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VwGH vom 23.02.2012, 2008/07/0012

VwGH vom 23.02.2012, 2008/07/0012

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Beck, Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde der Stadtgemeinde M, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-530588/3/Kü/Se, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen eine abfallwirtschaftsrechtliche Genehmigung (mitbeteiligte Partei: D GmbH in A; weitere Partei: Bundeminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzten.

Begründung

Mit dem im sog. vereinfachten Verfahren ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom wurde der mitbeteiligten Partei gemäß §§ 37, 38, 39, 43, 46, 47 und 50 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) BGBl. I Nr. 102/2002 die Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb einer Kompostieranlage auf den Grundstücken Nr. 899 und 900, KG H., Gemeinde P., erteilt.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei Berufung an die belangte Behörde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die beschwerdeführende Partei in der von der Erstbehörde durchgeführten mündlichen Verhandlung am ihre Bedenken hinsichtlich des sich in unmittelbarer Nähe befindlichen Grundwasserschongebiets S., von wo aus die Wasserversorgung ihrer Bevölkerung erfolge, und auch ihre Bedenken hinsichtlich der zu erwartenden Geruchsbelästigung vorgebracht habe. Diese Bedenken seien durch entsprechende Gutachten nicht entkräftet worden, weswegen die Errichtung und der Betrieb der Anlage der mitbeteiligten Partei durch die Beschwerdeführerin weiter negativ gesehen werde.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid vom die Berufung zurück.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, aus den Projektunterlagen ergebe sich, dass der Bewilligungstatbestand des § 37 Abs. 3 Z 3 AWG 2002 anzuwenden sei, weswegen das Genehmigungsverfahren nach dem vereinfachten Verfahren gemäß § 50 AWG 2002 durchzuführen sei. In diesem Verfahren habe die Beschwerdeführerin aber keine Parteistellung, weil sie unter keine der in § 50 Abs. 4 AWG 2002 aufgelisteten Parteien zu subsumieren sei. Parteistellung könne der Beschwerdeführerin unter Umständen für den Fall zukommen, dass sie zu einer Duldung verpflichtet worden sei. Eine derartige Duldungspflicht würde sich entweder aus § 46 AWG 2002 oder aus den mitanzuwendenden Materiengesetzen ergeben. Aus den vorliegenden Projektunterlagen und aus der erstinstanzlichen Entscheidung sei aber ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin zu keiner Duldung im Zusammenhang mit der von der mitbeteiligten Partei geplanten Behandlungsanlage verpflichtet sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1480/07, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zur weiteren Behandlung abtrat.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof begehrt die beschwerdeführende Partei, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

In der Beschwerde wird u.a. ausgeführt, dass die beschwerdeführende Partei als an die Anlage unmittelbar angrenzende Gemeinde nicht zur mündlichen Verhandlung am geladen worden sei. Ihr komme die Stellung als Nachbarin zu, weil sie Eigentümerin der Grundstücke Nr. 816, KG M. und Nr. 961, KG P. sei, welche der Liegenschaft, auf der die mitbeteiligte Partei ihre Anlage errichte, benachbart seien.

Die beschwerdeführende Partei habe, nachdem sie von der mündlichen Verhandlung erfahren habe, im Zuge dieser Verhandlung eine Stellungnahme abgegeben. Darin habe die Beschwerdeführerin insbesondere ihre Bedenken im Hinblick auf etwaige negative Auswirkungen durch die geplante Anlage auf das benachbarte Wasserschutzgebiet S. vorgetragen. Weiters habe die beschwerdeführende Partei darauf hingewiesen, dass es durch die geplante Anlage zu einer Geruchsbelästigung für die Anrainer kommen werde und dass die ohnehin schon stark überlasteten Verkehrswege - auch auf dem Gemeindegebiet der Beschwerdeführerin -

durch den zu erwartenden zusätzlichen Verkehr weiter beeinträchtigt würden.

Die belangte Behörde habe die Berufung zu Unrecht zurückgewiesen. § 66 Abs. 4 AVG verpflichte die Behörde in der Regel eine Sachentscheidung zu treffen. Dieser Verpflichtung sei die belangte Behörde nicht nachgekommen.

§ 50 Abs. 4 AWG 2002 verstoße gegen den verfassungsrechtlich garantierten Gleichheitsgrundsatz, weil diese Bestimmung der Beschwerdeführerin ohne sachliche Rechtfertigung die Parteistellung sowohl als Grundstücksnachbarin als auch als Anrainergemeinde vorenthalte. Die Beschwerdeführerin sei verpflichtet, ihren Bürgern eine funktionierende und den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Trinkwasserversorgung zur Verfügung zu stellen. Diese Trinkwasserversorgung erfolge über die beiden Grundstücke, die im Eigentum der Beschwerdeführerin stünden. Die der mitbeteiligten Partei erteilte abfallwirtschaftsrechtliche Bewilligung sei geeignet, dieses Eigentum zu beeinträchtigen, wogegen ein effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 13 EMRK zur Verfügung stehen müsse.

Durch die Vorenthaltung der Parteistellung im vorangegangenen Verwaltungsverfahren sei auch das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Beschwerdeführerin auf Zugang zu einem Gericht im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt worden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 37 Abs. 3 AWG 2002, BGBl. I Nr. 102/2002, lautet auszugsweise:

"(3) Folgende Behandlungsanlagen und Änderungen einer Behandlungsanlage sind nach dem vereinfachten Verfahren (§ 50) zu genehmigen:

...

3. sonstige Behandlungsanlagen für nicht gefährliche Abfälle, ausgenommen Deponien, mit einer Kapazität von weniger als 10 000 Tonnen pro Jahr;

..."

Gemäß § 42 Abs. 1 AWG 2002 i.d.F. der Novelle BGBL. I Nr. 155/2004 haben in einem Genehmigungsverfahren gemäß § 37 Abs. 1 die Nachbarn (Z. 3) sowie die Gemeinde des Standortes und die unmittelbar an die Liegenschaft der Behandlungsanlage angrenzende Gemeinde (Z. 6) Parteistellung.

§ 50 Abs. 2 AWG 2002 lautet:

"(2) Die Behörde hat einen Antrag für eine Genehmigung gemäß § 37 Abs. 3 vier Wochen aufzulegen. Die Auflage ist in geeigneter Weise, wie Anschlag in der Standortgemeinde oder Veröffentlichung auf der Internetseite der Behörde, bekannt zu geben. Die Nachbarn können innerhalb der Auflagefrist Einsicht nehmen und sich zum geplanten Projekt äußern. Die Behörde hat bei der Genehmigung auf die eingelangten Äußerungen Bedacht zu nehmen."

§ 50 Abs. 4 AWG 2002 i.d.F. der Novelle BGBl. I Nr. 155/2004 lautet:

"(4) Parteistellung im vereinfachten Verfahren hat der Antragsteller, derjenige, der zu einer Duldung verpflichtet werden soll, das Arbeitsinspektorat gemäß dem Arbeitsinspektionsgesetz 1993, das Verkehrs-Arbeitsinspektorat gemäß dem Bundesgesetz über die Verkehrs-Arbeitsinspektion, das wasserwirtschaftliche Planungsorgan in Wahrnehmung seiner Aufgaben und der Umweltanwalt mit dem Recht, die Einhaltung von naturschutzrechtlichen Vorschriften und hinsichtlich der Verfahren gemäß § 37 Abs. 3 Z 2 bis 4 die Wahrung der öffentlichen Interessen gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 bis 4 im Verfahren geltend zu machen und gegen den Bescheid Berufung zu erheben. Dem Umweltanwalt wird das Recht eingeräumt, Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben."

Aus den oben angeführten Bestimmungen ergibt sich, dass im vereinfachten Genehmigungsverfahren - anders als im regulären Genehmigungsverfahren nach § 37 Abs. 1 AWG 2002 - insbesondere den Nachbarn, der Standortgemeinde und der unmittelbar an die Liegenschaft der Behandlungsanlage angrenzende Gemeinde ("Anrainergemeinde") keine Parteistellung zukommt.

Ein vereinfachtes Verfahren zur Genehmigung einer Betriebsanlage kennt auch § 359b GewO 1994. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 359b GewO 1994 kommt den Nachbarn einer gewerblichen Betriebsanlage im vereinfachten Genehmigungsverfahren nur in der Frage, ob überhaupt die Voraussetzungen für das vereinfachte Genehmigungsverfahren gegeben sind, Parteistellung zu (vgl. zuletzt die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2005/04/0174, und vom , Zl. 2010/04/0136, m.w.N.). Diese Rechtsprechung ist auch auf das vereinfachte Verfahren nach § 50 AWG 2002 anzuwenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/07/0055).

Im Erkenntnis vom , Zl. 2007/07/0134, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, es könne auch die Standortgemeinde geltend machen, dass das vereinfachte Verfahren zu Unrecht angewendet worden sei. Andernfalls hätte die Standortgemeinde keine Möglichkeit zu relevieren, dass ihr durch die unzutreffende Anwendung des vereinfachten Verfahrens die ihr sonst gemäß § 42 Abs. 1 Z 6 AWG 2002 zukommende (Formal )Parteistellung zu Unrecht verwehrt worden sei.

Dies gilt sinngemäß auch für die "Anrainergemeinde" einer Abfallbehandlungsanlage im Sinne des § 42 Abs. 1 Z. 6 AWG 2002, weil auch diese ansonsten - wie schon die Standortgemeinde - keine Möglichkeit hätte, sich gegen die unter Umständen zu Unrecht erfolgte Verweigerung der (Formal )Parteistellung zur Wehr zu setzen.

Die Beschwerdeführerin hat jedoch zu keinem Zeitpunkt bestritten, dass im gegenständlichen Fall die im § 37 Abs. 3 Z 3 AWG 2002 geregelten Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des vereinfachten Verfahrens vorliegen und dass das von der mitbeteiligten Partei beantragte Projekt in diesem Verfahren abzuhandeln ist.

Eine darüberhinausgehende Parteistellung im vereinfachten Genehmigungsverfahren kommt der Beschwerdeführerin aber weder als "Nachbarin" gemäß § 2 Abs. 6 Z 5 AWG 2002 noch als "Anrainergemeinde" im Sinne des § 42 Abs. 1 Z 6 AWG 2002 zu.

Zu den von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift ausgeführten verfassungsrechtlichen Bedenken kann auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1480/07-8, verwiesen werden. Der Verwaltungsgerichtshof teilt die in diesem Beschluss vertretene Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes, wonach dem Gesetzgeber ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum bei der Einräumung der Parteistellung und der Ausgestaltung der Parteirechte zukommt. Daher konnte auch von der in der Beschwerde angeregten Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens abgesehen werden.

Die Prüfung eines Bescheides dahingehend, ob durch diesen verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte der Beschwerdeführerin verletzt worden sind, kommt dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Z. 1 i.V.m. Art. 144 Abs. 1 erster Satz B-VG nicht zu. Soweit die Beschwerdeführerin daher in ihrer Beschwerdeschrift an den Verwaltungsgerichtshof neuerlich die Verletzung von verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten durch die belangte Behörde geltend macht, ist sie auf den bereits zitierten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes, der darin die behauptete Verletzung dieser verfassungsgesetzlichen Rechte bereits geprüft hat, zu verweisen.

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde immer in der Sache selbst zu entscheiden, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist. Eine Berufung ist aber insbesondere dann unzulässig, wenn der Berufungswerberin keine Parteistellung zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/07/0257).

Wie bereits dargelegt wurde, kommt der Beschwerdeführerin im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß § 50 AWG 2002 - abgesehen von der Frage der Anwendbarkeit des vereinfachten Genehmigungsverfahrens - keine Parteistellung zu, weshalb die belangte Behörde - entgegen dem Beschwerdevorbringen - keine Sachentscheidung zu treffen hatte.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Art. 6 Abs. 1 EMRK steht dem nicht entgegen, weil eine zurückweisende Entscheidung (hier Zurückweisung einer Berufung mangels Berufungslegitimation der Berufungswerberin), in der nur darüber abgesprochen wird, ob ein Rechtsmittel zulässig ist, nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 MRK fällt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/07/0066, m.w.N.).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am