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VwGH vom 24.10.2012, 2008/13/0088

VwGH vom 24.10.2012, 2008/13/0088

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des Mag. R als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der P GmbH in B, vertreten durch die Tröthandl Rupprecht Schenz Haider Rechtsanwälte OG in 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/2546-W/07, betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2002, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1. 286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Masseverwalter der X GmbH (im Folgenden: Gemeinschuldnerin), über deren Vermögen das Landesgericht W mit Beschluss vom das Konkursverfahren eröffnete. Den Konkursantrag hat - über Anregung des für die Gemeinschuldnerin zuständigen Finanzamtes vom , welche auch der Gemeinschuldnerin zur Kenntnis gebracht wurde - die Finanzprokuratur am bei Gericht eingebracht.

Nach der Konkurseröffnung fand bei der Gemeinschuldnerin eine Umsatzsteuersonderprüfung betreffend den Zeitraum Oktober 2001 bis Mai 2002 statt. Im Rahmen der Prüfung stellte der Prüfer fest, dass die Gemeinschuldnerin mit Kaufvertrag vom ein Betriebsgebäude, das auf Grund eines Superädifikatsvertrages vom in ihrem Eigentum stand, um 220.170,48 EUR zuzüglich 20% Umsatzsteuer (44.034,10 EUR) an Erich P verkauft habe, und vertrat die Auffassung, dass die Verfügungsmacht über das Objekt erst im März 2002 auf Erich P übergegangen sei, weil der Kaufvorgang den Bestimmungen des § 117 KO unterlegen sei und der Masseverwalter die grundbücherliche Durchführung erst am freigegeben habe. Daher sei die Lieferung des Superädifikats im März 2002 erfolgt. Die darauf entfallende Umsatzsteuer stelle eine Masseforderung dar und sei "(wie auch im Kaufvertrag vereinbart)" vom Steuerkonto des Erich P auf das Steuerkonto der Gemeinschuldnerin umzubuchen.

Das Finanzamt folgte dem Prüfer und erließ - nachdem eine als Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung März 2002 intendierte Erledigung ins Leere ging - einen entsprechenden Umsatzsteuerbescheid 2002.

Der Beschwerdeführer berief gegen den Umsatzsteuerbescheid und brachte in der Berufung u.a. vor, in Punkt IV. des Kaufvertrages werde bestätigt, dass die Übergabe und Übernahme des Kaufobjektes bereits am , sohin vor Konkurseröffnung, stattgefunden habe. Dies wäre auch von den ehemaligen Geschäftsführern der Gemeinschuldnerin anlässlich ihrer Einvernahme durch das Finanzamt bestätigt worden. Die Geschäftsführer hätten darüber hinaus ausgesagt, dass nach Kaufvertragsabschluss Mieten an Erich P bezahlt worden seien und der Wasser- und Elektroanschluss noch im November 2001 umgemeldet worden sei. Erich P habe bereits im November 2001 mit der Rückzahlung eines übernommenen Kredites begonnen. Die Geschäftsführer hätten bis zur Konkurseröffnung nicht über das Superädifikat verfügt und keine damit im Zusammenhang stehenden Zahlungen geleistet. Nach Konkurseröffnung hätte nur noch der Beschwerdeführer derartige Verfügungen treffen können. Dieser habe aber bestätigt, über keine bezughabenden Unterlagen zu verfügen, weil das Superädifikat bereits vor Konkurseröffnung an Erich P veräußert worden sei und dieser vor Konkurseröffnung die Verfügungsmacht über das Superädifikat erhalten habe. In Übereinstimmung mit diesen Aussagen habe Erich P Überweisungsbelege seines Privatkontos vorgelegt, aus welchen sich ergebe, dass er "bereits vor Konkurseröffnung die Kreditrate für das gegenständliche Objekt an die Bank bezahlt hat ((Erich P), hätte wohl kaum die Raten für die Gemeinschuldnerin 14 Tage vor Konkurseröffnung 'freiwillig' übernommen)". Es sei als erwiesen anzunehmen, dass die Verfügungsgewalt über das Superädifikat am und damit vor Konkurseröffnung auf Erich P übergegangen sei.

Steuern stellten Masseforderungen dar, wenn der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht worden sei. Der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt sei eine Grundstückslieferung, die zustande komme, "wenn der Unternehmer jemand anderen befähigt, über einen Gegenstand zu verfügen". § 3 Abs. 1 UStG 1994 verwende keine zivilrechtliche Terminologie und verlange insbesondere nicht Eigentum und Eigentumsübertragung, sondern spreche von der Befähigung zur Verfügung. Ausreichend und erforderlich sei die Befähigung, über den Nutzen des Gegenstandes frei zu disponieren. Der Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht falle üblicherweise mit der Eigentumsübertragung zusammen (somit bei unbeweglichen Sachen mit Intabulation und bei Superädifikaten mit gerichtlicher Hinterlegung der Urkunden). Gingen Nutzen und Lasten schon vor der Eigentumsübertragung auf den Erwerber über, und erhalte der Erwerber im Verhältnis der Vertragsparteien eine eigentümerähnliche Stellung, die im Außenverhältnis abgesichert sei, so werde die Grundstückslieferung bereits zu diesem Zeitpunkt ausgeführt. Im gegenständlichen Fall sei nach dem Willen der Vertragsparteien (Punkt IV des Kaufvertrages) die Verfügungsmacht bereits am und somit vor der Konkurseröffnung auf den Erwerber übergegangen. Der Kaufvorgang sei im Jahr 2001 und nicht im Jahr 2002 zu versteuern. Die Umsatzsteuer stelle eine Konkursforderung dar, die entsprechend der Quote zu kürzen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.

Dem Beschwerdeführer sei zuzustimmen, dass der entscheidende Zeitpunkt für ein steuerbares Verhalten der Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht sei. Der Wille der Vertragsparteien müsse aber in einem tatsächlichen Verhalten einen Niederschlag gefunden haben und könne nicht lediglich abstrakt vereinbart werden.

Die (ehemaligen) Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin hätten anlässlich ihrer Befragung angegeben, dass Erich P das Superädifikat im November 2001 übernommen habe. Zudem hätten sie ausgesagt, dass schon im November 2001 Mieten an Erich P bezahlt worden seien und der Wasser- und Elektroanschluss im November 2001 umgemeldet worden sei. Erich P habe auch bereits im November 2001 Ratenzahlungen übernehmen müssen.

Da Erich P nicht einmal behaupte, im November 2001 Mieten erhalten zu haben, überzeuge das Argument nicht, "dass sich der Käufer den Nutzen des Superädifikates (durch Mietzahlungen) zugewendet" habe. Durch die vorgelegten Unterlagen sei nur eine Ratenzahlung des Erich P vom belegt. Abgesehen von dieser Zahlung hätten die (ehemaligen) Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin und Erich P keine Handlungen angeführt, die die Annahme der Verschaffung der Verfügungsmacht vor Konkurseröffnung rechtfertigten. Die Ummeldung des Strom- und Gasbezuges sei erst am erfolgt. Schriftverkehr mit den Banken betreffend die geplante Schuldübernahme durch Erich P sei nicht vorgelegt worden. Vor allem sei aber von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer nach Konkurseröffnung ein Gutachten über den Wert des Kaufgegenstandes eingeholt, Kaufinteressenten mittels Inseraten gesucht und dem Konkursgericht mit Schreiben vom mitgeteilt habe, dass kein Grund bestehe "die Zustimmung gemäß § 117 KO zum gegenständlichen Kaufvertrag nicht zu erteilen".

Selbst wenn das in Rede stehende Superädifikat vor Konkurseröffnung an Erich P übergeben und diesem eine "einverleibungsfähige, die Intabulationsklausel enthaltende Urkunde" ausgefolgt worden wäre, "so gehört die Liegenschaft doch zur Konkursmasse, wenn das Eigentum des Erwerbers nicht vor Konkurseröffnung ins Grundbuch einverleibt worden ist".

Die grundbücherliche Durchführung des knapp vor Konkurseröffnung geschlossenen Kaufvertrages sei erst im Rahmen des Konkursverfahrens erfolgt "und kommt - auch nach Ansicht des (Beschwerdeführers) - die Bestimmung des § 117 KO betreffend 'Genehmigungspflichtige Geschäfte' zur Anwendung". Der Beschwerdeführer habe dem Kaufvertrag vom erst nach Vorlage eines Gutachtens über den Wert des Superädifikates zugestimmt. Daher sei davon auszugehen, "dass erst ab dem Zeitpunkt der Zustimmungserklärung durch den (Beschwerdeführer) die Verfügungsmacht auf den Erwerber übergegangen ist". Erst ab der Zustimmung sei das Superädifikat "uneingeschränkt zur Disposition des Käufers" gestanden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

§ 3 Abs. 1 UStG 1994 definiert Lieferungen als Leistungen, durch die ein Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Wenngleich die Verschaffung der Verfügungsmacht meist mit der Übertragung des Eigentums im Sinne des bürgerlichen Rechts zusammenfällt, ist dies jedoch nicht stets der Fall, denn der Begriff Verfügungsmacht ist ein eigenständiger Begriff des Umsatzsteuerrechts (vgl. Ruppe/Achatz, UStG4 § 3 Tz 32, mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).

Auch Art. 5 Abs. 1 der - im Beschwerdefall noch anzuwendenden - 6. EG-RL, 77/388/EWG, ist dahin auszulegen, dass als "Lieferung eines Gegenstands" auch dann die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, wenn das rechtliche Eigentum an dem Gegenstand nicht übertragen wird. Es ist Sache des nationalen Gerichts, in jedem Einzelfall anhand des gegebenen Sachverhalts festzustellen, ob eine solche Übertragung vorliegt (vgl. das , Rs Shipping and Forwarding Enterprise Safe ).

Der Beschwerdeführer bringt vor, die Verfügungsmacht über das in Rede stehende Superädifikat sei am auf Erich P übergegangen und begründet dies - wie im Verwaltungsverfahren - mit Punkt IV. des Kaufvertrages, in dem bestätigt werde, dass die Übergabe bzw. Übernahme des Kaufobjektes an diesem Tag stattgefunden habe, den damit übereinstimmenden Angaben der ehemaligen Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin und der Kreditrate, die Erich P am bezahlt habe. Im Übrigen wiederholt er das Vorbringen im Verwaltungsverfahren, wonach nach dem ausschließlich Erich P über das Superädifikat verfügt habe, und führt - unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - ergänzend aus, dass Mietzahlungen an Erich P "ein Monat vor Konkurseröffnung (!) im Hinblick auf die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin (als Voraussetzung für die Konkurseröffnung) lebensfremd wären, und die Nichtzahlung von Mieten keinesfalls - und insbesondere nicht unmittelbar vor Konkurseröffnung - den Schluss zulässt, dass die Verfügungsgewalt nicht übertragen worden wäre". Daher sei die von der belangten Behörde vertretene Auffassung verfehlt, "dass der Kaufgegenstand bis März 2002 nicht uneingeschränkt zur Disposition des Käufers gestanden sei, sondern erst ab Freigabe durch den Masseverwalter".

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer teilweise im Recht.

Die Verschaffung der Verfügungsmacht ist, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ein tatsächlicher Vorgang. Der Übergang muss sich tatsächlich vollziehen und kann nicht lediglich abstrakt vereinbart werden (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , 2000/13/0095, VwSlg 7686/F, und vom , 99/14/0109, VwSlg 7718/F). Die belangte Behörde hat daher den Ausführungen in Punkt IV. des Kaufvertrages vom , wonach die Übergabe und Übernahme des Superädifikats "in den physischen Besitz des Käufers" bereits am erfolgt sei und vom gleichen Zeitpunkt an "Gefahr und Zufall, Nutzen und Lasten auf den Käufer" übergangen seien, sowie den gleichlautenden Angaben der ehemaligen Gesellschafter der Gemeinschuldnerin zu Recht keine wesentliche Bedeutung beigemessen. Dies gilt umso mehr, als das in Rede stehende Superädifikat weiterhin von der Gemeinschuldnerin genutzt wurde, die laut Beschwerde zahlungsunfähig gewesen sei und ("insbesondere nicht unmittelbar vor Konkurseröffnung") keine Mietzahlungen an Erich P hätte leisten können. Auch die Ratenzahlung vom stellt kein hinreichendes Indiz dafür dar, dass Substanz, Wert und Ertrag des Superädifikats bereits am auf Erich P übergegangen sind, zumal unklar bleibt, aus welchem Titel sie erfolgte. Der Schriftverkehr mit den Banken betreffend die geplante Schuldübernahme durch Erich P wurde trotz Aufforderung hierzu nicht vorgelegt. Damit stößt es aber auf keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken, wenn die belangte Behörde zur Überzeugung gelangte, dass Erich P die Verfügungsmacht über das in Rede stehende Superädifikat nicht bereits am erlangt hat.

Die belangte Behörde ist allerdings nicht im Recht, wenn sie vermeint, dass Erich P die Verfügungsmacht über das Superädifikat erst mit der Zustimmung des Beschwerdeführers zum Kaufvertrag erlangt habe. Damit eine Lieferung iSd § 3 Abs. 1 UStG 1994 zustande kommt, muss der Unternehmer den Abnehmer befähigen, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Erforderlich ist, dass dem Abnehmer tatsächlich Substanz, Wert und Ertrag eines Gegenstandes zugewendet werden. Die Zustimmung des Beschwerdeführers zum Kaufvertrag vom war zur grundbücherlichen Durchführung des Kaufvorganges und damit zum Erwerb des zivilrechtlichen Eigentums am Superädifikat erforderlich. Substanz, Wert und Ertrag des Superädifikats konnten sowohl vor als auch nach diesem Zeitpunkt (beispielsweise nach Räumung des Superädifikats durch die Gemeinschuldnerin) auf Erich P übergegangen sein, weil der Übergang der Verfügungsmacht - wie eingangs dargelegt - nicht zwingend mit der Übertragung des Eigentums im Sinne des bürgerlichen Rechts zusammenfallen muss.

Konkrete Feststellungen zur Frage, wann die Gemeinschuldnerin Erich P befähigte, über die Liegenschaft zu verfügen, enthält der angefochtene Bescheid nicht. Er erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am