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VwGH vom 29.04.2010, 2008/15/0085

VwGH vom 29.04.2010, 2008/15/0085

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und den Senatspräsidenten Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der A B in G, vertreten durch Dr. Maximilian Sampl, Rechtsanwalt in 8970 Schladming, Martin-Luther-Straße 154, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Klagenfurt, vom , Zl. RV/0384-K/02, betreffend Haftung für Abgabenschuldigkeiten gemäß § 9 in Verbindung mit § 80 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.286,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Finanzamtes vom wurde die Beschwerdeführerin in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin der H GmbH, über deren Vermögen am das Konkursverfahren eröffnet worden war, für Abgabenschuldigkeiten der Gesellschaft in Höhe von rund S 740.000,--, davon (neben Körperschaftsteuer, Lohnabgaben, Pfändungsgebühren, Säumniszuschlägen und Stundungszinsen) Umsatzsteuer für 2000 und 2001 zur Haftung herangezogen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde einer dagegen erhobenen Berufung insofern teilweise Folge, als der Haftungsbetrag auf die Umsatzsteuer (der Monate Dezember 2000 und Februar bis Mai 2001) eingeschränkt wurde.

Begründend wies die belangte Behörde darauf hin, dass die Beschwerdeführerin seit Jänner 1997 handelsrechtliche Geschäftsführerin der H GmbH gewesen sei. Die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben stehe auf Grund des Beschlusses des zuständigen Handelsgerichts über die Aufhebung des Konkurses nach erfolgter Schlussverteilung fest.

Die Beschwerdeführerin habe im Berufungsverfahren vorgebracht, sie hätte den Abgabengläubiger nicht schlechter als die anderen Gläubiger behandelt. Sie habe jedoch eingeräumt, dass Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes geleistet worden seien. Dies sei laut Kassabuch bis September 2001 geschehen. Die Beschwerdeführerin habe auch vorgebracht, dass Lieferanten nur mehr gegen Barzahlung geliefert hätten. Bis September 2001 hätten auch Behebungen vom Kontokorrentkreditkonto getätigt werden können, weil die Primärschuldnerin mit Globalzessionsvereinbarung sämtliche Forderungen aus dem Geschäftsbetrieb an die Hausbank abgetreten habe und "diese Kredite durch Einräumung einer Höchstbetragshypothek am " über 2 Mio Schilling sowie "Verpfändung von Lebensversicherungen und Bürgschaften bevorzugt besichert" habe. Bei sämtlichen Kreditaufstockungen habe die Beschwerdeführerin "Vereinbarungen über Besicherungen" getroffen. In der Folge weist die belangte Behörde darauf hin, dass der Hausbank zur Besicherung der Bankverbindlichkeiten mit einer weiteren Pfandurkunde vom von der Beschwerdeführerin an ihrer Eigentumswohnung eine Höchstbetragshypothek eingeräumt worden sei.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, es hätten sich Bankverbindlichkeiten zwischen und erhöht, sei unter dem Blickwinkel der massiv bevorzugten Besicherung der Bankverbindlichkeiten zu beurteilen. Ausschließlich diese Verbindlichkeiten seien entsprechend besichert worden. Damit könne die Abgabenbehörde zu Recht annehmen, dass die Beschwerdeführerin eine Schlechterstellung der Abgabenverbindlichkeiten in Kauf genommen habe.

Die Beschwerdeführerin habe im Verfahren anschaulich und nachvollziehbar die Ursachen, welche zur Insolvenz geführt hätten, dargelegt. Dieses Vorbringen sei schlüssig und nachvollziehbar, aber nicht geeignet, den Vorwurf, einzelne Gläubiger "(Bank, Lieferanten gegen Barzahlung)" bevorzugt behandelt zu haben, zu entkräften. Der Hinweis, "man hätte sich ansonsten" mit Schadenersatzforderungen von Auftraggebern auseinander setzen müssen, sei zwar als Begründung, dass Lieferanten bar bezahlt worden seien verständlich, vermöge jedoch die Ungleichbehandlung einzelner Gläubiger nicht zu rechtfertigen. Dieses Handeln sei auch ursächlich dafür gewesen, dass die "nunmehr zur Haftung herangezogenen Abgaben zur Gänze nicht entrichtet" worden seien.

Soweit die Beschwerdeführerin mit Wertberichtigungen darzulegen versucht habe, dass Umsatzsteuerzahllasten in den Jahren 1999 bis 2001 dem Grunde und der Höhe nach nicht zu Recht bestünden, und diese Zahllasten nachträglich mit Vorsteuern aus erfolgten Wertberichtigungen und nicht gebuchten Lieferantenrechnungen aufzurechnen seien, sodass ein Abgabenanspruch in dieser Höhe nicht bestehe, sei dieses Vorbringen nicht geeignet, die Haftungsinanspruchnahme für nicht mehr entrichtete Umsatzsteuerzahllasten mit Fälligkeiten im Jahr 2001 zu entkräften und beziehe sich das auf das Abgabenfestsetzungsverfahren. Das "Vorbringen" wäre bei der Festsetzung der monatlichen Umsatzsteuerzahllasten zeitraumbezogen zu berücksichtigen gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Beschwerdeführerin als verantwortliche Geschäftsführerin nicht zeitgerecht und zeitraumbezogen dafür gesorgt habe, dass erforderliche Berichtigungen erfolgt seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff leg. cit. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2001/15/0108).

Die in § 80 BAO dem Vertreter auferlegten Pflichten umfassen auch die rechtzeitige Entrichtung der für die Gesellschaft anfallenden Abgaben.

Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung ursächlich für die Uneinbringlichkeit gewesen ist. Nicht die Abgabenbehörde hat das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogene Vertreter das Fehlen ausreichender Mittel. Der Vertreter haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann zur Gänze, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, dass diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet wurden bzw. in welchem Ausmaß der Abgabengläubiger bei einer anteiligen Begleichung der Verbindlichkeiten Befriedigung erlangt hätte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2006/15/0073).

Im Beschwerdefall räumte die Beschwerdeführerin schon im Berufungsverfahren ein, dass die Primärschuldnerin seitens der Lieferanten "gesperrt" und nur mehr gegen Barzahlung beliefert worden sei. Materialbestellungen seien aber notwendig gewesen, einerseits um nicht vertragsbrüchig zu werden, andererseits um Bauvorhaben fertig zu stellen. Im gegebenen Zusammenhang führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie lediglich versucht habe, den Betrieb aufrecht zu erhalten, um der Abgabenverpflichtung der Primärschuldnerin nachkommen zu können. Es treffe sie daher kein Verschulden.

Die belangte Behörde begründete jedoch die als erwiesen angenommene Bevorzugung anderer als der Abgabenverbindlichkeiten mit den von der Beschwerdeführerin eingeräumten Barzahlungen insbesondere an die Lieferanten.

Diese Beurteilung ist nicht als rechtswidrig zu erkennen. In seinem Erkenntnis vom , 2001/14/0176, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf Vorjudikatur zum Ausdruck gebracht, dass sich der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung auch auf Zahlungen bezieht, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erforderlich sind, eine Privilegierung von Gläubigern daher auch in der Barzahlung von Wirtschaftsgütern ("Zug um Zug Geschäfte") bestehen kann. Der vom Vertreter zu erbringende Nachweis der Gleichbehandlung aller Gläubiger hat demnach auch die von der Gesellschaft getätigten "Zug um Zug Geschäfte" zu umfassen.

Ein solcher Nachweis der Gleichbehandlung wurde im Beschwerdefall aber gerade wegen der Bevorzugung der Lieferanten durch Barzahlungen nicht erbracht. Schon deshalb durfte die belangte Behörde von einer die Heranziehung zur Haftung rechtfertigenden Ungleichbehandlung der Abgabenschuldigkeiten ausgehen.

Im Berufungsverfahren hat die Beschwerdeführerin aber auch vorgebracht, auf Grund von Wertberichtigungen von Kundenforderungen und teilweise nicht gebuchten Lieferantenrechnungen sei eine Vorsteuerberichtigung (laut Kreditorenliste) und eine Mehrwertsteuerberichtigung laut (Debitorenliste) vorzunehmen gewesen. Die belangte Behörde sah darin den Versuch einer Darstellung, dass "Umsatzsteuerzahllasten in den Jahren 1999 bis 2001" dem Grunde und der Höhe nach nicht zu Recht bestünden. Damit wären diese Zahllasten nunmehr nachträglich mit Vorsteuern aus erfolgten Wertberichtigungen und nicht gebuchten Lieferantenrechnungen aufzurechnen, sodass "ein Abgabenanspruch in dieser Höhe" nicht bestehe.

Die belangte Behörde hat dazu die Ansicht vertreten, dass dieses Vorbringen nicht geeignet gewesen sei, die Haftungsinanspruchnahme für nicht mehr entrichtete Umsatzsteuerzahllasten mit Fälligkeiten "im Jahr 2001" zu entkräften, weil es sich auf das Abgabenfestsetzungsverfahren beziehe.

In seinem Erkenntnis vom , 2003/15/0125, hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass die Behörde für den Fall, dass einem Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid voran geht, daran gebunden ist und sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diesen Abgabenbescheid zu halten hat. Durch § 248 BAO ist dem Haftenden ein Rechtszug gegen den Abgabenbescheid eingeräumt. Geht der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung aber kein Abgabenbescheid voran, so gibt es eine solche Bindung nicht. Ob und in welchem Ausmaß ein Abgabenbescheid voran, so gibt es eine solche Bindung nicht. Ob und in welchem Ausmaß ein Abgabenanspruch gegeben ist, ist in diesem Fall als Vorfrage im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung über die Haftung zuständigen Organ zu entscheiden. Diese Beurteilung kann mit Berufung und im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden, womit dem zur Haftung Herangezogenen der Rechtsschutz gewahrt bleibt (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , 98/14/0142, unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 94/14/0148).

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht dargetan, dass dem Haftungsbescheid, welchem ausschließlich monatsbezogene Umsatzsteueransprüche zu Grunde liegen, Abgabenbescheide vorangegangen wären. Sie meint zwar, das Vorbringen "wäre bei der Festsetzung der monatlichen Umsatzsteuerzahllasten zu berücksichtigen", dass solche Festsetzungen erfolgten, ist dem angefochtenen Bescheid aber nicht zu entnehmen.

Ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, Einwendungen gegen den Abgabenanspruch seien keinesfalls in Haftungsverfahren zu behandeln, hat sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, ein Abgabenanspruch bestehe in der dem Haftungsbescheid zu Grunde gelegten Höhe nicht, nicht auseinandergesetzt.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am