VwGH vom 24.10.2019, Ra 2018/15/0115
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger. Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der G D in P, vertreten durch MMag.Dr. Stefan Huber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2101652/2015, betreffend Einkommensteuer 2012, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt gegenüber der Revisionswerberin Einkommensteuer für das Jahr 2012 fest.
2 Die Revisionswerberin brachte gegen den Einkommensteuerbescheid Beschwerde ein und führte zur Begründung u. a. aus, es liege der Befreiungstatbestand des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 (Hauptwohnsitzbefreiung) vor, weil sie durchgehend länger als zwei Jahre in dem veräußerten Objekt gewohnt habe.
3 Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab und führte aus, die Revisionswerberin habe am Hälfteeigentum an einer in Österreich gelegenen Wohnung erworben, die am um insgesamt 225.000 EUR verkauft worden sei. Der Anteil der Revisionswerberin am Verkaufspreis habe 112.500 EUR betragen. Die Wohnung habe der Revisionswerberin laut Melderegister vom bis zum (drei Jahre und fünf Monate) als Hauptwohnsitz gedient. Für die Hauptwohnsitzbefreiung nach § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 sei erforderlich, dass das Gebäude von der Anschaffung bis zur Veräußerung durchgehend als Hauptwohnsitz gedient habe, aber mindestens zwei Jahre. Die Wohnung sei nicht von der Anschaffung bis zur Veräußerung der Hauptwohnsitz der Revisionswerberin gewesen. Auch die Toleranzfrist von einem Jahr zwischen der Aufgabe des Hauptwohnsitzes und dem tatsächlichem Verkauf sei weit überschritten. Der Befreiungstatbestand des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988 komme nicht zum Tragen, weil die Wohnung in den letzten zehn Jahren vor der Veräußerung lediglich drei Jahre und fünf Monate der Hauptwohnsitz der Revisionswerberin gewesen sei. Die Ermittlung der Bemessungsgrundlage und der zu entrichtenden Einkommensteuer (Immobilienertragsteuer von 25%) stellte das Finanzamt in der Beschwerdevorentscheidung wie folgt dar:
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Verkaufserlös | EUR 112.500,-- |
Kaufpreis | - EUR 62.500,-- |
Grunderwerbsteuer für den seinerzeitigen Ankauf | - EUR 2.187,50 |
Bemessungsgrundlage | EUR 47.812,50 |
davon 25% | EUR 11.953,-- |
4 Die Revisionswerberin beantragte die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht und brachte im Vorlageantrag u.a. vor, der Verkauf der Wohnung sei am erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Revisionswerberin nicht mehr in Österreich aufgehalten, "sondern war bereits seit in Portugal". Die Wohnung sei aufgrund eines "Krankheits- und Scheidungsszenariums" verkauft worden. Infolge der Beeinträchtigung des Immobilienmarktes durch die Wirtschaftskrise sei es in der Zeitspanne zwischen Aufgabe des Hauptwohnsitzes und tatsächlichem Verkauf insgesamt schwierig gewesen, eine Wohnung zu veräußern. Die eingeräumte Toleranzfrist von nur einem Jahr liege damit außerhalb der normalen Lebenserfahrung. Im Übrigen führte die Revisionswerberin im Vorlageantrag aus, dass sie die Wohnung "zwischen bis (das sind 3 Jahre und 5 Monate) als Hauptwohnsitz" genutzt habe und vertrat den Standpunkt, dass der Befreiungstatbestand des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 im vorliegenden Fall jedenfalls greife, weil nach dem Wortlaut dieser Bestimmung lediglich eine durchgehende zweijährige Nutzung innerhalb eines beliebigen Zeitraumes vor der Veräußerung erforderlich sei.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde keine Folge. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der bezughabenden Gesetzesstellen führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung des § 30 EStG 1988 eine generelle Steuerpflicht für Veräußerungserlöse aus privaten Grundstücksverkäufen (Immobilienertragsteuer) geschaffen und dabei in bestimmten Fällen eine Steuerbefreiung vorgesehen. So seien Einkünfte aus der Veräußerung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen, die dem Veräußerer als Hauptwohnsitz gedient hätten, steuerfrei. Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit dieser Befreiungsbestimmung seien in zwei Tatbeständen (§ 30 Abs. 2 Z 1 lit. a und lit. b EStG 1988) präzisiert und enthielten insbesondere gewisse Nutzungszeiträume.
6 Die erste Tatbestandsvariante der Hauptwohnsitzbefreiung (lit. a) habe zur Voraussetzung, dass das Eigenheim oder die Eigentumswohnung dem Veräußerer ab der Anschaffung bis zur Veräußerung für mindestens zwei Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient habe. Die Voraussetzungen entsprächen weitgehend jenen der Hauptwohnsitzbefreiung im Bereich der Spekulationsgeschäfte nach § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 idF vor dem
1. StabG 2012 (Hinweis auf Bodis/Hammerl in Doralt et al, EStG17, § 30 Rz 154). Das Eigenheim müsse also durchgehend bis zur Veräußerung als Hauptwohnsitz gedient haben. Eine Aufgabe des Hauptwohnsitzes vor der Veräußerung stehe der Hauptwohnsitzbefreiung nach lit. a entgegen. Diese Rechtsansicht werde vom Bundesfinanzgericht in ständiger Rechtsprechung vertreten und basiere auf der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur vo 2012 geltenden, insoweit gleichlautenden Hauptwohnsitzbefreiung bei Veräußerungen innerhalb der Spekulationsfrist, wonach die Wohnung dem Steuerpflichtigen unmittelbar vor der Veräußerung oder jedenfalls vor der unmittelbaren Vorbereitung der Veräußerung als Hauptwohnsitz habe dienen müssen (Hinweis auf ). 7 Auch in der Literatur werde die Auffassung vertreten, dass die Nutzung als Hauptwohnsitz während der vorgesehenen Fristen durchgehend erfolgt sein müsse. Eine Unterbrechung der Nutzung oder eine Aufgabe des Hauptwohnsitzes vor der Veräußerung würden daher die Anwendbarkeit der ersten Tatbestandsvariante ausschließen (Hinweis auf Bodis/Hammerl in Doralt et al, EStG17, § 30 Rz 144 und 161; sowie Jakom/Kanduth-Kristen EStG 2014, § 30 Rz 29 ff).
8 Der Gesetzeswortlaut verlange eine durchgehende (mindestens zweijährige) Nutzung einer Eigentumswohnung bzw. eines Eigenheimes als Hauptwohnsitz und zwar von der Anschaffung bis zur Veräußerung und keinesfalls lediglich eine durchgehende zweijährige Nutzung innerhalb eines beliebigen Zeitraumes vor der Veräußerung. 9 Die Revisionswerberin habe ihren Hauptwohnsitz in der streitgegenständlichen Wohnung im Jahr 2009 aufgegeben bzw. nach Portugal verlegt. Die Veräußerung der Wohnung sei im Jahr 2012 erfolgt. Damit stehe fest, dass die Voraussetzungen des ersten Befreiungstatbestandes (§ 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988) nicht erfüllt seien.
10 Die Einkommensteuerrichtlinien 2000 - an die das Bundesfinanzgericht nicht gebunden sei - sähen in Bezug auf die Frage, ob der Hauptwohnsitz bis zur Veräußerung bestehe, eine Toleranzfrist von zwölf Monaten vor. Der Hauptwohnsitz dürfe daher innerhalb einer Frist von zwölf Monaten vor und nach der Veräußerung aufgegeben werden, ohne dass die Begünstigung verloren gehe. Sogar bei Berücksichtigung dieser Toleranzfrist - die dem Gesetz nicht zu entnehmen sei - wäre aber für den gegenständlichen Fall nichts gewonnen, weil der Hauptwohnsitz bereits mehr als drei Jahre vor der Veräußerung aufgegeben worden sei.
11 Die Wohnung sei von der Revisionswerberin lediglich etwas mehr als drei Jahre als Hauptwohnsitz genutzt worden, weshalb auch die Voraussetzungen für den Befreiungstatbestand des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988 nicht erfüllt seien.
12 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil zur Frage, ob die Voraussetzungen für die Hauptwohnsitzbefreiung erfüllt seien, eindeutige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes existiere, auf die sich das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts stütze.
13 In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Revision wird zu deren Zulässigkeit zunächst ausgeführt, das Bundesfinanzgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht von Erkenntnissen ab. Ein Erkenntnis müsse insbesondere erkennen lassen, welcher Sachverhalt diesem zu Grunde gelegt worden sei, aus welchen beweiswürdigenden Erwägungen gerade dieser Sachverhalt vorliegen solle, und aus welchen Erwägungen dieser Sachverhalt unter einen bestimmten Tatbestand subsumiert worden sei. Insbesondere sei nicht verständlich, wie das Bundesfinanzgericht aufgrund eines Weiterveräußerungspreises in Höhe von 220.000 EUR auf einen anteiligen Veräußerungserlös der Revisionswerberin in Höhe von 112.500 EUR komme und wieso es durch Abweisung der Beschwerde die vom Finanzamt vorgeschriebene Immobilienertragsteuer in Höhe von 11.953 EUR bestätige. 14 Hinsichtlich der Dauer des Vorliegens der Hauptwohnsitzbefreiung weiche das Bundesfinanzgericht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur bloßen Indizwirkung von Melderegisterauszügen, zur Auslegung des Begriffs "Hauptwohnsitz" in § 30 EStG 1988 und zur verpflichtenden antswegigen Ermittlung des Sachverhalts ab. Das Bundesfinanzgericht übernehme lediglich die unzureichenden Feststellungen des Finanzamts und gehe vom Vorliegen des Hauptwohnsitzes an der gegenständlichen Liegenschaft im Zeitraum bis aus. "Die Revisionswerberin war jedoch im viel längeren Zeitraum vom bis und damit länger als fünf Jahre Miteigentümerin der Liegenschaft."
15 Schließlich fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988, was unter "ab der Anschaffung" und "für mindestens zwei Jahre durchgehend" zu verstehen sei. Das Bundesfinanzgericht gehe im angefochtenen Erkenntnis mit Hinweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 in der Fassung vor dem 1. Stabilitätsgesetz 2012 davon aus, (auch) § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 in der geltenden Fassung setze voraus, "dass die Wohnung unmittelbar vor der Veräußerung oder jedenfalls vor der unmittelbaren Vorbereitung der Veräußerung dem Abgabepflichtigen immer noch als Hauptwohnsitz gedient hat". Diese Rechtsprechung lasse sich jedoch auf die aktuelle im Revisionsfall anzuwendende Rechtslage nicht übertragen.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 Die Revision ist wegen der Frage, was unter den in § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 verwendeten Begriffen "ab der Anschaffung" und "für mindestens zwei Jahre durchgehend" zu verstehen ist, zulässig. Sie ist aber nicht begründet. 18 Der entscheidungswesentliche Sachverhalt, wonach am eine Wohnung angeschafft worden ist, die der Revisionswerberin vom bis zum als Hauptwohnsitz gedient hat und am wieder verkauft worden ist, wird in der im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts wiedergegebenen Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts dargestellt. Die Revisionswerberin hat der als Vorhalt geltenden Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerdevorentscheidung nicht widersprochen und im Vorlageantrag außer Streit gestellt, dass sie die Wohnung "zwischen bis (das sind 3 Jahre und 5 Monate) als Hauptwohnsitz" genutzt hat. Bei dieser Verfahrenslage stellt es keine relevante Verletzung von Verfahrensvorschriften dar, wenn das Bundesfinanzgericht in seiner Entscheidung diese Umstände nicht gesondert als festgestellten Sachverhalt dargestellt hat. Auch die Rüge, das Bundesfinanzgericht sei aufgrund unzureichender Feststellungen des Finanzamts vom Vorliegen des Hauptwohnsitzes in der gegenständlichen Wohnung im Zeitraum bis ausgegangen, ist im Hinblick auf die Ausführungen im Vorlageantrag der Revisionswerberin, die ausdrücklich diesen Zeitraum anführt, nicht berechtigt.
19 Das Vorbringen, wonach der Verkaufspreis für die Liegenschaft 220.000 EUR betragen habe, weshalb nicht verständlich sei, wie das Bundesfinanzgericht auf einen anteiligen Veräußerungserlös der Revisionswerberin in Höhe von 112.500 EUR komme und dementsprechend die Steuervorschreibung des Finanzamtes bestätigen könne, steht im Widerspruch zum in den Verwaltungsakten einliegenden Kaufvertrag vom . Laut Kaufvertrag hat der Kaufpreis für die Liegenschaft 225.000 EUR betragen. Im Übrigen ist auf die Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts zu verweisen, in der - von der Revisionswerberin wiederum unwidersprochen - dargelegt wird, wie die Bemessungsgrundlage und die Steuer ermittelt wurden.
20 Soweit die Revisionswerberin wie im Verwaltungsverfahren den Standpunkt vertritt, der Befreiungstatbestand des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 setze lediglich eine durchgehende zweijährige Nutzung innerhalb eines beliebigen Zeitraumes vor der Veräußerung voraus, ist sie ebenfalls nicht im Recht:
21 § 30 EStG 1988 idF des 1. Stabilitätsgesetzes 2012 (1. StabG 2012), BGBl. I Nr. 22/2012, lautet auszugsweise:
"§ 30. (1) Private Grundstücksveräußerungen sind Veräußerungsgeschäfte von Grundstücken, soweit sie keinem Betriebsvermögen angehören. (...)
(2) Von der Besteuerung ausgenommen sind die Einkünfte:
1. Aus der Veräußerung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen samt Grund und Boden (§ 18 Abs. 1 Z 3 lit. b), wenn sie dem Veräußerer
a) ab der Anschaffung bis zur Veräußerung für mindestens zwei Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird oder
b) innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird. (...)"
22 In den ErlRV zum 1. StabG 2012 (1680 BlgNR 24. GP, 8) wird zu den Befreiungstatbeständen des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a und lit. b EStG 1988 ausgeführt:
"Von der Besteuerung ausgenommen sind wie bisher Eigenheime und Eigentumswohnungen samt Grund und Boden (§ 18 Abs. 1 Z 3 lit. b), die zwischen Anschaffung und Veräußerung durchgehend für mindestens zwei Jahre den Hauptwohnsitz des Veräußerers darstellen. Ergänzend soll aber die Veräußerung auch dann befreit sein, wenn das Objekt dem Veräußerer innerhalb der letzten 10 Jahre für mindestens 5 Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient hat. Diese Ergänzung ist insbesondere deshalb erforderlich, weil eine ununterbrochene Aufrechterhaltung des Hauptwohnsitzes bei einer unbegrenzten Steuerhängigkeit als unverhältnismäßige Anforderung für eine Steuerbefreiung erscheint. Daher soll die Hauptwohnsitzbefreiung auch dann greifen, wenn der Hauptwohnsitz zumindest für einen erheblichen Zeitraum vor der Veräußerung bestanden hat."
23 Die Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 2003/13/0118, zu Recht erkannt, die Befreiungsbestimmung des § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 idF vor dem
1. StabG 2012 erfordert, dass die Wohnung "seit der Anschaffung" und mindestens "seit zwei Jahren durchgehend" als Hauptwohnsitz gedient hat. Diesem Erfordernis wird - so der Verwaltungsgerichtshof weiter - dadurch Rechnung getragen, dass die Wohnung unmittelbar vor der Veräußerung oder jedenfalls vor der unmittelbaren Vorbereitung der Veräußerung dem Abgabepflichtigen noch immer als Hauptwohnsitz gedient hat. 24 Der Revisionswerberin ist zuzustimmen, dass der Wortlaut der Befreiungsbestimmung des § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 idF vor dem
1. StabG 2012 und jener des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 idF des 1. StabG 2012 nicht völlig übereinstimmen.
25 Für die Interpretation des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 idF des 1. StabG 2012 ist zunächst auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum 1. StabG 2012 zu verweisen, wonach Eigenheime und Eigentumswohnungen (§ 18 Abs. 1 Z 3 lit. b), die zwischen Anschaffung und Veräußerung durchgehend für mindestens zwei Jahre den Hauptwohnsitz des Veräußerers darstellen, "wie bisher" von der Besteuerung ausgenommen sein sollen. Nach § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 und der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, war es erforderlich, dass die Wohnung unmittelbar vor der Veräußerung oder jedenfalls vor der unmittelbaren Vorbereitung der Veräußerung dem Abgabepflichtigen noch immer als Hauptwohnsitz gedient hat. 26 Entscheidend ist aber, dass mit dem 1. StabG 2012 auch ein zweiter Hauptwohnsitzbefreiungstatbestand geschaffen worden ist (§ 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988), sodass im Rahmen einer systematischen Interpretation auf das Verhältnis dieser beiden Tatbestände Bedacht zu nehmen ist: Der zweite Tatbestand (§ 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988) verlangt, dass das Objekt innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient hat, er verlangt aber - im Gegensatz zum ersten Tatbestand (§ 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988) - gerade nicht, dass das Objekt "ab der Anschaffung" und "bis zur Veräußerung" den Hauptwohnsitz gebildet hat. Die Bedeutung der in Rede stehenden Tatbestandsmerkmale des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 zeigt gerade die Gegenüberstellung der beiden Befreiungstatbestände auf. Mit § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 wollte der Gesetzgeber auf den Fall eines (zumindest zweijährigen) Hauptwohnsitzes, der grundsätzlich mit der Anschaffung des Objektes beginnt und grundsätzlich bis zu dessen Veräußerung aufrecht ist, abstellen. Für die Konstellation, dass dieser Zusammenhang zwischen Anschaffung und Hauptwohnsitzbegründung einerseits sowie Veräußerung und Hauptwohnsitzbeendigung andererseits nicht erfüllt ist, hat der Gesetzgeber den Befreiungstatbestand des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988 geschaffen, verlangt dabei aber eine nicht bloß zweijährige, sondern eine fünfjährige (durchgehende) Dauer des Hauptwohnsitzes. Würde den Tatbestandsmerkmalen "ab der Anschaffung" und "bis zur Veräußerung" der Befreiungsbestimmung nach § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 nicht die entsprechende Bedeutung beigemessen, bedürfte es der Befreiungsbestimmung nach § 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988 gar nicht.
27 Solcherart ist der Befreiungsbestimmung nach § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 idF des 1. StabG 2012 die Bedeutung beizumessen, dass bei Aufgabe des Hauptwohnsitzes die Absicht, das Eigenheim bzw. die Eigentumswohnung zu veräußern, vorliegen und in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufgabe des Hauptwohnsitzes in die Tat umgesetzt werden muss, wofür dem Veräußerer eine den Umständen des Einzelfalls nach angemessene Frist zukommt (vgl. auch Bodis/Hammerl in Doralt at al, EStG17, § 30 Rz 144 und 161; sowie Jakom/Kanduth-Kristen EStG 2019, § 30 Rz 29 ff). 28 Die Revisionswerberin hat am eine Wohnung angeschafft, die ihr vom bis zum als Hauptwohnsitz diente. Am und damit drei Jahre und fünf Monate nach Aufgabe des Hauptwohnsitzes hat sie die Wohnung verkauft. § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 kommt im Revisionsfall daher nicht zum Tragen. Dass die Revisionswerberin bereits bei Aufgabe des Hauptwohnsitzes mit der Vorbereitung der Veräußerung begonnen hat, wurde im bisherigen Verfahren nicht vorgebracht und wird auch in der Revision nicht behauptet. 29 Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018150115.L00 |
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