VwGH vom 27.04.2006, 2005/20/0645
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des A in A, geboren am , vertreten durch Dr. Alfred Steinbuch, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 261.683/2-X/28/05, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste seinen Angaben zufolge am über den Flughafen Wien-Schwechat in das Bundesgebiet ein und beantragte im Zuge der niederschriftlichen Befragung durch die Grenzpolizeibehörde am die Gewährung von Asyl. Der Beschwerdeführer wurde am vom Bundesasylamt in der Außenstelle Traiskirchen, wohin er (nach der Aktenlage) vom "Sondertransitbereich" des Flughafens im Laufe des Vortages überstellt worden sein dürfte, zu seinem Asylantrag einvernommen. Anschließend wurde er ersucht, sich am nächsten Tag um 9.00 Uhr "zum Zwecke der Entscheidung über die Bundesbetreuung" beim örtlich näher beschriebenen "Infopoint" einzufinden. Dem Auszug aus dem Asylwerberinformationssystem ("AIS") vom ist die am vorgenommene Eintragung zu entnehmen, dass die Aufnahme des Beschwerdeführers in die Bundesbetreuung nicht erfolgt sei ("KBB"), weil die "Aufnahmekapazität erschöpft" gewesen sei (vgl. AS 19).
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG (idF vor der Novelle 2003) die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan fest. Im Kopf des Bescheides wurde angegeben, der Beschwerdeführer sei zuletzt ("zlt") im "Notquartier" des Bundesasylamtes in Traiskirchen wohnhaft ("whft") gewesen. Nachdem die Einholung einer Meldeauskunft ergeben hatte, dass der Beschwerdeführer in Österreich nie gemeldet gewesen sei, wurde dieser Bescheid dem Beschwerdeführer am unter Berufung auf § 8 Abs. 2 ZustG durch Hinterlegung im Akt zugestellt. In der Beurkundung der Hinterlegung wurde festgehalten, der "im Betreff Genannte" habe "die bisherige Abgabestelle verlassen und dies der Behörde nicht unverzüglich mitgeteilt". Eine Abgabestelle habe "nicht ohne Schwierigkeiten" festgestellt werden können.
Im Jänner 2004 wurde der Beschwerdeführer aus der Bundesrepublik Deutschland - dort war der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge am eingereist und hatte ebenfalls einen Asylantrag gestellt - im Rahmen eines Verfahrens nach der Dublin II-Verordnung von Österreich rückübernommen. Am stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Asylantrag, zu dem er erst am vernommen werden konnte.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Zweitantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. In der Begründung wurde über die Erledigung des ersten Antrages festgestellt, dieser sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen worden und "dieser Bescheid erwuchs mit in Rechtskraft".
Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom gemäß § 68 Abs. 1 AVG abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die von der belangten Behörde bestätigte Zurückweisung des gegenständlichen Asylantrages wegen entschiedener Sache (nach § 68 Abs. 1 AVG iVm § 23 AsylG) setzt voraus, dass das Verfahren über den ersten Asylantrag rechtskräftig beendet ist. Wurde ein das Erstverfahren beendender Bescheid jedoch nicht rechtswirksam zugestellt, dann ist dieses Asylverfahren noch nicht rechtskräftig beendet, sondern weiterhin in erster Instanz anhängig. Die Zurückweisung eines Folgeantrages wegen entschiedener Sache käme davon ausgehend von vornherein nicht in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/01/0491, und daran anschließend das Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0215, mwN, sowie zuletzt das Erkenntnis vom , Zl. 2006/19/0146). Daher hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es in einem über einen Folgeantrag geführten Verfahren Aufgabe der Asylbehörden ist, sich mit der Zustellung des das Erstverfahren beendenden Bescheides näher auseinander zu setzen. Gibt die Aktenlage ausreichend Anlass, Überlegungen zur Wirksamkeit der Zustellung anzustellen und allenfalls auch entsprechende Ermittlungen vorzunehmen, so bewirkt deren Unterbleiben - ungeachtet des Umstandes, dass die Partei diese Frage im Verwaltungsverfahren nicht releviert hatte - einen wesentlichen Verfahrensmangel, der in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig aufgezeigt werden kann (vgl. auch dazu das schon erwähnte Erkenntnis Zl. 2004/01/0491).
In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde in Bezug auf die Erledigung des ersten Asylantrages - wie schon die Erstbehörde - nur aus, der Bescheid des Bundesasylamtes vom sei "in Rechtskraft erwachsen". Das bestreitet die Beschwerde mit dem Hinweis, die Zustellung dieses Bescheides sei "nicht ordnungsgemäß" erfolgt.
Die nicht weiter begründete Annahme der belangten Behörde, der erwähnte, im Erstverfahren ergangene Bescheid des Bundesasylamtes sei "in Rechtskraft erwachsen", hätte vorausgesetzt, dass die vorgenommene Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer durch Hinterlegung bei der Behörde wirksam war. Auf Grund welcher Überlegungen die belangte Behörde das unterstellte, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Vielmehr wurde schon in der Wiedergabe des Verfahrensganges nicht erwähnt, dass die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch in Anwendung des § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG erfolgt war. Demzufolge fehlen auch daran anknüpfende Ausführungen über das Vorliegen der dafür notwendigen Voraussetzungen. Diese wären aber am Maßstab der einleitend wiedergegebenen Rechtsprechung im vorliegenden Fall geboten gewesen:
§ 8 ZustG lautet:
"Änderung der Abgabestelle
§ 8. (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.
(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."
Die im Abs. 1 normierte Mitteilungspflicht bezieht sich auf die "Änderung" der "bisherigen Abgabestelle". Sie setzt also voraus, dass die Partei (während des Verfahrens) über eine "Abgabestelle" (im Sinne des hier maßgeblichen § 4 ZustG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 10/2004; vgl. nunmehr § 2 Z 5 ZustG), insbesondere über eine Wohnung oder sonstige Unterkunft, verfügt hat. Ein Vorgehen nach § 8 Abs. 2 ZustG kommt daher - mangels Verletzung einer Mitteilungspflicht über eine Änderung der Abgabestelle - nicht in Betracht, wenn die Partei (schon von Anfang an) keine Abgabestelle hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/20/0129, und daran anschließend etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2000/09/0018).
Die belangte Behörde hat zu dieser Frage - wie erwähnt - keine Feststellungen getroffen, die aber deshalb erforderlich gewesen wären, weil sich der einleitend wiedergegebenen Aktenlage nicht entnehmen lässt, dass der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitraum zwischen seiner Asylantragstellung und der hier in Rede stehenden Zustellung am jemals über eine Abgabestelle verfügt hätte. Auch der Aktenvermerk des Bundesasylamtes über die Hinterlegung gibt darüber keinen Aufschluss, weil nicht nachvollziehbar ist, was mit der (offenbar formularmäßigen) Wendung, der Beschwerdeführer habe "die bisherige Abgabestelle verlassen" fallbezogen gemeint war.
Sollte dem aber die Vorstellung zugrunde gelegen sein, der Beschwerdeführer habe im Hinblick auf seinen kurzfristigen Aufenthalt im "Notquartier" des Bundesasylamtes Traiskirchen (vgl. den AIS-Ausdruck AS 17 unten:
" bis Sondertransit, bis BAT") dort eine Abgabestelle gehabt, so könnte dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Es kommen zwar auch Unterkünfte für Asylwerber in Pensionen, Hotels, Heimen und Lagern oder anderen Betreuungsstellen als "sonstige Unterkunft" im Sinne der genannten Bestimmungen des ZustG in Betracht und eine "sonstige Unterkunft" kann auch bei einem nur vorübergehenden, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt eine "Abgabestelle" darstellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 99/01/0124, 0125; siehe auch das Erkenntnis vom , Zl. 94/20/0610). Doch bedarf es auch in diesen Konstellationen einer gewissen - hinsichtlich der Mindestdauer von den Umständen des Einzelfalles abhängigen - zeitlichen Verfestigung (vgl. zur "sonstigen Unterkunft" Wiederin, Zustellung bei Abwesenheit des Empfängers, ZfV, 1988, 222 ff, sowie die Darstellung von Lehre und Rechtsprechung bei Stumvoll in Fasching/Konecny, ZPO2 (2003), Rz 16 ff zu Anh § 87 ZPO (§ 4 ZustG)). Eine zweimalige Übernachtung und der Aufenthalt während eines Tages in einem "Notquartier" des Bundesasylamtes in der gegebenen Situation bewirken nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes aber noch nicht, dass dieser Unterkunft die Qualität einer "Abgabestelle" iSd ZustG zugebilligt werden könnte (vgl. auch den erst durch die - am in Kraft getretene, hier demnach noch nicht maßgebliche - AsylG-Novelle 2003 eingefügten § 24a Abs. 9 AsylG, wonach die Erstaufnahmestelle, in der sich der Asylwerber befindet, und die Unterkunft, in der der Asylwerber versorgt wird, auch Abgabestellen für eine persönliche Zustellung nach dem ZustG sind; dieser Bestimmung liegt offenbar auch die Vorstellung zugrunde, dass die genannten Orte nicht in jedem Fall als "Abgabestelle" zu qualifizieren seien und es insoweit einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedürfe).
Der angefochtene Bescheid war im Hinblick auf die aufgezeigten Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am