VwGH 18.05.2018, Ra 2018/11/0055
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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RS 1 | Da die nicht ordnungsgemäße Ladung zu einer durchgeführten Verhandlung dem rechtswidrigen Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gleichzuhalten ist (vgl. ), ist der aufgezeigte Verfahrensmangel im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 MRK jedenfalls wesentlich (vgl. etwa das Erkenntnis , mit Verweis auf , und das bereits zitierte, auf Art. 47 der Grundrechtecharta Bezug nehmende Erkenntnis 2010/15/0196). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des P H in P, T R, vertreten durch Sauerzopf & Partner Rechtsanwälte in 1010 Wien, Börsegasse 9/3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-2457/001-2016, betreffend Übertretung des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Tulln), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde das Straferkenntnis der belangten Behörde (damals noch Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung) vom mit der Maßgabe hier nicht relevanter Abänderungen desselben bestätigt, wodurch der Revisionswerber schuldig erkannt wurde, er habe als (einer der beiden) Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft mit Sitz in P Übertretungen des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG) zu verantworten, weil diese Gesellschaft als Arbeitgeberin namentlich bezeichnete Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung auf eine Baustelle nach Österreich (K) entsendet habe, ohne dort am (I.) die Unterlagen betreffend die Anmeldung zur Sozialversicherung und (II.) die Lohnunterlagen in deutscher Sprache bereitzuhalten. Außerdem habe es die Arbeitgeberin (III.) unterlassen, im Zeitraum 3. bis näher bezeichnete Unterlagen trotz Aufforderung der Finanzpolizei zu übermitteln.
2 Über den Revisionswerber wurden wegen Verletzung näher bezeichneter Bestimmungen des AVRAG Geldstrafen verhängt sowie Beiträge zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben.
3 Zudem wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
4 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht im Rahmen der Wiedergabe des Verfahrensgeschehens aus, der Revisionswerber habe in der Beschwerde gegen das Straferkenntnis die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt und (u.a.) ausgeführt, dass beide Geschäftsführer ständig versucht hätten, alle Dokumente in Ordnung zu bringen.
Das Verwaltungsgericht habe deshalb eine Verhandlung durchgeführt (nach der Aktenlage am ) und im Rahmen derselben Zeugen vernommen. Der Revisionswerber sei - so das Verwaltungsgericht weiter - an der im Akt befindlichen letzten bekannten Zustelladresse in der Tschechischen Republik mit internationalem Rückschein eigenhändig geladen worden, habe aber dennoch an der Verhandlung nicht teilgenommen. Die entscheidungswesentlichen Sachverhaltsannahmen stütze das Verwaltungsgericht in der Beweiswürdigung sodann im Wesentlichen auf die Aussagen der in der Verhandlung vernommenen Zeugen.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus, das Verwaltungsgericht habe gegen den fundamentalen Grundsatz des Parteiengehörs im Strafverfahren (Hinweis auf hg. Judikatur) verstoßen, weil der Revisionswerber niemals eine Ladung zur Beschwerdeverhandlung erhalten habe, sondern erst durch das angefochtene Erkenntnis von der in seiner Abwesenheit durchgeführten mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt habe. Die Zustellung einer Ladung zur Verhandlung zu eigenen Handen des Revisionswerbers sei entgegen den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis nicht erfolgt, wobei auch das Erkenntnis im Dunkeln lasse, an welcher Adresse die Ladung zugestellt worden und wie die Zustellung (etwa durch Hinterlegung) erfolgt sei.
8 In den Revisionsgründen wird in diesem Zusammenhang ins Treffen geführt, der Revisionswerber hätte bei ordnungsgemäßer Ladung zur Verhandlung zu dieser erscheinen und vorbringen können, dass ein Teil der gleichen Tatvorwürfe, soweit diese gegen den zweiten Geschäftsführer erhoben worden seien, vom Verwaltungsgericht wegen Verfolgungsverjährung infolge zu ungenauer Tatanlastung behoben worden sei und dass ein weiterer Tatvorwurf zwar zur Bestrafung des zweiten Geschäftsführers, jedoch unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung geführt habe, was auch für den Revisionswerber hätte gelten müssen.
9 Die Revision ist aus dem von ihr angeführten Grund zulässig, sie ist auch begründet:
10 § 44 VwGVG in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017 lautet:
"Verhandlung
§ 44. (1) Das Verwaltungsgericht hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung entfällt, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
(3) Das Verwaltungsgericht kann von einer Verhandlung
absehen, wenn
1. in der Beschwerde nur eine unrichtige rechtliche
Beurteilung behauptet wird oder
2. sich die Beschwerde nur gegen die Höhe der Strafe
richtet oder
3. im angefochtenen Bescheid eine 500 Euro nicht
übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder
4. sich die Beschwerde gegen einen verfahrensrechtlichen
Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn es einen Beschluss zu fassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
(6) Die Parteien sind so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen."
11 Das Verwaltungsgericht hat sowohl im Verhandlungsprotokoll vom als auch im angefochtenen Erkenntnis festgehalten, der Revisionswerber sei "an der im Akt befindlichen letzten bekannten Zustelladresse in der Tschechischen Republik" zur Teilnahme geladen worden.
12 Der Revisionswerber hat in der (von ihm selbst verfassten) Beschwerde als Zustelladresse "P, P H 271", ... angegeben. Hingegen ist, wie die Aktenlage zeigt, auf der Ladung des Revisionswerbers zur Beschwerdeverhandlung (sowohl in der Adresszeile der Ladung als auch am internationalen Rückschein) als Zustelladresse "U H 271, P" angeführt. Diese Ladung wurde dem Verwaltungsgericht mit dem Vermerk "Unclaimed" retourniert.
13 Vor dem Hintergrund dieser Abweichung in der Zustelladresse durfte das Verwaltungsgericht ohne diesbezügliche nähere Feststellungen nicht davon ausgehen, der Revisionswerber sei gemäß § 44 Abs. 6 VwGVG ordnungsgemäß zur Verhandlung geladen worden.
14 Dies bestätigt im Übrigen auch der Umstand, dass der erste Zustellversuch des angefochtenen Erkenntnisses an der bezeichneten Adresse "U H 271" erfolglos blieb (auch die diesbezügliche Sendung wurde mit dem Vermerk "Unclaimed" retourniert), wohingegen das angefochtene Erkenntnis vom Revisionswerber beim zweiten Zustellversuch an der von ihm bekannt gegebenen Zustelladresse "P H 271" nach der Aktenlage übernommen wurde.
15 Da die nicht ordnungsgemäße Ladung zu einer durchgeführten Verhandlung dem rechtswidrigen Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gleichzuhalten ist (vgl. ), ist der aufgezeigte Verfahrensmangel im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK jedenfalls wesentlich (vgl. etwa das Erkenntnis , mit Verweis auf , und das bereits zitierte, auf Art. 47 der Grundrechtecharta Bezug nehmende Erkenntnis 2010/15/0196).
16 Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110055.L00 |
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Fundstelle(n):
XAAAE-77871