VwGH vom 16.11.2011, 2008/08/0255

VwGH vom 16.11.2011, 2008/08/0255

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des G P in Wien, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 40 - SR 13015/08, betreffend Rückforderung von Beiträgen nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse in Wien, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse wies mit Bescheid vom den Antrag des Beschwerdeführers auf Rückerstattung zu Ungebühr entrichteter Beiträge ab. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei vom bis nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert gewesen; in diesem Zeitraum sei der Wohnsitz des Beschwerdeführers in Österreich gelegen. Da der Beschwerdeführer im verfahrensgegenständlichen Zeitraum die Voraussetzungen gemäß § 16 Abs. 1 ASVG erfüllt habe, habe in diesem Zeitraum die Selbstversicherung in der Krankenversicherung zu Recht bestanden. Die Beiträge seien daher in diesem Zeitraum nicht zu Ungebühr entrichtet worden, sodass dem Antrag nicht stattzugeben sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch. Er sei seit in der Krankenversicherung selbstversichert und habe sich vom bis in Haft befunden. Während der Verbüßung der Freiheitsstrafe sei weder eine Leistung an den Beschwerdeführer erbracht worden, noch wäre dies aufgrund des Ruhens des Leistungsanspruchs auf Seiten des Versicherungsträgers möglich gewesen. Die Erbringung einer ungeschuldeten Leistung sei ein bereicherungsrechtlicher Anspruch. Der Beschwerdeführer habe während seines Haftaufenthalts die Beiträge an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse weiter bezahlt; diese sei auch davon in Kenntnis gewesen, dass eine Leistung zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen sei. In einer weiteren Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer vor, er habe weder seinen Austritt bekannt gegeben noch habe er verabsäumt, fällige Beträge zu entrichten. Der Beschwerdeführer habe aber - auf Aufforderung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse hin - Anträge auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung gestellt. Die Aufforderungen seien dem Beschwerdeführer in die Justizanstalt zugestellt worden. Der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse sei daher zweifellos die Inhaftierung des Beschwerdeführers bekannt gewesen. Dass anspruchsberechtigte Angehörige Leistungen in Anspruch nehmen hätten können, gehe ins Leere, da der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bekannt gewesen sei, dass der Beschwerdeführer keine anspruchsberechtigten Angehörigen habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch als unbegründet ab. Begründend führte sie - nach Wiedergabe des Verfahrensganges - im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei seit bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gemäß § 16 ASVG in der Krankenversicherung selbstversichert. In der Zeit vom bis habe er sich in Haft befunden. Da der Beschwerdeführer im strittigen Zeitraum nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert gewesen sei und seinen Wohnsitz in Österreich gehabt habe, seien die Voraussetzungen dafür vorgelegen, dass er sich in der Krankenversicherung selbstversichern könne. Die Selbstversicherung ende dann, wenn eine Person nunmehr in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sei oder wenn ihr Wohnsitz nicht mehr im Inland gelegen sei. Sie ende außerdem dann, wenn der Versicherte seinen Austritt erkläre oder wenn die für zwei Kalendermonate fällig gewordenen Beiträge nicht entrichtet worden seien. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer während seiner Haft keine Leistungen aus der Krankenversicherung in Anspruch habe nehmen können, sei in § 16 ASVG nicht als Endigungs- oder Ausnahmegrund angeführt. Das ASVG stelle nicht auf die Motive der Entrichtung der Beiträge zur freiwilligen Versicherung ab. Es sei daher unbeachtlich, ob und aus welchen Gründen sich der Versicherte allenfalls über die Auswirkungen seiner Beitragszahlungen in Irrtum befunden habe. Sofern die Beitragszahlungen den gesetzlichen Voraussetzungen entsprochen hätten, seien diese nicht iSd § 69 Abs. 1 ASVG "zu Ungebühr" entrichtet worden, weshalb die Möglichkeit der Rückforderung von Beiträgen ausscheide. § 69 Abs. 1 ASVG stelle auch nicht darauf ab, wen das Verschulden an der Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge treffe, insbesondere ob der Versicherungsträger hätte erkennen können, dass die Beiträge zu Ungebühr entrichtet worden seien.

Da der Beschwerdeführer während des Zeitraumes der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe weder seinen Austritt erklärt habe noch mit den Beiträgen säumig geworden sei, sei die Selbstversicherung in der Krankenversicherung aufrecht geblieben und seien daher die Beiträge, die der Beschwerdeführer für seine Selbstversicherung in der Krankenversicherung bezahlt habe, nicht zu Ungebühr entrichtet worden, weshalb eine Rückforderung nicht möglich sei.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 16 Abs. 1 ASVG können sich Personen, die nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, in der Krankenversicherung auf Antrag selbstversichern, solange ihr Wohnsitz im Inland gelegen ist. Nach § 16 Abs. 6 ASVG endet die Selbstversicherung außer mit dem Wegfall der Voraussetzungen (u.a.) 1. mit dem Ende des Kalendermonates, in dem der Versicherte seinen Austritt erklärt hat; 2. wenn die für zwei Kalendermonate fällig gewordenen Beiträge nicht entrichtet sind, mit dem Ende des zweiten Kalendermonates für den ein Beitragsrückstand besteht.

Gemäß § 79 Abs. 1 ASVG sind auf die Beiträge zur freiwilligen Versicherung die Bestimmungen des § 69 ASVG über die Rückforderung von Beiträgen mit näher umschriebenen, im Beschwerdefall nicht gegebenen Maßgaben entsprechend anzuwenden.

Gemäß § 69 Abs. 1 ASVG können zu Ungebühr entrichtete Beiträge zurückgefordert werden. Das Recht auf Rückforderung verjährt nach Ablauf von fünf Jahren nach deren Zahlung. Der Lauf der Verjährung des Rückforderungsrechtes wird durch Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Herbeiführung einer Entscheidung, aus der sich die Ungebührlichkeit der Beitragsentrichtung ergibt, bis zu einem Anerkenntnis durch den Versicherungsträger bzw. bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Verwaltungsverfahren unterbrochen.

Nach § 89 Abs. 1 Z 1 ASVG ruhen Leistungsansprüche in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung, solange der Anspruchsberechtigte oder sein Angehöriger, für den die Leistung gewährt wird, eine Freiheitsstrafe verbüßt oder in den Fällen der §§ 21 Abs. 2, 22 und 23 StGB in einer der dort genannten Anstalten angehalten wird; nach § 89 Abs. 1 Z 2 ASVG ruhen die Leistungsansprüche in der Krankenversicherung überdies für die Dauer der Untersuchungshaft. Hat ein Versicherter, dessen Leistungsanspruch in der Krankenversicherung ruht, im Inland Angehörige (§ 123 ASVG), so gebühren ihm die für die Angehörigen vorgesehenen Leistungen (§ 89 Abs. 4 ASVG).

2. Der Beschwerdeführer wendet zunächst ein, die belangte Behörde gehe aktenwidrig davon aus, dass der Beschwerdeführer erst seit gemäß § 16 Abs. 1 ASVG in der Krankenversicherung selbstversichert sei; die Selbstversicherung bestehe seit .

Da der Antrag auf Rückforderung ungebührlich entrichteter Beiträge - nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten - im Februar 2008 (nach dem Vorbringen in der Beschwerde: im August 2007) gestellt wurde und das Recht auf Rückforderung nach Ablauf von fünf Jahren nach deren Zahlung verjährt, können Beiträge, die vor dem Februar 2003 (bzw. - wenn man vom Beschwerdevorbringen ausginge - August 2002) gezahlt wurden, jedenfalls nicht mehr rückgefordert werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/08/0079; vgl. zur Verjährung auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/08/0535). Es ist daher für dieses Verfahren nicht entscheidend, ob der Beschwerdeführer seit Jänner 1979 oder seit Jänner 1994 selbstversichert war.

3. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, während der Verbüßung der Strafhaft habe sein Leistungsanspruch geruht. Wenn aber der Versicherungsträger von seiner Leistungspflicht ex lege frei sei und die Leistungserbringung darüber hinaus unmöglich sei, so sei auch der Versicherungsnehmer während dieses Zeitraumes von seinen Leistungsverpflichtungen (der regelmäßigen Beitragszahlung) frei. Eine Beendigung des Versicherungsverhältnisses sei dazu nicht notwendig und sei keine Voraussetzung für eine Rückforderbarkeit der Beiträge. Es wäre völlig unsachlich, die gesetzlichen Regelungen dahin zu interpretieren, dass der Versicherungsträger zwar von seiner Leistungspflicht ex lege frei und die Leistungserbringung unmöglich sei, während der Versicherungsnehmer während dieses Zeitraumes von seinen Leistungsverpflichtungen nicht befreit wäre.

Mit diesem Vorbringen kann eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt werden:

Gegenstand bei der Rückforderung von ungebührlich entrichteten Beiträgen ist die Differenz zwischen dem für einen konkreten Beitragszeitraum entrichteten und dem für diesen Beitragszeitraum geschuldeten Beitrag. Es ist daher zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer entrichteten Beiträge für den betreffenden Zeitraum auch geschuldet waren (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0219).

Der Beschwerdeführer war unstrittig (jedenfalls seit 1994) auf Grund seines Antrages gemäß § 16 Abs. 1 ASVG in der Krankenversicherung selbstversichert. Eine Beendigung der Selbstversicherung ist aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ableitbar. Diese würde zum einen dann eintreten, wenn die Voraussetzungen der Selbstversicherung wegfielen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0165). Dass die Voraussetzungen vorlagen (keine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung, Wohnsitz im Inland), ist im Verfahren unstrittig. Auch eine Austrittserklärung (§ 16 Abs. 6 Z 1 ASVG) oder ein Beitragsrückstand (iSd § 16 Abs. 6 Z 2 ASVG) lagen nach dem unstrittigen Sachverhalt nicht vor.

Die Strafhaft (ebenso wie die Untersuchungshaft) bewirkt keine Beendigung der Selbstversicherung; § 89 Abs. 1 ASVG sieht vielmehr für diesen Fall ausdrücklich das bloße Ruhen der Leistungsansprüche vor. Auch der Umstand, dass Strafgefangene auf die Leistungen der Krankenversicherung nicht angewiesen sind, da diese Leistungen nach den §§ 66 ff StVG auf Kosten des Bundes erbracht werden, bewirkt keine Beendigung der Selbstversicherung; das Nicht-Angewiesensein auf Leistungen ist kein ex-lege-Beendigungsgrund der Selbstversicherung (vgl. § 16 Abs. 6 ASVG, welcher Regelungen für einen Austritt aus der Selbstversicherung wegen des Beginnes der Angehörigeneigenschaft oder einer Krankenfürsorge seitens einer Krankenfürsorgeeinrichtung eines öffentlich-rechtlichen Dienstgebers enthält, also auch für diese Fälle nur eine Austrittserklärung als Beendigungsgrund vorsieht).

Auf die Motive der Entrichtung der Beiträge zur Selbstversicherung stellt das Gesetz aber nicht ab. Ob und aus welchen Gründen sich der Versicherte über die Auswirkung seiner Beitragszahlungen auf (künftige) Versicherungsleistungen in einem Irrtum befunden hat, ist im Zusammenhang mit der Ungebührlichkeit von Beitragszahlungen gemäß § 69 Abs. 1 ASVG nicht von Bedeutung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/08/0413).

Die vom Beschwerdeführer zu § 89 Abs. 1 Z 1 ASVG angeregte Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof musste schon deswegen unterbleiben, weil die genannte Bestimmung für dieses Verfahren nicht präjudiziell ist; die Aufhebung der Bestimmung des § 89 Abs. 1 Z 1 ASVG könnte nur - allenfalls - dazu führen, dass Leistungsansprüche für Strafgefangene aufrecht blieben, nicht aber, dass Beiträge zurückgefordert werden könnten. Im Übrigen besteht aber in der Sozialversicherung nicht der Grundsatz der Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung, so dass auch in Kauf genommen werden muss, dass es in manchen Fällen trotz Beitragsleistung zu keiner Versicherungsleistung kommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0336, mwN). Schließlich ist aber darauf zu verweisen, dass es dem Selbstversicherten ohnehin frei steht, die Selbstversicherung durch seine Erklärung zu beenden.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am