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VwGH vom 20.06.2012, 2012/17/0146

VwGH vom 20.06.2012, 2012/17/0146

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Dr. Zehetner und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde des Finanzamtes Kufstein Schwaz in 6333 Kufstein, Oskar Pirlo-Straße 15, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom , Zl. RV/0200-I/11, betreffend Aufhebung eines Bescheides über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 (mitbeteiligte Partei: T in V, vertreten durch Mag. Daniel Ludwig, Rechtsanwalt in 6130 Schwaz, Burggasse 12), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit Bescheid vom wurde dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Mitbeteiligten eine Rückzahlung von ausbezahlten Zuschüssen zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) vorgeschrieben. Dieser Bescheid wurde nicht bekämpft.

Mit Eingabe vom beantragte der Mitbeteiligte unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 184/10, die Aufhebung des Bescheides vom gemäß § 299 BAO.

Dieser Antrag wurde von der beschwerdeführenden Partei mit Bescheid vom abgewiesen, weil der Verfassungsgerichtshof zwar die Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z. 1 KBGG als verfassungswidrig aufgehoben habe, dabei aber ausgesprochen habe, "dass diese Bestimmung in der Stammfassung mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung" stehe; hätte der Verfassungsgerichtshof eine gänzliche Rückwirkung gewollt, hätte er dies auch im Erkenntnis so ausgesprochen.

In seiner dagegen gerichteten Berufung vertrat der Mitbeteiligte die Ansicht, der Verfassungsgerichtshof habe von der Ermächtigung des Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG Gebrauch gemacht und ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei; dieser Ausspruch entfalte eine generelle Rückwirkung, weshalb die Rechtsansicht der Abgabenbehörde erster Instanz nicht geteilt werden könne.

Das beschwerdeführende Finanzamt legte die Berufung der belangten Behörde ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung vor.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass der Berufung Folge gegeben und der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides dahin abgeändert werde, dass der an den Mitbeteiligten ergangene Bescheid über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 vom auf Grund des Antrages vom gemäß § 299 BAO aufgehoben werde.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der gegenständliche Antrag auf Bescheidaufhebung sei unstrittig innerhalb der Jahresfrist des § 302 Abs. 1 BAO und somit rechtzeitig eingebracht worden. Für die Aufhebung nach § 299 BAO sei grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufhebung maßgebend. Daraus folge, dass bei der Prüfung, ob einem Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO zu entsprechen sei, die Abgabenbehörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung zu prüfen habe, ob der Spruch des Bescheides nach der (dann) bestehenden Gesetzeslage richtig sei oder nicht.

Im vorliegenden Fall stehe fest, dass der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z. 1 KBGG in seiner Stammfassung als verfassungswidrig aufgehoben habe. Der Verfassungsgerichtshof habe auch ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft träten. Indem der Verfassungsgerichtshof erklärt habe, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei, habe der Gerichtshof von der ihm durch Art. 140 Abs. 7 B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht; dies bedeute, dass die Aufhebung des § 18 Abs. 1 Z. 1 KBGG Auswirkungen nicht nur für Tatbestände, die ab dem Zeitpunkt der Aufhebung verwirklicht würden und den Anlassfall oder die Anlassfälle entfalte, sondern alle Gerichte und Verwaltungsbehörden die aufgehobene Gesetzesbestimmung in allen Fällen nicht mehr anzuwenden hätten. Dementsprechend hätten sowohl der Verfassungsgerichtshof als auch der Verwaltungsgerichtshof Bescheide über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld aufgehoben.

Der Bescheid, dessen Aufhebung im vorliegenden Verfahren gemäß § 299 BAO beantragt werde, sei - nach der Aktenlage - im Zeitpunkt seiner Erlassung gesetzeskonform gewesen. Da jedoch für die Anwendung des § 299 BAO die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aufhebungsantrag maßgebend sei und ein Bescheid über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 nach Ergehen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nicht mehr auf § 18 Abs. 1 Z. 1 KBGG gestützt hätte ergehen dürfen, erweise sich der Spruch des Bescheides, mit dem die Rückzahlung festgesetzt worden sei, nach der im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aufhebungsantrag geltenden Rechtslage als nicht (mehr) richtig.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes komme im Bereich des § 299 BAO dem Prinzip der Rechtmäßigkeit der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit zu und habe hiebei der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine zentrale Bedeutung; insoweit sei die Aufhebung des Bescheides vom im Rahmen des von der belangten Behörde zu übenden Ermessens gerechtfertigt, zumal auch der Rückzahlungsbetrag nicht nur geringfügig sei. Billigkeitsgründe stünden einer zugunsten des Abgabepflichtigen erfolgten Aufhebung niemals entgegen.

Mit der vorliegenden Amtsbeschwerde gemäß § 292 BAO bekämpft das beschwerdeführende Finanzamt den Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 299 BAO, BGBl. Nr. 194/1961 in der Fassung durch BGBl. I Nr. 20/2009, kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist (Abs. 1).

Nach § 299 Abs. 2 leg. cit. ist mit dem aufhebenden Bescheid der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. tritt durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung befunden hat.

Nach § 302 Abs. 1 BAO sind Aufhebungen gemäß § 299 leg. cit. jedoch nur bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Bescheides zulässig. Gemäß § 302 Abs. 2 lit. b) sind (aber) Aufhebungen nach § 299 leg. cit. auch dann (noch) zulässig, wenn der Antrag auf Aufhebung vor Ablauf der sich aus Abs. 1 ergebenden Jahresfrist eingebracht wurde.

Art. 140 Abs. 7 B-VG lautet wie folgt:

"(7) Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, dass ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist das Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden."

Das beschwerdeführende Finanzamt verweist vor dem Verwaltungsgerichtshof darauf, dass im konkreten Fall der Verfassungsgerichtshof eine Rückwirkung der Aufhebung "eher allgemein" ausgesprochen habe; diese Art der Rückwirkung gelte für jene Fälle, in denen eine Behörde noch nicht formell rechtskräftig über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgelt entschieden habe. Hätte der Verfassungsgerichtshof die Rückwirkung auch auf (formell) rechtskräftig erledigte Verwaltungssachen erstrecken wollen, so hätte er den Umfang der Rückwirkung auch dergestalt festgelegt. Eine derartige Rückwirkung käme beispielsweise dann zur Anwendung, wenn der Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes dies ausdrücklich vorsehe, wie etwa bei der Mindestkörperschaftsteuer. Dort habe der Verfassungsgerichtshof nicht nur ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei, sondern auch, dass sie ihre normative Kraft auch hinsichtlich aller schon rechtskräftig gewordener Bescheide verliere.

Auch sei die Rechtsauffassung der belangten Behörde, dass für die Anwendung des § 299 BAO die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aufhebungsantrag maßgebend sei, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend; nur wenn sich die materiellrechtliche Rechtslage rückwirkend ändere, könne § 299 BAO Anwendung finden. Was das anzuwendende Recht betreffe, so sei der Beschwerdefall eher mit den Fällen einer Berufung zu vergleichen; dort habe nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Berufungsbehörde Änderungen der Rechtslage seit Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zu berücksichtigen, wenn die Änderung als Folge einer Übergangsregelung oder wegen des Grundsatzes der Zeitbezogenheit materiell-rechtlicher Abgabenvorschriften nicht zurückwirke.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , G 184/10 u.a. = VfSlg. 19.343, § 18 Abs. 1 Z. 1 des KBGG in seiner Stammfassung als verfassungswidrig aufgehoben (Spruchpunkt I). Er hat weiters ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist (Spruchpunkt II) und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten (Spruchpunkt III).

Unbestritten ist, dass somit die Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z. 1 KBGG auf Sachverhalte, die sich ab dem Tag des Inkrafttretens der Aufhebung ereignen, ebenso wie auf den oder die Anlassfälle, nicht mehr anzuwenden ist. Der Verfassungsgerichtshof hat aber auch einen Ausspruch nach Art. 140 Abs. 7 B-VG in den Spruch seines Erkenntnisses aufgenommen; dies bedeutet, dass die von ihm aufgehobene Gesetzesbestimmung - über den Anlassfall hinaus - auch für frühere Sachverhalte nicht mehr anzuwenden ist. Ein solcher Ausspruch kommt im Ergebnis einer rückwirkenden Aufhebung für noch nicht entschiedene Fälle gleich.

Strittig ist zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Frage, ob ein "noch nicht entschiedener Fall" dann vorliegt, wenn ein erstinstanzlicher, nicht bekämpfter Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Spruches durch (fristgerechten) Antrag nach § 299 BAO aufgehoben werden soll.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , G 24/64 = VfSlg. 4.986, im Zusammenhang mit einem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung der (früheren) Fassung des § 299 Abs. 1 und 2 BAO ausgeführt wie folgt (auszugsweise):

"Nach der Ansicht des Verfassungsgerichtshofes geht der Verwaltungsgerichtshof in seinem Antrag von einer unrichtigen Voraussetzung aus. Der Bescheidbegriff des Art. 144 B-VG ist nämlich entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichtshofes mit dem Bescheidbegriff des § 56 AVG nicht ident. Unter einem Bescheid im Sinne des Art. 144 B-VG versteht man jede Erledigung einer Verwaltungsbehörde, womit ein individuelles Rechtsverhältnis gestaltet oder festgestellt wird, ob sie nun in Form eines Bescheides nach § 56 AVG ergeht oder nicht. … Der Bescheidbegriff des § 56 AVG ist trotz dem gleichen Wortlaut nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes enger als der Bescheidbegriff des Art. 144 B-VG. Decken sich aber die beiden Begriffe nicht, sind auch alle Schlussfolgerungen, welche der Verwaltungsgerichtshof aus der Identität der Begriffe zieht, nicht zutreffend.

Es ist wohl richtig, dass die Bundesverfassung den Bescheidbegriff nicht definiert, der Inhalt des Begriffes der österreichischen Rechtsordnung entnommen werden muss, wie sie im Jahre 1925 gegeben war. Der Verfassungsgesetzgeber fand aber nicht nur das AVG mit seinem Bescheidbegriff vor, sondern auch die Tatsache, dass für zahlreiche Behörden im Verfahren das AVG nicht anwendbar, und insbesondere, dass das Abgabenverfahren einer besonderen Regelung vorbehalten geblieben war. Ist das AVG nicht für die ganze Verwaltung anwendbar, für einen Teil, insbesondere für einen so wesentlichen Teil wie die Abgabenverwaltung, ein eigenes Verfahren vorgesehen, kann nicht gesagt werden, dass nur das AVG der Rahmen sein könne, innerhalb dessen auch die anderen Verfahren geregelt sein müssen, dass eine davon abweichende Regelung verfassungswidrig wäre.

Dies gilt auch für die Rechtskraft und deren Durchbrechung. Deckt sich der Bescheidbegriff des AVG mit jenem des Art. 144 B-VG nicht, kann nicht gesagt werden, dass nur jene Durchbrechungen der Rechtskraft verfassungsmäßig wären, die im § 68 AVG statuiert sind. Dazu kommt, dass sich aus § 68 AVG keineswegs eine abschließende Regelung der materiellen Rechtskraft ergibt, denn § 68 Abs. 6 lässt eine Durchbrechung der Rechtskraft aus weiteren in den Verwaltungsvorschriften liegenden Gründen zu. … Gerade der Umstand dass das AVG nicht für die gesamte Verwaltung verbindlich gemacht wurde, vielmehr das Abgabenverfahren einer besonderen Regelung vorbehalten blieb, zwingt zu der Annahme, dass es keineswegs verfassungswidrig ist, wenn in einem anderen Verfahren auch andere Regelungen hinsichtlich der Rechtskraft und deren Durchbrechung vorgesehen werden. Es wird eben darauf ankommen, ob in diesem anderen Verfahren den Postulaten nach Rechtssicherheit oder nach Gesetzmäßigkeit das gleiche oder ein anderes Gewicht zugemessen werden sollte. Diese Überlegungen zeigen aber auch, dass selbst dann, wenn eine Identität des Bescheidbegriffes im B-VG und AVG bestünde, es vom Standpunkt unserer Bundesverfassung aus nicht notwendig wäre, die Durchbrechung der Rechtskraft im § 299 BAO und im § 68 AVG gleich zu regeln.

Ob eine Regelung als dem Rechtstaatsprinzip widersprechend verfassungswidrig wäre, welche die materielle Rechtskraft zur Gänze aufhöbe, braucht hier nicht untersucht zu werden, weil ein solcher Fall nicht vorliegt. Es ist wohl richtig, dass nach § 299 Abs. 2 BAO ein Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben werden kann, und nicht nur wegen namentlich bezeichneter Nichtigkeiten, wie es § 68 AVG vorsieht. Allein es ist zu beachten, dass diese Befugnis durch § 302 leg. cit. wesentlich beschränkt wird, weil die Befugnis der Aufsichtsbehörde auf ein Jahr nach Rechtskraft des Bescheides eingeschränkt ist. Nach diesem Zeitpunkt kann ein Bescheid weder wegen schwerer noch wegen leichter Rechtswidrigkeiten aufgehoben werden. … Innerhalb des einen Jahres stellt der Gesetzgeber die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die materielle Richtigkeit der Entscheidung über die Rechtssicherheit. Nach Ablauf dieses Zeitraumes überwiegt hingegen die Rechtssicherheit. Dadurch, dass die auf Grund des aufhebenden Bescheides neu erlassenen Bescheide nach Erschöpfung des Instanzenzuges der nachprüfenden Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes unterliegen, ist auch möglichst Gewähr dafür geboten, dass diese Befugnisse tatsächlich nur zur Herstellung des gesetzlichen Zustandes benützt werden.

Wie sich aus dem Wort 'kann' im § 299 BAO ergibt, ist der Oberbehörde bei Wahrnehmung des Aufsichtsrechtes tatsächlich ein gewisses Ermessen eingeräumt worden, das sie im Sinne einer ordnungsgemäßen Führung der Verwaltung auszuüben hat. Sie wird also in jedem Einzelfall abzuwägen haben, ob der Fall sich zu einer Maßnahme nach § 299 BAO eignet, ob ein Fall vorliegt, in welchem die Rechtmäßigkeit des Bescheides vor der Rechtssicherheit zu stehen hat. … Nur dann, wenn die Behörde bei der Prüfung zu dem Schluss kommt, es liege nur eine geringfügige Rechtswidrigkeit vor, oder die wahrgenommene Rechtswidrigkeit habe keine wesentlichen Folgen nach sich gezogen, wird sie in Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens von einer Maßnahme nach § 299 BAO absehen können. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes ist somit Sinn und Grenze des eingeräumten Ermessens hinreichend klar. Der Forderung nach Rechtssicherheit ist dadurch Genüge getan, dass nach einem Jahr auch bei schwersten Fällen der Rechtswidrigkeit eine Aufhebung nicht möglich ist. …"

Wenn auch der BAO grundsätzlich der formelle Rechtskraftbegriff zugrunde liegt (vgl. nur Ritz , BAO4, Rz 4 zu § 92), so werden doch die Grenzen der materiellen Rechtskraft, also der Unwiderrufbarkeit und der Unwiederholbarkeit eines Bescheides, von der BAO in Bestimmungen wie § 299 leg. cit. (vgl. etwa auch § 300 leg. cit.) näher umschrieben. Davon ausgehend gelingt es der Beschwerde nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen:

Ausgehend von der gesetzgeberischen Wertung, dass in den durch die genannten Bestimmungen des § 299 und des § 302 BAO gezogenen Grenzen der Gesetzgeber die Rechtsrichtigkeit eines Bescheides höher wertet als dessen Rechtsbeständigkeit, bestehen auch keine Bedenken dagegen, mit der herrschenden Ansicht (vgl. nur Ritz, aaO, Rz 14 zu § 299, mwN) auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung (über den Antrag) betreffend die Aufhebung nach § 299 BAO abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte die Verwaltungsbehörde entsprechend dem Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom § 18 Abs. 1 Z. 1 KBGG nicht (mehr) anzuwenden.

In der Beschwerde wird gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Ermessensübung weiter nichts vorgebracht; der Verwaltungsgerichtshof vermag auch keine diesbezügliche Rechtswidrigkeit zu erkennen. Dies insbesondere auch aus der Überlegung, dass der Gesetzgeber - wie erwähnt - im hier gegebenen Zusammenhang der Rechtsrichtigkeit einer Entscheidung besondere Bedeutung beimisst und die Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes diesbezüglich von besonderem Gewicht ist.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der beschwerdeführenden Partei behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am