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VwGH vom 17.10.2019, Ra 2018/08/0004

VwGH vom 17.10.2019, Ra 2018/08/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des R B in D, vertreten durch Dr. Günther Clementschitsch, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Postgasse 8/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W156 2162020-1/3E, betreffend Feststellung einer Versicherungszeit in der Pensionsversicherung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom sprach die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau (VAEB) aus, der Antrag des Revisionswerbers auf "rückwirkende Feststellung" der Zeit vom bis zum als "Versicherungszeit in der Pensionsversicherung" werde abgewiesen.

2 Begründend führte die VAEB aus, der Antragsteller habe im Zuge eines Widerspruches gegen seine von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) erstellte Kontoerstgutschrift vom die Feststellung des Zeitraumes von bis zum als Versicherungszeit in der Pensionsversicherung beantragt und vorgebracht, er habe in dieser Zeit Anspruch auf Krankengeld gehabt. Die SVA habe die VAEB "zuständigkeitshalber um Erlassung eines diesbezüglichen Bescheides gemäß § 367a Abs. 4 ASVG" ersucht.

3 Die VAEB habe bereits mit Bescheid vom eine Gewährung von Krankengeld an den Revisionswerber über den hinaus abgelehnt. Dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen. Mangels Anspruches auf Krankengeld habe daher im verfahrensgegenständlichen Zeitraum keine Teilversicherung des Revisionswerbers in der Pensionsversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. c ASVG bestanden.

4 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber eine Beschwerde. Er brachte vor, er habe sich von März 2008 bis in einem durchgehenden Krankenstand befunden. Ein Bescheid, mit dem sein Anspruch auf Krankengeld über den hinaus abgelehnt worden wäre, sei ihm entgegen der Ausführungen der VAEB nicht zugegangen.

5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

6 Es stellte fest, der Revisionswerber habe im Jahr 2010 gegenüber der VAEB die Erlassung eines Bescheides über die Ablehnung der Weitergewährung von Krankengeld beantragt.Mit Bescheid vom habe die VAEB ausgesprochen, dass ein Anspruch des Revisionswerbers auf Krankengeld über den hinaus nicht bestehe. Dieser Bescheid sei von der VAEB "als Einschreiben" am abgesandt worden. Es könne "nicht festgestellt werden, dass der (Revisionswerber) den Bescheid nicht erhalten" habe. Jedenfalls mit sei der Bescheid der "damaligen rechtsfreundlichen Vertretung" des Revisionswerbers "zugegangen". Gegen den Bescheid sei kein "Rechtsmittel" erhoben worden.

7 Im Zuge seiner Beweisw��rdigung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, aus einem Aktenvermerk des VAEB vom ergebe sich, dass die rechtsfreundliche Vertreterin des Revisionswerbers "Kenntnis vom abweisenden Bescheid" der VAEB vom gehabt habe.

8 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 lit. c ASVG seien Bezieher von Krankengeld in der Pensionsversicherung teilversichert. Mit dem Bescheid vom sei gegenüber dem Revisionswerber festgestellt worden, dass er im verfahrensgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Krankengeld gehabt habe. Ungeachtet der Frage, ob die Zustellung des Bescheides an den Revisionswerber im Jahr 2010 erfolgt sei, sei ein Zustellmangel jedenfalls "durch den Erhalt" des Bescheides durch die rechtsfreundliche Vertreterin des Revisionswerbers geheilt. Da der Bescheid vom somit rechtskräftig geworden sei, sei die im vorliegenden Verfahren maßgebliche "Vorfrage" bindend entschieden worden.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die VAEB eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen hat:

10 Der Revisionswerber erblickt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass das Bundesverwaltungsgericht von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wirksamkeit einer Zustellung bzw. zur Heilung einer mangelhaften Zustellung nach § 7 ZustG abgewichen sei.

11 Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig.

12 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das Fehlen eines Zustellnachweises zur Folge hat, dass die Behörde die Tatsache der Zustellung nachzuweisen hat (vgl. ; , 2008/06/0233). Im vorliegenden Fall, in dem ein Nachweis der Zustellung des Bescheides vom an den Revisionswerber nicht vorlag, ist der Beweis einer Zustellung an den Revisionswerber nicht erbracht worden (siehe Rn. 6). 13 Nach § 7 ZustG gilt eine mangelhafte Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Eine Heilung von Zustellmängeln nach dieser Bestimmung setzt voraus, dass das Zustellstück dem Empfänger - somit der Person, die in der Zustellverfügung als Empfänger angegeben worden ist ("formeller Empfängerbegriff"; vgl. , mwN) - "tatsächlich zugekommen" ist. Die bloße Kenntnis vom Vorhandensein und vom Inhalt des Dokuments - etwa infolge der Empfangnahme einer Ablichtung oder der eigenständigen Anfertigung einer Kopie - genügt nicht (vgl. etwa ; , Ro 2014/05/0013).

14 Aus der - in einem Aktenvermerk der VAEB festgehaltenen - Kenntnis der Vertreterin des Revisionswerbers von einer Abweisung der Weitergewährung des Krankengeldes an den Revisionswerber über den hinaus kann somit entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes eine Heilung der Zustellung des Bescheides der VAEB vom nach § 7 ZustG nicht abgeleitet werden.

15 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich jedoch auch aus einem weiteren, vorrangig wahrzunehmenden Grund als rechtswidrig:

16 § 15 Abs. 1 APG sieht für Personen, die - wie der Revisionswerber - nach dem geboren sind und bis zum Ablauf des mindestens einen Versicherungsmonat nach diesem Bundesgesetz, dem ASVG, GSVG, FSVG oder BSVG erworben haben, die Ermittlung einer Kontoerstgutschrift zum vor.

17 Nach § 247 Abs. 1 ASVG hat der leistungszuständige Pensionsversicherungsträger die nach den österreichischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Versicherungszeiten festzustellen, wenn dies der (die) Versicherte beantragt (vgl. auch § 117a GSVG).

18 Gemäß § 354 ASVG sind Leistungssachen insbesondere Angelegenheiten, in denen sind es sich um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung (Z 1), die Feststellung von Versicherungs- und Schwerarbeitszeiten außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahr ens auf Antrag des Versicherten nach § 247 ASVG (Z 4) bzw. die Feststellung der Kontoerstgutschrift sowie einer Ergänzungsgutschrift oder eines Nachtragsabzuges nach § 15 APG (Z 5), handelt (vgl. auch § 194 Z 3 GSVG).

19 Nach § 65 Abs. 1 Z 4 ASGG sind Rechtsstreitigkeiten über den Bestand von Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung (§§ 247, 247a ASVG,§ 117a, 117b GSVG,§ 108a, 108b BSVG,§ 46a, 46b NVG 1972), soweit diese Rechtsstreitigkeiten nicht Teil einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs. 1 Z 1 ASGG sind (§ 354 Z 4 ASVG,§ 194 GSVG,§ 182 BSVG,§ 65 NVG 1972, § 129 B-KUVG), sowie über Bestand und Umfang einer Kontoerstgutschrift sowie einer Ergänzungsgutschrift (§ 15 APG) Sozialrechtssachen. 20 Gemäß § 367a Abs. 1 ASVG kann gegen die Bescheide der Versicherungsträger in Leistungssachen nach § 354 Z 5 ASVG binnen drei Monaten nach Zustellung Widerspruch erhoben werden. Nach § 367a Abs. 4 ASVG ist, wenn die Versicherungspflicht, die Versicherungsberechtigung, der Beginn oder das Ende der Versicherung, die maßgebende Beitragsgrundlage oder die Angehörigeneigenschaft strittig ist, das Widerspruchsverfahren auszusetzen, bis darüber im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden ist. Ist zum Zeitpunkt der Aussetzung noch kein Verfahren in diesen Angelegenheiten anhängig, so hat der über den Widerspruch zu entscheidende Pensionsversicherungsträger dessen Einleitung zu beantragen. 21 Der für die Feststellung der Kontoerstgutschrift bzw. einer Ergänzungsgutschrift oder eines Nachtragsabzuges nach § 15 APG zuständige Pensionsversicherungsträger hat somit, wenn eine der in § 367a Abs. 4 ASVG genannten Vorfragen strittig ist, das Verfahren auszusetzen. In Abweichung von § 38 AVG ist es ihm verwehrt, über diese Vorfrage selbst zu entscheiden (vgl. Kneihs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm (212. Lfg.) § 367a ASVG Rz 15). Bei den in § 367a Abs. 4 ASVG genannten Fragen handelt es sich um Verwaltungssachen (vgl. § 355 Z 1, 3 ASVG; vgl. zur Feststellung der Angehörigeneigenschaft ). 22 Im vorliegenden Fall hat - nach den Ausführungen der VAEB in ihrem Bescheid vom - die SVA für den Revisionswerber eine Kontoerstgutschrift erstellt, der Revisionswerber gegen diese Widerspruch erhoben und die SVA die VAEB um die Erlassung eines "Bescheides gemäß § 367a Abs. 4 ASVG" ersucht. Nach dem Schreiben der SVA an die VAEB ersuchte diese unter anderem um Erledigung des Begehrens des Revisionswerbers auf "Feststellung (Berücksichtigung) der Zeit von bis ". Ungeachtet der Erwähnung des § 367a Abs. 4 ASVG in der Begründung hat die VAEB mit dem im Verfahren des Bundesverwaltungsgerichtes angefochtenen Bescheid vom über keine der in dieser Bestimmung genannten Vorfragen abgesprochen. Nach dem Schreiben der SVA an die VAEB ersuchte diese unter anderem um Erledigung des Begehrens des Revisionswerbers auf "Feststellung (Berücksichtigung) der Zeit vom bis ".

23 Nach dem klaren Wortlaut ihres Bescheides vom hat die VAEB vielmehr eine Feststellung einer Versicherungszeit in der Pensionsversicherung vorgenommen und dazu einen entsprechenden Antrag des Revisionswerbers zumindest unterstellt. Bei einer derartigen Entscheidung handelt es sich aber um eine Leistungssache im Sinn des § 354 Z 4 ASVG bzw. eine Sozialrechtssache nach § 65 Abs. 1 Z 4 ASGG (vgl. ; RIS-Justiz RS0084976; Sonntag in Sonntag (Hrsg.), ASVG10 § 247 Rz 5, mwN).

24 Indem das Bundesverwaltungsgericht über die Beschwerde meritorisch entschieden hat, hat es somit eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm nicht zukam. Eine Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes ist vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG von Amts wegen aufzugreifen, wenn sich die Revision - wie hier - als zulässig erweist (vgl. , mwN).

25 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen der - vorrangig wahrzunehmenden - Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben. 26 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit der Beschwerde gemäß § 110 Abs. 1 Z 3 ASVG abzuweisen.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018080004.L00

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