VwGH vom 27.06.2012, 2008/13/0161
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde der F Holdinggesellschaft m.b.H. in S, vertreten durch KPMG Alpen-Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1090 Wien, Porzellangasse 51, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1658-W/06, miterledigt RV/1222-W/06, betreffend Abweisung von Anträgen auf Wiederaufnahme des Verfahrens sowie auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO (Umsatzsteuer 1996 bis 2003), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Abweisung des auf § 299 BAO gestützten Aufhebungsantrages hinsichtlich Umsatzsteuer 1996 bis 1998 bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin war im Streitzeitraum Organträgerin von Gesellschaften, die Glücksspielautomaten betrieben. Die den Streitzeitraum betreffenden Umsatzsteuerbescheide ergingen für die Jahre 1996 bis 1998 im Anschluss an eine im Dezember 2001 begonnene Betriebsprüfung nach Wiederaufnahme der Verfahren im September 2003, für die Jahre 1999 bis 2003 zum Teil erst im Jahr 2004.
Mit Schriftsatz vom beantragte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf das und C-462/02, Linneweber und Aknitidis, gemäß § 303 Abs. 1 BAO die Wiederaufnahme der Verfahren. Sie brachte dazu vor, der EuGH habe "die Verpflichtung der Umsatzsteuer auf Geldspielautomatenumsätze aufgehoben".
Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab, wogegen die Beschwerdeführerin Berufung erhob.
Mit Schriftsatz vom beantragte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf das Urteil des EuGH auch die Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide gemäß § 299 Abs. 1 BAO.
Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab, wogegen die Beschwerdeführerin Berufung erhob.
Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde beide Berufungen als unbegründet ab. Sie vertrat die Ansicht, das von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Urteil des EuGH sei kein Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 303 Abs. 1 BAO und der auf § 299 BAO gestützte Aufhebungsantrag sei in Bezug auf die Jahre 1999 bis 2003 nicht berechtigt, weil der Gesetzgeber mit der bis auf das Jahr 1999 zurückwirkenden Änderung des § 6 Abs. 1 Z 9 lit. d sublit. dd UStG 1994 durch das Ausspielungsbesteuerungsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 105/2005, die umsatzsteuerrechtliche Bevorzugung zugelassener öffentlicher Spielbanken gegenüber Betreibern wie der Beschwerdeführerin beseitigt habe. In Bezug auf die Jahre 1996 bis 1998 stünden die Abgabenbescheide, deren Aufhebung die Beschwerdeführerin beantrage, zwar im Widerspruch zur Rechtsanschauung des EuGH. Der Antrag vom sei in Bezug auf diese Jahre aber verspätet, weil die gemäß § 302 Abs. 2 lit. c BAO (vor deren Aufhebung durch das Abgabenverwaltungsreformgesetz, BGBl. I Nr. 20/2009) maßgebliche Verjährungsfrist jeweils schon abgelaufen gewesen sei.
Dagegen richtet sich die vorliegende, durch weitere Schriftsätze ergänzte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
1. Zu den Jahren 1999 bis 2003:
In Bezug auf diese Jahre ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das u. a. diesen Zeitraum betreffende hg. Erkenntnis vom , 2008/13/0134, zu verweisen. Aus den dort dargelegten Gründen kann auch die vorliegende Beschwerde für diesen Zeitraum nicht erfolgreich sein.
2. Zu den Jahren 1996 bis 1998:
Soweit sich die Beschwerde hinsichtlich dieser Jahre gegen die Abweisung des Wiederaufnahmsantrages richtet, weil das ins Treffen geführte, nicht die Beschwerdeführerin betreffende Urteil des EuGH als Entscheidung einer Vorfrage im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. c BAO zu werten sei, ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Vorabentscheidungsverfahren ergangene Urteile des EuGH zur Auslegung von Gemeinschaftsrecht nicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund eines Vorfragentatbestandes berechtigen (vgl. dazu die Erkenntnisse vom , 2007/16/0073, vom , 2008/16/0053, und vom , 2008/16/0012, mit Hinweisen auch auf Judikatur des Verfassungsgerichtshofes; Ritz, BAO4, § 303 Tz 20, m.w.N.).
In Bezug auf die Rechtzeitigkeit des auf § 299 BAO gestützten Aufhebungsantrages nach dem Maßstab des hier noch anzuwendenden § 302 Abs. 2 lit. c BAO ist zunächst der Ansicht der Beschwerdeführerin entgegenzutreten, im vorliegenden Fall sei der Antrag jeweils bis zum Eintritt der Einhebungsverjährung zulässig gewesen. Welche Verjährungsfrist maßgeblich ist, hängt von der Art des betroffenen Bescheides ab, weil die auch für amtswegige Änderungen geltende zeitliche Begrenzung nach dem erkennbaren Zweck der Regelung an die Verjährung des jeweils verfolgten Rechtes anknüpft (vgl. in diesem Sinn schon Stoll, BAO-Kommentar, 2904, und seither etwa auch Ritz in Holoubek/Lang, Rechtskraft im Verwaltungs- und Abgabenverfahren, 308). Maßgeblich war im vorliegenden Fall, wie auch im Fall des Erkenntnisses vom , 2008/13/0134, daher die Bemessungsverjährung.
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die Bemessungsverjährung hinsichtlich der Jahre 1996 bis 1998 auch bei Bedachtnahme auf die Verlängerungstatbestände des § 209 Abs. 1 BAO in der gemäß § 323 Abs. 18 BAO ab anzuwendenden Fassung vor dem Aufhebungsantrag vom eingetreten war, wenn die (unverlängerte) Verjährungsfrist, wie von der belangten Behörde angenommen, im Sinne des § 207 Abs. 2 erster Satz BAO nur fünf Jahre betrug. Sie hat im Berufungsverfahren aber auf die strafgerichtliche Verurteilung ihres Geschäftsführers wegen des Vergehens der Abgabenhinterziehung verwiesen und davon ausgehend geltend gemacht, die (unverlängerte) Verjährungsfrist habe nicht fünf, sondern gemäß § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO (in der am in Kraft getretenen Fassung) sieben Jahre betragen.
Die belangte Behörde hat dazu in Übereinstimmung mit der Aktenlage festgestellt, der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin sei mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG schuldig erkannt worden, Abgabenverkürzungen betreffend Umsatzsteuer für 1996 in der Höhe von S 3,845.291,80, für 1997 in der Höhe von S 4,236.205,40 und für 1998 in der Höhe von S 5,431.097,80 bewirkt zu haben.
Die belangte Behörde vertritt dazu aber - unter Berufung auf hg. Judikatur nicht zu § 207 BAO, sondern zur Bindungswirkung von Strafurteilen im Allgemeinen - die Ansicht, sie sei in der steuerlichen Beurteilung des im Strafurteil festgestellten Sachverhaltes nicht gebunden. Da eine Umsatzsteuerpflicht nach dem unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrecht nicht bestanden habe, könne "nach eigenständiger Beurteilung des UFS der Tatbestand der Abgabenhinterziehung nicht erfüllt sein", weshalb auch die siebenjährige Verjährungsfrist nicht zur Anwendung komme.
Dem steht die ständige hg. Rechtsprechung entgegen, wonach eine Abgabe bei der Anwendung des § 207 BAO als hinterzogen zu behandeln ist, wenn eine Verurteilung wegen ihrer Hinterziehung vorliegt (vgl. dazu die Erkenntnisse vom , 97/15/0056, VwSlg. 7378/F, vom , 2002/16/0190, und vom , 2009/13/0159).
Hilfsweise meint die belangte Behörde, im Rahmen des bei Maßnahmen gemäß § 299 BAO zu übenden Ermessens sei zu berücksichtigen, "dass es nicht Sinn der Verlängerung der Bemessungsverjährungsfrist wegen Abgabenhinterziehung sein kann, im Ergebnis Abgabenvorschreibungen zu reduzieren."
Auch diese Überlegung überzeugt für sich nicht. War die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen, so waren Rechtskraftdurchbrechungen gemäß § 299 i.V.m. § 302 Abs. 2 lit. c BAO sowohl zu Gunsten als auch zum Nachteil der Beschwerdeführerin noch möglich. Davon nur gegebenenfalls zu ihrem Nachteil, im Falle zu Unrecht vorgeschriebener Abgaben aber nicht auch zu ihrem Vorteil Gebrauch zu machen, entspräche nicht dem Zweck einer Regelung, die Änderungen zum Vorteil des Abgabepflichtigen an dieselbe Frist bindet, die das Gesetz für die Durchsetzung des Abgabenanspruches gegen ihn vorsieht.
Die belangte Behörde meint im angefochtenen Bescheid, ausgehend vom Vorliegen hinterzogener Abgaben sei "der Aufhebungsantrag bezüglich der Jahre 1996 bis 1998 als rechtzeitig eingebracht anzusehen", was anhand der vorgelegten Akten für die Jahre 1996 und 1997 - im Gegensatz zum Jahr 1998 - nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Da die belangte Behörde sich auf Grund ihrer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht damit aber auch nicht näher auseinandergesetzt hat, war der angefochtene Bescheid in seinem Abspruch über die Berufung gegen die Abweisung des auf § 299 BAO gestützten Aufhebungsantrages nicht nur hinsichtlich des Jahres 1998, sondern - insoweit auf Grund eines sekundären Verfahrensmangels - auch hinsichtlich der Jahre 1996 und 1997 gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Im fortgesetzten Verfahren wird zu beachten sein, dass die Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO in der hier anzuwendenden Fassung nur von fünf auf sieben Jahre verlängert wurde, "soweit" die Abgabe hinterzogen war. Daher ergibt sich auch die Befugnis zur neuerlichen inhaltlichen Prüfung des Abgabenanspruchs im Verfahren gemäß § 299 BAO - unter Bedachtnahme auf die in der Zwischenzeit erfolgten Klarstellungen durch das ins Treffen geführte Urteil des EuGH - aus dem aufhebenden Spruchteil dieses Erkenntnisses jeweils nur insoweit, als die Abgabe hinterzogen und die Verjährung deshalb noch nicht eingetreten war (§ 209a Abs. 3 BAO).
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am