VwGH vom 11.06.2013, 2012/21/0103
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des DI in K, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria Theresia-Straße 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-730254/8/SR/ER/WU, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom erließ der im Instanzenzug angerufene Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen Mazedoniens, gemäß § 52 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 3 Z. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG eine Rückkehrentscheidung sowie ein unbefristetes Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum.
In der Begründung verwies die genannte Behörde - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - darauf, dass der Beschwerdeführer bereits am vom Bezirksgericht Peuerbach wegen einer am begangenen Körperverletzung rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt worden sei. Im Verlauf des Jahres 2007 habe er in zahlreichen, ab März dieses Jahres absolvierten Fahrten gemeinsam mit anderen Personen gewerbsmäßig insgesamt mindestens 13,5 Kilogramm Heroin von Serbien, dem Kosovo sowie Mazedonien nach Österreich und den Großteil davon weiter nach Deutschland, Frankreich und Spanien transportiert. Außerdem habe er knapp 500 Gramm Heroin mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde. Mit rechtskräftigem Urteil vom habe das Landesgericht Wels über ihn deshalb - wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 28a SMG - eine (in Vollzug befindliche) achtjährige Freiheitsstrafe verhängt.
Der 1981 geborene Beschwerdeführer sei ledig. Er habe in Österreich keine Kernfamilie, aber Angehörige (drei Schwestern und seine Eltern, bei denen er bis zu seiner Inhaftierung gewohnt habe). Am sei er in das Bundesgebiet eingereist und habe hier, nach einem Auslandsaufenthalt zwischen und , die im Heimatstaat begonnene Schulausbildung abgeschlossen, danach jedoch nur kurzfristig (vom 1. Jänner bis ) als Schlosser gearbeitet. Er habe in der Zeit vom "bis zum Widerruf seines Aufenthaltstitels am " durchgehend über Aufenthaltstitel verfügt.
Die Rückkehrentscheidung gegen den nicht mehr rechtmäßig in Österreich aufhältigen Beschwerdeführer sowie das unbefristete Einreiseverbot seien erforderlich, um der durch die dargestellte, monatelang wiederholte Einfuhr einer besonders großen Menge an Suchtgift begründeten massiven Gefährdung des öffentlichen Interesses effektiv begegnen und den aus derartiger mit hoher krimineller Energie verbundenen Delinquenz drohenden verheerenden Schäden und Folgen in der Gesellschaft vorbeugen zu können. Angesichts der intensiven Tatbegehung und der notorisch großen, bei diesen Delikten regelmäßig anzunehmenden Rückfallswahrscheinlichkeit sei die Möglichkeit einer künftig positiven Prognosebeurteilung aktuell, zumal während des noch andauernden Strafvollzuges, nicht absehbar.
Eine Interessenabwägung gehe angesichts dieser hohen Gefährlichkeit jedenfalls zum Nachteil des Beschwerdeführers aus, der trotz des langen Aufenthalts zudem nur eine verhältnismäßig geringe Integration im Bundesgebiet erreicht habe. Die Reintegration im Heimatstaat, wo er bis zum zwölften Lebensjahr die Schule besucht sowie die Kultur und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten kennen gelernt habe, sei möglich und zumutbar.
Von der Durchführung der - ausdrücklich beantragten - mündlichen Berufungsverhandlung sah die belangte Behörde ab. Letzteres begründete sie damit, dass eine Berufungsverhandlung nicht erforderlich gewesen sei, weil sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergebe, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig sei und weil die Akten erkennen ließen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lasse.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
In der Beschwerde wird geltend gemacht, die belangte Behörde hätte sich insbesondere zur Beurteilung der im § 61 Abs. 2 FPG genannten Kriterien ein persönliches Bild vom Beschwerdeführer machen und eine (in der Berufung beantragte) mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen.
Diese Rüge ist berechtigt:
Gemäß § 67d Abs. 1 AVG hat der unabhängige Verwaltungssenat auf Antrag oder, wenn er dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 67d Abs. 2 AVG kann eine öffentliche mündliche
Verhandlung vor dem unabhängigen Verwaltungssenat entfallen, wenn
1. der verfahrenseinleitende Antrag der Partei oder
die Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der
Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid
aufzuheben ist,
2. der Devolutionsantrag zurückzuweisen oder
abzuweisen ist, oder
3. die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf
Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist.
Der unabhängige Verwaltungssenat kann darüber hinaus ungeachtet eines Parteiantrages gemäß § 67d Abs. 4 AVG von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK entgegensteht.
Keiner dieser Tatbestände ist im vorliegenden Fall erfüllt. Auch die zum Absehen von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung angegebene Begründung der belangten Behörde, nämlich dass eine solche nicht erforderlich gewesen sei, weil sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergebe, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig sei und weil die Akten erkennen ließen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine "tiefgreifende" Klärung der Sache nicht erwarten lasse, nimmt auf keinen der Fälle des § 67d AVG Bezug, die das Absehen von einer Verhandlung - trotz des darauf gerichteten Antrags des Beschwerdeführers - zulassen.
Eine Relevanzprüfung iSd § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG ist beim Unterbleiben einer - wie hier - (auch) nach Art. 47 GRC gebotenen mündlichen Verhandlung nicht vorzunehmen; vielmehr liegt diesfalls stets eine zur Bescheidaufhebung führende Rechtsverletzung vor (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2010/15/0196, und vom , Zl. 2011/21/0267).
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher schon aus diesem Grund als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde davon abgesehen auch zu prüfen haben, ob der Beschwerdeführer - wie nach der Aktenlage, aus der ein am erteilter unbefristeter Niederlassungsnachweis zu entnehmen ist, indiziert - aktuell noch immer über einen Aufenthaltstitel verfügt. Ein "Widerruf" dieses Aufenthaltstitels, von dem der angefochtene Bescheid ausgeht, ist im Gesetz nicht vorgesehen.
Für den Fall des Vorliegens eines Aufenthaltstitels käme nicht die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot gemäß § 52 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 3 Z. 5 FPG, sondern vielmehr die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 63 FPG in Betracht, sollte diesem wiederum nicht eine Aufenthaltsverfestigung im Sinne des § 64 Abs. 1 FPG entgegenstehen.
Wien, am