VwGH vom 26.02.2013, 2010/15/0148
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des JP in L, vertreten durch die Friedl Holler Rechtsanwalt-Partnerschaft in 8462 Gamlitz, Marktplatz 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom , Zl. RV/0516-G/09, betreffend Einkommensteuer 2007, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom , Zl. RV/0668-G/10, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein bei einer Landesregierung tätiger Jurist, machte im Rahmen des Einkommensteuerverfahrens für 2007 Aufwendungen, die ihm in Zusammenhang mit einem auf einer Dienstfahrt erlittenen Autounfall erwachsen waren, als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
Mit dem angefochtenen Bescheid ließ die belangte Behörde die Kosten nicht zum Abzug zu. Der Beschwerdeführer habe im Bereich einer Autobahnabfahrt kurz vor dem Verzögerungsstreifen einen Auffahrunfall verursacht. Er habe beabsichtigt, die Autobahn zu verlassen. Abgelenkt durch das Hantieren an seinem Autoradio habe er, noch am ersten Fahrstreifen fahrend, übersehen, dass der Verkehr wegen großen Verkehrsaufkommens vor dem Verzögerungsstreifen zum Stillstand gekommen war. Ein versuchtes Ausweichmanöver habe den Aufprall auf das vor ihm befindliche, bereits stehende Fahrzeug nicht mehr abwenden können. Dem polizeilichen Unfallbericht sei zu entnehmen, dass zum Zeitpunkt des Unfalls gute Sicht- und Witterungsverhältnisse geherrscht hätten.
Der Beschwerdeführer habe die Unfallkosten gegenüber seinem Dienstgeber geltend gemacht und mit Bescheid vom eine Schadenersatzzahlung unter Berücksichtigung eines 30%igen Selbstbehaltes (Eigenverschuldensanteil) gemäß § 20 Abs. 2 Gehaltsgesetz 1956 zuerkannt bekommen.
Die Beurteilung, ob ein Verkehrsunfall im steuerlichen Sinn beruflich oder privat veranlasst sei, hänge vom Grad des Verschuldens des Lenkers und in der Praxis zumeist davon ab, ob das Verhalten des Fahrers im Zusammenhang mit dem Unfall als leicht oder grob fahrlässig zu qualifizieren sei. Die Situation des Abfahrens von einer Autobahn verlange vom Lenker eines Fahrzeuges besondere Aufmerksamkeit. In dieser Situation mit dem Autoradio zu hantieren, sei anders zu beurteilen, als wenn dies während freier, ungehinderter Fahrt auf der Autobahn geschehe. Im Beschwerdefall komme der zeitliche Aspekt hinzu (morgendlicher Berufsverkehr) und die dadurch bedingte, absehbar hohe Verkehrsdichte. Dem Beschwerdeführer, der diese Strecke ständig auf den Fahrten zwischen seinem Wohnsitz und der Arbeitsstätte zurücklege, sei die Situation in diesem amtsbekannt stau- und unfallträchtigen Bereich während der Hauptverkehrszeit am Morgen zweifellos nicht unbekannt. Unter diesen, die Aufmerksamkeit des Fahrers besonders fordernden Umständen, komme der mit dem Fahren nicht notwendig verbundenen Beschäftigung mit dem Autoradio einer auffallenden Sorglosigkeit wesentlich näher als einer entschuldbaren Fehlleistung. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Kriterien des § 2 Abs. 2 Dienstnehmerhaftpflichtgesetz (Bildungsgrad des Beschwerdeführers, die mit dessen Tätigkeit verbundene Verantwortung, Gefahrengeneigtheit der Situation bzw. das damit verbundene Wagnis) erscheine das gesetzte Fehlverhalten nicht mehr geringfügig.
Welche Überlegungen die Entscheidung des Dienstgebers im Zusammenhang mit der Schadenersatzleistung nach § 20 Abs. 2 Gehaltsgesetz 1956 zum Eigenverschuldensanteil des Beschwerdeführers getragen hätten, habe nicht nachvollzogen werden können, weil der Bezug habende Verfahrensakt trotz Ersuchens um Amtshilfeleistung nicht vorgelegt worden sei. Festzuhalten sei, dass der Spruch des Bescheides der Landesregierung vom keine Aussage zum Verschulden des Beschwerdeführers enthalte.
Bei der steuerlichen Beurteilung sei unter den gegebenen Umständen von einer nicht zu vernachlässigenden privaten Mitveranlassung des Auffahrunfalles vom auszugehen. Der Beschwerdeführer habe mit seinem Verhalten ein hohes Unfallrisiko in Kauf genommen, welches die Berücksichtigung der "Schadenersatzleistung" (gemeint wohl des Schadens) als Werbungskosten ausschließe. Das Aufteilungsverbot des § 20 Abs. 1 Z 2 lit. a EStG stehe der Berücksichtigung der durch den Unfall verursachten Kosten als Werbungskosten entgegen.
Dagegen wendet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Soweit in der Beschwerde das Vorliegen eines Nichtbescheides releviert wird, fehlt es dafür an jeglichem Anhaltspunkt. Die BAO normiert keine Pflicht zur Bezeichnung der angewendeten Gesetzesbestimmungen im Spruch des Abgabenbescheides (vgl. Ritz , BAO4, § 93 Tz 9).
Zur Rüge, aus dem angefochtenen Bescheid gehe nur der Name der Referentin (und nicht der Berufungssenat) hervor, sodass er von einer unzuständigen Behörde erlassen worden sei, genügt es darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Berufungen gemäß § 282 Abs. 1 BAO - soweit nicht einer der dort genannten Ausnahmefälle gegeben ist - dem Referenten obliegt. Eine derartige Referentenentscheidung ist im Beschwerdefall gegeben. Dass der Beschwerdeführer die Entscheidung durch den gesamten Berufungssenat beantragt hätte, behauptet er nicht. Die als Aufhebungsgrund geltend gemachte Unzuständigkeit der belangten Behörde liegt daher nicht vor.
In der Sache wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Versagung von Werbungskosten für unfallbedingte Aufwendungen.
Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten die Aufwendungen und Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen.
Aufwendungen im Zusammenhang mit einem auf einer beruflich veranlassten Fahrt erlittenen Verkehrsunfall können unter bestimmten Voraussetzungen Werbungskosten darstellen (vgl. schon die hg. Erkenntnisse vom , 180/73, ÖStZB 1974, 286, und vom , 797/77, ÖStZB 1979, 168). Dies gilt jedenfalls für einen unverschuldeten Unfall. Tritt ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers hinzu, kann dadurch der berufliche Veranlassungszusammenhang unterbrochen werden. Ob ein Verkehrsunfall beruflich oder privat veranlasst ist, hängt u. a. vom Grad des Verschuldens des Lenkers ab. Zwar handelt es sich bei einem selbst verschuldeten Unfall um ein Fehlverhalten, das nicht durch die berufliche Tätigkeit veranlasst ist. Dieses Fehlverhalten tritt aber als ungewollte Verhaltenskomponente gegenüber dem angestrebten beruflichen Zweck dann in den Hintergrund, wenn der Verkehrsunfall nicht durch ein grob fahrlässiges Verhalten des Lenkers verursacht worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 97/14/0071, mit weiteren Nachweisen).
Die Beschwerde rügt, die belangte Behörde habe das Verschulden des Beschwerdeführers unrichtig beurteilt. Nicht jedes Verschulden, das keine entschuldbare Fehlleistung darstelle, sei automatisch als grob fahrlässig zu qualifizieren. Bei der entschuldbaren Fehlleistung handle es sich um eine Verschuldensform, die sogar unter der leichten Fahrlässigkeit anzusiedeln sei (Hinweis auf , und , 4 Ob 69/80). Der Beschwerdeführer sei weder als Berufskraftfahrer noch als Verkehrsrechtsjurist, sondern im Kranken- und Kuranstaltenrecht tätig. Mangels beruflichen Bezugs zu Agenden des Verkehrs könne vom Beschwerdeführer kein über einen normalen Verkehrsteilnehmer hinausgehendes sorgfaltsmäßiges Verhalten gefordert werden. Dem Beschwerdeführer sei als Straßenverkehrsteilnehmer keine Garantenstellung zugekommen, die über eine solche hinausginge, die jeden anderen Verkehrsteilnehmer treffe. Gegenständlich habe der Beschwerdeführer nicht - wie die belangte Behörde vermeine - mehrere Fehlhandlungen gesetzt, sondern nur eine einzige, nämlich den Griff zum Autoradio, um dort einen Knopf zu drücken. Diese Tätigkeit habe lediglich Bruchteile einer Sekunde gedauert, zumal sich das Autoradio an einer vom Lenker gut erreichbaren Stelle befunden habe. Die vorwerfbare Ablenkung habe keine längere Zeit in Anspruch genommen, wie beispielsweise andere während einer Fahrt regelmäßig durchzuführende Tätigkeiten in Anspruch nähmen (Blick auf Tachometer oder nach rechts zur Vorbereitung eines Fahrspurwechsels). Die belangte Behörde hätte das Verhalten des Beschwerdeführers lediglich als leicht fahrlässig qualifizieren müssen.
Auch der Dienstgeber sei bei Bemessung der Schadenersatzleistung von einer leichten Fahrlässigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen. Ein unbeantwortet gebliebenes Ersuchen um Amtshilfeleistung durch die belangte Behörde an die Dienstbehörde zwecks Feststellung des Verschuldensgrades dürfe nicht zu Lasten des Beschwerdeführers gehen, weil er darauf keinen Einfluss hätte nehmen können. Die belangte Behörde habe es unterlassen, den Beschwerdeführer diesbezüglich zur Mitwirkung aufzufordern.
Mit Eingabe vom legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung seines Dienstgebers vor, wonach bei der Festsetzung der Höhe des Schadenersatzes (Eigenanteil von 30%) von leichter Fahrlässigkeit ausgegangen worden sei.
Verstöße im Straßenverkehr können im Einzelfall als entschuldbare Fehlleistungen, leichte oder grobe Fahrlässigkeit gewertet werden. Leichte Fahrlässigkeit nahm die Judikatur der Arbeitsgerichte beispielsweise bei einem Auffahrunfall an (vgl. Fucik/Hartl/Schlosser, Handbuch des Verkehrsunfalls, 6. Teil, 21f).
Nach der Judikatur des OGH erfordert grobe Fahrlässigkeit, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist. Sie setzt eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus, die sich über die alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt, wobei der Schaden als wahrscheinlich voraussehbar ist. Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass der Verstoß gegen das normale Handeln auffallend und der Vorwurf in höherem Maß gerechtfertigt ist (vgl. mit weiteren Nachweisen ).
Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig bei Alkoholisierung anzunehmen (vgl. mit weiteren Hinweisen das hg. Erkenntnis vom , 2000/15/0153).Von einem grob fahrlässigen Verhalten ist der Verwaltungsgerichtshof auch im Falle von den Straßenverhältnissen nicht angepasster Geschwindigkeit und herabgesetzter Fahrtüchtigkeit ausgegangen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 94/15/0193). Auch das Überholen in einer unübersichtlichen Kurve bei unklaren Straßenverhältnissen hat der Verwaltungsgerichtshof als Inkaufnahme eines hohen Unfallrisikos beurteilt, das der Berücksichtigung von unfallbedingten Werbungskosten entgegensteht (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , 97/14/0071).
Zu Aufmerksamkeitsdefiziten infolge des Bedienens eines Autoradios liegt noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor. Der OGH hat sich hingegen bereits wiederholt mit dieser Frage befasst. Er hat das Verhalten des Lenkers als grob fahrlässig beurteilt, wenn zur Bedienung des Autoradios weitere Fehlhandlungen des Lenkers (insbesondere überhöhte Geschwindigkeit) hinzukamen, die für den Unfall kausal waren (vgl. , mit weiteren Nachweisen).
Vor diesem Hintergrund vermögen die im angefochtenen Bescheid festgestellten Tatumstände ein grob fahrlässiges Fehlverhalten des Beschwerdeführers nicht aufzuzeigen. Das Bedienen eines Autoradios im Bereich einer Autobahnabfahrt, somit in einer Situation, die dem Autolenker besondere Aufmerksamkeit abverlangt, stellt ein Fehlverhalten dar, das gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft. Weitere Fehlhandlungen, die in ihrer Gesamtheit den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen könnten, hat die belangte Behörde - wie in der Beschwerde zu Recht ausgeführt wird - nicht festgestellt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am