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VwGH vom 02.03.2006, 2005/15/0125

VwGH vom 02.03.2006, 2005/15/0125

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über die Beschwerde des W in K, vertreten durch Schatz & Partner Rechtsanwälte OEG in 2340 Mödling, Enzersdorferstraße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , GZ. RV/0699-W/05, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für das Jahr 1993, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Verfahren des Beschwerdeführers betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für das Jahr 1993 erging die mit datierte Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien (Senat 2). Diese Entscheidung wurde nicht mit Beschwerde bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts angefochten.

Mit dem am beim Finanzamt Wien 1/23 überreichten Schreiben vom wurde der Antrag auf "Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 (1) a und b BAO Bescheide UAFS GZ RV/1661-W/03 E und GZ RV/1656-W/03 W" gestellt. Darin wurde - soweit vom Beschwerdeverfahren umfasst - ausgeführt, beide Verfahren gründeten sich auf Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes. Gemäß § 303 (1) b BAO sei dem Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren stattzugeben, "wenn Tatsachen oder Beweismittel, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten". Die Bezeichnung der Verfahren sei im Betreff angegeben. Vor Herausgabe der Bescheide seien Tatsachen neu hervorgekommen, "die auf gerichtlich strafbarer Handlungen maßgeblich an den Entscheidungen mitwirkender Behördenorgane beruhen". Hiezu werde die Niederschrift UAFS WH sen. vom beigeschlossen.

In beiden Rechtsangelegenheiten seien in den jeweiligen amtlichen Bescheiden "Entscheidungsgründe" angegeben, die sich auf nur eine Betriebsprüfung stützen und den Satz aufwiesen: "Neben anderen unstrittigen Feststellungen wurden hinsichtlich Umsatzsteuer 1993 andere mittlerweile unstrittige Feststellungen herangezogen." Es entspreche nicht den Tatsachen, dass es unstrittige Feststellungen gebe. Herausgestellt werde hier vorerst der unberechtigte Einbau angeblicher Steuerschulden aus dem Jahr 1991 in die Abgabenfestsetzung für das Jahr 1993. Diese Rückstände sollen durch unrichtige Steuererklärungen von Eva H. für das Jahr 1991 entstanden sein. Die angefochtenen Bescheide würden die angeblich unrichtige Steuererklärung 1991 der Eva H. zum Beweismittel nicht nur für Eva H., sondern ableitend davon auch zum Beweismittel für Abgabenhinterziehung in gleicher Höhe für den völlig unbeteiligten Beschwerdeführer erheben. Eva H. sei in der Lage, eindeutig zu beweisen, dass die seitens der Behördenorgane eingeschobenen Verfälschungen jederzeit aufgedeckt werden könnten. Die immer wieder angebotenen Beweismittel seien durch die Behördenorgane gesetzwidrig nicht zur Überprüfung angenommen worden. Die Parteien treffe daran kein Verschulden und diese Beweismittel seien deshalb im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO als neue Beweismittel anzuerkennen.

Die antragsbezogenen Bescheide seien mit datiert und seien am gleichen Tag per Eilboten dem Wirtschaftstreuhänder G. zugestellt worden. Der mit heutigem Tag persönlich im Finanzamt übergebene Antrag sei gemäß § 303 (2) BAO rechtzeitig eingebracht worden. Dem Antrag war als Beilage eine (zwölf Seiten umfassende) Niederschrift vom angeschlossen.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt Baden Mödling das am eingebrachte Ansuchen des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 lit. a und b BAO zurück. In der Begründung wurde ausgeführt, auf Grund der Betriebseinstellung der Werbeagentur mit Sitz in 1010 Wien per gehe die Zuständigkeit gemäß § 55 BAO auf das Wohnsitzfinanzamt über. Gemäß § 303 Abs. 2 BAO sei der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 lit. a und b BAO binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt habe, bei der Abgabenbehörde einzubringen, die im abgeschlossenen Verfahren den Bescheid in erster Instanz erlassen habe. Die antragstellende Partei treffe dabei die Behauptungs- und Beweislast, dass der gestellte Antrag rechtzeitig im Sinne des Gesetzes sei. Im Antrag selbst, sowie in den ergänzenden Eingaben seien keine Ereignisse oder Umstände angeführt worden, die dem Beschwerdeführer erst ab dem nachweislich zur Kenntnis gelangt seien und die bei Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einer anders lautenden Entscheidung geführt hätten. Es werde sogar ausdrücklich festgestellt, dass vor Herausgabe des Bescheides Tatsachen neu hervorgekommen seien, die auf gerichtlich strafbare Handlungen maßgeblich an der Entscheidung mitwirkender Behördenorgane beruhten. Da dem Beschwerdeführer die im Antrag angeführten Wiederaufnahmegründe bereits vor Erlassung der das Verfahren abschließenden Berufungsentscheidung bekannt gewesen seien, sei die gesetzliche Dreimonatsfrist nicht gewahrt.

Der Beschwerdeführer erhob mit dem am beim Finanzamt eingelangten Schriftsatz Berufung. Darin führte er aus, in der Beschwerde an das Finanzamt Wien vom , eingebracht in dem mit dem Verfahren des Beschwerdeführers untrennbar verbundenen Verfahren der Eva H., sei der Nachweis erbracht worden, dass der angefochtene Bescheid gemäß lit. a des Abs. 1 § 303 BAO "sonstwie erschlichen worden ist". Mit dem Zeitpunkt der Bescheide des unabhängigen Finanzsenates vom gegen Eva H. bzw. den Beschwerdeführer sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gelangt, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 99/13/0213, betreffend beide Pflichtigen, nicht, ja geradezu gegenteilig für die "Beschwerdeentscheidungen" herangezogen worden sei. (In den folgenden Ausführungen legt der Beschwerdeführer dar, worin die das wiederaufzunehmende Verfahren abschließende Berufungsentscheidung von dem in der Sache ergangenen aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes abweiche.)

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen; der bekämpfte Bescheid wurde "insofern abgeändert, als der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unbegründet abgewiesen wird".

In der Begründung stellte die belangte Behörde zunächst umfassend das Verwaltungsgeschehen dar. Im Erwägungsteil wurde nach - nicht beschwerdegegenständlichen - Ausführungen zur Zuständigkeit des Finanzamtes ausgeführt, den Wiederaufnahmewerber treffe die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes.

Der Beschwerdeführer habe wiederholt verschiedene Organwalter der Finanzverwaltung des Amtsmissbrauches bezichtigt, ohne dass sich die erhobenen Anschuldigungen auf konkrete Vorbringen oder gar Beweise gegründet hätten. Weder die zahlreichen Eingaben des Beschwerdeführers noch der Inhalt der Veranlagungsakten ließen erkennen, dass die gegenständliche Entscheidung durch Amtsmissbrauch oder eine andere strafbare Tat herbeigeführt worden wäre bzw. dass überhaupt irgendein im Laufe des Verfahrens tätig gewordener Organwalter Amtsmissbrauch oder eine andere strafbare Handlung begangen hätte.

Im Wiederaufnahmeantrag habe der Beschwerdeführer zunächst geltend gemacht, es seien vor Herausgabe des Bescheides Tatsachen neu hervorgekommen, die auf gerichtlich strafbaren Handlungen maßgeblich an der Entscheidung mitwirkender Behördenorgane beruhten. Hiezu habe er auf die dem Wiederaufnahmeantrag beigeschlossene Niederschrift vom verwiesen. Abgesehen davon, dass die in diesem Schreiben erhobenen Anschuldigungen haltlos seien, seien die Anschuldigungen für die Frage, ob das mit der Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom , RV/1656/W/03, abgeschlossene Verfahren wiederaufzunehmen sei, irrelevant. Diese Anschuldigungen bezögen sich nämlich auf die Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom . Diese Entscheidung sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2000/13/0071, aufgehoben worden und gehöre sohin nicht mehr dem Rechtsbestand an.

Der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Umstand, die antragsgegenständliche Berufungsentscheidung sei im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. a BAO "sonstwie erschlichen worden", könne der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Der Tatbestand des Erschleichens könne nämlich nur durch die Partei oder einen Dritten, nicht aber durch ein Behördenorgan verwirklicht werden (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 85/13/0050, 0117).

Mit dem Vorbringen, die antragsgegenständliche Berufungsentscheidung stünde im Widerspruch zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom bzw. die belangte Behörde habe in der Berufungsentscheidung im Verfahren vorgelegte Beweismittel, Schriftstücke oder Besprechungsergebnisse unberücksichtigt gelassen, verkenne der Beschwerdeführer das Wesen der Wiederaufnahme. Die Wiederaufnahme diene nämlich nicht dazu, allfällige Unrichtigkeiten des im wiederaufzunehmenden Verfahren ergangenen Bescheides aufzugreifen.

Es sei abschließend festzuhalten, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, das Vorliegen irgendeines Wiederaufnahmegrundes aufzuzeigen. Das Finanzamt habe in der bekämpften Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass die Erklärung im Wiederaufnahmeantrag, "vor Herausgabe des Bescheides" seien Tatsachen neu hervorgekommen, die Einhaltung der in § 303 Abs. 2 BAO normierten Dreimonatsfrist jedenfalls ausschließe. Aus dieser Erklärung gehe aber gleichzeitig hervor, dass nach Bescheiderlassung neu hervorgekommene Tatsachen überhaupt nicht vorlägen. Der Spruch des bekämpften Bescheides sei daher dahingehend abzuändern gewesen, dass der Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen werde.

Da der Beschwerdeführer seinen Standpunkt in mehreren Eingaben dargelegt habe und nicht erkennbar sei, dass ein Erörterungsgespräch zu einer weiteren Klärung der Sach- und Rechtslage beigetragen hätte, sei von der Durchführung eines Erörterungsgespräches Abstand genommen worden.

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Stattgebung des Wiederaufnahmeantrages verletzt. Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit führt er unter den Beschwerdegründen aus, er habe im bisherigen Verfahren vorgebracht, dass die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien (Senat 2), GZ. RV/1656-W/03, vom

19. (richtig: 20.) Februar 2004 durch eine gerichtlich strafbare Handlung, nämlich durch Amtsmissbrauch insbesondere der Senatsvorsitzenden herbeigeführt worden sei. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde hinsichtlich des amtsmissbräuchlichen Verhaltens der Senatsvorsitzenden auf die Ausführungen des Vaters des Beschwerdeführers in der Niederschrift vom verwiesen. Weiters führt der Beschwerdeführer (Punkt 4.1.2. der Beschwerde) aus, er habe (erst) durch die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 19. (richtig: 20.) Februar 2004 vom Umstand Kenntnis erlangt, dass die Laienbeisitzer weder über die mit dem Vater des Beschwerdeführers am aufgenommene Niederschrift, noch über die Stellungnahme vom informiert worden seien.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führt der Beschwerdeführer aus, er habe im Wiederaufnahmeantrag dargelegt, dass den Laienbeisitzern in arglistiger Weise den Sachverhalt klärende Beweisergebnisse verschwiegen worden seien. Die belangte Behörde begnüge sich in diesem Zusammenhang mit der Feststellung, dass dieses Vorbringen jeglicher Grundlage entbehre. Damit habe sie den Bescheid mangelhaft begründet und auch das Parteiengehör verletzt.

Die belangte Behörde habe von der Durchführung eines Erörterungsgespräches Abstand genommen. Bei Durchführung eines solchen Gespräches hätte sie zum Ergebnis gelangen müssen, dass ein Wiederaufnahmegrund vorliegt, weil dieser fristgerecht geltend gemacht worden sei. Insbesonders hätte die Frage, ob den Laienbeisitzern den Sachverhalt klärende Beweisergebnisse verschwiegen worden seien, beantwortet werden können. Darüber hinaus hätte die belangte Behörde feststellen können, dass der Beschwerdeführer erst mit Erlassung der Berufungsentscheidung von den geltend gemachten Wiederaufnahmegründen Kenntnis erlangt habe. Die Nichtdurchführung des Erörterungsgespräches stelle daher einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Finanzamt ist davon ausgegangen, dass dem Beschwerdeführer die im Antrag ausgeführten "Wiederaufnahmegründe" bereits vor Erlassung der das Verfahren abschließenden Berufungsentscheidung bekannt gewesen seien. Die gesetzliche Dreimonatsfrist sei dadurch nicht gewahrt worden und der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei daher zurückzuweisen. Sache des Bescheides des Finanzamtes war sohin die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Wiederaufnahmeantrages. Die Änderungsbefugnis der belangten Behörde (§ 289 BAO) ist durch die Sache begrenzt. Die belangte Behörde war daher nicht befugt, über den Wiederaufnahmegrund als solchen erstmals - unter Übergehen der ersten Instanz (§ 305 BAO) - zu erkennen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 84/17/0151, vom , 94/18/1046, und vom , 95/18/0889, und Stoll, BAO-Kommentar, 2796 f).

Diese der Berufungsbehörde gesetzte Grenze wurde von der belangten Behörde im Beschwerdefall überschritten. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am