VwGH vom 17.11.2010, 2005/13/0111
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde der I GesmbH in W, vertreten durch Dr. Gerald Toifl, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Am Heumarkt 7/19, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1799- W/03, betreffend Haftung für Quellenabzugsteuer gemäß § 21 Abs. 1 Z 1 KStG 1988 i.V.m. § 98 EStG 1988 für den Zeitraum 1998 bis 2000, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführende GmbH, deren Betriebsgegenstand die Planung, Organisation und Durchführung von Veranstaltungen ist, entrichtete Lizenzgebühren an ihre Alleingesellschafterin, eine Gesellschaft in den Niederlanden. In einem Haftungsbescheid vom vertrat das Finanzamt die Auffassung, die Muttergesellschaft der Beschwerdeführerin sei mit den Lizenzeinkünften in Österreich beschränkt steuerpflichtig, das Doppelbesteuerungsabkommen mit den Niederlanden, BGBl. Nr. 191/1971, berechtige Österreich zu einem Quellensteuerabzug in der Höhe von 10 Prozent und die Beschwerdeführerin hätte diese Beträge in den Jahren 1998 bis 2000 einzubehalten und abzuführen gehabt.
In der dagegen erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin u.a. geltend, die Festsetzung der Quellensteuer beschränke die gemeinschaftsrechtlich geschützte Niederlassungsfreiheit ihrer niederländischen Muttergesellschaft, weil diese gegenüber dem hypothetischen Vergleichsfall von Lizenzzahlungen an eine deutsche Muttergesellschaft, die auf Grund des mit Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens keiner solchen Quellenbesteuerung ausgesetzt sei, benachteiligt werde.
Der Betriebsprüfer verwies in einer Stellungnahme zur Berufung auf den niedrigen Steuersatz von 10 % und die Anrechnungsmöglichkeit in den Niederlanden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung - abgesehen von einer Präzisierung des Spruches - als unbegründet ab. Sie führte dazu u.a. aus, in zeitlichem Zusammenhang mit der Ladung der Beschwerdeführerin zu der von ihr beantragten Berufungsverhandlung sei die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin fernmündlich um Übermittlung von Belegen für die Körperschaftsteuerpflicht und -entrichtung seitens der niederländischen Muttergesellschaft ersucht worden. Die Übermittlung einer derartigen Bestätigung sei seitens der steuerlichen Vertretung in Aussicht gestellt worden, dann aber nicht erfolgt. In der Verhandlung hätten die Vertreter der Beschwerdeführerin angegeben, deren Muttergesellschaft unterliege in den Niederlanden "ganz normal einer der österreichischen Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer", wobei die Lizenzgebühren Teil der Bemessungsgrundlage seien. Zu der im Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Anrechnung hätten die Vertreter u.a. ausgeführt, ihres Wissens nach habe sich die niederländische Muttergesellschaft in einer Verlustsituation befunden, sodass es zu keinen Steuerabzügen gekommen sei.
In der rechtlichen Würdigung des Falles setzte sich die belangte Behörde mit dem Standpunkt der Beschwerdeführerin, der das Doppelbesteuerungsabkommen betreffende Vergleich mit der hypothetischen Situation einer deutschen Muttergesellschaft sei gemeinschaftsrechtlich relevant, noch auf der Grundlage des Schlussantrages des Generalanwaltes vom in der Rechtssache D, C-376/03, auseinander. Zur Frage der im Doppelbesteuerungsabkommen mit den Niederlanden vorgesehenen Anrechnung führte die belangte Behörde aus, in der Berufung sei darauf "mit keinem Wort" eingegangen worden. Seitens der Vertreter der Beschwerdeführerin seien "Überlegungen im Zusammenhang mit einer allfälligen Verlustsituation" der Muttergesellschaft angestellt worden, aber trotz des Ersuchens der belangten Behörde um Vorlage von Nachweisen über die Besteuerung der Muttergesellschaft sei der bei Vorliegen von Auslandssachverhalten bestehenden erhöhten Mitwirkungspflicht nicht entsprochen worden. Es reiche nicht aus, eine Verlustsituation lediglich zu behaupten oder überhaupt nur von einer theoretischen Verlustsituation auszugehen. Dies würde dazu führen, Subsumtionen nicht bei konkreten Sachverhalten, sondern bei fiktiven Szenarien vorzunehmen. Habe die Beschwerdeführerin eine besondere Sachverhaltskonstellation trotz Aufforderung nicht nachgewiesen, so könne die Untersuchung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf eine Gemeinschaftsrechtskonformität nur darauf hinauslaufen, dass die Regelungen von ihrem Grundsatz her betrachtet würden. Die erst ab 2004 in Geltung stehende Gesetzesbestimmung des § 99a EStG 1988, nach der im gegenständlichen Fall - vorausgesetzt die dort geforderten Bestätigungen wären beigebracht - eine Quellenabzugsbesteuerung nicht vorzunehmen wäre, sei im Streitzeitraum noch nicht anwendbar.
In der vorliegenden Beschwerde gegen diesen Bescheid wird - unter Bedachtnahme auf das in der Zwischenzeit ergangene D, C-376/03 - weiter geltend gemacht, der Steuerabzug gemäß dem mit den Niederlanden geschlossenen Abkommen verletze die Niederlassungsfreiheit der Muttergesellschaft der Beschwerdeführerin, weil bei einer deutschen Muttergesellschaft in vergleichbarer Lage nach dem mit Deutschland geschlossenen Abkommen kein solcher Abzug stattfinde. Dass der EuGH in der erwähnten Entscheidung zwei in demselben Quellenstaat beschränkt Steuerpflichtige unterschiedlicher Herkunft als nicht vergleichbar angesehen habe, sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Argumentation des EuGH widerspreche auch seiner bisherigen Judikatur. Sie sei inkonsistent und "bedenklich".
Geltend gemacht wird aber auch, die belangte Behörde habe im Zusammenhang mit der von ihr ins Treffen geführten Anrechnungsmöglichkeit gegen den Grundsatz der Amtswegigkeit der Sachverhaltsermittlung verstoßen, indem sie die ihr offen stehenden Ermittlungsmöglichkeiten, insbesondere im Wege der Amtshilfe, nicht ausgeschöpft und sich damit begnügt habe, auf die erhöhte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten zu verweisen. Hätte sie den Sachverhalt vollständig ermittelt, so hätte sie erkennen müssen, dass eine Anrechnung der Quellensteuer nicht möglich gewesen sei.
Die belangte Behörde führt zu dem zuletzt genannten Punkt in der Gegenschrift nur aus, sie habe die steuerlichen Vertreter der Beschwerdeführerin vergeblich um Übermittlung von Unterlagen über die Besteuerung der niederländischen Muttergesellschaft ersucht. Dieses Vorgehen sei im Hinblick auf die Urgenz der Erledigung der Berufung seitens der steuerlichen Vertretung und die von dieser zunächst zugesagte Informationsbeschaffung gewählt worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber erwogen:
Dem von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren und in der Beschwerde primär vertretenen Standpunkt, es bestehe die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur sogenannten Meistbegünstigung auf der Grundlage von Doppelbesteuerungsabkommen, die auf den konkreten Fall nicht anzuwenden sind, hat der EuGH seine Unterstützung nicht nur im Fall D, sondern seither auch noch in weiteren Entscheidungen versagt (vgl. auch die Urteile vom , Rs C-374/04, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, und vom , Rs C-298/05, Columbus Container). Es besteht daher kein Grund für eine Vorlage an den EuGH (vgl. insoweit schon nach der Entscheidung im Fall D das Urteil des BFH vom , I R 27/03; seither etwa auch BFH , I R 53/07; aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zuletzt das Erkenntnis vom , 2008/15/0086, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Frage, ob eine Anrechnung der Quellensteuer in den Niederlanden möglich war, für eine abschließende rechtliche Prüfung des Falles insbesondere vor dem Hintergrund des Unionsrechts nicht mehr von Bedeutung ist. Da die belangte Behörde, was sie in der Gegenschrift nicht bestreitet, von ihren diesbezüglichen Ermittlungsmöglichkeiten nicht Gebrauch gemacht und den der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Sachverhalt in diesem Punkt nicht festgestellt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am