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VwGH vom 30.05.2012, 2008/13/0230

VwGH vom 30.05.2012, 2008/13/0230

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde der N in P, vertreten durch die PWB Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsges.m.b.H. in 2345 Brunn am Gebirge, Wolfholzgasse 1/3, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zlen. RV/1922-W/06 und RV/1924-W/06, betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 2004, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin betrieb im Streitzeitraum ein Heurigenbuffet und ermittelte die daraus resultierenden Einkünfte durch Einnahmen-Ausgaben-Rechnung (Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG 1988). Im Rahmen einer Außenprüfung stellte der Prüfer Mängel in der Aufzeichnungsführung fest, die eine Zuschätzung zu den erklärten Besteuerungsgrundlagen rechtfertigten. Nach den Ausführungen im Prüfungsbericht vom sei wegen mangelhafter Grundaufzeichnungen (Losungsaufzeichnungen) eine Anpassung des Rohaufschlages von 89 % (laut Erklärung) auf 180 % durchzuführen gewesen, wobei sich dieser Rohaufschlag durch Nachkalkulationen (eines "Aussteckzeitraumes") bzw. aus diversen Einzelkalkulationen ergeben habe. Das Finanzamt folgte dem Prüfer und erließ den Prüfungsfeststellungen folgende Bescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 2004.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie sich sowohl gegen die Schätzungsberechtigung (so habe die Beschwerdeführerin den Kassastand "täglich durch Rückrechnung" ermittelt und die Nichtaufbewahrung von "Schmierzetteln" könne die sachliche Richtigkeit des Rechnungswesens noch nicht in Zweifel ziehen) als auch die Höhe des "Sicherheitszuschlages" (in Höhe von rund 48 % des Umsatzes, wodurch der Gewinn um 375 % gestiegen sei) wandte. Die vom Prüfer vorgenommene Einzelkalkulation ausgewählter Speisen werde den Mengen und der Zusammensetzung des Speisenangebotes nicht gerecht. Die Beschwerdeführerin habe zum Nachweis der "Richtigkeit der Buchführung" im Prüfungsverfahren eine vollständige Kalkulation vorgelegt, die sie nach Einwendungen des Prüfers auch entsprechend ergänzt habe. Aus dieser der Berufung angeschlossenen Kalkulation ergebe sich für einen "Aussteckzeitraum" des Jahres 2004 ein möglicher Erlös von EUR 8.432,50, dem ein tatsächlich erzielter Erlös von EUR 8.170,-- gegenüber stehe, wobei sich die Differenz aus dem Verderb von Lebensmitteln und dem Schwund erklären lasse. Damit verbleibe kein Raum zur Verhängung eines Sicherheitszuschlages unter Ansatz eines ohne nähere Begründung angegebenen Rohaufschlages von 180 % und Vernachlässigung der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen. Außerdem betrage der aus der Steuererklärung abzuleitende Rohaufschlag nicht (wie vom Prüfer angenommen) 89 %, sondern 105,88 %, weil der Prüfer "Eigenverbrauch, Schwund und Bestandsveränderung" nicht berücksichtigt habe (vgl. Beilage 2 zur Berufung).

In einer Stellungnahme zur Berufung wies der Prüfer auf seiner Ansicht nach unglaubwürdige "Rezepturen" in den vorgelegten Kalkulationen hin, wobei auch Speisen mit hohen Rohaufschlägen ("Aufstriche, Suppen und Süßspeisen") nicht berücksichtigt worden seien. Insgesamt bestehe die Vermutung, dass die Kalkulationen vom Ergebnis (Rohaufschlag) rückgerechnet worden seien.

Diesen Ausführungen trat die Beschwerdeführerin in einer Gegenäußerung entgegen und legte dazu neuerlich eine Kalkulation vor, in der auch dem Einwand, es seien keine Aufstriche kalkuliert worden, Rechnung getragen werde. Dabei ergebe sich ein Rohaufschlag von rund 92,27 %, der mit dem sich aus der Steuererklärung ergebenden Rohaufschlag von rund 89 % vergleichbar sei (die Differenz von rund EUR 500,-- sei durch Schwund, Eigenverbrauch und Vorratsbewirtschaftung zu erklären). Eine Schätzung an Hand eines Rohaufschlages von 180 % entspreche jedenfalls nicht den Verhältnissen des Betriebes.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge.

Zur Schätzungsberechtigung führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe der in § 131 Abs. 1 Z 2 BAO normierten Verpflichtung zur Erfassung der Bareingänge und Barausgänge nicht entsprochen. Das Fehlen originärer Losungsaufzeichnungen werde nicht bestritten, wobei schon die Tatsache, dass die eine Form der Grundaufzeichnung bildenden "Schmierzettel" nicht aufbewahrt worden seien, eine Schätzungsbefugnis begründe. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe den Kassastand täglich durch Rückrechnung ermittelt, überzeuge nicht, weil eine Losungsermittlung mittels Kassasturzes zwingend die tägliche Feststellung des Kassastandes voraussetze. Die im Arbeitsbogen des Prüfers einliegenden Blätter mit den Tageslosungen der einzelnen Aussteckzeiträume des Jahres 2004 enthielten "jeweils nur das Datum und daneben den Betrag der Tageslosung in einer Summe". Weiters sei den Blättern mit den Tageslosungen zu entnehmen, dass die einzelnen Tageslosungen durchwegs "runde Eurobeträge, mehr als die Hälfte der Tageslosungen jeweils auf 10 Euro (bzw. ein Vielfaches davon) gerundete Beträge" aufwiesen, was schon angesichts der laut Speisekarte ausgewiesenen unrunden Preise ungewöhnlich sei.

Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Kalkulationen könnten die Richtigkeit der erklärten Einnahmen nicht unter Beweis stellen. Nach Ansicht der belangten Behörde bestehende Unstimmigkeiten etwa in den Kalkulationen laut Berufung und der Gegenäußerung verstärkten den Eindruck, dass diese nicht ein wirklichkeitsnahes Ergebnis widerspiegelten, sondern jeweils "auf ein bestimmtes Ergebnis hingerechnet wurden". Ein "Nachrechnen" an Hand von der belangten Behörde ermittelten üblichen Portionen führe zu höheren Einnahmen und Rohaufschlägen als in den Kalkulationen der Beschwerdeführerin.

Die Außenprüfung habe infolge der festgestellten Schätzungsberechtigung Sicherheitszuschläge verhängt. Sie habe sich dabei an jenem Rohaufschlag orientiert, den sie im Weg einer Einzelkalkulation der im Heurigenbuffet verkauften Waren mit 180 % als durchschnittlichen Wert ermittelt habe. Der auf diese Weise ermittelte Sicherheitszuschlag betrage rund 48 % der erklärten Einnahmen. Die belangte Behörde sehe sich nicht veranlasst, von dieser Schätzung abzugehen. Nach der Lage des Falles - "vollständige Unterlassung nachvollziehbarer Aufschreibungen über die täglichen Losungen, Auftreten einer Vielzahl von auf 10 Euro gerundeten Tageslosungen, mehrmaliges Vorkommen des gleichen Losungsbetrages innerhalb eines kurzen Zeitraums, Unschlüssigkeit der von (Beschwerdeführerin) angestellten Kalkulationen" - könne ein Sicherheitszuschlag auch in Höhe von rund der Hälfte der erklärten Einnahmen nicht als überhöht angesehen werden. Außerdem errechne sich unter Ansatz "üblicher Portionen" bei Fleisch und Geflügel (dem mengenmäßig größten Speisenangebot der Beschwerdeführerin) ein durchschnittlicher Rohaufschlag in Höhe von rund 174 %, der im Bereich des für die Bemessung des Sicherheitszuschlages herangezogenen Satzes von 180 % liege, sodass der durchschnittliche Rohaufschlag für diese beiden Produkte einen hinreichenden Anhaltspunkt für die Bemessung des Sicherheitszuschlages bilde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, diese zu schätzen, wobei alle Umstände zu berücksichtigen sind, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Gemäß § 184 Abs. 3 BAO ist u.a. dann zu schätzen, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt, oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formellen Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt zu § 131 Abs. 1 Z 2 BAO (idF vor dem Betrugsbekämpfungsgesetz 2006) ausgesprochen, dass es nur dann zulässig ist, die bargeldmäßigen Betriebseinnahmen eines Tages nicht einzeln (mit einer Registrierkassa) aufzuzeichnen, sondern durch Rückrechnen aus dem Kassaendbestand und Kassaanfangsbestand zu ermitteln, wenn alle Barausgänge und die Bareinlagen täglich erfasst werden (Kassabuch mit Bestandsfeststellung). Eine solche Losungsermittlung mittels Kassasturz bedarf aber zwingend der täglichen Feststellung (und Festhaltung) des Kassastandes, wobei das Fehlen von Aufschreibungen über den täglichen Kassastand im gegebenen Zusammenhang einen Aufzeichnungsmangel darstellt (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , 2000/14/0113, VwSlg 7.887/F, vom , 2008/13/0204, sowie vom , 2009/15/0155).

Dass die Beschwerdeführerin kein solches Kassabuch mit täglicher Bestandsfeststellung geführt hat, ist unstrittig. Die belangte Behörde konnte daher schon deshalb eine Schätzungsbefugnis annehmen. Weiters begründete die ebenfalls unbestrittene Tatsache, dass Uraufzeichnungen, zu denen auch "Schmierzettel" gehören, nicht aufbewahrt wurden, die Schätzungsbefugnis der Abgabenbehörde (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , 2008/13/0204, mwN). Das gehäufte Auftreten von Tageslosungen "in runden Summen" deutete zudem - ungeachtet der Erklärungsversuche in der Beschwerde, die Rundungen seien auf an Mitarbeiter gewährte Trinkgelder zurückzuführen - auf Aufzeichnungsmängel hin.

Allerdings ist zu beachten, dass auch Schätzungsergebnisse der Pflicht zur Begründung unterliegen (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom , 2009/15/0181) und bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen das Parteiengehör zu wahren ist (vgl. z.B. Ritz, BAO4, § 184 Tz 20f, mwN).

Die belangte Behörde hat so genannte "Sicherheitszuschläge" von 48 % der erklärten Einnahmen verhängt und sich dabei an einer an sich laut Prüfungsbericht vorgenommenen kalkulatorischen Schätzung orientiert. Gegen das Schätzungsergebnis des Prüfers hat sich die Beschwerdeführerin mehrmals im Verwaltungsverfahren gewandt (u.a. die Vornahme von Einzelkalkulationen anstelle einer den tatsächlichen Verhältnissen eher gerecht werdenden Gesamtkalkulation kritisiert) und auch eigenständige Berechnungen vorgelegt. Wenn die belangte Behörde in den von der Beschwerdeführerin zur Stützung ihrer Argumentation dargestellten Kalkulationen verschiedene Ungereimtheiten sah und beispielsweise Zweifel an den Angaben über die Größe der Portionen hegte, hätte sie der Beschwerdeführerin, wie diese zu Recht in der Beschwerde u. a. unter Darstellung verschiedener Berechnungen aufzeigt, Gelegenheit zur Stellungnahme dazu geben müssen. Auch der Ansatz nach Ansicht der belangten Behörde "üblicher" Portionsgrößen, welche die belangte Behörde u.a. zur Überzeugung kommen ließen, dass der solcherart für "Fleisch und Geflügel" ermittelte Rohaufschlag einen "hinreichenden Anhaltspunkt" zur Bestätigung des Sicherheitszuschlages bildete, hätte der Beschwerdeführerin vorgehalten werden müssen, sodass dem Beschwerdevorbringen, die der Kalkulation zu Grunde gelegten Mengenangaben entsprächen auch den in einem anderen Heurigenlokal verwendeten Mengen, die seitens der Betriebsprüfung als richtig befunden worden seien (Hinweis auf die Beilage 2 zur Beschwerde), in der Gegenschrift nicht das Neuerungsverbot entgegen gehalten werden kann.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am