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VwGH vom 23.05.2014, 2013/04/0013

VwGH vom 23.05.2014, 2013/04/0013

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und den Hofrat Dr. Kleiser sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde der E GmbH in K, vertreten durch die WT Tautschnig Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in 9020 Klagenfurt, Villacher Straße 1A/7, gegen den Bescheid des Vorstandes der Energie-Control Austria für die Regulierung der Elektrizität- und Erdgaswirtschaft (E-Control) vom , Zl. V AGB G 26/12, betreffend Genehmigung allgemeiner Bedingungen des Netzzugangs zu Verteilerleitungsanlagen nach dem GWG 2011 (weitere Partei: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid genehmigte der Vorstand der Energie-Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft (belangte Behörde) gemäß § 28 Gaswirtschaftsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 107 in der Fassung BGBl. I Nr. 138 (GWG 2011) iVm § 7 Energie-Control Gesetz BGBl. I Nr. 110/2010 idF BGBl. I Nr. 107/2011 (E-ControlG) die Allgemeinen Bedingungen des Netzzugangs zu Verteilerleitungsanlagen (AGB) der Beschwerdeführerin (Spruchpunkt 1.). Die Genehmigung wurde (mit Spruchpunkt 2.) mit der Auflage erteilt, in Punkt XXVII der AGB nach Ziffer 6 folgende Absätze einzufügen:

"Beruft sich ein Netzbenutzer gegenüber einem Versorger auf das Recht auf Versorgung in letzter Instanz gemäß § 124 GWG 2011, ist der Netzbetreiber zur Netzdienstleistung, unbeschadet allfälliger bis zu dieser Berufung ausständiger Zahlungen, verpflichtet. Der Netzbetreiber kann jedoch die Bereitstellung der Netzdienstleistung von einer Vorauszahlung oder Sicherheitsleistung in Höhe von einer Teilbetragszahlung für einen Monat abhängig machen. Beruft sich ein Netzbenutzer auf das Recht auf Versorgung in letzter Instanz und wird erneut mit Zahlungen säumig, ist der Netzbetreiber bis zur Bezahlung dieser ausstehenden Beträge zur Abschaltung berechtigt. Ziffer (3) gilt sinngemäß. Keine Verpflichtung zur Netzdienstleistung besteht, wenn aus den im Gesetz genannten Gründen der Netzzugang durch den Netzbetreiber ganz oder teilweise verweigert wird.

Beruft sich ein Netzbenutzer auf das Recht auf Versorgung in letzter Instanz gemäß § 124 GWG 2011, ist sinngemäß das Verfahren einer Neuanmeldung iSd Verordnung gemäß § 123 GWG 2011 heranzuziehen. Dabei verkürzen sich die in dieser Verordnung vorgesehenen Fristen für die Prüfung auf Übereinstimmung der Daten auf 24 Stunden und für die Inbetriebnahme bei Anlagen, bei denen eine Messeinrichtung vorhanden ist, auf einen Arbeitstag."

Begründet führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei Verteilernetzbetreiberin iSd § 7 Abs. 1 GWG 2011 und habe am über Aufforderung durch die belangte Behörde die Genehmigung der AGB beantragt. Nach Prüfung des Antrages und Aufforderung durch die belangte Behörde habe die Beschwerdeführerin die AGB in einigen Punkten angepasst und schließlich am die gegenständliche, geänderte Fassung der AGB zur Genehmigung eingereicht.

Gemäß § 28 GWG 2011 sei die belangten Behörde als Regulierungsbehörde für die Genehmigung sowie für jede Änderung der AGB zuständig. Soweit dies zur Erfüllung der Vorschriften des GWG 2011 erforderlich sei, könne die Genehmigung unter Auflagen oder Bedingungen erteilt werden. Verteilernetzbetreiber seien überdies verpflichtet, soweit dies zur Erreichung eines wettbewerbsorientierten Marktes erforderlich sei, die AGB aufgrund einer Aufforderung seitens der Regulierungsbehörde zu ändern. Bei der Genehmigung der AGB sei u.a. § 28 Abs. 2 und 3 GWG 2011 zu berücksichtigen. Die von der Beschwerdeführerin eingereichten AGB entsprächen inhaltlich großteils der von der belangten Behörde empfohlenen Musterfassung. Zur angesprochenen Auflage führte die belangte Behörde begründend aus:

"Die Geltendmachung des Rechts auf Versorgung in letzter Instanz gemäß § 124 GWG 2011 setzt einen intakten Netzanschluss voraus. Hätte im Falle einer Berufung auf den Versorger letzter Instanz der Netzbetreiber die Möglichkeit, den Zugang zum Netz auszusetzen bzw. zu unterbrechen, liefe dies dem Sinn und Zweck der gesamten Regelung, die auf die Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt zurückgeht, zuwider. Die Europäische Kommission prüft zudem die Qualität der Umsetzung nicht nur am reinen Wortlaut des Gesetzes, sondern an den praktischen Auswirkungen. Die von Österreich gewählte Umsetzung ist zwar gemäß dem Wortlaut der Richtlinie erfolgt, würde dieser jedoch letztendlich widersprechen, wenn die praktische Anwendung dermaßen erfolgt, dass sich die Regelung totläuft. Sowohl die europarechtliche Vorgabe, als auch deren nationale Umsetzung zielen darauf ab, dass der Kunde eine zweite Chance erhält: Er soll auch im Falle von Zahlungsrückständen nicht von der Versorgung mit elektrischer Energie abgeschnitten bleiben. Jede andere Auslegung würde dazu führen, dass die zum Schutze der Kunden geschaffene gesetzliche Verpflichtung in der Praxis nie anwendbar wäre, da in der Regel zugleich Zahlungsrückstände aus der Energierechnung und der Netzrechnung vorhanden sind. Schließlich ist der Netzbetreiber auch Monopolist und hat damit strengeren Anforderungen hinsichtlich der Erbringung seiner Leistungen zu entsprechen. Eine teleologische und richtlinienkonforme Interpretation gebietet es daher, den Netzbetreiber in den Fällen des § 124 GWG 2011 zur Aufrechterhaltung der Netzdienstleistung zu verpflichten. Das Interesse des Netzbetreibers an der Sicherstellung offener Forderungen bleibt durch eine Vorauszahlung oder Sicherheitsleistung gewahrt. Neben der materiellen Regelung (Punkt XXVII Ziffer 7 der Musterfassung) ist auch ein entsprechendes Verfahren für die Berufung auf die Grundversorgung aufzunehmen (Punkt XXVII Ziffer 8 der Musterfassung); dieses orientiert sich an dem in der Verordnung gemäß § 123 GWG 2011 festgelegten Verfahren der Neuanmeldung (vgl die Punkte 3.2.1 und 3.3.1 des Anhangs zur Wechselverordnung Gas 2012). Aus diesen Gründen sind die in der Musterfassung enthaltenen Bestimmungen (Punkt XXVII Ziffern 7 und 8) in die AB VN aufzunehmen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem VwGbk-ÜG handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

Die Beschwerde wendet sich gegen die Vorschreibung der Auflage und bringt hiezu im Wesentlichen vor, der dieser Auflage zu Grunde liegende § 124 GWG 2011 könne nicht mit der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie 2009/73/EG gerechtfertigt werden. Überdies sei § 124 GWG 2011 auf Netzbetreiber wie die Beschwerdeführerin nicht anwendbar. Schließlich entspreche die Auflage auch nicht den Vorgaben des § 28 Abs. 2 Z 3 GWG 2011, wonach diese so zu gestalten seien, dass die wechselseitigen Verpflichtungen ausgewogen und verursachergerecht zugewiesen sind.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der Vorschreibung einer wortidenten Auflage in einem Verfahren nach § 28 GWG 2011 bereits im Erkenntnis vom , Zl 2013/04/0024, beschäftigt.

In diesem Erkenntnis hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass es nicht als rechtswidrig zu erkennen sei, wenn die Regulierungsbehörde die Pflichten des § 124 GWG 2011 mittels Auflage auf eine Verteilernetzbetreiber (§ 7 Abs. 1 Z. 72 leg. cit.) ausdehnt, weil andernfalls die unionsrechtliche Verpflichtung des angemessenen Schutzes von schutzbedürftigen Kunden (Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2009/73/EG) nicht wirksam umgesetzt werden könne. Es ist auch nicht daran zu zweifeln, dass die Genehmigung der AGB, wenn es gemäß § 28 Abs. 1 zweiter Satz GWG 2011 zur Erfüllung der Vorschriften dieses Gesetzes und der diesem zugrunde liegenden unionsrechtlichen Verpflichtungen (somit u. a. zur Gewährleistung einer Grundversorgung mit Erdgas iSd § 124 GWG 2011) erforderlich ist, grundsätzlich an bestimmte Auflagen geknüpft werden kann. Nach § 28 Abs. 2 Z. 3 GWG 2011 sind die Allgemeinen Bedingungen so zu gestalten, dass die wechselseitigen Verpflichtungen zwischen Netzbetreiber und Netzbenutzer "ausgewogen" sind. Mit der bekämpften Auflage wurde der Netzbetreiber verpflichtet, nicht nur die Grundversorgung (Versorgung in letzter Instanz) gemäß § 124 Abs. 1 GWG 2011 gegenüber den in dieser Bestimmung genannten Netzbenutzern zu gewährleisten, sondern auch (insoweit über § 124 GWG 2011 hinausgehend) einem weiteren Personenkreis als in dieser Gesetzesstelle vorgesehen die Begünstigung der beschränkten Vorauszahlung/Sicherheitsleistung (nämlich in Höhe lediglich einer Teilbetragszahlung für einen Monat) einzuräumen. Während der Gesetzgeber in § 124 Abs. 1 GWG 2011 das Recht auf Grundversorgung den Verbrauchern iSd § 1 Abs. 1 Z. 2 KSchG und Kleinunternehmen gewährt, die Begünstigung der Beschränkung der Vorauszahlung/Sicherheitsleistung aber nur dem Verbraucher einräumt (§ 124 Abs. 2 GWG 2011), wird der Netzbetreiber durch die gegenständliche Auflage verpflichtet, diese Begünstigung der beschränkten Vorauszahlung/Sicherheitsleistung sämtlichen Netzbenutzern, die sich auf die Versorgung in letzter Instanz berufen, somit auch Kleinunternehmern, einzuräumen. Die Behörde hätte daher begründen müssen, weshalb diese über den Gesetzeswortlaut des § 124 GWG 2011 hinausgehende Verpflichtung des Netzbetreibers, im Falle der Grundversorgung von Kleinunternehmern auch von diesen nur eine Vorauszahlung bzw. Sicherheitsleistung für einen Monat verlangen zu dürfen (was jedenfalls auf den ersten Blick zu einer deutlichen Erhöhung des wirtschaftlichen Risikos des Netzbetreibers führt), eine "ausgewogene" Verpflichtung iSd § 28 Abs. 2 Z. 3 GWG 2011 darstellt (vgl. zu allem das obzitierte Erkenntnis vom , Zl 2013/04/0024, mwN).

Der vorliegende Beschwerdefall gleicht in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht jenem, der vom Verwaltungsgerichtshof mit dem obzitierten Erkenntnis vom , Zl. 2013/04/0024, bereits entschieden wurde. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG kann auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen werden.

Wie sich aus diesem ergibt, hätte die belangte Behörde auch vorliegend begründen müssen, weshalb die in der Auflage vorgeschriebene über den Gesetzeswortlaut des § 124 GWG 2011 hinausgehende Verpflichtung des Netzbetreibers eine "ausgewogene" Verpflichtung iSd § 28 Abs. 2 Z. 3 GWG 2011 darstellt. Aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs der verfahrensgegenständlichen Auflage mit dem übrigen Spruch erweist sich der gesamte angefochtene Bescheid als rechtswidrig.

Dieser war nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am