VwGH vom 30.03.2011, 2005/13/0171
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2005/13/0172
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerden 1. der S Aktiengesellschaft in W, vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 12, 2. des Finanzamtes Wien 1/23 in 1031 Wien, Radetzkystraße, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/0915-W/04, betreffend Festsetzung von Kapitalertragsteuer für den Zeitraum März 2003, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in Stattgebung der Beschwerde der erstbeschwerdeführenden Partei wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Beschwerde der zweitbeschwerdeführenden Partei wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der erstbeschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.392,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Erstbeschwerdeführerin, ein Kreditinstitut, beantragte mit zwei Schreiben vom die Festsetzung von Kapitalertragsteuer für den Monat März 2003 und führte dazu aus, die für diesen Monat mit Schreiben vom bekannt gegebene Selbstberechnung habe sich vor allem deshalb als unrichtig erwiesen, weil bei zwei näher dargestellten, den Rückkauf von Nullkuponanleihen betreffenden Geschäftsfällen die zweiprozentige Freigrenze des § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 nicht überschritten worden sei.
Das Finanzamt wies diese Anträge mit Bescheid vom ab, weil es die Ansicht vertrat, die Selbstberechnung sei richtig gewesen. Zur Frage, ob der in § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 i.d.F. vor der Novelle BGBl. I Nr. 71/2003 erwähnte Wert von "2 % des Wertpapiernominales" auch im Fall des vorzeitigen Rückkaufs einer Nullkuponanleihe vom Nominale zu berechnen sei, wovon die Erstbeschwerdeführerin in ihren Anträgen ausging, oder ob auch an die Stelle des Wertpapiernominales in einem solchen Fall der Rückkaufspreis zu treten habe, wie dies im letzten Satz des § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 für den Einlösungswert angeordnet ist, führte das Finanzamt dabei aus, bei vorzeitigem Rückkauf durch den Emittenten sei die zweiprozentige Grenze nicht auf das Nominale, sondern auf den Rückkaufkurs zu beziehen. Auf einen geringfügigen Rechenfehler, auf den die Erstbeschwerdeführerin die Behauptung der Unrichtigkeit der Selbstberechnung auch gestützt hatte, ging es nicht ein.
Dagegen erhob die Erstbeschwerdeführerin Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid folgte die belangte Behörde, der Bescheidbegründung zufolge, der Rechtsauffassung der Erstbeschwerdeführerin. Sie führte aus, die Anordnung im letzten Satz des § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 beziehe sich dem klaren Wortlaut nach nur auf den Einlösungswert, aus dessen Gegenüberstellung mit dem Ausgabewert sich der allenfalls steuerpflichtige Unterschiedsbetrag ergebe, und lasse den Bezugspunkt für die Berechnung der zweiprozentigen Grenze unberührt. Die belangte Behörde nahm allerdings nicht die von der Erstbeschwerdeführerin begehrte Festsetzung vor, sondern beschränkte sich im Spruch auf die Feststellung, der Berufung werde "Folge gegeben" und der Bescheid des Finanzamtes werde "aufgehoben".
Gegen Letzteres wendet sich die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin mit dem Argument, die belangte Behörde hätte den erstinstanzlichen Bescheid nicht ersatzlos beheben dürfen, statt selbst die Festsetzung vorzunehmen oder die Sache, bei Vorliegen der Voraussetzungen dafür, an die Abgabenbehörde erster Instanz zurückzuverweisen. In dem zuletzt genannten Sinn lasse sich der Bescheid der belangten Behörde nicht deuten.
Die belangte Behörde tritt dem in ihrer Gegenschrift insoweit nicht entgegen, als auch sie nicht meint, ihr Bescheid sei als Aufhebung und Zurückverweisung im Sinne des § 289 Abs. 1 BAO zu verstehen gewesen. Sie führt aus, sie habe den Abweisungsbescheid "ersatzlos aufgehoben", weil die Anträge zu Unrecht abgewiesen worden seien. Die Argumente der Erstbeschwerdeführerin würden jedoch nur zutreffen, wenn schon das Finanzamt einen Festsetzungsbescheid erlassen hätte. Da dies nicht der Fall gewesen sei, hätte eine Festsetzung durch die belangte Behörde eine Verkürzung des Instanzenzuges zum Nachteil der Erstbeschwerdeführerin bedeutet.
Das Finanzamt als zweitbeschwerdeführende Partei bekämpft den angefochtenen Bescheid mit der Begründung, die Begriffe "Einlösungswert" und "Wertpapiernominale" in § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 seien "synonym". Die Anordnung im letzten Satz habe daher zur Folge, dass auch an die Stelle des Wertpapiernominales im ersten Satz der Rückkaufswert als "neues Nominale" trete.
Die dem Verfahren über diese Beschwerde als Mitbeteiligte beigezogene Erstbeschwerdeführerin beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung dieser Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres Sachzusammenhanges miteinander verbunden und darüber erwogen:
§ 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 71/2003 lautet:
"(2) Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch:
(...)
2. Unterschiedsbeträge zwischen dem Ausgabewert eines Wertpapiers und dem im Wertpapier festgelegten Einlösungswert, wenn diese 2% des Wertpapiernominales übersteigen. Im Falle des vorzeitigen Rückkaufes tritt an die Stelle des Einlösungswertes der Rückkaufpreis."
Diese Bestimmung enthält keine Handhabe für die Erzielung des vom Finanzamt gewünschten Ergebnisses. Der Gesetzgeber hat zwischen Einlösungswert und Wertpapiernominale unterschieden und die Berechnung des zweiprozentigen Wertes anhand des Wertpapiernominales im letzten Satz der Bestimmung unberührt gelassen (vgl. in diesem Sinn, unter Einbeziehung teleologischer Erwägungen, auch Wolf, ÖStZ 2004, 111 f).
Die Beschwerde des Finanzamts war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin ist berechtigt. Die belangte Behörde ist vorgegangen, als ob das Finanzamt die Anträge der Erstbeschwerdeführerin zurückgewiesen hätte. "Sache" des Berufungsverfahrens wäre in einem solchen Fall nur die Zurückweisung und deren ersatzlose Aufhebung richtig, wenn die Zurückweisung zu Unrecht erfolgte (vgl. Ritz, BAO3, § 289 Tz 34). Der vorliegende Fall der Verweigerung einer Festsetzung gleicht dem nur auf den ersten Blick. Mit der Begründung, die Selbstberechnung sei richtig gewesen, hat das Finanzamt nicht die Antragsberechtigung der Erstbeschwerdeführerin, sondern eine materielle Voraussetzung für die begehrte Festsetzung verneint, weshalb die gewählte Entscheidungsform nicht einer Zurück-, sondern einer Abweisung kein Vergreifen im Ausdruck war (vgl. dazu auch Ritz, a.a.O., § 201 Tz 29). Unter diesen Umständen durfte die belangte Behörde, wenn sie die Abweisung der Anträge für falsch hielt, die Berufung nicht durch ersatzlose Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung erledigen.
Der angefochtene Bescheid war daher in Stattgebung der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, wobei hinsichtlich des Zuspruchs von Kosten für die Gegenschrift der den Bescheid selbst bekämpfenden Erstbeschwerdeführerin auf das hg. Erkenntnis vom , 95/08/0275, 0276, zu verweisen ist.
Wien, am