VwGH vom 29.01.2014, 2013/03/0004

VwGH vom 29.01.2014, 2013/03/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde 1.) des Dr. E R,

2.) des H R und 3.) des R R, alle in Hamburg, Deutschland, alle vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom , Zl BMVIT-220.100/0035-IV/SCH2/2012, betreffend Enteignung nach dem Hochleistungsstreckengesetz und dem Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz (mitbeteiligte Partei:

Ö AG in W, vertreten durch Fellner Wratzfeld Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

A. Angefochtener Bescheid

1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom , Zl BMVIT-820.288/0017-IV/SCH2/2011 wurde der mitbeteiligten Partei die Genehmigung nach dem dritten Abschnitt des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000) zur Verwirklichung des Vorhabens "Semmering-Basistunnel neu" von km 75,561 bis km 118,112 der ÖBB-Strecke Wien-Süd - Spielfeld/Straß unter Mitanwendung der im Bescheid genannten materiellen Genehmigungsbestimmungen erteilt. Diese Genehmigung umfasste - infolge der Mitanwendung der materiellen Genehmigungsbestimmungen des Eisenbahngesetzes 1957, BGBl I Nr 60/1957 (EisbG) - auch die Erteilung der eisenbahnrechtlichen Baubewilligung gemäß den §§ 31 ff leg cit zur Errichtung des genannten Vorhabens.

2. Mit Eingabe vom beantragte die mitbeteiligte Partei beim Landeshauptmann von Steiermark - gestützt auf §§ 2 und 6 des Hochleistungsstreckengesetzes, BGBl Nr 135/1989 (HlG) und § 2 des Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetzes, BGBl Nr 71/1954 (EisbEG) - hinsichtlich der im gemeinsamen Eigentum der Beschwerdeführer stehenden Liegenschaften EZ 1 KG 60506 F und EZ 2 KG 60506 F die zwangsweise Einräumung einer Reihe von näher beschriebenen dauerhaften und vorübergehenden Dienstbarkeiten.

Begründend führte die mitbeteiligte Partei insbesondere aus, dass mit Bescheid der belangten Behörde vom die eisenbahnrechtliche Baubewilligung für die Errichtung des "Semmering-Basistunnel neu" erteilt worden sei. Zur Errichtung, zum Betrieb und zur Erhaltung des "Semmering-Basistunnels neu" sei die dauerhafte zwangsweise Einräumung von im Antrag näher beschriebenen Dienstbarkeiten und die vorübergehende Beanspruchung gewisser Flächen auf den im Antrag bezeichneten Grundstücken erforderlich.

3. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom wurde dem Antrag der mitbeteiligten Partei entsprochen und sowohl die dauerhafte Einräumung von näher beschriebenen Dienstbarkeiten auf der Liegenschaft EZ 1 KG 60506 F als auch die vorübergehende Einräumung von näher beschriebenen Dienstbarkeiten auf den Liegenschaften EZ 1 KG 60506 F und EZ 2 KG 60506 F verfügt, wobei die vorübergehende Einräumung der Dienstbarkeiten "auf Baudauer für das Projekt" angeordnet wurde.

4. Mit dem - infolge der Berufung der Beschwerdeführer ergangenen - angefochtenen Bescheid wurde der erstinstanzliche Bescheid dahingehend abgeändert, dass die vorübergehende Einräumung der Dienstbarkeiten auf den Liegenschaften EZ 1 KG 60506 F und EZ 2 KG 60506 F "auf die Baudauer von zehn Jahren für das Projekt ab Inanspruchnahme der Grundstücke durch die (mitbeteiligte Partei)" erfolgt. Im Übrigen wurde die Berufung der Beschwerdeführer als unbegründet abgewiesen.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides hielt die belangte Behörde zunächst fest, dass sie an die Feststellungen im (rechtskräftigen) Genehmigungsbescheid der belangten Behörde vom gebunden sei und sich aus diesem Bescheid ergebe, dass die Errichtung des Eisenbahnprojekts "Semmering-Basistunnel neu" dem öffentlichen Interesse diene und dieses die entgegenstehenden Interessen überwiege. Der Eigentümer einer durch den bescheidmäßigen Bau selbst in Anspruch genommenen Liegenschaft könne im Enteignungsverfahren, wenn der Baugenehmigungsbescheid rechtskräftig geworden sei, nicht mehr einwenden, die Inanspruchnahme liege nicht im öffentlichen Interesse, sie sei nicht notwendig, um dem Gebot des allgemeinen Besten zu entsprechen. Somit ergebe sich, dass über das Vorliegen des allgemeinen Besten - somit des öffentlichen Interesses an der Verwirklichung des gegenständlichen Bauvorhabens - bereits mit dem Genehmigungsbescheid der belangten Behörde vom rechtskräftig abgesprochen worden sei. Ferner führte die belangte Behörde (unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) aus, dass ein rechtskräftiger (eisenbahnrechtlicher) Baugenehmigungsbescheid auch die Lage der genehmigten Objekte für das Enteignungsverfahren bindend festlege. Es sei davon auszugehen, dass ein derartiger, dem gegenständlichen Enteignungsverfahren zu Grunde liegender Genehmigungsbescheid, und zwar der Genehmigungsbescheid der belangten Behörde vom , vorliege.

B. Beschwerdeverfahren

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst erkennen und den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften dahingehend abändern, dass der Berufung der Beschwerdeführer gegen den erstinstanzlichen Bescheid Folge gegeben und der Antrag der mitbeteiligten Partei abgewiesen werde; in eventu wird begehrt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Sowohl die belangte Behörde als auch die mitbeteiligte Partei erstatteten eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

C. Erwägungen

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach § 79 Abs 11 letzter Satz VwGG sind - soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl I Nr 33/2013 (VwGbk-ÜG) nichts anderes bestimmt ist - in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Für die vorliegende, bereits im Jänner 2013 eingebrachte Beschwerde sind daher die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden, zumal nicht erkennbar ist, dass diesbezüglich durch das VwGbk-ÜG etwas anderes bestimmt würde (vgl § 4 VwGbk-ÜG).

2. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/03/0160, 0162, 0164, 0165 wurde der Bescheid der belangten Behörde vom , Zl BMVIT- 820.288/0017-IV/SCH2/2011, mit dem der mitbeteiligten Partei die Genehmigung nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 zur Verwirklichung des Vorhabens "Semmering-Basistunnel neu" von km 75,561 bis km 118,112 der ÖBB-Strecke Wien-Süd - Spielfeld/Straß unter Mitanwendung näher genannter materieller Genehmigungsbestimmungen erteilt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Folglich gehört auch die mit diesem Bescheid erteilte eisenbahnrechtliche Baubewilligung zur Errichtung des genannten Vorhabens nicht mehr dem Rechtsbestand an.

3. Wurde ein Enteignungsantrag auf Grund eines eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsbescheides gestellt, so baut der über diesen Enteignungsantrag absprechende Bescheid auf dem eisenbahnrechtlichen Genehmigungsbescheid auf ( und ). Der auf Basis des eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsbescheides erlassene Enteignungsbescheid steht mit diesem in einem untrennbaren Zusammenhang, da der Eigentümer einer betroffenen Liegenschaft im Enteignungsverfahren nicht mehr einwenden kann, die Inanspruchnahme seiner Liegenschaft liege nicht im öffentlichen Interesse, und der rechtskräftige eisenbahnrechtliche Baugenehmigungsbescheid Lage und Umfang der genehmigten Objekte für das Enteignungsverfahren bindend festlegt ( und ; vgl dazu und zum Folgenden auch ). Daraus folgt, dass ein Enteignungsbescheid, der auf einem eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsbescheid aufbaut, mit letzterem in einem untrennbaren Zusammenhang steht, weshalb im Falle der Aufhebung des eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsbescheides dem Enteignungsbescheid die Grundlage entzogen und dieser gleichfalls aufzuheben ist (vgl nochmals mwN).

4. Eine derartige Konstellation ist im vorliegenden Fall gegeben. Die mitbeteiligte Partei hat ihren verfahrenseinleitenden Antrag auf Enteignung der Beschwerdeführer - wie sich aus dessen Begründung ergibt - aufgrund des Bescheides der belangten Behörde vom gestellt. Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, dass aufgrund ihres Bescheides vom sowohl die Einwendung, die Inanspruchnahme der Liegenschaften der Beschwerdeführer liege nicht im öffentlichen Interesse, fehl gehe, als auch die Lage der genehmigten Objekte für das Enteignungsverfahren bindend festgelegt worden sei.

5. Auch der angefochtene Bescheid erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weswegen er gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG idF vor der Novelle BGBl I Nr 33/2013 (vgl § 79 Abs 11 letzter Satz VwGG) aufzuheben war.

6. Zum Antrag der Beschwerdeführer, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden und den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass der Berufung der Beschwerdeführer gegen den erstinstanzlichen Bescheid Folge gegeben und der Antrag der mitbeteiligten Partei abgewiesen werde, ist noch Folgendes festzuhalten:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits wiederholt ausgeführt, dass ein Antrag auf Abänderung des angefochtenen Bescheides in einen Antrag auf Aufhebung desselbigen umgedeutet werden kann, wenn dem Beschwerdevorbringen - wie im vorliegenden Fall - in seinem Zusammenhalt zu entnehmen ist, in welchem Recht die Beschwerdeführer verletzt zu sein behaupten ( (unter Hinweis auf ); vgl idS auch - aus dem Blickwinkel des Rechtsschutzgedankens - VwGH (verstärkter Senat) vom , 1781/70, VwSlg 4293 F/1971).

An diesem Ergebnis hat auch die Einführung des (im vorliegenden Fall noch anzuwendenden) § 42 Abs 3a VwGG durch BGBl I Nr 51/2012 und der folglich nunmehr gegebenen Möglichkeit zur Entscheidung in der Sache durch den Verwaltungsgerichtshof selbst, nichts geändert, zumal die Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst (jedenfalls) nicht antragsbedürftig ist (vgl Sutter, Ablehnungsrecht und Sachentscheidung - neue Entscheidungsbefugnisse für den VwGH, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2013, 220). Eine auf § 42 Abs 3a VwGG gestützte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in der Sache selbst setzt überdies voraus, dass der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet ist, andernfalls die Beschwerde als unbegründet abzuweisen ist. Auch daraus ergibt sich, dass bereits der (Primär )Antrag der Beschwerdeführer, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden, (denklogisch) auch den Antrag umfasst, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht eine Zuständigkeit zur Entscheidung über den Eventualantrag erst, wenn dem Primärantrag nicht entsprochen wurde ( mwH). Da aber bereits der (in einen Aufhebungsantrag umzudeutende) Primärantrag der Beschwerdeführer erfolgreich war, war auf den (ebenfalls auf Aufhebung des bekämpften Bescheides gerichteten) Eventualantrag der Beschwerdeführer nicht mehr einzugehen. Wird dem Primärantrag jedoch entsprochen, wird der Eventualantrag gegenstandslos (zuletzt , mwH).

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 VwGG in seiner im Beschwerdefall noch maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl I Nr 33/2013 iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455 (vgl § 79 Abs 11 VwGG iVm § 3 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II Nr 518/2013 idF BGBl II Nr 8/2014).

8. Nach § 39 Abs 2 Z 4 VwGG (in der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl I Nr 33/2013) konnte von der beantragten mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden. Dem stand im Übrigen auch § 39 Abs 2 Z 6 VwGG nicht entgegen: Auch der EGMR hat anerkannt (Urteil vom , Nr 56422/09, Schädler-Eberle /Liechtenstein, Rz 97 ff), dass eine Verhandlung nicht geboten ist, wenn etwa keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann. Die staatlichen Behörden können auch auf Aspekte der Effizienz und Verfahrensökonomie Rücksicht nehmen und auf das Gebot der angemessenen Verfahrensdauer Bedacht nehmen (, und ).

Wien, am