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VwGH vom 28.02.2013, 2010/10/0004

VwGH vom 28.02.2013, 2010/10/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der V G in Graz, vertreten durch Klein, Wuntschek Partner Rechtsanwälte GmbH in 8020 Graz, Neubaugasse 24, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA11A26-1651/2008-8, betreffend Hilfeleistung nach dem Stmk. Behindertengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, am zugestellten Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer 1973 geborenen spanischen Staatsangehörigen, auf Hilfeleistung nach dem Stmk. Behindertengesetz (Stmk. BHG) im Berufungsweg abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin laut ZMR-Auszug vom nach Spanien verzogen sei, weshalb ein Hauptwohnsitz in einer Gemeinde des Landes Steiermark nicht mehr gegeben sei, sodass gemäß § 2 Abs. 5 lit. b Stmk. BHG kein Anspruch auf Hilfeleistung bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Stmk. Behindertengesetzes, LGBl. 26/2004 idF. LGBl. Nr. 74/2007 (Stmk. BHG), lauten (auszugsweise):

"§ 1

Ziele

Ziel dieses Gesetzes ist es, Menschen mit Behinderung zu unterstützen, damit sie an der Gesellschaft in gleicher Weise wie nicht behinderte Menschen teilnehmen und ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. …

§ 2

Voraussetzungen der Hilfeleistungen

(1) Menschen mit Behinderungen haben nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes einen Rechtsanspruch auf Hilfeleistungen.

(5) Voraussetzung für die Hilfeleistung ist, dass der Mensch mit Behinderung

a) eine Staatsbürgerschaft eines dem europäischen Wirtschaftsraum angehörenden Staates … besitzt …

b) seinen Hauptwohnsitz in einer Gemeinde des Landes Steiermark oder im Falle der Minderjährigkeit mangels eines solchen im Inland den Aufenthalt im Land Steiermark hat und


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c)
d)
…"
Die Beschwerde bringt u.a. vor, die Beschwerdeführerin habe nach ihrer (vom 25. September bis erfolgten) stationären Behandlung bis an einer näher genannten Adresse in Graz gewohnt. Seit September 2009 wohne die Beschwerdeführerin wieder in Graz ("Haus E."), sie sei daher zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung wieder in Graz "aufhältig" gewesen.
Die belangte Behörde habe sich mit diesem Sachverhalt in keiner Weise auseinander gesetzt, sondern sich lediglich auf einen ZMR-Auszug vom gestützt. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, der Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:
Aus dem - von der belangten Behörde erwähnten - aktenkundigen Auszug aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) vom ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin (zuletzt) vom bis zum mit Hauptwohnsitz an einer näher bezeichneten Adresse in Graz gemeldet war; sodann findet sich der Eintrag "Verzogen nach Spanien".
Gemäß Art. 6 Abs. 3 B-VG ist der Hauptwohnsitz einer Person dort begründet, wo sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen.
Der Hauptwohnsitz eines Menschen im Sinne des § 1 Abs. 7 MeldeG 1991 ist an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen, sodass für die Begründung des Hauptwohnsitzes einerseits der faktische Aufenthalt und andererseits der Wille ("… in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht …") erforderlich ist, die Unterkunft zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu machen. Hiebei ist die polizeiliche Meldung ein wichtiges Indiz für das Bestehen eines inländischen Hauptwohnsitzes, wenn auch nicht eine notwendige Voraussetzung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0391, mwN). Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Hauptwohnsitzes vorliegen, ist die Meldung nach dem Meldegesetz nicht von entscheidender Bedeutung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/10/0272, mwN).
Die belangte Behörde hat die - den angefochtenen Bescheid in Ansehung des § 2 Abs. 5 lit. b Stmk. SHG tragende - Feststellung, dass ein Hauptwohnsitz der Beschwerdeführerin in einer steirischen Gemeinde nicht mehr gegeben sei, beweiswürdigend lediglich auf den erwähnten, im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Übrigen bereits acht Monate alten, Auszug aus dem ZMR gestützt; dies war nach den erwähnten Grundsätzen der hg. Rechtsprechung nicht ausreichend. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hat die belangte Behörde bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides weder geeignete Ermittlungen zum Vorliegen bzw. zur allfälligen Wiederbegründung eines Hauptwohnsitzes der Beschwerdeführerin in der Steiermark gepflogen, noch hat sie der Beschwerdeführerin (im Wege der die Beschwerdeführerin im Verfahren vertretenden "Gesellschaft zur Förderung seelischer Gesundheit") Gelegenheit geboten, vom Ergebnis ihrer Beweisaufnahme Kenntnis und Stellung zu nehmen.
Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid dadurch mit Verfahrensmängeln behaftet, die vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens, wonach die Beschwerdeführerin bereits seit September 2009 wieder im "Haus E." in Graz gewohnt habe, insofern von Relevanz sind, als demnach die (Wieder
)Begründung eines Hauptwohnsitzes der Beschwerdeführerin im Sinne des § 2 Abs. 5 lit. b Stmk. BHG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides und sohin ein für die Beschwerdeführerin günstigeres Bescheidergebnis nicht ausgeschlossen erscheinen.
Das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot steht dem genannten Beschwerdevorbringen nicht entgegen, weil im Beschwerdefall eine Bindung des Verwaltungsgerichthofes an den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt infolge der erwähnten Verfahrensmängel nicht besteht (vgl. die bei
Mayer, B-VG4, § 41 VwGG II.1., wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen wesentlicher Verfahrensmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am