VwGH vom 28.03.2014, 2012/16/0208

VwGH vom 28.03.2014, 2012/16/0208

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma, die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des Mag. G in S, Frankreich, vertreten durch die Fux Neulinger Mitrofanova Rechtsanwälte OG in 1020 Wien, Taborstraße 11b, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom , Zl. ZRV/0390-Z1W/11, betreffend Eingangsabgaben und Abgabenerhöhung, zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 42 Abs. 3a VwGG wird der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass sein Spruch lautet:

"Die Berufungsvorentscheidung des Zollamtes Wien vom , Zl. 100/08431/2004-13, wird dahin abgeändert, dass der Bescheid des Zollamtes Wien vom , Zl. 100/08431/2004-1, betreffend Eingangsabgaben und Abgabenerhöhung, aufgehoben wird."

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.326,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom stellte das Zollamt Wien die Eingangsabgabenfreiheit eines näher bezeichneten Pkw für den Beschwerdeführer, eines damals in Österreich akkreditieren Diplomaten, fest.

Am wurde der bezeichnete Pkw für den Beschwerdeführer als Empfänger in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt und dabei die Befreiung entsprechend dem erwähnten Bescheid des Zollamtes in Anspruch genommen.

Mit Note vom teilte das (damalige) Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten dem Zollamt Wien mit, dass der Beschwerdeführer den Diebstahl des betreffenden Pkw gemeldet habe. Angeschlossen waren dieser Note eine Verbalnote der Botschaft der Republik Polen in Wien, eine Bestätigung über eine Diebstahlsanzeige bei der Bundespolizeidirektion Wien, eine Verfügung samt Übersetzung der Bezirksstaatsanwaltschaft Warschau-Praga Süd vom , wonach eine Untersuchung in Sachen "der Begehung eines Diebstahls" hinsichtlich des betreffenden Pkw eingestellt werde. Das Fahrzeug sei am in Warschau durch unbekannte Täter von einem Parkplatz gestohlen worden.

Mit Bescheid vom schrieb das Zollamt Wien dem Beschwerdeführer Eingangsabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) in näher angeführter Höhe und eine Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG vor. Durch den Diebstahl des betreffenden Fahrzeuges sei dieses der zollamtlichen Überwachung entzogen worden, weshalb die Eingangsabgabenschuld nach Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex entstanden sei, wofür der Beschwerdeführer nach Art. 203 Abs. 3 letzter Anstrich Zollkodex als Zollschuldner herangezogen werde.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Zollamt Wien die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung als unbegründet ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen die Berufungsvorentscheidung des Zollamtes Wien erhobene (Administrativ )Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Die mit dem erwähnten Bescheid des Zollamtes Wien vom gewährte Eingangsabgabenbefreiung sei an die Pflicht der Verwendung des Pkw durch den Beschwerdeführer während eines Zeitraumes von drei Jahren nach der zollamtlichen Abfertigung zum freien Verkehr (somit bis zum ) geknüpft gewesen. Am sei der Pkw in Warschau gestohlen worden. Damit sei die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu der unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware, dem Pkw, gehindert gewesen. Dies stelle ein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung dar, unter welcher der in Rede stehende Pkw gestanden habe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer im Recht verletzt erachtet, dass ihm Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Abgabenerhöhung nicht vorgeschrieben werde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

Gemäß Art. 133 Abs. 1 Buchstabe a der im Beschwerdefall noch maßgebenden Verordnung (EWG) Nr. 918/83 des Rates vom über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen, ABlEG Nr. L 105 vom , (Zollbefreiungsverordnung - ZBefrVO) können die Mitgliedstaaten unbeschadet der Bestimmungen dieser Verordnung Befreiungen gewähren, die sich u.a. aus der Anwendung des Wiener Übereinkommens vom über diplomatische Beziehungen ergeben.

Art. 36 des Wiener Übereinkommens über diplomatische

Beziehungen, BGBl. Nr. 66/1966, lautet:

"Artikel 36

(1) Nach Maßgabe seiner geltenden Gesetze und anderen Rechtsvorschriften gestattet der Empfangsstaat die Einfuhr der nachstehend genannten Gegenstände und befreit sie von allen Zöllen, Steuern und ähnlichen Abgaben mit Ausnahme von Gebühren für Einlagerung, Beförderung und ähnliche Dienstleistungen;


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a)
Gegenstände für den amtlichen Gebrauch der Mission;
b)
Gegenstände für den persönlichen Gebrauch des Diplomaten oder eines zu seinem Haushalt gehörenden Familienmitglieds, einschließlich der für seine Einrichtung vorgesehenen Gegenstände.

(2) ..."

Österreich hat diese unionsrechtliche Ermächtigung des Art. 133 ZBefrVO im Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) ausgeschöpft.

§ 89 ZollR-DG lautet samt Überschrift:

"Diplomaten- und Konsulargut

§ 89. (1) Von den Einfuhrabgaben befreit sind:


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a)
...
b)
Waren, die zum persönlichen Gebrauch oder Verbrauch durch die dem Personal der unter Buchstabe a genannten Vertretungen (Anmerkung: im Anwendungsgebiet befindlichen diplomatischen oder konsularischen Vertretungen fremder Staaten gegenüber der Republik Österreich) angehörenden ausländischen Diplomaten und Berufskonsuln sowie durch die in ihrem Haushalt lebenden Familienmitglieder eingehen. Die Einfuhrabgabenfreiheit für Kraftfahrzeuge ist dabei auf die Einbringung von zwei motorgetriebenen Fahrzeugen innerhalb eines Zeitraumes von jeweils zwei Jahren beschränkt, gleichgültig ob die Einbringung unter dem Namen des Begünstigten oder dem Namen eines Familienmitgliedes
erfolgt. ..... Wird ein einfuhrabgabenfrei eingeführtes Fahrzeug
vor Ablauf der genannten Frist wieder ausgeführt, ordnungsgemäß verzollt oder nachweislich ernsthaft beschädigt, so kann an dessen Stelle ein anderes Fahrzeug einfuhrabgabenfrei eingeführt werden.
c)
...

(2) ..."

Diese Zollbefreiung findet sich im Abschnitt E "Zollbefreiungen" des ZollR-DG, in welchem § 86 samt Überschrift lautet:

"Außertarifliche Ein- und Ausfuhrabgabenfreiheit

§ 86. (1) Die außertariflichen Einfuhr- und Ausfuhrabgabenbefreiungen bestimmen sich nach dem in § 1 genannten gemeinschaftlichen Zollrecht, dem in der Republik Österreich anwendbaren Völkerrecht, soweit es solche Befreiungen betrifft, sowie den §§ 89 bis 97.

(2) ... für die Ausfuhr ...

(3) Die Artikel 82 und 214 ZK sind anzuwenden."

Art. 82 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 302 vom , (Zollkodex - ZK) lautet:

"Art. 82 (1) Waren, die auf Grund ihrer Verwendung zu besonderen Zwecken zu einem ermäßigten Einfuhrabgabensatz oder abgabenfrei in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt werden, bleiben unter zollamtlicher Überwachung. Die zollamtliche Überwachung endet, wenn die für die Gewährung des ermäßigten Abgabensatzes oder der Abgabenfreiheit festgelegten Voraussetzungen nicht mehr anwendbar sind, wenn die Waren ausgeführt oder vernichtet bzw. zerstört worden sind oder wenn die Verwendung der Waren zu anderen Zwecken, als sie für die Anwendung des ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder der Abgabenfreiheit vorgeschrieben sind, gegen Entrichtung der fälligen Abgaben bewilligt wird."

Die zollamtliche Überwachung nach Art. 82 Abs. 1 ZK endet somit, wenn die für die Abgabenfreiheit festgelegten Voraussetzungen nicht mehr anwendbar sind. Diese Voraussetzungen sind im Beschwerdefall im oben wiedergegebenen § 89 Abs. 1 Buchstabe b ZollR-DG und im § 93 Abs. 1 ZollR-DG festgelegt.

§ 93 Abs. 1 ZollR-DG samt Überschrift lautet:

"Verwendungspflicht

§ 93. (1) Waren, die nach § 89 Abs. 1, § 90 oder im Rahmen von sonstigen Privilegien für Einrichtungen fremder Staaten oder internationaler Organisationen einfuhrabgabenfrei eingeführt wurden, dürfen erst nach Ablauf einer Frist von zwölf Monaten nach Annahme der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ohne vorherige Unterrichtung der Zollbehörde verliehen, verpfändet, vermietet, veräußert oder überlassen werden. Bei motorgetriebenen Fahrzeugen beträgt diese Frist zwei Jahre. Bei Verleih, Verpfändung, Vermietung, Veräußerung oder Überlassung von nach § 89 Abs. 1 einfuhrabgabenfrei eingeführten Waren vor Ablauf dieser Fristen oder einer sich aus den einzelnen diesbezüglichen Rechtsvorschriften oder der Gegenseitigkeit ergebenden längeren Frist werden jedoch die Einfuhrabgaben nicht erhoben, wenn der Begünstigte abberufen wurde, sofern zumindest ein halbes Jahr dieser Frist abgelaufen ist, oder der Begünstigte verstorben ist oder ein Fahrzeug ernsthaft beschädigt wurde; letzteres gilt auch für Dienstfahrzeuge."

§ 89 Abs. 1 Buchstabe b ZollR-DG sieht die Möglichkeit vor, vor Ablauf der dort genannten Frist ein anderes Fahrzeug einfuhrabgabenfrei einzuführen, wenn das ursprüngliche Fahrzeug

u. a nachweislich ernsthaft beschädigt wurde. Nach § 93 Abs. 1 letzter Satz ZollR-DG werden bei Verleih, Verpfändung, Vermietung, Veräußerung oder Überlassung von nach § 89 Abs. 1 leg. cit. einfuhrabgabenfrei eingeführten Waren vor Ablauf der in Rede stehenden Fristen die Einfuhrabgaben nicht erhoben, wenn ein Fahrzeug ernsthaft beschädigt wurde.

Beiden Bestimmungen liegt zugrunde, dass die Erhebung von Einfuhrabgaben für das begünstigt eingeführte Fahrzeug einerseits und die Sperre für die einfuhrabgabenfreie Einfuhr eines weiteren Fahrzeuges andererseits dann nicht mehr dem Sinn des Gesetzes entspricht, wenn der Begünstigte nicht mehr in der Lage ist, das Fahrzeug zweckentsprechend zum persönlichen Gebrauch zu verwenden. Dazu normieren diese beiden gesetzlichen Bestimmungen den Fall, dass das Fahrzeug ernsthaft beschädigt ist. Kraft Größenschlusses muss dies allerdings auch dann gelten, wenn der Begünstigte das Fahrzeug deshalb nicht mehr zweckentsprechend verwenden kann, weil es ihm unwiederbringlich gestohlen wurde, er es somit überhaupt nicht mehr verwenden kann.

Damit endet aber die vom Begünstigten zu erfüllende Verwendungspflicht mit einem solchen Diebstahl, wodurch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die für die Gewährung der Abgabenfreiheit festgelegten Voraussetzungen (der Erfüllung der Verwendungspflicht) im Sinn des Art. 82 ZK nicht mehr anwendbar sind.

Durch einen solchen Diebstahl (vgl. zu einem Diebstahl, bei dem die gestohlene Ware kurzfristig wiedergefunden wird, Art. 900 Abs. 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission, ABlEG Nr. L 253 vom (Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO)) endet demnach die zollamtliche Überwachung iSd Art. 82 Abs. 1 ZK. Wird durch einen solchen Diebstahl aber die zollamtliche Überwachung beendet, kann durch denselben Vorgang die Ware der zollamtlichen Überwachung nicht mehr entzogen werden.

Gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

Der Tatbestand des Art. 203 Abs. 1 ZK ist daher bei dem von der belangten Behörde unstrittig festgestellten Sachverhalt nicht erfüllt.

Der angefochtene Bescheid wäre daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben und im fortzusetzenden Verfahren hätte gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 9 letzter Satz B-VG das Bundesfinanzgericht sodann die Berufungsvorentscheidung des Zollamtes Wien dergestalt zu ändern, dass der Bescheid des Zollamtes Wien vom ersatzlos behoben wird.

Gemäß § 42 Abs. 3a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof jedoch in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies ist im vorliegenden Beschwerdefall gegeben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der im Beschwerdefall noch anwendbaren VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am