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VwGH vom 20.06.2012, 2012/17/0187

VwGH vom 20.06.2012, 2012/17/0187

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:

* Vorabentscheidungsantrag:

2010/17/0161 B

* EuGH-Entscheidung:

EuGH62011CJ0039 B

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Dr. Zehetner und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde der V AG in W, vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4, gegen den Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) vom , Zl. FMA-BV27 1003/0004-INV/2010, betreffend Zahlung nach § 43 Abs. 1 Z. 2 BMSVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Die beschwerdeführende Partei ist eine konzessionierte Betriebliche Vorsorgekasse mit dem Sitz in Wien. Als solche ist sie auf der Grundlage einer nach § 4 Bankwesengesetz (BWG) erteilten Konzession berechtigt, Abfertigungsbeiträge und Selbständigenvorsorgebeiträge hereinzunehmen und zu veranlagen. Sie unterliegt der Kontrolle durch die FMA.

Vom bis zum fand bei der beschwerdeführenden Partei eine Vor-Ort-Prüfung gemäß § 70 Abs. 1 Z. 3 BWG statt, die insbesondere die Überprüfung der Einhaltung der Veranlagungsbestimmungen gemäß § 30 des Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetzes (BMSVG) zum Gegenstand hatte.

Unstrittig wurde hiebei festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei für die Veranlagungsgemeinschaft am Anteile an einem näher genannten Fonds mit Sitz im Großherzogtum Luxemburg erworben hat. Bei diesem Fonds handelt es sich um einen Fonds in der Rechtsform einer Investmentgesellschaft mit variablem Kapital. Dieser Fonds war zum Erwerbszeitpunkt nicht zum Vertrieb in Österreich berechtigt.

1.2. Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der beschwerdeführenden Partei gemäß § 43 Abs. 1 Z. 2 BMSVG der Betrag von EUR 349.329,04 für die Überschreitung der "Grenze" gemäß § 30 Abs. 2 Z. 5 lit. a BMSVG zur Zahlung (als Pönalezinsen) vorgeschrieben.

Begründend führte die belangte Behörde u.a. aus, gemäß § 30 Abs. 2 Z. 5 lit. a BMSVG dürfe die Veranlagung des einer Veranlagungsgemeinschaft zugeordneten Vermögens nur in Anteilsscheinen von Kapitalanlagefonds, die gemäß dem II. Abschnitt des Investmentfondsgesetzes zum Vertrieb berechtigt seien, erfolgen. Nach § 43 Abs. 1 Z. 2 BMSVG habe die FMA den betrieblichen Vorsorgekassen, ausgenommen bei Aufsichtsmaßnahmen nach § 70 Abs. 2 BWG oder bei Überschuldung der Kasse 5 v.H. der Überschreitung einer Veranlagungsgrenze gemäß § 30 leg. cit., gerechnet pro Jahr, für 30 Tage, vorzuschreiben.

Zweck der Regelung des § 43 BMSVG sei die Sicherstellung der Einhaltung der Bestimmungen der §§ 20 und 30 BMSVG betreffend die Eigenmittel und Grenzen der Veranlagung durch das Entstehen von zusätzlichen Kosten für die Kasse. Durch den Kostendruck solle gesetzeskonformes Verhalten der Kasse sichergestellt werden. Die Pönalezinsen seien dabei nicht als Folge von Verwaltungsübertretungen anzusehen und daher auch unabhängig von einem Verschulden irgendwelcher Organe oder Arbeitnehmer der Kasse. Sie seien vielmehr wirtschaftsaufsichtsrechtliche Maßnahmen ohne Strafcharakter; die Vorschreibung von Zinsen sei eine verschuldensunabhängige aufsichtsrechtliche Administrativmaßnahme. Es sei der Behörde daher verwehrt, einen allfälligen "Unrechtsgehalt der Übertretung" mitzuberücksichtigen; das Gesetz stelle tatbildmäßig nur auf die Unter- bzw. Überschreitung der Grenzen ab. Auf die Gründe, warum das vom Gesetzgeber gewünschte Verhalten nicht gesetzt werde, komme es ebenso wenig wie darauf an, ob die Unter- bzw. Überschreitung bewusst oder unbewusst erfolgt sei.

Der Umstand, ob der Veranlagungsgemeinschaft durch das Investment ein Schaden entstanden sei oder nicht, sei für die Beurteilung des Sachverhalts betreffend die Vorschreibung der Pönalezinsen nicht von Bedeutung.

Inwieweit der gegenständliche Fonds zum öffentlichen Vertrieb in Österreich zulassungsfähig wäre, sei von der Behörde in Vollziehung des § 43 Abs. 1 Z. 2 BMSVG nicht zu prüfen. Die Verantwortung für die Einhaltung der Veranlagungsbestimmungen des § 30 BMSVG liege bei den Kreditinstituten. Auch habe sich die Geschäftsleitung der beschwerdeführenden Partei vor dem beabsichtigten Investment zu vergewissern gehabt, dass der gegenständliche Fonds die Erfordernisse des § 30 Abs. 2 Z. 5 lit. a BMSVG voll erfülle. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Betrieblichen Vorsorgekassen im Verhältnis zu den Pensionskassen liege - wie näher ausgeführt wird - nicht vor.

Im Hinblick auf die in den Veranlagungsgemeinschaften der Betrieblichen Vorsorgekassen enthaltenen Abfertigungsanwartschaften eines Großteils der österreichischen werktätigen Bevölkerung sei die Kontrolle in der dargelegten Form vom Gesetzgeber gewollt; im Sinne der Wahrung der Finanzmarktstabilität sowie zur Verhinderung gesamtwirtschaftlicher negativer Konsequenzen dürfe bei der Veranlagung der Abfertigungsanwartschaften ein Abweichen von den gesetzlichen Veranlagungsbestimmungen nicht toleriert werden.

Um diesem erhöhten Sicherheitsbedürfnis Rechnung zu tragen, umfasse die Formalprüfung durch die FMA im Sinne des § 30 Investmentfondsgesetz die Kontrolle des Vorliegens der im II. Abschnitt des Investmentfondsgesetzes normierten Voraussetzungen, wie z.B. das Vorliegen eines inländischen Repräsentanten, einer Depotbank und einer Verpflichtungserklärung gemäß § 30 Abs. 2 Z. 6 Investmentfondsgesetz.

In dem sachlich begründeten Erfordernis einer Berechtigung zum öffentlichen Vertrieb in Österreich könne keine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit erblickt werden, zumal die Sicherungsvorkehrungen für die Abfertigungsanwartschaften im öffentlichen Interesse seien.

Es liege auch - wie gleichfalls näher ausgeführt wird - in verfassungskonformer Auslegung des § 30 Abs. 2 Z. 5 lit. a BMSVG keine Eigentumsbeschränkung vor, weil es im Interesse der Allgemeinheit liege, dass die Veranlagungsbestimmungen des § 30 BMSVG im Sinne der Sicherheit der Abfertigungsanwartschaften eingehalten würden; dieses Interesse sei "zweifelsfrei" gesamtwirtschaftlicher Natur, weil der Verlust des Vermögens einer Veranlagungsgemeinschaft infolge gesetzwidriger Veranlagung nicht nur negative wirtschaftliche Folgen haben könne, sondern auch sozialpolitische Implikationen berge.

Die FMA habe unter Anwendung der §§ 30 Abs. 2 Z. 5 lit. a und 43 Abs. 1 Z. 2 BMSVG für die (objektiv vorliegenden) Gesetzesverletzungen die im Spruche angeführten Zinsen ermittelt.

1.3. Die beschwerdeführende Partei bekämpft diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, die Beschwerde als unbegründet kostenpflichtig abzuweisen.

Die beschwerdeführende Partei hat hierauf repliziert.

1.4. Mit Beschluss vom , Zl. EU 2011/0001, hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"Ist eine Bestimmung, die einer Betrieblichen Vorsorgekasse die Veranlagung des in einer Veranlagungsgemeinschaft zugeordneten Vermögens nur in Anteilsscheinen von Kapitalanlagefonds gestattet, die zum Vertrieb in Österreich zugelassen sind, mit der in Art. 63 ff AEUV umschriebenen Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar?"

1.5. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom , C-39/11, die Vorlagefrage wie folgt beantwortet:

"Art. 63 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegen steht, die einer Betrieblichen Vorsorgekasse oder der von dieser zur Verwaltung ihrer Mittel eingerichteten Veranlagungsgemeinschaft die Veranlagung dieser Mittel in Anteilsscheinen eines Kapitalanlagefonds, der in einem anderen Mitgliedstaat errichtet ist, nur gestattet, wenn dieser Fonds zum Vertrieb seiner Anteile im Inland zugelassen worden ist."

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

2.1. Hinsichtlich der anzuwendenden Rechtsvorschriften kann auf deren Darstellung in dem eben erwähnten Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom verwiesen werden, welches allen Parteien des Verfahrens zugegangen ist.

2.2. Im Lichte des eben erwähnten Urteiles des Gerichtshofes der Europäischen Union erweist sich die von der belangten Behörde vorgenommene Anwendung der nationalen Regelung im Beschwerdefall als nicht mit dem Recht der Europäischen Union im Einklang stehend; § 30 Abs. 2 Z. 5 BMSVG hätte daher unangewendet bleiben müssen. Zur näheren Begründung kann insoweit auf die Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in seinem Urteil vom verwiesen werden.

2.3. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

2.4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am