimmer nicht notwendig sei.
Nach der ständigen - auch nach Inkrafttreten des StruktAnpG 1996 maßgebenden - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Notwendigkeit eines Arbeitszimmers nach der Art der Tätigkeit des Steuerpflichtigen zu beurteilen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2005/15/0049, vom , 2006/15/0299, vom , 2000/14/0207, vom , 2001/15/0197, vom , 98/13/0193, vom , 94/15/0073, vom , 94/15/0063, und vom , 91/14/0086).
Dieses Abstellen auf die Notwendigkeit stellt eine Prüfung der tatsächlichen betrieblichen/beruflichen Veranlassung dar (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , 98/13/0193, unter Verweis auf
Hofstätter/Reichel , EStG 1988,§ 20 Tz. 6.1).
Aufwendungen oder Ausgaben, die in gleicher Weise mit der Einkunftserzielung wie mit der Lebensführung zusammenhängen können, bei denen die Abgabenbehörde aber nicht in der Lage ist zu prüfen, ob die Aufwendungen oder Ausgaben durch die Einkunftserzielung oder durch die Lebensführung veranlasst worden sind, dürfen nicht schon deshalb als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben berücksichtigt werden, weil die im konkreten Fall gegebene Veranlassung nicht feststellbar ist. Die Notwendigkeit bietet in derartigen Fällen das verlässliche Indiz der beruflichen im Gegensatz zur privaten Veranlassung.
Die Notwendigkeit und damit betriebliche/berufliche Veranlassung eines Arbeitszimmers ist dann zu bejahen, wenn die Nutzung eines solchen nach dem Urteil gerecht und billig denkender Menschen für eine bestimmte Erwerbstätigkeit unzweifelhaft sinnvoll ist (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom , 2007/15/0042, und vom , 2006/15/0125). Dies wird u. a. dann der Fall sein, wenn dem Steuerpflichtigen außerhalb des Wohnungsverbandes kein zweckmäßiger Arbeitsplatz für die konkrete Erwerbstätigkeit zur Verfügung steht.
Die Prämisse der belangten Behörde, ein ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienendes Arbeitszimmer sei "nach den aus der Lebenserfahrung gezogenen Mustern" jedenfalls nicht nötig, ist eine im angefochtenen Bescheid aufgestellte, nicht ohne weiteres nachvollziehbare Behauptung, die den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen vermag. Die Begründung lässt jedwede Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers vermissen, dass er seine wissenschaftlichen Leistungen weder in den Krankenhaus- noch in seinen Ordinationsräumlichkeiten erbringen könne. Dass die wissenschaftliche Tätigkeit des Beschwerdeführers auch ohne eigenes Arbeitszimmers möglich wäre, reicht nach dem Gesagten für die Versagung des Vorsteuerabzugs nicht aus.
Da die belangte Behörde nicht schlüssig begründet hat, dass die Benützung eines häuslichen Arbeitszimmers im Beschwerdefall nicht notwendig war, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am